L 21 U 191/15

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
21
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 68 U 824/13
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 21 U 191/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 2 U 317/17 B
Datum
Kategorie
Urteil
Bemerkung
BSG: NZB
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 4. November 2015 aufgehoben und die Klage vollumfänglich abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind für den gesamten Rechtsstreit nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beklagte wendet sich mit ihrer Berufung gegen die Verurteilung zur Gewährung einer Rente nach einer MdE von 20 von Hundert.

Die 1976 geborene Klägerin war als Verkäuferin tätig. Wegen Beschwerden an der Lendenwirbelsäule - LWS - war die Klägerin seit dem 15. April 2010 arbeitsunfähig. Am 21. Juni 2010 wurde die Klägerin an der LWS operiert und eine Flavotomie an den LWK 4/5 und Sequestrektomie L4/5 vorgenommen. Am 4. August 2011 unterzog die Klägerin sich einer erneuten Operation an der LWS, dabei wurde ein DSS-(Dynamic Stabilisation System) in Höhe LWK 4/5 implantiert. In der Folge trat Beschwerdefreiheit und Arbeitsfähigkeit ein. Nach Aufgabe ihrer Tätigkeit als Verkäuferin nahm die Klägerin an einer von der Deutschen Rentenversicherung veranlassten Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben im Berufsförderungswerk B e.V. teil.

Als die Klägerin sich am 3. Dezember 2012 mit ihrem PKW auf dem Rückweg aus dem Berufsförderungswerk zu ihrem Wohnort befand, hielt sie vor einer Brücke, um Gegenverkehr durchzulassen. Dabei fuhr der ihr nachfolgende Pkw auf ihren Wagen auf. Die Klägerin wurde mit einem Rettungswagen in das Klinikum in B gebracht und dort überwacht. Diagnostiziert wurde eine Verstauchung und Zerrung der Halswirbelsäule, Kreuzschmerzen und eine kleinste Subarachnoidalblutung - SAB - rechts frontopolar. Unter anderem wurde eine Computertomographie des Schädels und der Wirbelsäule und des Rückenmarks angefertigt und eine computergestützte Bilddatenanalyse mit 3D-Auswertung zur Diagnostik vorgenommen.

Bei der Vorstellung beim Durchgangsarzt Dr. M am 7. Dezember 2012 wurde eine Verstauchung und Zerrung der HWS sowie die Subarachnoidalblutung diagnostiziert sowie als Zusatzdiagnose eine Distorsion der LWS festgestellt. In dem Zwischenbericht des Dr. M wurde ein Berührungs- und Klopfschmerz über der LWS und eine Bewegungseinschränkung der LWS angeführt. In einem weiteren Zwischenbericht vom 8. Februar 2013 berichtete der Durchgangsarzt Dr. M, dass die Klägerin weiter über Schmerzen insbesondere im Bereich der LWS geklagt habe. Die weiter bestehenden Beschwerden im Bereich der HWS seien jedoch rückläufig. Es sei ein Termin in der Durchgangsarztsprechstunde vereinbart zu der Fragestellung, ob die Beschwerden an der LWS angesichts des bestehenden Vorschadens auf den Unfall zurückzuführen seien. Eine neurologische Befundung am 16. Januar 2013 ergab keinen Befund.

Unter dem 28 Februar 2013 berichtete Prof. Dr. E nach Befundung der Klägerin gegenüber der Beklagten und gab als Diagnosen eine frontpolare HWS-Zerrung und rezidivierende LWS-Beschwerden nach Bandscheibenoperation L5/S1 an. Zusätzlich wurde eine stattgehabte SAB rechts angegeben. Als Nebendiagnose wurde ein Bandscheibenprolaps 5/S1 angegeben. Angeregt wurde eine neurologische Untersuchung sowie eine MRT-Diagnostik zum Ausschluss eines erneuten Bandscheibenvorfalls. In einem weiteren Bericht des Prof. Dr. E wurde ausgeführt, dass eine Ursache der rezidivierenden LWS-Beschwerden in der durchgeführten Diagnostik nicht habe gefunden werden können. Bildmorphologisch und neurophysiologisch seien keine Traumafolgen im Bereich der LWS nachzuweisen.

In einem neurologischen Befundbericht des Dr. Sch vom 16. April 2013 wurde berichtet, dass sich bei der Klägerin seit dem Unfall Rückenschmerzen, wie sie die Klägerin vor den Operationen an der Lendenwirbelsäule empfunden habe, eingestellt hätten. Die Schilderungen ließen darauf schließen, dass es 2010 zu einer Addition der Nervenwurzel L 5 links gekommen sei. Ein derartiges radikuläres Beschwerdebild lasse sich aktuell nicht konstatieren. Es imponierte eine Lumbago, die bei Zustand nach zweifachem Bandscheibeneingriff unfallchirurgisch zu beurteilen bleibe.

In einem Zwischenbericht vom 29. April 2013 kamen Prof. Dr. S und Dr. R zu der Einschätzung, dass im Bereich der LWS bildmorphologisch und neurophysiologisch kein Anhalt für Traumafolgen festzustellen sei.

Unter dem 28 Juni 2013 erstattete der Chirurg/Unfallchirurg M nach ambulanter Untersuchung der Klägerin vom 12. Juni 2013 ein Gutachten. Er führte aus, dass die Klägerin anlässlich des Unfalls keine Verletzung an der LWS erlitten habe. Bei einem Heckanstoß werde der Rumpf als Ganzes in den Sitz gepresst, Rotationskräfte würden in der Regel im unteren LWS-Abschnitt nicht wirksam. Bei einem Heckanstoß sei in der Regel die Brust- und Lendenwirbelsäule als Ganzes nicht gefährdet. Ein Verletzungsbefund im Bereich der Lendenwirbelsäule sei nicht festgestellt worden. Die Schmerzsymptomatik im Bereich der LWS sei ausschließlich auf die Vorerkrankung zurückzuführen. Die Beschwerdesymptomatik im Bereich der LWS hätte auch spontan zu jedem Zeitpunkt ohne das äußere Ereignis wieder auftreten können. Auch eine SAB hätte nicht festgestellt werden können, ein zunächst geäußerter Verdacht hätte sich nicht erhärtet. Trotzdem sei es bei der Diagnose nach Aktenlage verblieben. Diese Dramatisierung eines wahrscheinlich harmlosen Ereignisses habe letztlich auch zur Überzeugung der Klägerin geführt, dass sie bei dem Unfall schwer verletzt worden sei. Die Schmerzen an der Lendenwirbelsäule seien auch auf ein Versagen des gewählten operativen Verfahrens zurückzuführen.

