Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 32 R 2163/12
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 3 R 434/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Klägerin werden der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 27. Mai 2015, der Bescheid der Beklagten vom 11. März 2011 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 25. April 2012 sowie der Bescheid vom 17. März 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. November 2004 aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin unter Berücksichtigung von Ghetto-Beitragszeiten vom 01. August 1941 bis zum 31. Oktober 1942 eine höhere Regelaltersrente ab dem 01. Juli 1997 zu zahlen. Die Beklagte hat der Klägerin deren außergerichtliche Kosten des gesamten Verfahrens zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Gewährung einer höheren Altersrente ab Juli 1997 unter Berücksichtigung der Zeit von August 1941 bis Oktober 1942 als Zeit der Beschäftigung in einem Ghetto nach dem Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG) vom 20. Juni 2002.
Die 1924 in Mosciska/Polen (westlich von Lemberg gelegen, jetzt Ukraine) geborene Klägerin wurde als Jüdin von den Nationalsozialisten verfolgt und ist als Verfolgte im Sinne von § 1 Bundesentschädigungsgesetz (BEG) anerkannt. Während ihres Aufenthaltes in Displaced Person (DP)-Lagern in F/Bayern gebar die Klägerin zwei Kinder (30. November 1945 und 27. Oktober 1949). Seit August 1950 lebt sie in den Vereinigten Staaten von Amerika (USA), wo sie am 19. Juli 1952 ihr drittes Kind gebar und seit 1957 die us-amerikanische Staatsangehörigkeit besitzt. Die Klägerin war nach ihren Angaben von 1951 bis 1967 in den USA selbständig mit einer Geflügelzucht erwerbstätig.
Aus den beim B Landesamt für Wiedergutmachung (im Folgenden: Landesentschädigungsamt) geführten Entschädigungsverfahren zur St.Nr. findet sich zum Verfolgungsschicksal der Klägerin Folgendes:
Am 12. Januar 1950 gaben die Klägerin sowie die Zeugen S Rund B M vor der International Refugee Organization (IRO), Legal Department, in Gauting eidesstattlichen Erklärungen ab, und zwar die Klägerin wie folgt: "Zwecks Wiedergutmachung erkläre ich zur Beurkundung der Tatsache meiner aus rassischen Gründen erfolgten Inhaftierung an Eides Statt: Mein ständiger Wohnsitz vor dem Krieg und bei Ausbruch des Krieges war Moscisko/Polen. Durch die Besetzung Polens durch die deutsche Wehrmacht wurde ich im Aug. 1941 im Zw.Arb.Lager Moscisko/Polen inhaftiert und war dort bis Dez. 1942. Von Dez. 1942 – Aug. 1944 konnte ich mich bei einem Bauern in Latcka-Wolla versteckt halten und wurde auch dort im Aug. 1944 befreit." Der Zeuge S R erklärte: "Vom Aug. 1941 – Dez. 1942 war ich im Zw.Arb.Lager Moscisko/Polen inhaftiert und von dieser Zeit bis Aug. 1944 war ich in Latcka-Wolla bei einem Bauer versteckt und wurde auch dort befreit. Während dieser angegebenen Zeit war ich mit (Herrn) Frau S geb. B, L zusammen im Zw.Arb.Lager Moscisko/Polen und auch versteckt in Latcka-Wolla/Polen bis zur Befreiung im Aug. 1944." Der Zeuge B M gab an: Ich war von Aug. 1941 – Dez. 1942 im Zw.Arb.Lager Moscisko/Pol. Anschliessend konnte ich mich versteckt halten in Latcka-Wolla und wurde dort im Aug. 1944 befreit. Während dieser ganzen Zeit war ich mit Frau S, geb. B, L, zusammen im Zw.Arb.Lager Moscisko/Polen und war auch zusammen mit ihr versteckt beim Bauern in Latcka-Wolla/Polen und im Aug. 1944 wurde ich mit ihr zusammen befreit."
Im Formantrag vom 02. März 1950 gab die Klägerin in der Rubrik "Schaden an Freiheit" in der Zeile zu Ghetto "versteckt in Latcka-Wolla von Dez. 1942 bis Aug. 1944", wobei der Begriff Ghetto durchgestrichen worden war, und in der Zeile zu Zwangsarbeits-Lager "Moscisko/Polen von Aug. 1941 bis Dez. 1942" an.
In einem an das Landesentschädigungsamt gerichteten Schreiben des Central Kommittee der befreiten Juden in der US-Zone Deutschlands, Abteilung Wiedergutmachung, vom 26. Juli 1950 betreffend "Gutachten über das Ghetto bzw. Zwangsarbeitslager in MOSCISKA" heißt es: "Auf Grund von 3 Protokollen, die in der Wiedergutmachungsabteilung des Central Komittees München entgegengenommen wurden, stellen wir fest, dass in MOSCISKA b. Przemysl unter der Nazi-Herrschaft ein Zwangsarbeitslager bestanden hat. Das ZAL wurde Ende Juni 1941 errichtet und Ende November 1942 liquidiert. Das Lager war mit Stacheldraht umzaeunt und von ukrainischer Hilfspolizei und deutscher Gendarmerie bewacht."
In ihrer Eidesstattlichen Erklärung vom 19. September 1956 schilderte die Klägerin: "Ich bin am 12. Juli 1924 in Mosciska/Polen geboren. Ich lebte dort, als die Deutschen im Juni 1941 einmarschierten. Innerhalb von acht Tagen musste ich als Juedin eine weisse Armbinde tragen, die mich damit als juedisch kennzeichnete und wurde zur Zwangsarbeit in das Lager Lackawola in der Nachbarschaft von meinem Heimatort gebracht. Ich hatte dort meist beim Strassenbau zu arbeiten. Ende Oktober 1942 gelang es meinem Mann und mir, zu entfliehen, und wir wurden von einem uns unbekannten polnischen Bauern in Lackawola, namens J W aufgenommen und versteckt. In diesen menschenunwuerdigen Verhaeltnissen war ich bis August 1944 versteckt, zu welcher Zeit ich von den Russen befreit wurde." In einer weiteren Eidesstattlichen Erklärung vom 24. September 1959 gab die Klägerin an: "In Juni 1941 ist die Deutsche Armee bei uns einmarschiert und ich musste vom gleichen Tag an den Judenstern tragen und wurde zur Zwangsarbeit wie alle anderen Juden herangezogen. In Lackawola wurde ein Arbeitslager eingerichtet und ich habe dort bis zu meiner Flucht im Oktober 1942 gearbeitet. Nach dieser Zeit habe ich bis zum July 1944 in einer Grube bei einen Bauer versteckt gewohnt. Im July 1944 wurden wir von den Russen befreit."
Zum Nachweis legte die Klägerin eidesstattliche Erklärungen des 1909 in Przemysl/Polen geborenen Z R vom 01. Juni 1956 sowie des 1912 in Mosciska/Polen geborenen J B vom 02. Februar 1958 vor. Z R gab darin an: "Ich bin von Juni 1941 bis Juni 1943 in Balice inhaftiert gewesen. Wir mussten das Judenzeichen tragen und Zwangsarbeiten für die Deutschen leisten. Alle Juden mussten auf dem in der Nähe liegenden Gut arbeiten. Ich weiss, dass Herr B S und seine Frau L (fr. L) in Lackawola bei Mosciska inhaftiert waren. Lackawola ist ein Nachbardorf von Balice. Herr und Frau S waren am Strassenbau beschäftigt und ich habe sie des oefteren auf der Strasse arbeiten sehen, wenn ich auf den Feldern auf dem angrenzenden Gut gearbeitet habe. Ich kenne Herrn und Frau S schon von frueher her und daher kann ich diese Versicherung abgeben. Es ist mir bekannt, dass Herr und Frau S im November 1942 von ihrem Arbeitsplatz gefluechtet sind, während ich noch in Balice blieb". J B gab an: "Ich kenne Frau L S schon von vor dem Kriege und kann daher folgendes versichern: Ich weiss, dass Frau L S im Lackawola bei Mosciska inhaftiert war. Lackawola ist ein Nachbardorf von Trzcieniec. Frau L S musste auf dem Strassenbau arbeiten, und ich habe sie bei der Arbeit oefters gesehen. Ich selber war von Juni 1941 bis Juni 1942 in Trzcieniec inhaftiert. Wir mussten das Judenzeichen tragen und Zwangsarbeit leisten, dazu waren alle Juden gezwungen."
Mit Bescheid vom 30. März 1960 gewährte das Landesentschädigungsamt der Klägerin eine Entschädigung wegen Freiheitsbeschränkung, Freiheitsentziehung und Leben in der Illegalität in Mosciska bzw. Lackawola in der Zeit von August 1941 bis August 1944.
Im Formantrag auf Entschädigung wegen Schaden an Körper oder Gesundheit vom 26. Dezember 1962 gab die Klägerin an: "Von August 1941 bis Nov. 1942 war ich im Zwangsarbeitslager Lackawola interniert und habe bei jedem Wetter mit ungenügender Bekleidung beim Straßenbau arbeiten müssen. Von Dez. 1943 bis Juli 1944 waren wir unterirdisch bei einem Bauern versteckt, wobei sich mein Kopfleiden, das ich mir im Lager zugezogen hatte, noch verschlimmerte." Beigefügt waren Eidesstattliche Erklärungen der Zeugen Z R vom 02. Juli 1963 und J B vom 04. Februar 1963, die inhaltlich ihren früheren Erklärungen entsprachen. In ihrer Eidesstattlichen Versicherung vom 02. Februar 1963 gab die Klägerin an: "Ich, L S (frueher L B) geboren am 12. Juli 1924 in MosciskaPoland,erklaere hiermit an Eides statt, dass ich von meiner Geburt an bis zur Verfolgung in Mosciska gewohnt habe. Im Juni 1941 ist die deutsche Armee bei uns einmarschiert und ich musste vom gleichen Tag an den Judenstern tragen und wurde zur Zwangsarbeit wie alle andern Juden herangezogen. In Lackawola wurde ein Arbeitslager eingerichtet und ich habe dort bis zu meiner Flucht im November 1942 gearbeitet. Bei dieser Arbeit habe ich mich erkaeltet, bekam einen Nervenschock und bin bis heute krank. Nachdem habe ich bis zum Juli 1944 in einer Grube bei einem Bauer versteckt gewohnt."
In dem am 28. August 1963 von dem Facharzt für Nervenkrankheiten Dr. A Ka auf die Untersuchung der Klägerin vom 22. August 1963 erstellten psychiatrischen Gutachten steht unter der Überschrift "Vorgeschichte, nach den Angaben der Antragstellerin:" ".Kurz nach Kriegsbeginn 1939 erfolgte der Einmarsch der russischen Truppen, die das Gebiet bis 1940 besetzt hielten. Eine wesentliche Einschränkung des täglichen Lebens habe sie zu der Zeit nicht gespürt. Im Sommer 1940 rückten die deutschen Truppen ein. Sofort wurden sämtliche Juden zusammengeholt und zur Zwangsarbeit eingeteilt. Sie wurde von ihrer Familie getrennt – sie war damals 16 Jahre alt – und in ein Arbeitslager gebracht. Von dort wurde sie zum Strassenbau und andern schweren Arbeiten eingeteilt. Die Unterkunft war schlecht, die Verpflegung ungenügend, die Kleidung im Winter so dürftig, dass sie unter der Kälte sehr litt. Im Oktober 1942 wurde sie von einer Lagerwache mit einem harten Gegenstand geschlagen; der Schlag traf sie an der rechten Schläfengegend in Augennähe, die Wunde blutete etwas. Sie muss, soweit sie jetzt rückblickend zu sagen vermag, bewusstlos geworden und von der Wache liegen gelassen worden seien. Als sie wieder zu sich kam, war sie allein, und da sie niemand beobachtete, sei sie bis zu einem Waldstück gelaufen, im dem sie aufgrund geheimer Informationen von anderen Lagerinsassen ihren Verlobten vermutete ... Sie gelangte sicher zu dem Wald, fand dort andere Juden, die vom Lager geflohen waren, wie auch ihren Verlobten. Sie lebte in dem Wald und zeitweise bei einem polnischen Bauern bis zur Befreiung durch die Russen im Jahre 1944.1942 heiratete sie ihren jetzigen Mann, die offizielle Heirat vor dem Standesamt wurde 1948 in Deutschland nachgeholt."
In dem am 22. August 1963 erstellten ärztlichen Gutachten des M.D. G H ist unter den Rubriken "Beruflicher Werdegang" und "Eigene Vorgeschichte", jeweils von der Klägerin unterzeichnet, Folgendes festgehalten: "Im Jahre 1939 wurde ihr Heimatort von den russischen Truppen besetzt. Waehrend der Jahre 1939 bis 1941 verblieb die Antragstellerin im Elternhaus. Von 1941 bis 1942 wurde die Antragstellerin in Zwangsarbeitslagern inhaftiert und zu den verschiedensten Zwangsarbeiten herangezogen. Oktober 1942 fluechtete die Antragstellerin und hielt sich zunaechst in den Waeldern versteckt spaeter fand sie bei einem polnischen Bauern Unterschlupf.Intermittierende Kopfschmerzen: Die Antragst. glaubt, dass diese Beschwerden die direkte Folge einer schweren Misshandlung darstellen, die sich im Jahr 1942 kurz vor ihrer Flucht ereignete. Die Kopfschmerzen traten damals erstmalig auf. Die Antragst. wurde von einem Wachposten mit einem Gewehrkolben uebers re. Auge geschlagen. Es kam zu einer klaffenden Wunde. Die Antragst. war bewusstlos u. als sie aufwachte waren alle Arbeitskolleginnen bereits weg. Sie war unbewacht. Sie benutzte diese Gelegenheit zur Flucht u. hielt sich dann in den Waeldern versteckt. Der Ehemann war bereits vorher gefluechtet u. die Eheleute trafen sich spaeter im Wald im gleichen Versteck wieder".
Am 21. Juni 1996 beantragte die Klägerin bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten (im Folgenden: die Beklagte) die Feststellung von Kindererziehungszeiten und am 20. November 1996 die Gewährung von Rente. Mit Schreiben vom 13. Dezember 1996 gab die Klägerin an: "Beim Einzug der deutschen Truppen in unserer Stadt wurde meine Familie und ich in ein Arbeitslager verbracht, wo wir fuer die Reichsbahn Zwangsarbeit leisten mussten. Es gelang uns zu fliehen und wir mussten im Versteck leben. Nach der Befreiung kamen wir schließlich 1945 in das DP-Lager F in B, von wo wir 1950 nach USA auswanderten." In dem von der Klägerin am 13. Dezember 1996 unterzeichneten Formblatt "Beschäftigungsaufstellung" gab sie an: "1941 – 1942, Zwangsarbeiterin, Reichsbahn 0.00 (bei Entgelt oder steuerpflichtiges Einkommen), 0.00 (bei Sachbezügen)" sowie "1942 – 1944, im Versteck" und "1945 – 1950, Hausfrau". Auf die Frage, wo die erste versicherungspflichtige Beschäftigung ausgeübt wurde, erklärte die Klägerin: "Zwangsarbeitslager Lackawola". Nach Einsicht in die Akten des Landesentschädigungsamtes gewährte die Beklagte mit Bescheid vom 13. Mai 1997 der Klägerin Regelaltersrente beginnend am 01. Juni 1996 in Höhe von 106,26 DM monatlich. Der Rentenberechnung lagen 37 Monate Ersatzzeiten wegen NS-Verfolgung vom 01. August 1941 bis zum 31. August 1944 sowie 20 Monate Pflichtbeiträge für Kindererziehung für die Zeit vom 01. Dezember 1945 bis zum 30. November 1946 und vom 01. November 1949 bis zum 31. August 1950 zugrunde.
Am 12. August 2002 beantragte die Klägerin die Berücksichtigung von Beitragszeiten in einem polnischen Ghetto bei der Rentenberechnung. In dem am 05. November 2002 von der Klägerin unterschriebenen Formantrag auf Versichertenrente gab sie unter der Rubrik Versicherungsverlauf an: "1941 – 1942 Mosciska"."laying railroad tracks" "Marks" (zu Arbeitsverdienst/ Entgelt) "Food" (zu Arbeitsverdienst/Sachbezüge). In einem in Deutsch und Englisch abgefassten Fragebogen zur Klärung von rentenrechtlichen Zeiten im Ghetto gab die Klägerin an, von 1941 bis 1942 im Arbeitsressort "Railroads" als Beschäftigung "laying railroads tracks" 10 bis 12 Stunden täglich ausgeübt zu haben. Auf die Frage, wie die Arbeitsvermittlung für die Beschäftigung erfolgt sei bzw. durch welche Institution sie dahin vermittelt worden sei, gab sie an "Germans". Auf die Frage zur Entlohnung gab sie an: "Food + marks". Auf die Frage, wo sie im Ghetto gewohnt habe, gab sie an: "Do not recall". Nach erneuter Einsicht in die Akten des Landesentschädigungsamtes lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 17. März 2004, bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 16. November 2004, die Neufeststellung der Altersrente unter Anwendung des ZRBG ab. Nach § 306 Abs. 1 des Sechsten Sozialgesetzbuches (SGB VI) würden aus Anlass einer Änderung rentenrechtlicher Vorschriften die einer Rente zugrunde gelegten persönlichen Entgeltpunkte nicht neu bestimmt, wenn bereits vor der Rechtsänderung ein Anspruch auf Leistungen einer Rente bestanden hat, was hier im Hinblick auf das Inkrafttreten des ZRBG rückwirkend zum 01. Juli 1997 der Fall sei. Des Weiteren lehnte sie die Feststellung der Zeit vom 01. August 1941 bis zum 31. Oktober 1942 als Zeit einer Beschäftigung in einem Ghetto mit der Begründung ab, dass es sich um einen Aufenthalt in einem Zwangsarbeitslager bzw. Konzentrationslager gehandelt habe.
Mit Schreiben vom 29. Mai 2010 beantragte die Klägerin erneut die Gewährung einer Altersrente unter Berücksichtigung von im Ghetto zurückgelegten Beitragszeiten nach dem ZRBG.
Das Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen (BADV) gab der Beklagten im Juli 2010 den Antrag der Klägerin vom 20. Juni 2008 nach der "Richtlinie der Bundesregierung vom 01. Oktober 2007 über eine Anerkennungsleistung an Verfolgte für Arbeit in einem Ghetto, die keine Zwangsarbeit war und bisher ohne sozialversicherungsrechtliche Berücksichtigung geblieben ist" (Anerkennungsrichtlinie) bekannt. Darin gab die Klägerin an, sich von 1941 bis 1942 im Ghetto "MOSCHISKA POLAND" aufgehalten und außerhalb des Ghettos gearbeitet zu haben. Den Arbeitsplatz bzw. Arbeitgeber bezeichnete sie mit "Railroad", die Art der Tätigkeit mit "Laying railroad ties". Auf die Frage nach den Umständen, die zur Arbeitsaufnahme in oder außerhalb des Ghettos führten, gab sie an: "I found the work through Judenrat".
Die Beklagte nahm Auszüge aus der Ghettoliste der ZRBG-Lenkungsgruppe, worin ein Ghetto im Ort Mostyska (ukrainisch) bzw. Mosciska (polnisch) im Generalgouvernement, Distrikt Galizien, heute Ukraine in der Zeit vom 06. September 1941 bis zum 31. Dezember 1942 aufgeführt wird, aus dem Handbuch der Lager Ukraine (Maryna H. Dubyk, Handbuch der Lager, Gefängnisse und Ghettos auf dem besetzten Territorium der Ukraine, hrsg. vom Staatlichen Archivkomitee der Ukraine, Kiew 2000), worin für den Rayon Mostys’ka nur das Ghetto Mostys’ka und das ZAL Balytschi (polnisch Balice) aufgeführt wird, sowie aus der "Encyclopedia of Jewish Life Before and During the Holocaust", hrsg. von Samuel Spector, Geoffrey Wigoder, Ellie Wiesel, New York UnivPr, Juli 2001 (EJL) und der "Encyclopedia of the Ghettos During the Holocaust", hrsg. von Guy Miron, Michael Berenbaum, Yad Vashem Publications, März 2010 (Ghetto-Enzyklopädie), jeweils betreffend Mosciska, zur Akte.
Mit Bescheid vom 11. März 2011 lehnte die Beklagte die Rücknahme des Bescheides vom 17. März 2004 ab. Auch nach der neuen Rechtsprechung des Bundesozialgerichts (BSG) sei eine Anerkennung von Ghetto-Beitragszeiten nicht möglich. Die geltend gemachte Arbeitszeit von August 1941 bis Dezember 1942 sei nicht während eines zwangsweisen Ghetto-Aufenthaltes ausgeübt worden. Nach ihrem Kenntnisstand sei in Lacka Wola (in der Nachbarschaft des Ortes Mosciska) kein Ghetto, sondern ein Zwangsarbeitslager errichtet worden. Die Klägerin habe stets behauptet, für die Reichsbahn Zwangsarbeit im Zwangsarbeitslager Lackawola geleistet zu haben. Dies sei im Vorverfahren durch die abgegebenen Eidesstattlichen Versicherungen, die eine Zwangsarbeit bis Oktober 1942 im ZAL, die erfolgte Flucht und das anschließende Verstecken bei Bauern berichteten, bestätigt worden. Nach dem ZRBG könne die Arbeit in einem Zwangsarbeitslager nicht berücksichtigt werden.
Ihren Widerspruch begründete die Klägerin damit, dass sie auch im Entschädigungsverfahren wiederholt eine Inhaftierung in Mosciska angegeben und erst im Gesundheitsschadenverfahren von einem Aufenthalt im ZAL Lacka Wola gesprochen habe. Insbesondere sei auf ihre Erklärung vor der IRO vom 12. Januar 1950 abzustellen, die historisch allerdings insoweit zu korrigieren sei, als in Mosciska bis zum 10. November 1942 ein Ghetto bestanden habe, dass dann in ein Julag umgewandelt worden sei (vgl. Honigsman [Jakob Honigsman, Juden in der Westukraine, Jüdisches Leben und Leiden in Ostgalizien, Wolhynien, der Bukowina und Transkarptien 1933 -1945, hrsg. Raymond M. Guggenheim und Erhard Roy Wiehn, Hartung–Gorre Verlag, Konstanz 2001], Seite 244, 246; Ghetto-Enzyklopädie, S. 499). Die erste Verschickung von Juden aus Mosciska in Zwangsarbeitslager werde dort für Mai 1942 beschrieben. In diesen Veröffentlichungen werde für Mosciska mitgeteilt, dass dort Einsiedlungen stattfanden und die Juden von Mosciska "außerhalb des Ghettos Zwangsarbeit" leisteten. Es sei fraglich, ob es in Lacka Wola/Volitsa ein Zwangsarbeitslager gegeben habe. Ein solches sei ausschließlich in den Katalogen des International Tracing Service (ITS) 1969 und 1979 genannt. Die Angaben dort seien derart dürftig, dass bereits deswegen am Bestand eines ZAL ernsthaft gezweifelt werden müsse. Andere Übersichten über Zwangsarbeitslager enthielten weder Angaben zu Mosciska noch zu Lacka Wola. Die zweifelhafte Qualität der Angaben im ITS-Katalog habe bereits der Sachverständige G in seinem Gutachten vom 20. Januar 2010 im Verfahren des Landessozialgerichts (LSG) Nordrhein-Westfalen (NRW) – L 18(8) R 199/05 – dargelegt. Die dürftigen Angaben im ITS-Katalog würden von einigen Werken - ohne sie zu hinterfragen oder die Quelle zu benennen – übernommen, z.B. in "deathcamp.org", "keom", Liste der Arbeitslager im besetzten Polen – Distrikt Galizien – Autoren: Familie Tenhumberg, Haftstättenverzeichnis der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft". Ein ZAL Lacka Wola werde weder in den Regionalstudien zu Galizien bei Sandkühler (Thomas Sandkühler, "Endlösung" in Galizien: der Judenmord in Ostpolen und die Rettungsinitiativen von Berthold Beitz 1941 -1944, Verlag J.H.W. Dietz Nachfolger, Bonn 1996), Pohl (Dieter Pohl, Nationalsozialistische Judenverfolgung in Ostgalizien 1941 – 1944, R. Oldenburg Verlag München, 2. Aufl. 1997) bzw. Honigsman erwähnt, noch habe das Handbuch der Lager Ukraine (Dubyk) die ITS-Angaben nach eigener Prüfung übernommen, sondern erwähne für den Kreis Mosciska/Mostys´ka nur das Ghetto in Mosciska sowie das ZAL in Balice. Soweit im Entschädigungsverfahren teilweise von einem Aufenthalt im ZAL Lacka Wola gesprochen werde, sei dies anhand der historischen Fakten und dem bei Verfolgten oft bestehenden "Zwangsarbeitslager-Syndrom" zu hinterfragen und dahingehend zu interpretieren, dass vom Ghetto Mosciska ausgehend in Lacka Wola eine Beschäftigung ausgeübt worden sei.