Mit Bescheid vom 31. Juli 2013 erkannte die Beklagte als Folgen des Versicherungsfalles vom 3. Dezember 2012 eine folgenlos ausgeheilte Zerrung der Halswirbelsäule an und lehnte die Gewährung von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung über den 2. April 2013 sowie eine Rentenzahlung ab. Die anhaltende Schmerzsymptomatik im Bereich der LWS wurde nicht als Folge des Versicherungsfalles anerkannt.

Mit dem hiergegen am 26. August 2013 eingelegten Widerspruch machte die Klägerin geltend, sie habe insbesondere einen Anspruch auf eine Rente, da sie über die 26. Woche hinaus in ihrer Erwerbsfähigkeit mit wenigstens 20 v.H. gemindert sei. Sie sei bis zum Unfall schmerzfrei gewesen. Seit dem Unfall habe sie ständig im Bereich der LWS Schmerzen. Diese Schmerzen wären nicht vorhanden, wenn es nicht zu dem Unfall am 3. Dezember 2012 gekommen wäre. Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 13. November 2013 zurück.

Mit der daraufhin am 5. Dezember 2013 erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren weiterverfolgt. Der Unfall sei wesentliche Bedingung für die Schmerzen an der Lendenwirbelsäule. Sie, die Klägerin, könne ihre sitzende Tätigkeit nur noch eingeschränkt ausüben. Ihre Umschulung zur Verwaltungsfachangestellten sei deshalb gefährdet. Fehlerhaft gehe der Gutachter M davon aus, dass sie, die Klägerin, keine Verletzung der Lendenwirbelsäule durch den Unfall erlitten habe. Auch die vorgelegten ärztlichen Berichte bestätigten die Auffassung, dass die Beschwerden an der Lendenwirbelsäule durch das Unfallereignis verursacht worden seien. Von dem Bandscheibenvorfall habe sie sich bis zum Unfallzeitpunkt erholt gehabt. Entgegen den Ausführungen des Sachverständigen Dr. S sei das Unfallereignis auch nicht nur zu 50 v.H. kausal für die Beeinträchtigungen. Es bestünden keine Anhaltspunkte für eine spontane, unfallunabhängige Lockerung des Implantats.

Das Sozialgericht hat dem Vortrag der Klägerin in den Antrag entnommen,

unter Aufhebung des Bescheides vom 31. Juli 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. November 2013 die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin eine Rente wegen des Versicherungsfalls vom 3. Dezember 2012 zu gewähren.

Die Beklagte ist der Klage zunächst mit dem Hinweis auf die Ausführungen mit dem angefochtenen Bescheid entgegengetreten und hat weiter ausgeführt, dass nach Einschätzung des Unfallanalytikers P die Aufprallgeschwindigkeit des Unfallgegners lediglich 10-15 km/h betragen habe. Eine traumatische Schädigung der LWS bei einem Heckaufprall mit dieser Geschwindigkeit sei unwahrscheinlich. Aus diesem Grunde könne dem Gutachten des Dr. S nicht gefolgt werden. Auch die ergänzende gutachterliche Stellungnahme des Dr. S führe zu keiner Änderung der Auffassung. Die Aufprallgeschwindigkeit sei auch nicht geeignet gewesen, die Materiallockerung im Bereich der LWS rechtlich wesentlich zu verursachen.

Das Sozialgericht hat ärztliche Entlassungsberichte über die 2010 und 2011 durchgeführten Heilverfahren sowie Krankenunterlagen des Klinikums B zu den stattgehabten Operationen, Befundberichte des behandelnden Facharztes für Orthopädie Starke vom 18. April 2014 und 15. Mai 2014 sowie medizinische Unterlagen und weitere Unterlagen der G Versicherungs-AG, unter anderem eine Stellungnahme des Dipl.-Ing. P vom 26. August 2013, beigezogen.

Auf Veranlassung des Sozialgerichts hat am 6. Februar 2015 der Facharzt für Neurochirurgie der D-Kliniken B Dr. S nach ambulanter Untersuchung der Klägerin vom 19. November 2014 ein Sachverständigengutachten erstattet. Nach Anfertigung einer Computertomographie der Lendenwirbelsäule hat der Sachverständige unter anderem einen geringen Aufhellungsraum im oberflächlichen Verlauf der Pedikelschraube in LWK 5 rechts im Sinne einer fraglichen, beginnenden Lockerung der Schraube LWK 5 rechts festgestellt. Bis zum gegenwärtigen Zeitraum würden von der Klägerin persistierende Schmerzen im Bereich der Lendenwirbelsäule mit Ausstrahlung in die Rückfläche des linken Beines angeführt. Im Vordergrund des neurochirurgischen Untersuchungsbefundes stünde ein Zustand nach dynamischer dorsaler Stabilisierung LWK 4/5 mit Ausbildung eines Nervenwurzelreizungssyndroms mit motorischem Defizit. Es habe sich ein Druckschmerz über dem Implantat, rechts betont über der Pedikelschraube LWK 5 auslösen können. Anhand der Computertomographie habe sich ein Verdacht auf eine Schraubenlockerung im LWK 5 rechts gezeigt. Bei dem bei der Klägerin implantierten System handele es sich um ein dynamisches Stabilisierungssystem, welches zur kontrollierten Stabilisierung von hypermobilen Bewegungssegmenten eingesetzt werde. Das bei der Klägerin implantierte Produkt sei noch nicht Gegenstand von Studien gewesen. Allgemein werde jedoch bei solchen Stabilisierungsverfahren von einem signifikanten Wert für das Auftreten von Schraubenlockerungen nach dorsaler dynamischer Stabilisierung gesprochen. Es sei also im Falle der Klägerin zwischen einer möglichen unfallunabhängigen spontanen Lockerung der Schrauben und einer durch den Unfall ausgelösten Lockerung des Implantats zu differenzieren. Aus seiner Sicht sei das Unfallereignis mit einem Anpralltrauma der LWS im Rahmen einer Heckkollision durchaus geeignet, eine Implantatlockerung zu verursachen. Die zeitnah zum Unfall durchgeführte Diagnostik sei nicht geeignet gewesen, eine mögliche Lockerung des Implantats zu erkennen. Indiziert wäre hierfür frühzeitig eine Computertomographie mit Dünnschicht-schnittführung gewesen, wie sie durch ihn, den Sachverständigen, nunmehr veranlasst worden sei. Dabei seien nunmehr Lockerungszeichen der Schraube LWK 5 rechts passend zur klinischen, lokalen Rückenschmerzsymptomatik beschrieben. Aus gutachterlicher Sicht sei das angeschuldigte Unfallereignis somit zumindest anteilig geeignet gewesen, die Lockerung der Pedikelschraube zu begünstigen. Hierfür spreche die unfallbedingte Manifestation von Schmerzen im Bereich der LWS, nachdem die Klägerin zuvor nach der DSS-OP schmerzfrei gewesen sei.

Der Sachverständige stellte bei der Klägerin ein chronifiziertes Lumbalsyndrom bei Zustand nach Bandscheibenvorfall L4/5 2010, einen Zustand nach segmentaler Instabilität LWK 4/5 mit Implantation DSS, einen Verdacht auf Materiallockerung der Pedikelschraube LWK 5 rechts, einen Zustand nach posttraumatischem Zervikalsyndrom sowie einen Zustand nach SAB fest.

Aus neurochirurgischer Sicht sei der Unfallhergang geeignet gewesen, die nachfolgende Verschlechterung der lumbalen Rückenschmerzsymptomatik zu begünstigen. Die linksseitigen Lumboischialgien seien als persistierendes Residuum nach Bandscheibenvorfall und stattgehabten Operationen anzusehen. Durch eine nun wieder zunehmende Segmentinstabilität bei Implantatlockerung, scheine eine erneute zunehmende Reizung der betroffenen Nervenwurzeln einzutreten. Aus neurochirurgischer Sicht sei der Unfall zumindest anteilig geeignet, eine Lockerung der Pedikelschraube LWK 5 herbeizuführen. Der Grad der Wahrscheinlichkeit für eine solche Ursächlichkeit werde mit 50 v.H. bewertet. Die unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit sei mit 10 v.H. zu bewerten, wobei eine unfallunabhängige Kausalität i.H.v. 50 v.H. berücksichtigt worden sei. Die Schmerzen insgesamt ergäben eine Minderung der Erwerbsfähigkeit i.H.v. 20 v.H. Der Gutachter M lasse bei der Anerkennung der unfallbedingten Schäden im Bereich der LWS, die anamnestisch vorgetragene, unmittelbare Manifestation der Beschwerde-symptomatik der LWS außer Acht. Die von ihm angeführte bildgebende Diagnostik sei nicht die Untersuchungstechnik der Wahl, um eine mögliche Lockerung der Pedikelschraube nachzuweisen.

Nachdem das Sozialgericht Unterlagen der G Versicherungs-AG beigezogen hatte und somit auch das Gutachten des Herrn P, hat sich der Sachverständige Dr. S hierzu unter dem 22. Juli 2015 ergänzend gutachterlich geäußert. Unzutreffend sei die Annahme, dass durch den stattgehabten Unfall keine Verletzung der Lendenwirbelsäule hätte verursacht werden können. Zu Recht seien die HWS-Zerrung und die Blutung im Gehirn als Unfallfolgen gewertet und anerkannt worden. Es sei aus gutachterlicher Sicht als sehr wahrscheinlich anzusehen, dass es auch zu einer nicht vorhersehbaren Krafteinwirkung auf den Rumpf und somit auf die LWS gekommen sei. Es sei auch nicht korrekt, dass bei der stattgehabten Krafteinwirkung keine Verletzung der LWS hätte verursacht werden können. Es komme zwar nach Studienlage auch zu spontanen Lockerungen der Schrauben und Implantaten. Es gäbe jedoch auch eine nicht geringe Zahl von Implantatlockerungen ohne klinisches Korrelat. Hier hätten Alltagslasten ebenso wie außergewöhnliche Spitzenlasten unmittelbaren Einfluss auf das Einwachsen bzw. die Auflockerung eines Implantats. Von einer solchen einmaligen Spitzenlast sei hier im Rahmen des Unfallgeschehens auszugehen. Die von dem Gutachter errechnete Aufprallgeschwindigkeit liege mit 10-15 km/h zwar deutlich unter der zunächst geschätzten Aufprallgeschwindigkeit von 30 km/h. Dennoch sei damit der allgemein angenommene Schwellenwert von 10 km/h, ab dem mit einer Beeinträchtigung von Wirbelsäulenstrukturen zu rechnen sei, überschritten. Diese Krafteinwirkung sei zwar nicht stark genug gewesen, um einen Implantat- oder Knochenbruch um das Implantat herum zu verursachten. Die Krafteinwirkung sei jedoch als ausreichend für das Entwickeln einer einmaligen Spitzenlast anzusehen, die zu einer Implantatlockerung führen könne. Somit sei die Krafteinwirkung zwar nicht als alleinige Ursache der Implantatlockerung anzusehen, sie müsse jedoch als ein Teil verschiedener Belastungen angesehen werden, die letztlich zur Implantatlockerung geführt hätten. Es liege aus gutachterlicher Sicht eine alleinige Kausalität zwischen Unfallereignis und Implantatlockerung nicht vor. Die Wahrscheinlichkeit für eine partielle Kausalität durch das Unfallereignis werde weiterhin mit 50 v.H. bewertet.