Vorgelegt wurde neben Kopien von geografischen Karten und Auszügen aus den zitierten Werken auch eine in englischer Sprache verfasste Erklärung der Klägerin vom 28. Juli 2011, in der sie (in die deutsche Sprache übersetzt) angab: "Meine Familie und ich lebten im Ghetto Mosciska von August 1941 bis Oktober 1942. Ich musste jeden Tag etwa 5 km zu Fuß nach Lacka Wola zur Arbeit und dann jede Nacht zurück ins Ghetto Mosciska gehen. Im Lacka Wola arbeitete ich außerhalb Lacka Wolas im Straßenbau was auch die Befestigung von Eisenbahngleisen beinhaltete. Unsere Arbeitsplätze in Lacka Wola waren nicht bewacht. Es war nur ein "foreman" (Werkmeister/Vorarbeiter/Aufseher) im Dienst. In der Pause erhielten wir eine Mahlzeit. Jeden Tag gingen wir nach der Arbeit zurück ins Ghetto Mosciska. Die Arbeit wurde uns vom Arbeitsamt des Judenrates zugewiesen. Unsere einzige Begleitung war unser "foreman" (Werkmeister/Vorarbeiter/Aufseher)."
Mit Widerspruchsbescheid vom 25. April 2012 wies die Beklagte den Widerspruch mit der Begründung zurück, nach den eigenen, vorliegenden Angaben der Klägerin habe sich diese in der Zeit von August 1941 bis Oktober 1942 maßgeblich im Arbeitslager Lacka Wola (bei Mosciska) aufgehalten und Zwangsarbeit geleistet. Danach sei sie nicht freiwillig, sondern zwangsweise beschäftigt gewesen. Ein Aufenthalt im Ghetto Mosciska sei nicht glaubhaft. Aus dem vorsorglich von der Deutschen Rentenversicherung Nord beigezogenen Vorgang des verstorbenen Ehemannes ergebe sich nichts Gegenteiliges.
Mit ihrer am 10. Mai 2012 vor dem Sozialgericht Berlin (SG) erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren auf Gewährung einer höheren Regelaltersrente ab dem 01. Juli 1997 unter Anerkennung von Ghetto-Beitragszeiten von August 1941 bis Dezember 1942 im Sinne des ZRBG weiterverfolgt und auf ihren Vortrag im Widerspruchsverfahren verwiesen.
Nach Anhörung hat das SG durch Gerichtsbescheid vom 27. Mai 2015 die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klägerin habe keinen Anspruch auf Rücknahme der angefochtenen Bescheide nach § 44 Zehntes Sozialgesetzbuch (SGB X) und Gewährung einer höheren Regelaltersrente unter Berücksichtigung der geltend gemachten Ghetto-Beitragszeiten. Die Voraussetzungen für die Anerkennung von Beschäftigungszeiten in einem Ghetto nach §§ 1 Abs. 1 S. 1, 2 ZRBG seien nicht glaubhaft gemacht. Schließlich habe die Klägerin im Entschädigungsverfahren, bestätigt durch Zeugenerklärungen, wiederholt angegeben, Zwangsarbeit in einem Zwangsarbeitslager in Latcka-Wolla verrichtet zu haben und dort auch interniert gewesen zu sein. Diese Angaben hätte sie auch noch bei der erstmaligen Rentenantragstellung im Dezember 1996 gegenüber der BfA bestätigt. Erst im Mai 2002 habe sie angegeben, von 1941 bis 1942 in Mosciska gegen Marken und Lebensmittel mit dem Legen von Eisenbahnschienen beschäftigt gewesen zu sein. Dies habe sie dann im Juni 2009 (richtig: 2008) gegenüber dem BADV insoweit konkretisiert, als es sich um das Ghetto Mosciska gehandelt und sie die Arbeit durch den Judenrat gefunden habe. Letztlich unterstreiche die Klägerin ihr Begehren mit der Erklärung vom 28. Juli 2011 in der sie angebe, mit ihrer Familie im Ghetto Mosciska von August 1941 bis Oktober 1942 gelebt zu haben und jeden Tag 5 km zu Fuß nach Latcka-Wolla und dann jeden Nacht zurück ins Ghetto habe gehen müssen. In Latcka-Wolla habe sie im Straßenbau und bei der Befestigung von Eisenbahngleisen gearbeitet. Die Arbeit sei ihnen vom Arbeitsamt des Judenrates zugewiesen worden. Unter Gesamtwürdigung der Angaben der Klägerin sei es nicht überwiegend wahrscheinlich, dass sie im Ghetto eine Beschäftigung ausgeübt habe. Hierbei sei insbesondere die Erklärung vom 28. Juli 2011 nicht geeignet, die detaillierten Angaben im Entschädigungsverfahren sowie gegenüber der Beklagten und dem BADV zu widerlegen. In diesen Erklärungen habe sie ausführlich beschrieben, dass sie Zwangsarbeit in einem Zwangsarbeitslager ausgeübt habe. Danach sei es wenig glaubhaft, dass es sich insoweit um eine Beschäftigung durch Vermittlung des Judenrates gehandelt habe. Die insoweit widersprüchlichen und zielgerichtet ergänzenden Angaben in der Erklärung vom 28. Juli 2011 seien zur Überzeugung der Kammer nicht geeignet, die Ausübung eines freiwilligen Beschäftigungsverhältnisses im Ghetto glaubhaft zu machen.
Gegen den ihr am 03. Juni 2015 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die Klägerin mit ihrer am 22. Juni 2015 beim LSG eingelegten Berufung. Zur Begründung führt sie aus: Das SG habe bei seiner Entscheidung die von ihr im Widerspruchsverfahren dargelegten historischen Hintergründe nicht berücksichtigt. Frühere Angaben aus Entschädigungsverfahren über Zwangsarbeit könnten nach Inkrafttreten des ZRBG nicht mehr so hingenommen werden, wie sie sich zunächst darstellten. Erst mit dem ZRBG und der fortlaufenden Rechtsprechung des BSG, insbesondere ab 2009, sei anerkannt, dass Angaben im Entschädigungsverfahren über Zwangsarbeit nicht mit realer Zwangsarbeit, wie sie juristisch verstanden werde, identisch sei, sondern dass mangels differenzierender Darstellung der gesamte Komplex Ghetto und Zwangsarbeit als einheitlicher Vorgang im Rahmen der Freiheitsentziehung gesehen worden sei. Das SG hätte sich im Hinblick auf Sachverständigenausführungen, wie z. B. vom Sachverständigen G in seinem Gutachten zum Ghetto Dabrowa Gornicza (Ostoberschlesien/Polen) dargelegt, zur weiteren Aufklärung der historischen Hintergründe gedrängt fühlen müssen. Dann hätte es erkennen können, dass es weder in Mosciska noch in Latcka-Wolla zu jener Zeit ein Zwangsarbeitslager gegeben habe und dass ihre Ausführungen nur so verstanden werden können, dass sie während des Aufenthaltes im Ghetto Mosciska einer Arbeit in Lacka Wola nachgegangen sei.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 27. Mai 2015 sowie den Bescheid der Beklagten vom 11. März 2011 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 25. April 2012 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 17. März 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. November 2004 zu verurteilen, ihr unter Anerkennung von Ghetto-Beitragszeiten von August 1941 bis Oktober 1942 eine höhere Regelaltersrente ab dem 01. Juli 1997 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die Entscheidung des SG für zutreffend.
Der Senat hat die Akten des Landesamtes für Finanzen – Landesentschädigungsamt – München zur Stammnummer betreffend Schaden an Freiheit und Schaden an Gesundheit und Leben beigezogen, auf deren Inhalt Bezug genommen wird.
Mit Beschluss vom 17. November 2016 hat der Senat den Rechtsstreit der Vorsitzenden und Berichterstatterin als Einzelrichterin zur Entscheidung zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern übertragen.
Die Beteiligten haben im Erörterungstermin vom 09. Februar 2017 ihr Einverständnis zur Entscheidung im schriftlichen Verfahren erteilt. Hinsichtlich der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird zudem auf den gesamten Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Vorsitzende und Berichterstatterin hat aufgrund des Übertragungsbeschlusses des Senats vom 17. November 2016 als Einzelrichterin zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern zu entscheiden, § 153 Abs. 5 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), wobei die Entscheidung im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung ergehen konnte, §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG.
Die form- und fristgerecht (§ 151 SGG) eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig und begründet. Der Gerichtsbescheid des SG vom 27. Mai 2015 und der Bescheid der Beklagten vom 11. März 2011 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 25. April 2012 wie auch der Bescheid vom 17. März 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. November 2004 sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten (§ 54 Abs. 2 S. 1 SGG). Die Klägerin hat einen Anspruch auf Gewährung einer höheren Regelaltersrente unter Berücksichtigung von Ghetto-Beitragszeiten nach dem ZRBG.
Gemäß § 44 Abs. 1 S. 1 SGB X ist ein bindend gewordener Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Für die Beantwortung der Frage nach der unrichtigen Rechtsanwendung, also der anfänglichen objektiven Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes, ist auf die Rechtslage bei Erlass des Bescheides nach der damaligen Sach- und Rechtslage aus heutiger Sicht abzustellen (BSG, Urteil vom 25. Oktober 1984, 11 RAz 3/83, in juris). So kann sich insbesondere ein belastender Verwaltungsakt als anfänglich rechtswidrig erweisen, wenn er bei Erlass der damaligen Rechtsprechung des BSG entsprach. Ein solcher Verwaltungsakt ist aufgrund einer Rechtsprechungsänderung mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, wenn die Änderung auf der Erkenntnis der unrichtigen Rechtsanwendung durch die bisherige Rechtsprechung beruht.
Der Bescheid vom 17. März 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. November 2004, mit dem die Beklagte den Antrag der Klägerin, ihr unter Anerkennung von Beschäftigungszeiten im Ghetto (Ghetto-Beitragszeiten) ab dem 01. Juli 1997 eine höhere Regelaltersrente zu gewähren, abgelehnt hat, ist zwar bestandskräftig im Sinne von § 77 Hs. 1 SGG und damit bindend geworden. Bei seinem Erlass ist indes das Recht unrichtig angewandt worden, der Ablehnungsbescheid ist vielmehr – im Lichte der von der Klägerin geltend gemachten jüngeren Rechtsprechung des BSG zum ZRBG (siehe Urteile vom 02. Juni 2009, B 13 R 81/08 R, B 13 R 85/08 R und B 13 R 139/08 R, Urteil vom 03. Juni 2009, B 5 R 26/08 R, jeweils in juris) - anfänglich objektiv rechtswidrig. Die Klägerin hatte einen Anspruch auf Gewährung einer höheren Regelaltersrente unter Berücksichtigung von Beitragszeiten nach dem ZRBG gemäß § 48 Abs. 1 S. 1 i.V.m. S. 2 Nr. 1 SGB X i.V.m. §§ 2 Abs. 1 Nr. 2, 1 Abs. 1, 3 Abs. 1 S. 2 ZRBG, und zwar schon für die Zeit ab dem 01. Juli 1997.
Nach § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X ist, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass des Verwaltungsaktes vorgelegen haben, eine Änderung eingetreten ist, der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt, § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB X.
Eine solche, für die Rentenhöhe maßgebliche Änderung ist vorliegend mit dem Inkrafttreten des ZRBG mit Wirkung ab dem 01. Juli 1997 (§ 3 Abs. 2 ZRBG) eingetreten, welches die Berücksichtigung der im Rentenbescheid vom 13. Mai 1997 nur als Ersatzzeit bewerteten Zeit von August 1941 bis Oktober 1942 nunmehr als Beitragszeit nach §§ 2 Abs. 1 Nr. 2, 1 Abs. 1 ZRBG ermöglichte. Einem Anspruch der Klägerin ab dem 01. Juli 1997 steht auch nicht § 48 Abs. 4 SGB X i.V.m. § 44 Abs. 4 SGB X entgegen; die Klägerin ist nach der Spezialregelung des § 3 Abs. 2 S. 1 ZRBG so zu stellen, als ob sie ihren Antrag bereits am 18. Juni 1997 gestellt hätte (vgl. BSG, Urteil vom 03. Mai 2005, B 13 RJ 34/04 R, in juris Rz. 18; vom Gesetzgeber klargestellt durch Einfügung von Abs. 3 in § 3 ZRBG durch das Erste Gesetz zur Änderung des ZRBG vom 15. Juli 2014). Auch kann aus § 306 SGB VI, wonach eine Neuberechnung von Renten wegen einer Rechtsänderung in der Regel ausgeschlossen ist, nichts Gegenteiliges gefolgert werden. Denn nach Sinn und Zweck des ZRBG verbietet sich für Bestandsrentner insoweit ein Rückgriff auf § 306 SGB VI, als die Anwendung des ZRBG zu einer höheren Leistung führt (vgl. ausführliche Begründung im Urteil des BSG vom 03. Mai 2005, B 13 RJ 34/04 R, in juris Rz. 27 ff).
Nach § 63 Abs. 1 SGB VI richtet sich die Höhe der Rente vor allem nach der Höhe der während des Arbeitslebens durch Beiträge versicherten Arbeitsentgelte und Arbeitseinkommen. Gemäß § 63 Abs. 2 Satz 1 SGB VI wird das in den einzelnen Kalenderjahren durch Beiträge versicherte Arbeitsentgelt und Arbeitseinkommen in Entgeltpunkte umgerechnet. Der Monatsbetrag einer Rente ergibt sich, indem die unter Berücksichtigung des Zugangsfaktors ermittelten persönlichen Entgeltpunkte mit dem Rentenartfaktor und dem aktuellen Rentenwert vervielfältigt werden. Danach zu berücksichtigende Beitragszeiten sind nach § 55 Abs. 1 S. 2 SGB VI auch Zeiten, für die Pflichtbeiträge nach besonderen Vorschriften als gezahlt gelten (vgl. Fichte in Hauck/Noftz, SGB VI, K § 250 Rdn. 1, Stand IV/2009). Eine gesetzliche Fiktion in diesem Sinne enthält § 2 Abs. 1 ZRBG, wonach für Zeiten der Beschäftigung von Verfolgten in einem Ghetto Beiträge als gezahlt gelten. Die Vorschrift lautet:
§ 2 Fiktion der Beitragszahlung
(1) Für Zeiten der Beschäftigung von Verfolgten in einem Ghetto gelten Beiträge als gezahlt, und zwar
1. für die Berechnung der Rente als Beiträge nach den Reichsversicherungsge- setzen für eine Beschäftigung außerhalb des Bundesgebiets sowie 2. für die Erbringung von Leistungen ins Ausland als Beiträge für eine Beschäfti- gung im Bundesgebiet (Ghetto-Beitragszeiten).
(2) Zusätzliche Entgeltpunkte für Beitragszeiten außerhalb des Bundesgebiets sind auf Grund von Ghetto-Beitragszeiten nicht zu ermitteln.
Da gemäß § 1 Abs. 2 ZRBG die Regelungen des ZRBG die rentenrechtlichen Vorschriften des Gesetzes zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung (WGSVG) ergänzen, werden Entgeltpunkte unter Berücksichtigung von § 14 WGSVG i.V.m. § 15 Sätze 2 bis 4 WGSVG aus den Beitragsbemessungsgrundlagen ermittelt, die sich nach Einstufung der Beschäftigung in die Anlage 1 zum Fremdrentengesetz (FRG) und nach der Zuordnung der Lohn-, Beitrags- und Gehaltsklassen oder Bruttoarbeitsentgelte nach den Anlagen 2 bis 16 zum FRG ergeben. Aufgrund der Gleichstellung mit Reichsgebiets-Beitragszeiten sind nach § 254d SGB VI Entgeltpunkte (Ost) zu vergeben.
Die Regelaltersrente der Klägerin ist daher unter Beachtung der zuvor genannten Regelungen bzgl. der Ermittlung von Entgeltpunkten (Ost) für die Monate August 1941 bis einschließlich Oktober 1942, die als Beitragszeiten gemäß § 1 Abs. 1 S. 1 ZRBG zu berücksichtigen sind, neu festzustellen. Diese Vorschrift lautet:
§ 1 Anwendungsbereich
(1) Dieses Gesetz gilt für Zeiten der Beschäftigung von Verfolgten in einem Ghetto, die sich dort zwangsweise aufgehalten haben, wenn
1. die Beschäftigung a) aus eigenem Willensentschluss zustande gekommen ist, b) gegen Entgelt ausgeübt wurde und 2. das Ghetto in einem Gebiet des nationalsozialistischen Einflussbereichs lag,
soweit für diese Zeiten nicht bereits eine Leistung aus einem System der sozialen Sicherheit erbracht wird ...
Für die Feststellung der für die Anwendung von § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Buchst. a und b ZRBG erforderlichen Tatsachen genügt es nach § 1 Abs. 2 ZRBG i.V.m. § 3 Abs. 1 S. 1 WGSVG, wenn sie glaubhaft gemacht sind. Eine Tatsache ist glaubhaft gemacht, wenn ihr Vorliegen nach dem Ergebnis der Ermittlungen, die sich auf sämtliche erreichbaren Beweismittel erstrecken sollen, überwiegend wahrscheinlich ist. Glaubhaftmachung bedeutet danach mehr als das Vorhandensein einer bloßen Möglichkeit, aber auch weniger als die an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit. Es genügt die "gute Möglichkeit", dass der entscheidungserhebliche Vorgang sich so zugetragen hat, wie behauptet wird. Es muss mehr für als gegen den behaupteten Sachverhalt sprechen. Als Mittel der Glaubhaftmachung kommen neben der eidesstattlichen Versicherung alle Mittel in Betracht, die geeignet sind, die Wahrscheinlichkeit der Tatsache in ausreichendem Maße darzutun. Dabei sind ausgesprochen naheliegende, der Lebenserfahrung entsprechende Umstände zu berücksichtigen. Bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten muss das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten sein, weil nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Tatsache spricht (LSG NRW, Urteil vom 01. September 2006, L 4 R 145/05, in juris).
Es ist aufgrund der eigenen Erklärung der Klägerin vom 28. Juli 2011, ihren Angaben vom 20. Juni 2008 gegenüber dem BADV im Antrag nach der Anerkennungsrichtlinie sowie ihren Angaben im Rentenformantrag vom 05. November 2002 und dem beigefügten speziellen Ghetto-Fragebogen in Zusammenschau mit den historischen Erkenntnissen und unter Berücksichtigung des übrigen Akteninhalts überwiegend wahrscheinlich und damit glaubhaft gemacht, dass die Klägerin in der Zeit vom 01. August 1941 bis zum 31. Oktober 1942 im Ghetto Mosciska eine Beschäftigung gegen Entgelt ausgeübt hat.
Die Klägerin wurde 1924 in Mosciska (Mostyska bzw. Mostys’ka)/ Galizien/ Polen geboren, einem Ort, der - wie auch das ca. 4 km entfernte Lacka Wola (Volytsya) - an der Straßenverbindung bzw. in der Nähe der Eisenbahnstrecke zwischen Przemysl und Lemberg (Lwow bzw. Lviv) liegt. Galizien, und damit auch die Heimatregion der Klägerin, wurde nach dem im Juni 1941 erfolgten Einmarsch der deutschen Truppen am 01. August 1941 dem Generalgouvernement angegliedert und unterlag dem nationalsozialistischen Einflussbereich bis weit ins Jahr 1944 hinein. Nach den Beschreibungen in EJL (S. 847) und der Ghetto-Enzyklopädie (S. 499) wurde Mosciska bereits am 27. Juni 1941 von der deutschen Armee besetzt, in den folgenden Monaten ein Judenrat sowie ein jüdischer Ordnungsdienst gebildet, die jüdische Bevölkerung aus der Umgebung nach Mosciska umgesiedelt und letztlich in einem Ghetto konzentriert. Die Auflösung des Ghettos wurde mit den ersten Massendeportationen am 12./13. Oktober 1942 eingeleitet (vgl. Ghetto-Enzyklopädie, S. 499; Sandkühler, a.a.O. S. 233) und mit den Ende November/ Anfang Dezember 1942 erfolgten Deportationen abgeschlossen (vgl. Pohl, a.a.O. S. 241; Honigsman, a.a.O. S. 246).
Der Senat hält es für glaubhaft, dass die Klägerin im hier streitigen Zeitraum tatsächlich im Ghetto Mosciska gelebt und eine Beschäftigung beim Straßen- und Eisenbahnbau in bzw. in der Nähe von Lacka Wola ausgeübt und hierfür zweimal täglich zu Fuß eine Strecke von 4 bis 5 km zurückgelegt hat. So war es in den 40iger Jahren des 20. Jahrhunderts, insbesondere auch wegen der im ländlichen Raum ungünstigen Verkehrsverhältnisse, noch ganz üblich, längerer Arbeitswege (wie auch Schulwege) bei jedem Wetter zu Fuß zurück zu legen.
Zwar hatte die Klägerin im Entschädigungsverfahren wiederholt erklärt, im ZAL Lacka Wola interniert gewesen zu sein (vgl. eidesstattliche Erklärungen vom 19. September 1956 und 24. September 1959, Formantrag auf Entschädigung wegen Schaden an Körper oder Gesundheit vom 26. Dezember 1962) und hierfür Zeugenerklärungen von Z R vom 01. Juni 1956/02. Juli 1963 und J B vom 02. Februar 1956/04. Februar 1963 vorgelegt. Letztere erscheinen dem Senat jedoch in Bezug auf den Aufenthaltsort der Klägerin nicht glaubhaft, denn beide Zeugen erklärten, im streitigen Zeitraum an anderen Orten in der Region um Mosciska, d.h. in Balice bzw. Trzcieniec gelebt und die Klägerin lediglich bei Arbeiten im Straßenbau in der Nähe von Lacka Wola gesehen zu haben, ohne selbst in diesem Bereich tätig gewesen zu sein. Auch hatte die Klägerin sowohl im Rahmen der Begutachtung bei Dr. Kund M.D. H im August 1963 als auch im Rentenformantrag von November 1996 von der Verbringung in ein Arbeitslager bzw. der Inhaftierung in Zwangsarbeitslagern bis zur im Oktober 1942 erfolgten Flucht in die Wälder bei Lacka Wola berichtet. Betrachtet man jedoch die ersten Angaben der Klägerin, so entsteht für den Senat der Eindruck, dass die Klägerin bei ihren späteren Schilderungen im Entschädigungsverfahren wie auch im ersten Rentenantrag vereinfachend auf ihren Tätigkeitsort abgestellt hatte. Denn zeitnah zum Verfolgungsgeschehen hatte sie sowohl im Formantrag vom 02. März 1950 als auch in der eidesstattlichen Erklärung vom 12. Januar 1950 gegenüber der IRO, jeweils bestätigt durch die Zeugenerklärungen von S R und B M vom 12. Januar 1950, einen Aufenthalt in Mosciska bis zu ihrer Flucht im Herbst 1942 angegeben. Zwar wurde hierbei das Ghetto Mosciska fälschlicherweise als Zwangsarbeitslager (ZAL) bezeichnet. Dies ist jedoch offensichtlich dem Umstand geschuldet, dass aufgrund der umfangreichen antijüdischen Maßnahmen (bis hin zu willkürlichen Tötungen und Deportationen; vgl. Sandkühler, a.a.O. S. 138 f), dem allgemeinen Arbeitszwang für Juden (in Galizien am 07. August 1941 mit anderen grundlegenden antijüdischen Vorschriften eingeführt, vgl. Sandkühler, a.a.O. S. 585) und den auch in den Ghettos gegebenen desolaten Verhältnissen im subjektiven Erleben der Verfolgten keine (rechtliche) Differenzierung zwischen Ghetto und ZAL erfolgte. Die in Entschädigungsverfahren oft fehlende Differenzierung zwischen Ghettos und ZAL wird hier auch in dem an das Landesentschädigungsamt gerichteten Schreiben des Central Kommittee der befreiten Juden in der US-Zone Deutschlands, Abteilung Wiedergutmachung, vom 26. Juli 1950 betreffend "Gutachten über das Ghetto bzw. Zwangsarbeitslager in MOSCISKA" deutlich. Entgegen der dortigen Schlussfolgerung, bestand nach der bereits zitierten Literatur zum Holocaust in Mosciska bei Przemysl gerade kein ZAL sondern ein Ghetto, welches höchstwahrscheinlich in den letzten Monaten seiner Existenz, d.h. im November/Dezember 1942, zur Sicherung der Deportationen in ein geschlossenes Ghetto oder Julag mit (der geschilderten) Stacheldrahtumzäunung und Bewachung durch ukrainische Hilfspolizei und deutsche Gendarmerie umgewandelt worden war (vgl. zur Umwandlung von Ghettos in Julags im November 1942: Honigsman, a.a.O. S. 244 ff; zur Bildung von geschlossenen Ghettos in Galizien: Sandkühler, a.a.O. S. 181). Zudem gilt es zu bedenken, dass es beim Entschädigungsverfahren letztlich nur um die Freiheitsbeschränkung bzw.- entziehung als solche ging und es unerheblich war, ob der Betroffene sich im Ghetto, ZAL oder Konzentrationslager aufgehalten und ob und durch wen vermittelt er Arbeiten verrichtet hat. Von daher bedurfte es keiner differenzierten Darstellung des Verfolgungsgeschehens bzgl. Ghettoarbeit (i.S.d. ZRBG) und Zwangsarbeit.