Mit Urteil vom 4. November 2015 hat das Sozialgericht die Beklagte zur Gewährung einer Rente wegen des Versicherungsfalls vom 3. Dezember 2012 nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20 v.H. verurteilt. Dabei hat sich das Sozialgericht hinsichtlich der Feststellung des medizinischen Sachverhalts auf das Gutachten des Dr. S gestützt. Der Sachverständige habe überzeugend dargelegt, dass der Unfallaufprall geeignet gewesen sei, eine Schädigung des Implantats zu verursachen. Für einen Zusammenhang mit dem Unfall sprächen unter anderem die zeitnah aufgetretenen Beschwerden im Lendenwirbelsäulenbereich. Zudem zeige die Gehirnblutung sowie die Zerrung der Halswirbelsäule, dass es zu einer Krafteinwirkung gekommen sei. Die festgestellte Geschwindigkeit von 10-15 km/h sei dabei ausreichend für einen Rückenschaden, auch dies lege der Sachverständige anhand der gutachterlichen Literatur in seiner ergänzenden Stellungnahme dar. Damit sprächen für die Kammer viele Anhaltspunkte für eine Lockerung des Implantats durch den Unfall. Der Sachverständige gehe auch bei Vorschädigung im Bereich der LWS von einer Wahrscheinlichkeit der Verursachung der Implantatlockerung von 50 v.H. durch den Unfall aus. Nach den Kriterien zur Zusammenhangsbeurteilung bei Vorschädigungen sei ein Unfall dann nicht wesentliche Bedingung, wenn die Krankheitsanlage so stark oder so leicht ansprechbar sei, dass die Auslösung akuter Erscheinungen aus ihr nicht besonderer, in ihrer Art unersetzlicher äußerer Einwirkungen bedurft habe. Dieses könne die Kammer nicht erkennen. Es sei nicht ersichtlich, dass ohne diese Einwirkung zu etwa derselben Zeit Beschwerden im LWS-Bereich aufgetreten wären. Das Gutachten des M sei hingegen nicht überzeugend. Es werde letztlich ohne ausführliche Abwägung davon ausgegangen, dass auch eine zeitlich spontane Schädigung zu derselben Zeit aufgetreten wäre. Unter Berücksichtigung der von dem Sachverständigen Dr. S festgestellten Funktionseinschränkungen und der gutachterlichen Literatur sei nach dem im Recht der Unfallversicherung herrschenden "Alles-Oder-Nichts-Prinzip" eine MdE von 20 v.H. anzunehmen. Sofern der Sachverständige Dr. S einen anteiligen Abschlag aufgrund der durch ihn nur im Umfang von 50 v.H. angenommenen Kausalität vorschlage, sei dem nicht zu folgen.

Gegen das am 12. November 2015 zugestellte Urteil richtet sich die am 19. November 2015 eingelegte Berufung der Beklagten. Sie macht geltend, dass bei einer so geringen Aufprallgeschwindigkeit kaum Kräfte gewirkt haben könnten, die rechtlich wesentlich erhebliche Schäden ausgelöst hätten können. Selbst wenn die Schädigung der Lendenwirbelsäule durch Lockerung des Implantats Unfallfolge sein sollte, könne der Einschätzung einer MdE i.H.v. 20 v.H. nicht gefolgt werden. Die nachgewiesene Vorschädigung verursache für sich auch ohne Hinzutritt des Unfalls Beschwerden und Einschränkungen, die nicht in die MdE-Bewertung einfließen könnten. Zudem ergäben sich Widersprüche in der Schilderung des Unfallhergangs. In der Unfallanzeige werde beschrieben, dass das Kfz der Klägerin gestanden habe. Nunmehr werde dargelegt, dass die Klägerin mit 50 km/h gefahren sei. Unter Bezugnahme auf eine von der Beklagten eingereichten gutachterliche Stellungnahme des Herrn M vom 31. März 2013 macht die Beklagte geltend, dass unfallbedingt keine Verletzung der LWS eingetreten sei. Der Unfallhergang sei hierfür nicht geeignet gewesen. Auch die gutachterliche Stellungnahme des Dr. S vom 13. Mai 2016 könne aus unfallrechtlicher Sicht nicht überzeugen. Der Gutachter schreibe selbst, dass der erforderliche Kraftaufwand, um eine dicke Schraube aus der knöchernen Befestigung zu lösen, bei dem Unfallgeschehen nicht gewirkt habe. Aus seiner Sicht sei es am wahrscheinlichsten, dass der Ablauf als eine unvorhersehbare Spitzenlast zu sehen sei. Solche Spitzenbeanspruchungen könnten auch beim Nachfassen fallender Gegenstände oder Heben von Gegenständen in Rotation auftreten. Er könne selbst keinen alleinigen kausalen Zusammenhang zwischen Unfallereignis und der eingetretenen Implantatlockerung sehen. Es sei daher in der Gesamtschau - wenn überhaupt - nur von einer Gelegenheitsursache auszugehen. Ein Anspruch auf eine Verletztenrente bestehe jedenfalls nicht.