Auch sieht der Senat es nicht als glaubhaft an, dass in Lacka Wola ein Zwangsarbeitslager bestand. Zwar wird in diversen Werken (vgl. die Auflistung im Schriftsatz des Bevollmächtigten der Klägerin vom 29. August 2011, Bl. 255 ff der Verwaltungsakte) und auch im Haftstättenverzeichnis der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" ein ZAL in Lacka Wola aufgeführt, dies jedoch unter Übernahme der Angaben aus den ITS-Katalogen 1969 und 1979. Auffällig ist hierbei, dass sich in den ITS-Katalogen außer in der Spalte Schließung (Sommer 1943; amtl. Bericht) keinerlei Angaben zu diesem ZAL finden. Zudem gilt es die Ausführungen des Sachverständigen G in seinem Gutachten vom 20. Januar 2010 im Verfahren des LSG NRW (L 18(8) R 199/05) zum Zustandekommen der ITS-Informationen, d.h. zu der zweifelhaften Quellenlage, zu bedenken. Dagegen wird ein ZAL Lacka Wola (Volytsya) weder in den ausführlichen Werken zur nationalsozialistischen Judenverfolgung in Galizien/Westukraine von Pohl (a.a.O.), Sandkühler (a.a.O.) und Honigsman (a.a.O.) erwähnt, noch ist es im Handbuch der Lager in der Ukraine von Dubyk (a.a.O.) aufgeführt. Das vom Staatlichen Archivkomitee der Ukraine in 2000 herausgegebene Handbuch der Lager, Gefängnisse und Ghettos auf dem besetzten Territorium der Ukraine führt für den Rayon Mostys’ka nur das Ghetto Mostys’ka und das ZAL Balytschi (polnisch Balice) auf. Daher misst der Senat den sachnäheren Werken von Dubyk, Pohl, Sandkühler und Honigsman ein höheres Gewicht bei als den mageren Angaben aus zweifelhafter Quelle in den ITS-Katalogen von 1969 und 1979. Der Senat verkennt dabei nicht, dass ab Herbst 1941 wegen des forcierten Ausbaus der für die Wehrmacht wichtigen Straßen- und Eisenbahnlinien ("Straßenbau-Ost-Projekt" bzw. "Otto-Programm") auch im Distrikt Galizien zahlreiche Zwangsarbeitslager eingerichtet, und zwar zum Ausbau der Durchgangsstraße IV zwischen Lemberg und Tarnopol, wo bis zum Frühjahr 1942 15 Lager mit insgesamt 2500 Zwangsarbeitern entstanden (vgl. Mario Wenzel, "Zwangsarbeitslager für Juden in den besetzten polnischen und sowjetischen Gebieten", in "Der Ort des Terrors", Band 9 , hrsg. von Wolfgang Benz und Barbara Distel, S. 128, 130; Sandkühler a.a.O., Se. 144 ff, 147). Jedoch findet ein ZAL in Lacka Wola hierbei keine Erwähnung.
Die Klägerin hat auch glaubhaft gemacht, dass die Arbeit im Straßen- und Eisenbahnbau in Lacka Wola aus eigenem Willensentschluss zustande gekommen ist. Nach der Rechtsprechung des BSG dient das Merkmal einer aus eigenem Willensentschluss zustande gekommenen Beschäftigung der tatsächlichen Abgrenzung zur Zwangsarbeit. Insoweit kann auf das Gesetz zur Errichtung der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" (EVZStiftG) zurückgegriffen werden, das in seinem § 11 demjenigen eine Entschädigung wegen Zwangsarbeit zubilligt, der in einem Ghetto unter vergleichbaren Bedingungen (wie in einem Konzentrationslager) inhaftiert war und "zur Arbeit gezwungen wurde". Diese Wendung macht auch für das ZRBG deutlich, dass eine Situation, in der jemand (allgemein) zur Arbeit gezwungen "war", nach dem Gesetz noch keine Zwangsarbeit darstellt. Ein genereller (faktischer und rechtlicher) Arbeitszwang allein macht die mit Rücksicht darauf ausgeübte Tätigkeit nicht zur Zwangsarbeit und steht deshalb einer "Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss" nicht entgegen; eine solche ist vielmehr erst dann nicht mehr gegeben, wen jemand zu einer (spezifischen) Arbeit gezwungen "wurde" (vgl. BSG, Urteil vom 03. Juni 2009, B 5 R 26/08 R, juris, Rnr. 19). Im Lichte dessen ist Zwangsarbeit die Verrichtung von Arbeit unter obrigkeitlichem (hoheitlichem) Zwang, wie z.B. bei Kriegsgefangenen. Typisch ist dabei die obrigkeitliche Zuweisung von Arbeitern an bestimmte Unternehmen, ohne dass die Arbeiter selbst hierauf Einfluss haben. Eine verrichtete Arbeit entfernt sich umso mehr von dem Typus des Arbeits- und Beschäftigungsverhältnisses und nähert sich dem Typus Zwangsarbeit an, als sie durch hoheitliche Eingriffe überlagert wird, denen sich der Betroffene nicht entziehen kann (vgl. BSG, Urteil vom 03. Juni 2009, B 5 R 26/08 R, juris, Rnr. 20). Ob eine aus eigenem Willensentschluss im Sinne des ZRBG zustande gekommene Beschäftigung oder eine den eigenen Willensentschluss ausschließende Zwangsarbeit vorlag, ist vor dem Hintergrund der wirklichen Lebenslage im Ghetto zu beurteilen. Dabei sind die Sphären "Lebensbereich" und "Beschäftigungsverhältnis" grundsätzlich zu trennen; ebenso spielen die Beweggründe zur Aufnahme der Beschäftigung keine Rolle. Eine aus eigenem Willensentschluss aufgenommene Beschäftigung liegt vor, wenn der Ghetto-Bewohner noch eine Dispositionsbefugnis zumindest dergestalt hatte, dass er die Annahme oder Ausführung der Arbeit auch ohne Gefahr für Leib, Leben oder seine Restfreiheit ablehnen konnte. Davon ist regelmäßig auszugehen, wenn es sich um eine vom Judenrat angebotene Arbeit handelt, ohne dass im Einzelnen zu ermitteln wäre, wer letztlich als "Arbeitgeber" fungierte und wie das Verhältnis zwischen diesem, dem Beschäftigten und dem Judenrat ausgestaltet war (vgl. BSG, Urteil vom 03. Juni 2009, B 5 R 26/08 R, juris, Rnr. 21, 22; Urteil vom 02. Juni 2009, B 13 R 81/08 R, juris, Rnr. 21). Schließlich steht auch ein bestimmtes Lebensalter im Sinne einer Altersuntergrenze nicht der Annahme einer aus eigenem Willensentschluss aufgenommen Beschäftigung im Sinne des § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 a) ZRBG entgegen (vgl. BSG, Urteile vom 02. Juni 2009, B 13 R 139/08 R, und 14. Juli 1999, B 13 RJ 61/98 R, jeweils in juris). Die Voraussetzung der Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss ist vorliegend erfüllt. Die Klägerin hat wiederholt angegeben, dass sie die Tätigkeiten durch Vermittlung des Judenrates gefunden hatte, vgl. Antrag nach der Anerkennungsrichtlinie vom 20. Juni 2008 und persönliche Erklärung vom 28. Juli 2011. Soweit sie noch im Ghettofragebogen zum Rentenformantrag vom 05. November 2002 angegeben hatte, die Arbeit durch die "Germans" vermittelt bekommen zu haben, sieht der Senat darin keinen eklatanten Widerspruch. Schließlich waren es deutsche Stellen und Firmen, die in Galizien den Straßen- und Eisenbahnbau betrieben und sich wegen ihres Arbeitskräftebedarfes entweder an die neu eingerichteten Abteilungen für jüdische Arbeitnehmer bei den Arbeitsämtern oder direkt an die lokalen Judenräte wandten (vgl. Pohl a.a.O., S. 133 f). Dass die Klägerin mit ihren Tätigkeiten auch dem im August 1941 in Galizien für die jüdische Bevölkerung eingeführten allgemeinen Arbeitszwang nachkam, spricht im Lichte der Rechtsprechung des BSG nicht gegen ein freiwillig eingegangenes Beschäftigungsverhältnis. Auch sieht der Senat es als unschädlich an, dass die Klägerin und ihre Arbeitskolleginnen auf dem Weg von Moscisko zu den Baustellen in Lacka Wola und zurück durch einen "foremen" (Werkmeister/Vorarbeiter/Aufseher) begleitet wurden, denn durch diesen war der wegen der für die jüdische Bevölkerung bestehenden Aufenthaltsbeschränkungen in Ghettos (vgl. Pohl a.a.O., S. 157) notwendige Nachweis eines erlaubten Weges zur Arbeit möglich. Ebenso wenig vermag die durchgehende Bezeichnung als Zwangsarbeit im Entschädigungsverfahren zur Ablehnung des Merkmals "Freiwilligkeit" im Sinne der Ghetto-Rechtsprechung des BSG zu führen. Wie bereits oben dargelegt, bedurfte es im Entschädigungsverfahren keiner differenzierten Darstellung des Verfolgungsgeschehens bzgl. Ghettoarbeit (i.S.d. ZRBG) und Zwangsarbeit. Zudem bestand für die Verfolgten unter den nationalsozialistischen, vom Vernichtungswillen geprägten Repressionsmaßnahmen nachvollziehbar der Eindruck eines alle Lebensbereiche allumfassenden Zwangsverhältnisses. Zu bemerken ist hier noch, dass die Klägerin bereits bei der Rentenantragstellung im Jahr 1996 auf die Frage nach der ersten versicherungspflichtigen Beschäftigung ihre Tätigkeit im "Zwangsarbeitslager Lackawola" angegeben hatte.
Letztlich hatte der Senat auch keine durchgreifenden Bedenken, die geforderte Entgeltlichkeit der Beschäftigungen im Straßen- und Eisenbahnbau zu bejahen. "Entgelt" im Sinne von § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 b) ZRBG ist jegliche Entlohnung, gerade auch in Form von Nahrungsmitteln oder entsprechenden Lebensmittelkarten oder Gutscheinen (Coupons). Weitergehende Erfordernisse (z.B. Einhaltung einer Mindesthöhe oder die Miternährung einer anderen Person) müssen nicht erfüllt werden. Unerheblich ist, - ob das Entgelt nur "geringfügig" war oder zum Umfang der geleisteten Arbeit in keinem angemessenen Verhältnis stand, - ob als Entgelt nur Sachbezüge in Form freien Unterhalts (oder eines Teils davon) gewährt wurden, - ob das Entgelt unmittelbar von der Beschäftigungsstelle ("Arbeitgeber") oder von einer anderen Instanz (z.B. dem Judenrat) gewährt wurde (vgl. BSG, Urteile vom 02. Juni 2009, B 13 R 85/08 R und B 139/08 R, und 03. Juni 2009, B 5 R 26/08 R, jeweils in juris).
Die von der Klägerin im ersten ZRBG-Antrag von 2002 wie auch später glaubhaft angegebene Entlohnung durch "marks" (= Lebensmittelmarken) und "food" (Essen, Nahrung) erfüllt den Entgeltbegriff i.S. der Ghetto-Rechtsprechung des BSG. Soweit die Klägerin 1996 im Vordruck zur Beschäftigungsaufstellung zu den Fragen nach den Entgelten und Sachbezügen jeweils noch "0.00" eingetragen hatte, steht dies der vom Senat vorgenommenen Bewertung nicht zwingend entgegen. Zu bedenken ist hier, dass die Entlohnung in Form von einfachsten Mahlzeiten (i.d.R. Suppe und Brot) am Arbeitsplatz und Lebensmittelmarken zwar für den Betroffenen überlebensnotwendig war, jedoch weder für ihn noch für die seinerzeitige (wie auch heutige) Bevölkerung wenig mit einem üblichen Arbeitslohn gemein hatte. Von daher ist es nicht weiter verwunderlich, wenn die entsprechenden Fragen zum Arbeitsentgelt/-einkommen von der Klägerin zunächst mit "0.00" beantwortet wurden. Dass die Entlohnung durch Gewährung einer Mahlzeit und von Lebensmittelmarken gleichwohl einen gewissen Wert hatte, ergibt sich aus den historischen Umständen. Die Lebensmittelversorgung nicht nur der jüdischen Bevölkerung war in Galizien durch eine sich ständig verschärfende Rationierung ("Politik des Aushungerns", Lebensmittelproduktion in erster Linie für das Reich und die Wehrmacht) und damit verbundene Hungersnöte geprägt (vgl. Sandkühler a.a.O., S. 116 ff; s. auch zur Wirtschaftsausbeutung in der Landwirtschaft: Pohl a.a.O. S. 100 f).
Schließlich bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass die geltend gemachten Ghetto-Beitragszeiten beim Social Security Service oder in einem anderen System der sozialen Sicherheit zu Gunsten der Klägerin rentensteigernd berücksichtigt werden (§ 1 Abs. 1 S. 1 Nr.1 Buchst. a ZRBG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt der Entscheidung in der Sache.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG sind nicht ersichtlich.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Gewährung einer höheren Altersrente ab Juli 1997 unter Berücksichtigung der Zeit von August 1941 bis Oktober 1942 als Zeit der Beschäftigung in einem Ghetto nach dem Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG) vom 20. Juni 2002.
Die 1924 in Mosciska/Polen (westlich von Lemberg gelegen, jetzt Ukraine) geborene Klägerin wurde als Jüdin von den Nationalsozialisten verfolgt und ist als Verfolgte im Sinne von § 1 Bundesentschädigungsgesetz (BEG) anerkannt. Während ihres Aufenthaltes in Displaced Person (DP)-Lagern in F/Bayern gebar die Klägerin zwei Kinder (30. November 1945 und 27. Oktober 1949). Seit August 1950 lebt sie in den Vereinigten Staaten von Amerika (USA), wo sie am 19. Juli 1952 ihr drittes Kind gebar und seit 1957 die us-amerikanische Staatsangehörigkeit besitzt. Die Klägerin war nach ihren Angaben von 1951 bis 1967 in den USA selbständig mit einer Geflügelzucht erwerbstätig.
Aus den beim B Landesamt für Wiedergutmachung (im Folgenden: Landesentschädigungsamt) geführten Entschädigungsverfahren zur St.Nr. findet sich zum Verfolgungsschicksal der Klägerin Folgendes:
Am 12. Januar 1950 gaben die Klägerin sowie die Zeugen S Rund B M vor der International Refugee Organization (IRO), Legal Department, in Gauting eidesstattlichen Erklärungen ab, und zwar die Klägerin wie folgt: "Zwecks Wiedergutmachung erkläre ich zur Beurkundung der Tatsache meiner aus rassischen Gründen erfolgten Inhaftierung an Eides Statt: Mein ständiger Wohnsitz vor dem Krieg und bei Ausbruch des Krieges war Moscisko/Polen. Durch die Besetzung Polens durch die deutsche Wehrmacht wurde ich im Aug. 1941 im Zw.Arb.Lager Moscisko/Polen inhaftiert und war dort bis Dez. 1942. Von Dez. 1942 – Aug. 1944 konnte ich mich bei einem Bauern in Latcka-Wolla versteckt halten und wurde auch dort im Aug. 1944 befreit." Der Zeuge S R erklärte: "Vom Aug. 1941 – Dez. 1942 war ich im Zw.Arb.Lager Moscisko/Polen inhaftiert und von dieser Zeit bis Aug. 1944 war ich in Latcka-Wolla bei einem Bauer versteckt und wurde auch dort befreit. Während dieser angegebenen Zeit war ich mit (Herrn) Frau S geb. B, L zusammen im Zw.Arb.Lager Moscisko/Polen und auch versteckt in Latcka-Wolla/Polen bis zur Befreiung im Aug. 1944." Der Zeuge B M gab an: Ich war von Aug. 1941 – Dez. 1942 im Zw.Arb.Lager Moscisko/Pol. Anschliessend konnte ich mich versteckt halten in Latcka-Wolla und wurde dort im Aug. 1944 befreit. Während dieser ganzen Zeit war ich mit Frau S, geb. B, L, zusammen im Zw.Arb.Lager Moscisko/Polen und war auch zusammen mit ihr versteckt beim Bauern in Latcka-Wolla/Polen und im Aug. 1944 wurde ich mit ihr zusammen befreit."
Im Formantrag vom 02. März 1950 gab die Klägerin in der Rubrik "Schaden an Freiheit" in der Zeile zu Ghetto "versteckt in Latcka-Wolla von Dez. 1942 bis Aug. 1944", wobei der Begriff Ghetto durchgestrichen worden war, und in der Zeile zu Zwangsarbeits-Lager "Moscisko/Polen von Aug. 1941 bis Dez. 1942" an.
In einem an das Landesentschädigungsamt gerichteten Schreiben des Central Kommittee der befreiten Juden in der US-Zone Deutschlands, Abteilung Wiedergutmachung, vom 26. Juli 1950 betreffend "Gutachten über das Ghetto bzw. Zwangsarbeitslager in MOSCISKA" heißt es: "Auf Grund von 3 Protokollen, die in der Wiedergutmachungsabteilung des Central Komittees München entgegengenommen wurden, stellen wir fest, dass in MOSCISKA b. Przemysl unter der Nazi-Herrschaft ein Zwangsarbeitslager bestanden hat. Das ZAL wurde Ende Juni 1941 errichtet und Ende November 1942 liquidiert. Das Lager war mit Stacheldraht umzaeunt und von ukrainischer Hilfspolizei und deutscher Gendarmerie bewacht."
In ihrer Eidesstattlichen Erklärung vom 19. September 1956 schilderte die Klägerin: "Ich bin am 12. Juli 1924 in Mosciska/Polen geboren. Ich lebte dort, als die Deutschen im Juni 1941 einmarschierten. Innerhalb von acht Tagen musste ich als Juedin eine weisse Armbinde tragen, die mich damit als juedisch kennzeichnete und wurde zur Zwangsarbeit in das Lager Lackawola in der Nachbarschaft von meinem Heimatort gebracht. Ich hatte dort meist beim Strassenbau zu arbeiten. Ende Oktober 1942 gelang es meinem Mann und mir, zu entfliehen, und wir wurden von einem uns unbekannten polnischen Bauern in Lackawola, namens J W aufgenommen und versteckt. In diesen menschenunwuerdigen Verhaeltnissen war ich bis August 1944 versteckt, zu welcher Zeit ich von den Russen befreit wurde." In einer weiteren Eidesstattlichen Erklärung vom 24. September 1959 gab die Klägerin an: "In Juni 1941 ist die Deutsche Armee bei uns einmarschiert und ich musste vom gleichen Tag an den Judenstern tragen und wurde zur Zwangsarbeit wie alle anderen Juden herangezogen. In Lackawola wurde ein Arbeitslager eingerichtet und ich habe dort bis zu meiner Flucht im Oktober 1942 gearbeitet. Nach dieser Zeit habe ich bis zum July 1944 in einer Grube bei einen Bauer versteckt gewohnt. Im July 1944 wurden wir von den Russen befreit."
Zum Nachweis legte die Klägerin eidesstattliche Erklärungen des 1909 in Przemysl/Polen geborenen Z R vom 01. Juni 1956 sowie des 1912 in Mosciska/Polen geborenen J B vom 02. Februar 1958 vor. Z R gab darin an: "Ich bin von Juni 1941 bis Juni 1943 in Balice inhaftiert gewesen. Wir mussten das Judenzeichen tragen und Zwangsarbeiten für die Deutschen leisten. Alle Juden mussten auf dem in der Nähe liegenden Gut arbeiten. Ich weiss, dass Herr B S und seine Frau L (fr. L) in Lackawola bei Mosciska inhaftiert waren. Lackawola ist ein Nachbardorf von Balice. Herr und Frau S waren am Strassenbau beschäftigt und ich habe sie des oefteren auf der Strasse arbeiten sehen, wenn ich auf den Feldern auf dem angrenzenden Gut gearbeitet habe. Ich kenne Herrn und Frau S schon von frueher her und daher kann ich diese Versicherung abgeben. Es ist mir bekannt, dass Herr und Frau S im November 1942 von ihrem Arbeitsplatz gefluechtet sind, während ich noch in Balice blieb". J B gab an: "Ich kenne Frau L S schon von vor dem Kriege und kann daher folgendes versichern: Ich weiss, dass Frau L S im Lackawola bei Mosciska inhaftiert war. Lackawola ist ein Nachbardorf von Trzcieniec. Frau L S musste auf dem Strassenbau arbeiten, und ich habe sie bei der Arbeit oefters gesehen. Ich selber war von Juni 1941 bis Juni 1942 in Trzcieniec inhaftiert. Wir mussten das Judenzeichen tragen und Zwangsarbeit leisten, dazu waren alle Juden gezwungen."
Mit Bescheid vom 30. März 1960 gewährte das Landesentschädigungsamt der Klägerin eine Entschädigung wegen Freiheitsbeschränkung, Freiheitsentziehung und Leben in der Illegalität in Mosciska bzw. Lackawola in der Zeit von August 1941 bis August 1944.
Im Formantrag auf Entschädigung wegen Schaden an Körper oder Gesundheit vom 26. Dezember 1962 gab die Klägerin an: "Von August 1941 bis Nov. 1942 war ich im Zwangsarbeitslager Lackawola interniert und habe bei jedem Wetter mit ungenügender Bekleidung beim Straßenbau arbeiten müssen. Von Dez. 1943 bis Juli 1944 waren wir unterirdisch bei einem Bauern versteckt, wobei sich mein Kopfleiden, das ich mir im Lager zugezogen hatte, noch verschlimmerte." Beigefügt waren Eidesstattliche Erklärungen der Zeugen Z R vom 02. Juli 1963 und J B vom 04. Februar 1963, die inhaltlich ihren früheren Erklärungen entsprachen. In ihrer Eidesstattlichen Versicherung vom 02. Februar 1963 gab die Klägerin an: "Ich, L S (frueher L B) geboren am 12. Juli 1924 in MosciskaPoland,erklaere hiermit an Eides statt, dass ich von meiner Geburt an bis zur Verfolgung in Mosciska gewohnt habe. Im Juni 1941 ist die deutsche Armee bei uns einmarschiert und ich musste vom gleichen Tag an den Judenstern tragen und wurde zur Zwangsarbeit wie alle andern Juden herangezogen. In Lackawola wurde ein Arbeitslager eingerichtet und ich habe dort bis zu meiner Flucht im November 1942 gearbeitet. Bei dieser Arbeit habe ich mich erkaeltet, bekam einen Nervenschock und bin bis heute krank. Nachdem habe ich bis zum Juli 1944 in einer Grube bei einem Bauer versteckt gewohnt."
In dem am 28. August 1963 von dem Facharzt für Nervenkrankheiten Dr. A Ka auf die Untersuchung der Klägerin vom 22. August 1963 erstellten psychiatrischen Gutachten steht unter der Überschrift "Vorgeschichte, nach den Angaben der Antragstellerin:" ".Kurz nach Kriegsbeginn 1939 erfolgte der Einmarsch der russischen Truppen, die das Gebiet bis 1940 besetzt hielten. Eine wesentliche Einschränkung des täglichen Lebens habe sie zu der Zeit nicht gespürt. Im Sommer 1940 rückten die deutschen Truppen ein. Sofort wurden sämtliche Juden zusammengeholt und zur Zwangsarbeit eingeteilt. Sie wurde von ihrer Familie getrennt – sie war damals 16 Jahre alt – und in ein Arbeitslager gebracht. Von dort wurde sie zum Strassenbau und andern schweren Arbeiten eingeteilt. Die Unterkunft war schlecht, die Verpflegung ungenügend, die Kleidung im Winter so dürftig, dass sie unter der Kälte sehr litt. Im Oktober 1942 wurde sie von einer Lagerwache mit einem harten Gegenstand geschlagen; der Schlag traf sie an der rechten Schläfengegend in Augennähe, die Wunde blutete etwas. Sie muss, soweit sie jetzt rückblickend zu sagen vermag, bewusstlos geworden und von der Wache liegen gelassen worden seien. Als sie wieder zu sich kam, war sie allein, und da sie niemand beobachtete, sei sie bis zu einem Waldstück gelaufen, im dem sie aufgrund geheimer Informationen von anderen Lagerinsassen ihren Verlobten vermutete ... Sie gelangte sicher zu dem Wald, fand dort andere Juden, die vom Lager geflohen waren, wie auch ihren Verlobten. Sie lebte in dem Wald und zeitweise bei einem polnischen Bauern bis zur Befreiung durch die Russen im Jahre 1944.1942 heiratete sie ihren jetzigen Mann, die offizielle Heirat vor dem Standesamt wurde 1948 in Deutschland nachgeholt."