Die Beklagte hat eine gutachterliche Stellungnahme des Herrn M vom 31. März 2016 zur Gerichtsakte gereicht. Darin führt der Gutachter aus, eine Implantatlockerung sei kein verletzungsbedingter Schaden sondern das Ergebnis eines Prozesses, der über einen langen Zeitraum verlaufe. Äußere Einflüsse führten in der Regel nicht zu einer Implantatlockerung, sie führten zu einer Fraktur oder zum Implantatausbruch. Die Implantatlockerung sei zudem erst in deutlichem Abstand zu dem Unfallereignis nachgewiesen. Frühere Untersuchungen ab dem Unfalltag hätten eine Lockerung nicht gezeigt. Die Vorstellung des Sachverständigen Dr. S, dass es bei einem Heckanstoß zu einem unkontrollierten Vorwärtsschleudern käme, sei sehr laienhaft und durch die Literatur nicht belegt. Der Bewegungsablauf eines Fahrzeuginsassen bei einem Heckanstoß sei gut untersucht. Als untersten Wert für eine Verletzungsmöglichkeit der Halswirbelsäule sei eine Geschwindigkeitsänderung von 11 km/h anzunehmen. Die von dem Sachverständigen benannten Literaturstellen belegten keineswegs, dass eine Verletzung der LWS bereits bei einer Geschwindigkeitsänderung von 10 km/h zu erwarten sei. Aus biomechanischer Sicht sei die LWS bei dem Heckanstoß im Niedriggeschwindigkeitsbereich nicht gefährdet. Es sei nicht nachvollziehbar, aus welchen Gründen das Sozialgericht zu einer im MdE von 20 v.H. gelangt sei. Der Sachverständige Dr. S sei von einer Verschlimmerung von 10 v.H. ausgegangen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 4. November 2015 aufzuheben und die Klage vollumfänglich abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Ein Zusammenhang zwischen den LWS-Beschwerden und dem Unfall sei mit dem Sachverständigen Dr. S anzunehmen. Die Wirbelsäule sei verletzt worden, eine unmittelbare Schädigung sei nicht erforderlich. Die Vorschädigungen der Klägerin seien nicht verkannt worden. Die Schmerzen im LWS-Bereich seien jedoch erst wieder nach dem Unfall entstanden. Die anzunehmende MdE von 20 v.H. sei auch nicht zu halbieren. Die Aufprallgeschwindigkeit könne auch nicht 10-15 km/h betragen haben, denn sie, die Klägerin, sei mit einer Geschwindigkeit von 50 km/h gefahren. Der Auffahrende müsse also schneller gewesen sein. Bei mehreren Ursachen für eine Schädigung sei sozialrechtlich allein relevant, ob das Unfallereignis wesentlich gewesen sei. Ob eine konkurrierende Mitursache auch wesentlich sei, sei unerheblich. Der Sachverständige Dr. S gehe davon aus, dass plötzliche Spitzenbeanspruchungen durchaus Einfluss auf eine Lockerung eines Implantats haben könnten. Dass derartige Lockerungen bisher vorrangig durch die dargestellten Spitzenbelastungen beobachtet worden seien, schließe nicht den Fall der Klägerin aus, dass diese Lockerung auch aufgrund eines Aufpralls erzeugt worden sei. Der Gutachter stelle zudem fest, dass die angefertigten Röntgenaufnahmen nicht geeignet gewesen seien, um eine Lockerung nachzuweisen. Es könne nicht zu Lasten der Klägerin gehen, dass bisher keine Laboruntersuchungen oder Probandenuntersuchungen zu der Frage, wie hoch die Krafteinwirkung sein müsse, damit eine Schädigung der Wirbelsäule eintrete, existierten. Der Sachverständige Dr. S stelle auch fest, dass das Unfallgeschehen aufgrund einer eventuell bestehenden Verlagerung auch bei der geringen Geschwindigkeit ausreichend gewesen sein könne, um eine finale Lockerung herbeizuführen und komme zum Ergebnis, dass eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür bestehe, dass das Unfallereignis am 3. Dezember 2012 eine über die normale Alltagsbelastung hinausgehende Belastung gewesen sei. Damit sei der Unfallhergang nicht lediglich als Gelegenheitsursache zu qualifizieren.

Im Berufungsverfahren ist die ergänzende Stellungnahme des Sachverständigen Dr. S vom 13. Mai 2016 eingeholt worden. Entgegen der Annahme des Gutachters M hätten verschiedenste Alltagslasten ebenso wie außergewöhnliche Spitzenlasten unmittelbaren Einfluss auf das Einwachsen, aber auch auf die Auflockerung eines Implantats. Allein in dem von ihm persönlich betreuten Patientenkollektiv liege die Behandlung und revisionsbedürftige Quote von Lockerungen bei monosegmentalen, dynamischen Implantaten bei ca. 15 v.H. Richtig sei, dass viele dieser Fälle eines gemeinsam hätten: Nach längerer, zumeist beschwerdefreier Zeit postoperativ reiche eine einmalige Spitzenlast, um eine Implantatlockerung zu bewirken. Zu vermuten sei daher, das klinisch stumme Lockerungen im Verlaufe des ersten Jahres nach der Implantation ausreichten, um die erforderliche Ausgleichskraft derart zu minimieren, dass dann eine einmalige Situation mit Spitzenbeanspruchung ausreiche, um das Implantat vollends aus der festen Verbindung zum Knochen zu lösen. Spontane Lockerungen stellten sich oft typisch bildgebend dar. Diese seien bei der Klägerin mit den Röntgenaufnahmen unmittelbar nach dem Unfall nicht zu finden, so dass mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen sei, dass zum Unfallzeitpunkt keine signifikante und/oder klinisch relevante spontane Implantatlockerung vorgelegen habe. Es sei im Übrigen zwar richtig, dass durch die Einführung des Sicherheitsgurtes eine Reduktion schwerer und schwerster Insassenverletzungen durch Abbremsung der Sekundärbewegung nach vorne erreicht worden sei. Dennoch seien bei allen Formen der Heckkollisionen nicht nur Verletzungen der HWS, sondern sehr wohl auch der Brust- und Lendenwirbelsäule zu beobachten. Ihm, dem Sachverständigen, sei es trotz intensiver Bemühungen nicht gelungen, wissenschaftliche Untersuchungsergebnisse zu finden, welche eine verlässliche Auskunft über das Ausmaß einer zur Schädigung führende Krafteinwirkung auf eine dynamisch voroperierte Lendenwirbelsäule biete. Hierzu lägen keine Laboruntersuchungen vor. Dies sei unter anderem der Tatsache geschuldet, dass dynamische Wirbelimplantate erst seit einigen Jahren in der Wirbelsäulenchirurgie zum Einsatz kämen. Selbst zu steifen Implantaten lägen keine produktspezifischen Studien vor. Die Positionierung des Herrn M könne nicht verifiziert werden. In einer Arbeit von Weber aus 2010 werde auf die vermeintlichen Grenzwerte eingegangen, bei der eine Wirbelsäulenverletzung bei Heckkollision als wahrscheinlich anzunehmen sei. Der auch als Harmlosigkeitsgrenze bezeichnete Schwellenwert einer Geschwindigkeitsänderung, bei der Verletzungen zu erwarten seien, werde demnach allgemein akzeptiert bei 10-13 km/h angenommen. Diese Grenze dürfe jedoch nicht schematisch angewendet werden. Die nachgewiesene Belastung im vorliegenden Fall liege knapp oberhalb dieser Toleranzgrenze. Es sei also als unwahrscheinlich anzusehen, dass eine alleinige Kausalität zwischen Unfallereignis und Implantatlockerung vorliege. Es sei eine Konstellation am wahrscheinlichsten, bei der ein Ergebnis mit akuter, plötzlicher und unvorhersehbarer Spitzenlast auf ein vorgelagertes, aber klinisch noch stummes Pedikelsegment, bildgebend noch nicht bewiesen, statistisch jedoch anzunehmen, getroffen sei, so dass es einer deutlich geringeren Auszugskraft bedurft habe, um zu einer finalen Lockerung der Schraube zu führen. Er sehe zusammenfassend zwar keinen alleinigen kausalen Zusammenhang zwischen Unfallereignis und der eingetretenen Implantatlockerung, die Wahrscheinlichkeit sei jedoch als hoch anzusehen, dass das Unfallereignis eine über die normale Alltagsbelastung hinausgehende Belastung dargestellt habe, welche zu einer wesentlichen Verschlimmerung einer vorbestehenden Krankheitsanlage geführt habe. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Verwaltungsakte und auf den der Gerichtsakten verwiesen, der vorgelegen hat und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung in begründet. Das Sozialgericht hat die Beklagte zu Unrecht verurteilt, eine Verletztenrente - VR - nach eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20 v.H. zu gewähren.

Die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage ist zulässig, aber unbegründet. Der mit der Klage angefochtene Bescheid der Beklagten in der Gestalt des Widerspruchsbescheides ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 54 Abs. 1, 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG).

Die Klägerin hat keinen Anspruch gegen die Beklagten auf Gewährung einer VR aus der gesetzlichen Unfallversicherung.

Die Voraussetzungen des § 56 Absatz 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Siebentes Buch (SGB VII) liegen nicht vor. Danach haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 vom Hundert - v.H. - gemindert ist, Anspruch auf eine Rente.

Die erste Voraussetzung für die Gewährung einer Verletztenrente - das Vorliegen eines Versicherungsfalles, hier: eines Arbeitsunfalls - ist vorliegend zwar erfüllt. Für einen Arbeitsunfall ist nach § 8 Abs. 1 SGB VII in der Regel erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang, vgl. BSGE 63, 273, 274 = SozR 2200 § 548 Nr. 92 S 257; BSG SozR 3-2200 § 548 Nr. 19), dass diese Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten, von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis - dem Unfallereignis - geführt hat (Unfallkausalität) und dass das Unfallereignis einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität); das Entstehen von länger andauernden Unfallfolgen aufgrund des Gesundheitserstschadens (haftungsausfüllende Kausalität) ist keine Voraussetzung für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls, sondern für die Gewährung einer Verletztenrente (BSG vom 12. April 2005 - B 2 U 11/04 R - BSGE 94, 262 = SozR 4-2700 § 8 Nr. 14 jeweils Rn. 5; BSG vom 12. April 2005 - B 2 U 27/04 R - BSGE 94, 269 = SozR 4-2700 § 8 Nr. 15 jeweils Rn. 5).

Im vorliegenden Fall unstreitig sind der Arbeitsunfall vom 3. Dezember 2012, der mit dem insoweit bindend gewordenen Bescheid der Beklagten vom 31. Juli 2013 auch anerkannt worden ist, sowie ein unmittelbar daraus folgender Erstschaden, nämlich eine seit April 2013 ausgeheilte Zerrung der Halswirbelsäule (ebenfalls festgestellt durch den angefochtenen Bescheid). Dieser festgestellte Gesundheitsschaden bewirkt nach den im gesamten Verfahren eingeholten gutachterlichen und sachverständigen medizinischen Feststellungen keine MdE von mindestens 20 v.H., was auch zwischen den Beteiligten unstreitig ist. Weitere Gesundheitsschäden, die durch den anerkannten Arbeitsunfall hervorgerufen worden sind, liegen bei der Klägerin mit Folgen für die Erwerbsfähigkeit nicht vor.

Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens steht mit den medizinischen Stellungnahmen und Gutachten des M und des Sachverständigen Dr. S fest, dass die Klägerin weiterhin an einem chronischen Lumbalsyndrom bei Zustand nach Bandscheibenvorfall L 4/5 leidet. Dies ergibt sich insbesondere auch aus dem schlüssigen Sachverständigengutachten des Dr. S, der bei der Klägerin einen Zustand nach segmentaler Instabilität LWK 4/5 mit Implantation eines DSS als Ursache der Beschwerden an der LWS festgestellt hat. Die durch eine Implantatlockerung hervorgerufene Gesundheitsbeeinträchtigung hat der Sachverständige überzeugend nach Anfertigung eines MRT diagnostiziert. Soweit der Sachverständige mit seinem Gutachten nachvollziehbar beschreibt, dass bildgebend ein Verdacht auf Materiallockerung der Pedikelschraube LWK 5 rechts besteht, weil sich bildgebend ein geringer Aufhellungsraum im oberflächlichen Verlauf der Pedikelschraube LWK 5 gezeigt habe, kommt der Sachverständigen weiter zu der überzeugenden und schlüssigen Annahme, dass dies passend zu in ärztlichen Berichten beschriebenen Angaben der Klägerin zu lokalen Rückenschmerzen steht, und diagnostiziert konsequent eine Lockerung des Implantats. Auch der Gutachter M geht diesbezüglich nach Kenntnisnahme der Befundung des Sachverständigen Dr. S von einer Lockerung des Implantats aus.

Dieser Gesundheitsschaden führt entgegen der Auffassung des Sozialgerichts in dem angefochtenen Urteil hingegen nicht zu einem Entschädigungsanspruch der Klägerin gegen die Beklagte. Voraussetzung wäre, dass die Implantatlockerung als Gesundheitserstschaden des Unfallereignisses feststeht und die daraus resultierenden Folgen ursächlich auf das versicherte Unfallereignis zurückzuführen sind. Voraussetzung wäre, dass die Implantatlockerung zum Zeitpunkt des Unfalls vorgelegen hat. Die den Anspruch begründenden Tatsachen, die versicherte Tätigkeit, die schädigende Einwirkung und der Gesundheitserstschaden und die als Unfallfolge geltend gemachte Gesundheitsstörung - hier die Implantatlockerung/Schädigung der LWS - müssen dabei erwiesen sein (BSG v. 02.04.2009 – B 2 U 29/07 R – juris, Rn. 16; v. 31.01.2012 – B 2 U 2/11 R – juris, Rn. 17). Bei vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens muss der volle Beweis für das Vorliegen der anspruchsbegründenden Tatsachen als erbracht angesehen werden können (LSG Berlin-Brandenburg v. 18.02.2016 – L 2 U 60/13 – juris, Rn. 25), dabei ist keine jede andere Möglichkeit ausschließende Gewissheit erforderlich, ausreichend - aber auch notwendig - ist ein der Gewissheit nahe kommender Grad der Wahrscheinlichkeit (BSG v. 02.02.1978 – 8 RU 66/77 – juris, Rn. 14).