In dem am 22. August 1963 erstellten ärztlichen Gutachten des M.D. G H ist unter den Rubriken "Beruflicher Werdegang" und "Eigene Vorgeschichte", jeweils von der Klägerin unterzeichnet, Folgendes festgehalten: "Im Jahre 1939 wurde ihr Heimatort von den russischen Truppen besetzt. Waehrend der Jahre 1939 bis 1941 verblieb die Antragstellerin im Elternhaus. Von 1941 bis 1942 wurde die Antragstellerin in Zwangsarbeitslagern inhaftiert und zu den verschiedensten Zwangsarbeiten herangezogen. Oktober 1942 fluechtete die Antragstellerin und hielt sich zunaechst in den Waeldern versteckt spaeter fand sie bei einem polnischen Bauern Unterschlupf.Intermittierende Kopfschmerzen: Die Antragst. glaubt, dass diese Beschwerden die direkte Folge einer schweren Misshandlung darstellen, die sich im Jahr 1942 kurz vor ihrer Flucht ereignete. Die Kopfschmerzen traten damals erstmalig auf. Die Antragst. wurde von einem Wachposten mit einem Gewehrkolben uebers re. Auge geschlagen. Es kam zu einer klaffenden Wunde. Die Antragst. war bewusstlos u. als sie aufwachte waren alle Arbeitskolleginnen bereits weg. Sie war unbewacht. Sie benutzte diese Gelegenheit zur Flucht u. hielt sich dann in den Waeldern versteckt. Der Ehemann war bereits vorher gefluechtet u. die Eheleute trafen sich spaeter im Wald im gleichen Versteck wieder".
Am 21. Juni 1996 beantragte die Klägerin bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten (im Folgenden: die Beklagte) die Feststellung von Kindererziehungszeiten und am 20. November 1996 die Gewährung von Rente. Mit Schreiben vom 13. Dezember 1996 gab die Klägerin an: "Beim Einzug der deutschen Truppen in unserer Stadt wurde meine Familie und ich in ein Arbeitslager verbracht, wo wir fuer die Reichsbahn Zwangsarbeit leisten mussten. Es gelang uns zu fliehen und wir mussten im Versteck leben. Nach der Befreiung kamen wir schließlich 1945 in das DP-Lager F in B, von wo wir 1950 nach USA auswanderten." In dem von der Klägerin am 13. Dezember 1996 unterzeichneten Formblatt "Beschäftigungsaufstellung" gab sie an: "1941 – 1942, Zwangsarbeiterin, Reichsbahn 0.00 (bei Entgelt oder steuerpflichtiges Einkommen), 0.00 (bei Sachbezügen)" sowie "1942 – 1944, im Versteck" und "1945 – 1950, Hausfrau". Auf die Frage, wo die erste versicherungspflichtige Beschäftigung ausgeübt wurde, erklärte die Klägerin: "Zwangsarbeitslager Lackawola". Nach Einsicht in die Akten des Landesentschädigungsamtes gewährte die Beklagte mit Bescheid vom 13. Mai 1997 der Klägerin Regelaltersrente beginnend am 01. Juni 1996 in Höhe von 106,26 DM monatlich. Der Rentenberechnung lagen 37 Monate Ersatzzeiten wegen NS-Verfolgung vom 01. August 1941 bis zum 31. August 1944 sowie 20 Monate Pflichtbeiträge für Kindererziehung für die Zeit vom 01. Dezember 1945 bis zum 30. November 1946 und vom 01. November 1949 bis zum 31. August 1950 zugrunde.
Am 12. August 2002 beantragte die Klägerin die Berücksichtigung von Beitragszeiten in einem polnischen Ghetto bei der Rentenberechnung. In dem am 05. November 2002 von der Klägerin unterschriebenen Formantrag auf Versichertenrente gab sie unter der Rubrik Versicherungsverlauf an: "1941 – 1942 Mosciska"."laying railroad tracks" "Marks" (zu Arbeitsverdienst/ Entgelt) "Food" (zu Arbeitsverdienst/Sachbezüge). In einem in Deutsch und Englisch abgefassten Fragebogen zur Klärung von rentenrechtlichen Zeiten im Ghetto gab die Klägerin an, von 1941 bis 1942 im Arbeitsressort "Railroads" als Beschäftigung "laying railroads tracks" 10 bis 12 Stunden täglich ausgeübt zu haben. Auf die Frage, wie die Arbeitsvermittlung für die Beschäftigung erfolgt sei bzw. durch welche Institution sie dahin vermittelt worden sei, gab sie an "Germans". Auf die Frage zur Entlohnung gab sie an: "Food + marks". Auf die Frage, wo sie im Ghetto gewohnt habe, gab sie an: "Do not recall". Nach erneuter Einsicht in die Akten des Landesentschädigungsamtes lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 17. März 2004, bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 16. November 2004, die Neufeststellung der Altersrente unter Anwendung des ZRBG ab. Nach § 306 Abs. 1 des Sechsten Sozialgesetzbuches (SGB VI) würden aus Anlass einer Änderung rentenrechtlicher Vorschriften die einer Rente zugrunde gelegten persönlichen Entgeltpunkte nicht neu bestimmt, wenn bereits vor der Rechtsänderung ein Anspruch auf Leistungen einer Rente bestanden hat, was hier im Hinblick auf das Inkrafttreten des ZRBG rückwirkend zum 01. Juli 1997 der Fall sei. Des Weiteren lehnte sie die Feststellung der Zeit vom 01. August 1941 bis zum 31. Oktober 1942 als Zeit einer Beschäftigung in einem Ghetto mit der Begründung ab, dass es sich um einen Aufenthalt in einem Zwangsarbeitslager bzw. Konzentrationslager gehandelt habe.
Mit Schreiben vom 29. Mai 2010 beantragte die Klägerin erneut die Gewährung einer Altersrente unter Berücksichtigung von im Ghetto zurückgelegten Beitragszeiten nach dem ZRBG.
Das Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen (BADV) gab der Beklagten im Juli 2010 den Antrag der Klägerin vom 20. Juni 2008 nach der "Richtlinie der Bundesregierung vom 01. Oktober 2007 über eine Anerkennungsleistung an Verfolgte für Arbeit in einem Ghetto, die keine Zwangsarbeit war und bisher ohne sozialversicherungsrechtliche Berücksichtigung geblieben ist" (Anerkennungsrichtlinie) bekannt. Darin gab die Klägerin an, sich von 1941 bis 1942 im Ghetto "MOSCHISKA POLAND" aufgehalten und außerhalb des Ghettos gearbeitet zu haben. Den Arbeitsplatz bzw. Arbeitgeber bezeichnete sie mit "Railroad", die Art der Tätigkeit mit "Laying railroad ties". Auf die Frage nach den Umständen, die zur Arbeitsaufnahme in oder außerhalb des Ghettos führten, gab sie an: "I found the work through Judenrat".
Die Beklagte nahm Auszüge aus der Ghettoliste der ZRBG-Lenkungsgruppe, worin ein Ghetto im Ort Mostyska (ukrainisch) bzw. Mosciska (polnisch) im Generalgouvernement, Distrikt Galizien, heute Ukraine in der Zeit vom 06. September 1941 bis zum 31. Dezember 1942 aufgeführt wird, aus dem Handbuch der Lager Ukraine (Maryna H. Dubyk, Handbuch der Lager, Gefängnisse und Ghettos auf dem besetzten Territorium der Ukraine, hrsg. vom Staatlichen Archivkomitee der Ukraine, Kiew 2000), worin für den Rayon Mostys’ka nur das Ghetto Mostys’ka und das ZAL Balytschi (polnisch Balice) aufgeführt wird, sowie aus der "Encyclopedia of Jewish Life Before and During the Holocaust", hrsg. von Samuel Spector, Geoffrey Wigoder, Ellie Wiesel, New York UnivPr, Juli 2001 (EJL) und der "Encyclopedia of the Ghettos During the Holocaust", hrsg. von Guy Miron, Michael Berenbaum, Yad Vashem Publications, März 2010 (Ghetto-Enzyklopädie), jeweils betreffend Mosciska, zur Akte.
Mit Bescheid vom 11. März 2011 lehnte die Beklagte die Rücknahme des Bescheides vom 17. März 2004 ab. Auch nach der neuen Rechtsprechung des Bundesozialgerichts (BSG) sei eine Anerkennung von Ghetto-Beitragszeiten nicht möglich. Die geltend gemachte Arbeitszeit von August 1941 bis Dezember 1942 sei nicht während eines zwangsweisen Ghetto-Aufenthaltes ausgeübt worden. Nach ihrem Kenntnisstand sei in Lacka Wola (in der Nachbarschaft des Ortes Mosciska) kein Ghetto, sondern ein Zwangsarbeitslager errichtet worden. Die Klägerin habe stets behauptet, für die Reichsbahn Zwangsarbeit im Zwangsarbeitslager Lackawola geleistet zu haben. Dies sei im Vorverfahren durch die abgegebenen Eidesstattlichen Versicherungen, die eine Zwangsarbeit bis Oktober 1942 im ZAL, die erfolgte Flucht und das anschließende Verstecken bei Bauern berichteten, bestätigt worden. Nach dem ZRBG könne die Arbeit in einem Zwangsarbeitslager nicht berücksichtigt werden.
Ihren Widerspruch begründete die Klägerin damit, dass sie auch im Entschädigungsverfahren wiederholt eine Inhaftierung in Mosciska angegeben und erst im Gesundheitsschadenverfahren von einem Aufenthalt im ZAL Lacka Wola gesprochen habe. Insbesondere sei auf ihre Erklärung vor der IRO vom 12. Januar 1950 abzustellen, die historisch allerdings insoweit zu korrigieren sei, als in Mosciska bis zum 10. November 1942 ein Ghetto bestanden habe, dass dann in ein Julag umgewandelt worden sei (vgl. Honigsman [Jakob Honigsman, Juden in der Westukraine, Jüdisches Leben und Leiden in Ostgalizien, Wolhynien, der Bukowina und Transkarptien 1933 -1945, hrsg. Raymond M. Guggenheim und Erhard Roy Wiehn, Hartung–Gorre Verlag, Konstanz 2001], Seite 244, 246; Ghetto-Enzyklopädie, S. 499). Die erste Verschickung von Juden aus Mosciska in Zwangsarbeitslager werde dort für Mai 1942 beschrieben. In diesen Veröffentlichungen werde für Mosciska mitgeteilt, dass dort Einsiedlungen stattfanden und die Juden von Mosciska "außerhalb des Ghettos Zwangsarbeit" leisteten. Es sei fraglich, ob es in Lacka Wola/Volitsa ein Zwangsarbeitslager gegeben habe. Ein solches sei ausschließlich in den Katalogen des International Tracing Service (ITS) 1969 und 1979 genannt. Die Angaben dort seien derart dürftig, dass bereits deswegen am Bestand eines ZAL ernsthaft gezweifelt werden müsse. Andere Übersichten über Zwangsarbeitslager enthielten weder Angaben zu Mosciska noch zu Lacka Wola. Die zweifelhafte Qualität der Angaben im ITS-Katalog habe bereits der Sachverständige G in seinem Gutachten vom 20. Januar 2010 im Verfahren des Landessozialgerichts (LSG) Nordrhein-Westfalen (NRW) – L 18(8) R 199/05 – dargelegt. Die dürftigen Angaben im ITS-Katalog würden von einigen Werken - ohne sie zu hinterfragen oder die Quelle zu benennen – übernommen, z.B. in "deathcamp.org", "keom", Liste der Arbeitslager im besetzten Polen – Distrikt Galizien – Autoren: Familie Tenhumberg, Haftstättenverzeichnis der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft". Ein ZAL Lacka Wola werde weder in den Regionalstudien zu Galizien bei Sandkühler (Thomas Sandkühler, "Endlösung" in Galizien: der Judenmord in Ostpolen und die Rettungsinitiativen von Berthold Beitz 1941 -1944, Verlag J.H.W. Dietz Nachfolger, Bonn 1996), Pohl (Dieter Pohl, Nationalsozialistische Judenverfolgung in Ostgalizien 1941 – 1944, R. Oldenburg Verlag München, 2. Aufl. 1997) bzw. Honigsman erwähnt, noch habe das Handbuch der Lager Ukraine (Dubyk) die ITS-Angaben nach eigener Prüfung übernommen, sondern erwähne für den Kreis Mosciska/Mostys´ka nur das Ghetto in Mosciska sowie das ZAL in Balice. Soweit im Entschädigungsverfahren teilweise von einem Aufenthalt im ZAL Lacka Wola gesprochen werde, sei dies anhand der historischen Fakten und dem bei Verfolgten oft bestehenden "Zwangsarbeitslager-Syndrom" zu hinterfragen und dahingehend zu interpretieren, dass vom Ghetto Mosciska ausgehend in Lacka Wola eine Beschäftigung ausgeübt worden sei.