Nach diesen Maßstäben konnte sich der Senat nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens unter Würdigung der vorliegenden gutachterlichen medizinischen Feststellungen und des Gutachtens des Sachverständigen Dr. S nicht die volle Überzeugung bilden, dass mit dem Unfall vom 3. Dezember 2012 eine Lockerung des Implantats an der LWS der Klägerin eingetreten ist, dass der erst 2014 festgestellte Schaden bereits zum Unfallzeitpunkt vorgelegen hat. Eine solche Lockerung des Implantats ist bei den zeitnah zum Unfallereignis durchgeführten Untersuchungen nicht festgestellt worden. Eine Implantatlockerung als Gesundheitsschaden ist weder mit dem Durchgangsarztbericht vom 3. Dezember 2012 noch mit dem Bericht des Dr. M vom 7. Dezember 2012 angeführt. Eine während des stationären Aufenthalts der Klägerin im Anschluss an das Unfallereignis angefertigte Röntgenaufnahme ergab nach dem Zwischenbericht des Zentrums für Orthopädie und Unfallchirurgie des H Klinikums B vom 20. Dezember 2012 im Vergleich zu Voraufnahmen aus November 2011 keinen Anhalt für eine Lockerung des Implantats. Auch Prof. Dr. E hat mit seinen Zwischenberichten vom 27. Februar 2013 und vom 2. April 2013 unter Bezugnahme auf eine am 7. März 2013 durchgeführte MRT-Untersuchung der Lendenwirbelsäule keine Lockerungen des Implantats oder ein Trauma an der LWS feststellen können. Auch eine Kernspintomographie der Lendenwirbelsäule vom 7. März 2013 hatte keine Zeichen einer Strukturverletzung im LWS-Segment L4/L5 ergeben. Erst mit der im Rahmen der Begutachtung durch den Sachverständigen Dr. S durchgeführten CT-Untersuchung vom 11. Dezember 2014 (Dünnschicht-CT) konnte der Gesundheitsschaden an der LWS der Klägerin in Form der Implantatlockerung festgestellt werden.

Nach den insoweit überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. S in seinem Gutachten und den ergänzenden Stellungnahmen, die jeweils aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse berücksichtigen und sich mit diesen auseinandersetzen, ist es zwar gut möglich, dass es durch das Unfallereignis (Heckaufprall auf stehendes Kfz am 3. Dezember 2012) zu einer Lockerung des Implantats an der LWS der Klägerin gekommen ist. Eine hinreichende Wahrscheinlichkeit zur Annahme des Gesundheitsschadens an der LWS als am 3. Dezember 2012 eingetreten, reicht nicht aus. Dass das Unfallereignis mit einem an Gewissheit nahe kommenden Grad der Wahrscheinlichkeit eine Implantatlockerung bewirkt hat und der Schaden schon zum Unfallzeitpunkt vorlag, nimmt hingegen auch der Sachverständige Dr. S nicht an.

Der Sachverständige führt in diesem Zusammenhang unter Zitierung biomechanischer Erkenntnisse an, dass Wirbelsäulenschäden bei einer Aufprallgeschwindigkeit von über 10 km/h eintreten können. Dies gehe aus den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen zur Erforschung von biomechanischen Belastungen durch Heckanstöße hervor. Vorliegend wurde diese Krafteinwirkung nach den schlüssigen Ausführungen in dem Gutachten des Dipl. Ing. P auch erreicht. Soweit der Gutachter M eine ausreichende Krafteinwirkung durch den Heckaufprall nicht als gegeben sieht, kann ihm daher nicht gefolgt werden. Der Sachverständige Dr. S berücksichtigt jedoch auch, dass die von ihm herangezogenen biomechanischen wissenschaftlichen Erkenntnisse sich zuvorderst auf Fragestellungen zu Krafteinwirkungen bei Heckaufprallunfällen und Auswirkungen auf die HWS konzentrieren. Mit dem Sachverständigen ist festzustellen, dass wissenschaftliche Untersuchungen, die sich explizit mit Krafteinwirkungen bei Auffahrunfällen auf Brust- und Lendenwirbelsäule auseinandersetzen, nicht vorliegen. Der Sachverständige kommt jedoch nachvollziehbar zu der Annahme, dass ein Aufprall mit einer Geschwindigkeit von über 10 km/h geeignet ist, auch Schädigungen in diesen Wirbelsäulenabschnitten herbeizuführen. Insoweit legt er in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 22. Juli 2015 schlüssig dar, dass es durch das unkontrollierte Vorwärtsschleudern des im Sitz angeschnallten Oberkörpers bei einem Heckaufprall und das ruckartige Zurückhalten der weiteren Vorwärtskraft durch den Gurt zu einer Krafteinwirkung auf das gesamte Achsenskelett und die umgebende Muskulatur kommt. Dass überhaupt eine erhebliche Krafteinwirkung durch den Heckaufprall wirksam geworden ist, sieht der Sachverständige bestätigt durch die unmittelbar nach dem Aufprallereignis festgestellte Zerrung der HWS und die (geringe) Hirnblutung. Diese Schlussfolgerung überzeugt, da nur eine Krafteinwirkung durch den Aufprall - wie auch vom Sachverständigen angenommen - diese Verletzungen verursacht haben kann, was im Übrigen auch nicht von der Beklagten und dem Gutachter M in Abrede gestellt wird. Mit dem Sachverständigen Dr. S kann daher davon ausgegangen werden, dass eine Krafteinwirkung auch auf die LWS der Klägerin gewirkt hat, die grundsätzlich auch ausreichend gewesen sein kann, eine Lockerung des Implantats zu bewirken.

Dies führt jedoch nicht zu der Annahme, dass vorliegend auch tatsächlich eine Lockerung des Implantats durch den Aufprallunfall am 3. Dezember 2012 eingetreten ist und bereits als Gesundheitsschaden am 3. Dezember 2012 bestanden hat. Diese Überzeugung konnte sich der Senat nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens nicht bilden. Der Sachverständige Dr. S führt mit seinem Gutachten und den ergänzenden Stellungnahmen an, dass es auch ohne direkte Krafteinwirkungen auf die LWS durch Unfälle zu Lockerungen von Implantaten kommen kann, nämlich in fast 10 v.H. der Fälle. Solche spontanen Lockerungen können sich über einen längeren Zeitraum entwickeln und sind auf Röntgenbildern gut zu sehen (Sklerosesäume an den Rändern der Lysen). Bei der Klägerin konnten nach dem Unfall auf Röntgenbildern und mittels anderer bildgebender Verfahren (MRT) zwar keine solchen Anzeichen festgestellt werden, was auch der Gutachter M anführt, so dass der Sachverständige Dr. S mit seiner ergänzenden Stellungnahme vom 13. Mai 2016 eine (spontane) Implantatlockerung zum Zeitpunkt des Unfallgeschehens als nicht nachgewiesen erachtet. Daraus folgt jedoch nicht der Nachweis, dass die bei der Klägerin durch die Untersuchung bei dem Sachverständigen Dr. S mit CT-Befund vom 11. Dezember 2014 und damit über zwei Jahre nach dem Unfallereignis erst festgestellte Lockerung bereits am 3. Dezember 2012 eingetreten ist.

Der Sachverständige Dr. S führt insbesondere mit seiner ergänzenden Stellungnahme vom 13. Juni 2016 aus, dass eine Lockerung der Pedikelschraube und des Implantats auch durch einmalige starke Krafteinwirkung hervorgerufen werden kann. Ein durch Krafteinwirkung verursachter Zug an der Schraube kann zu einer Zerstörung des Schraubengewindes im Knochen führen, was wiederum die Verbindung zwischen Schraube und Knochen aufheben kann. Eine solche Veränderung fällt auf einem Röntgenbild nicht auf, mit CT-Aufnahmen sind solche Lockerungen sichtbar. Bei der Klägerin sind jedoch solche Lockerungszeichen auf den zeitnah zum Unfallzeitpunkt angefertigten Aufnahmen nach den Feststellungen des Sachverständigen Dr. S nicht feststellbar, so dass er schlüssig zur Feststellung gelangt, dass somit für diese Lockerungsvariante kein Beweis vorliegt, auch wenn er die Krafteinwirkung durch den Aufprall für ausreichend erachtet.

Soweit der Sachverständige Dr. S zu der Feststellung gelangt, dass der Auffahrunfall, da keine Implantlockerung zum Zeitpunkt des Unfallgeschehens festzustellen war und eine ausreichende Kraft auch auf die Wirbelsäule gewirkt hat und unmittelbar nach dem Aufprall vorher nicht bestandene Schmerzen ausgehend von der LWS (dauerhaft) geklagt wurden, eine über das Alltagsmaß hinausgehende Belastung dargestellt hat, ist damit für den Senat nicht der Beweis erbracht, dass die Implantatlockerung und die darin liegende Schädigung der Gesundheit bereits am 3. Dezember 2012 eingetreten ist. Der Sachverständige Dr. S selbst nimmt dies auch mit seinem Gutachten und der ergänzenden Stellungnahme vom 13. Mai 2016 lediglich mit "hoher Wahrscheinlichkeit" an, was gerade nicht ausreicht, die Tasache des Eintritts der Schädigung als Gesundheits(erst-)schaden am 3. Dezember 2012 mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit als Tatsache anzunehmen. Dabei hat der Sachverständige auch berücksichtigt, dass bei nicht anzunehmender Lockerung zum Unfallzeitpunkt das Ereignis auf ein vorgelockertes/vorgeschädigtes aber klinisch stummes Pedikelsegment, was bildgebend nicht nachzuweisen gewesen ist, jedoch statisch anzunehmen sei, getroffen ist. Gerade diese Ausführungen des Sachverständigen verdeutlichen, dass nur mit hoher Wahrscheinlichkeit der Gesundheitsschaden durch das Unfallereignis (mit-)entstanden ist, der Sachverständige gerade andere Ursachen, nämlich eine spontane Lockerung nach dem Unfallzeitpunkt nicht ausschließt, wenn auch nach seiner Auffassung der klinisch gut dokumentierte Verlauf gegen eine alleinige unfallunabhängige Verursachung spricht.

Wie der Sachverständige Dr. S mit seiner ergänzenden Stellungnahme vom 22. Juli 2015 unter Anführung medizinischer Fachliteratur anführt, bedarf es für die Annahme einer spontanen Implantatlockerung keiner spezifischen Anhaltspunkte, da es u.a. einen höheren Prozentsatz an Fällen von Lockerungen ohne jegliches klinisches Korrelat gibt. Daraus und aus den weiteren Ausführungen des Sachverständigen folgt, dass zwar klinische Befunde auf ein Eintreten einer Lockerung auch ohne bildgebenden Beweis hindeuten können. Ist jedoch ein Eintritt einer Implantatlockerung auch ohne klinische Anzeichen möglich, lässt sich der Eintritt einer Lockerung vorliegend zum Zeitpunkt des Unfalls nur durch klinische Anzeichen nicht nachweisen. Zusammenfassend kann mit dem Sachverständigen Dr. S nach allem nicht der Nachweis einer Lockerung des Implantats durch das Unfallereignis geführt werden. Der Sachverständige hält die Tatsache des Eintritts des Gesundheitsschadens durch das Unfallereignis mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 v.H. für annehmbar. Dieser Grad der Wahrscheinlichkeit reicht jedoch nicht aus, um die Entstehung des Gesundheitsschadens durch den Unfall als mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit anzunehmen.

Die Implantatlockerung und die daraus resultierenden Gesundheitsfolgen gehen nicht auf die nach übereinstimmender Auffassung der begutachtenden Mediziner folgenlos ausgeheilte Zerrung der HWS als nachgewiesenem und anerkanntem Gesundheitserstschaden zurück, was zur Überzeugung aus den mit den Verwaltungsakten und den Gerichtsakten vorliegenden medizinischen Einschätzungen des M und Dr. S schlüssig hervorgeht. Diese kommen insoweit übereinstimmend zur der Auffassung, dass die HWS-Zerrung folgenlos ausgeheilt ist.

Da nach allem die Folgen der nachgewiesenen Gesundheitsschäden des Unfalls (Gesundheitsschaden HWS) keine MdE von mindestens 20 v.H. bewirkt haben und der weiter von der Klägerin geltend gemachte Gesundheitsschaden an der LWS nicht als Gesundheits(erst-)schaden nachgewiesen ist, liegen insgesamt die Voraussetzungen für eine Rentengewährung nicht vor.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil Gründe nach § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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