Vorgelegt wurde neben Kopien von geografischen Karten und Auszügen aus den zitierten Werken auch eine in englischer Sprache verfasste Erklärung der Klägerin vom 28. Juli 2011, in der sie (in die deutsche Sprache übersetzt) angab: "Meine Familie und ich lebten im Ghetto Mosciska von August 1941 bis Oktober 1942. Ich musste jeden Tag etwa 5 km zu Fuß nach Lacka Wola zur Arbeit und dann jede Nacht zurück ins Ghetto Mosciska gehen. Im Lacka Wola arbeitete ich außerhalb Lacka Wolas im Straßenbau was auch die Befestigung von Eisenbahngleisen beinhaltete. Unsere Arbeitsplätze in Lacka Wola waren nicht bewacht. Es war nur ein "foreman" (Werkmeister/Vorarbeiter/Aufseher) im Dienst. In der Pause erhielten wir eine Mahlzeit. Jeden Tag gingen wir nach der Arbeit zurück ins Ghetto Mosciska. Die Arbeit wurde uns vom Arbeitsamt des Judenrates zugewiesen. Unsere einzige Begleitung war unser "foreman" (Werkmeister/Vorarbeiter/Aufseher)."
Mit Widerspruchsbescheid vom 25. April 2012 wies die Beklagte den Widerspruch mit der Begründung zurück, nach den eigenen, vorliegenden Angaben der Klägerin habe sich diese in der Zeit von August 1941 bis Oktober 1942 maßgeblich im Arbeitslager Lacka Wola (bei Mosciska) aufgehalten und Zwangsarbeit geleistet. Danach sei sie nicht freiwillig, sondern zwangsweise beschäftigt gewesen. Ein Aufenthalt im Ghetto Mosciska sei nicht glaubhaft. Aus dem vorsorglich von der Deutschen Rentenversicherung Nord beigezogenen Vorgang des verstorbenen Ehemannes ergebe sich nichts Gegenteiliges.
Mit ihrer am 10. Mai 2012 vor dem Sozialgericht Berlin (SG) erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren auf Gewährung einer höheren Regelaltersrente ab dem 01. Juli 1997 unter Anerkennung von Ghetto-Beitragszeiten von August 1941 bis Dezember 1942 im Sinne des ZRBG weiterverfolgt und auf ihren Vortrag im Widerspruchsverfahren verwiesen.
Nach Anhörung hat das SG durch Gerichtsbescheid vom 27. Mai 2015 die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klägerin habe keinen Anspruch auf Rücknahme der angefochtenen Bescheide nach § 44 Zehntes Sozialgesetzbuch (SGB X) und Gewährung einer höheren Regelaltersrente unter Berücksichtigung der geltend gemachten Ghetto-Beitragszeiten. Die Voraussetzungen für die Anerkennung von Beschäftigungszeiten in einem Ghetto nach §§ 1 Abs. 1 S. 1, 2 ZRBG seien nicht glaubhaft gemacht. Schließlich habe die Klägerin im Entschädigungsverfahren, bestätigt durch Zeugenerklärungen, wiederholt angegeben, Zwangsarbeit in einem Zwangsarbeitslager in Latcka-Wolla verrichtet zu haben und dort auch interniert gewesen zu sein. Diese Angaben hätte sie auch noch bei der erstmaligen Rentenantragstellung im Dezember 1996 gegenüber der BfA bestätigt. Erst im Mai 2002 habe sie angegeben, von 1941 bis 1942 in Mosciska gegen Marken und Lebensmittel mit dem Legen von Eisenbahnschienen beschäftigt gewesen zu sein. Dies habe sie dann im Juni 2009 (richtig: 2008) gegenüber dem BADV insoweit konkretisiert, als es sich um das Ghetto Mosciska gehandelt und sie die Arbeit durch den Judenrat gefunden habe. Letztlich unterstreiche die Klägerin ihr Begehren mit der Erklärung vom 28. Juli 2011 in der sie angebe, mit ihrer Familie im Ghetto Mosciska von August 1941 bis Oktober 1942 gelebt zu haben und jeden Tag 5 km zu Fuß nach Latcka-Wolla und dann jeden Nacht zurück ins Ghetto habe gehen müssen. In Latcka-Wolla habe sie im Straßenbau und bei der Befestigung von Eisenbahngleisen gearbeitet. Die Arbeit sei ihnen vom Arbeitsamt des Judenrates zugewiesen worden. Unter Gesamtwürdigung der Angaben der Klägerin sei es nicht überwiegend wahrscheinlich, dass sie im Ghetto eine Beschäftigung ausgeübt habe. Hierbei sei insbesondere die Erklärung vom 28. Juli 2011 nicht geeignet, die detaillierten Angaben im Entschädigungsverfahren sowie gegenüber der Beklagten und dem BADV zu widerlegen. In diesen Erklärungen habe sie ausführlich beschrieben, dass sie Zwangsarbeit in einem Zwangsarbeitslager ausgeübt habe. Danach sei es wenig glaubhaft, dass es sich insoweit um eine Beschäftigung durch Vermittlung des Judenrates gehandelt habe. Die insoweit widersprüchlichen und zielgerichtet ergänzenden Angaben in der Erklärung vom 28. Juli 2011 seien zur Überzeugung der Kammer nicht geeignet, die Ausübung eines freiwilligen Beschäftigungsverhältnisses im Ghetto glaubhaft zu machen.
Gegen den ihr am 03. Juni 2015 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die Klägerin mit ihrer am 22. Juni 2015 beim LSG eingelegten Berufung. Zur Begründung führt sie aus: Das SG habe bei seiner Entscheidung die von ihr im Widerspruchsverfahren dargelegten historischen Hintergründe nicht berücksichtigt. Frühere Angaben aus Entschädigungsverfahren über Zwangsarbeit könnten nach Inkrafttreten des ZRBG nicht mehr so hingenommen werden, wie sie sich zunächst darstellten. Erst mit dem ZRBG und der fortlaufenden Rechtsprechung des BSG, insbesondere ab 2009, sei anerkannt, dass Angaben im Entschädigungsverfahren über Zwangsarbeit nicht mit realer Zwangsarbeit, wie sie juristisch verstanden werde, identisch sei, sondern dass mangels differenzierender Darstellung der gesamte Komplex Ghetto und Zwangsarbeit als einheitlicher Vorgang im Rahmen der Freiheitsentziehung gesehen worden sei. Das SG hätte sich im Hinblick auf Sachverständigenausführungen, wie z. B. vom Sachverständigen G in seinem Gutachten zum Ghetto Dabrowa Gornicza (Ostoberschlesien/Polen) dargelegt, zur weiteren Aufklärung der historischen Hintergründe gedrängt fühlen müssen. Dann hätte es erkennen können, dass es weder in Mosciska noch in Latcka-Wolla zu jener Zeit ein Zwangsarbeitslager gegeben habe und dass ihre Ausführungen nur so verstanden werden können, dass sie während des Aufenthaltes im Ghetto Mosciska einer Arbeit in Lacka Wola nachgegangen sei.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 27. Mai 2015 sowie den Bescheid der Beklagten vom 11. März 2011 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 25. April 2012 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 17. März 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. November 2004 zu verurteilen, ihr unter Anerkennung von Ghetto-Beitragszeiten von August 1941 bis Oktober 1942 eine höhere Regelaltersrente ab dem 01. Juli 1997 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die Entscheidung des SG für zutreffend.
Der Senat hat die Akten des Landesamtes für Finanzen – Landesentschädigungsamt – München zur Stammnummer betreffend Schaden an Freiheit und Schaden an Gesundheit und Leben beigezogen, auf deren Inhalt Bezug genommen wird.
Mit Beschluss vom 17. November 2016 hat der Senat den Rechtsstreit der Vorsitzenden und Berichterstatterin als Einzelrichterin zur Entscheidung zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern übertragen.
Die Beteiligten haben im Erörterungstermin vom 09. Februar 2017 ihr Einverständnis zur Entscheidung im schriftlichen Verfahren erteilt. Hinsichtlich der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird zudem auf den gesamten Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Vorsitzende und Berichterstatterin hat aufgrund des Übertragungsbeschlusses des Senats vom 17. November 2016 als Einzelrichterin zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern zu entscheiden, § 153 Abs. 5 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), wobei die Entscheidung im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung ergehen konnte, §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG.
Die form- und fristgerecht (§ 151 SGG) eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig und begründet. Der Gerichtsbescheid des SG vom 27. Mai 2015 und der Bescheid der Beklagten vom 11. März 2011 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 25. April 2012 wie auch der Bescheid vom 17. März 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. November 2004 sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten (§ 54 Abs. 2 S. 1 SGG). Die Klägerin hat einen Anspruch auf Gewährung einer höheren Regelaltersrente unter Berücksichtigung von Ghetto-Beitragszeiten nach dem ZRBG.
Gemäß § 44 Abs. 1 S. 1 SGB X ist ein bindend gewordener Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Für die Beantwortung der Frage nach der unrichtigen Rechtsanwendung, also der anfänglichen objektiven Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes, ist auf die Rechtslage bei Erlass des Bescheides nach der damaligen Sach- und Rechtslage aus heutiger Sicht abzustellen (BSG, Urteil vom 25. Oktober 1984, 11 RAz 3/83, in juris). So kann sich insbesondere ein belastender Verwaltungsakt als anfänglich rechtswidrig erweisen, wenn er bei Erlass der damaligen Rechtsprechung des BSG entsprach. Ein solcher Verwaltungsakt ist aufgrund einer Rechtsprechungsänderung mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, wenn die Änderung auf der Erkenntnis der unrichtigen Rechtsanwendung durch die bisherige Rechtsprechung beruht.
Der Bescheid vom 17. März 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. November 2004, mit dem die Beklagte den Antrag der Klägerin, ihr unter Anerkennung von Beschäftigungszeiten im Ghetto (Ghetto-Beitragszeiten) ab dem 01. Juli 1997 eine höhere Regelaltersrente zu gewähren, abgelehnt hat, ist zwar bestandskräftig im Sinne von § 77 Hs. 1 SGG und damit bindend geworden. Bei seinem Erlass ist indes das Recht unrichtig angewandt worden, der Ablehnungsbescheid ist vielmehr – im Lichte der von der Klägerin geltend gemachten jüngeren Rechtsprechung des BSG zum ZRBG (siehe Urteile vom 02. Juni 2009, B 13 R 81/08 R, B 13 R 85/08 R und B 13 R 139/08 R, Urteil vom 03. Juni 2009, B 5 R 26/08 R, jeweils in juris) - anfänglich objektiv rechtswidrig. Die Klägerin hatte einen Anspruch auf Gewährung einer höheren Regelaltersrente unter Berücksichtigung von Beitragszeiten nach dem ZRBG gemäß § 48 Abs. 1 S. 1 i.V.m. S. 2 Nr. 1 SGB X i.V.m. §§ 2 Abs. 1 Nr. 2, 1 Abs. 1, 3 Abs. 1 S. 2 ZRBG, und zwar schon für die Zeit ab dem 01. Juli 1997.
Nach § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X ist, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass des Verwaltungsaktes vorgelegen haben, eine Änderung eingetreten ist, der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt, § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB X.
Eine solche, für die Rentenhöhe maßgebliche Änderung ist vorliegend mit dem Inkrafttreten des ZRBG mit Wirkung ab dem 01. Juli 1997 (§ 3 Abs. 2 ZRBG) eingetreten, welches die Berücksichtigung der im Rentenbescheid vom 13. Mai 1997 nur als Ersatzzeit bewerteten Zeit von August 1941 bis Oktober 1942 nunmehr als Beitragszeit nach §§ 2 Abs. 1 Nr. 2, 1 Abs. 1 ZRBG ermöglichte. Einem Anspruch der Klägerin ab dem 01. Juli 1997 steht auch nicht § 48 Abs. 4 SGB X i.V.m. § 44 Abs. 4 SGB X entgegen; die Klägerin ist nach der Spezialregelung des § 3 Abs. 2 S. 1 ZRBG so zu stellen, als ob sie ihren Antrag bereits am 18. Juni 1997 gestellt hätte (vgl. BSG, Urteil vom 03. Mai 2005, B 13 RJ 34/04 R, in juris Rz. 18; vom Gesetzgeber klargestellt durch Einfügung von Abs. 3 in § 3 ZRBG durch das Erste Gesetz zur Änderung des ZRBG vom 15. Juli 2014). Auch kann aus § 306 SGB VI, wonach eine Neuberechnung von Renten wegen einer Rechtsänderung in der Regel ausgeschlossen ist, nichts Gegenteiliges gefolgert werden. Denn nach Sinn und Zweck des ZRBG verbietet sich für Bestandsrentner insoweit ein Rückgriff auf § 306 SGB VI, als die Anwendung des ZRBG zu einer höheren Leistung führt (vgl. ausführliche Begründung im Urteil des BSG vom 03. Mai 2005, B 13 RJ 34/04 R, in juris Rz. 27 ff).
Nach § 63 Abs. 1 SGB VI richtet sich die Höhe der Rente vor allem nach der Höhe der während des Arbeitslebens durch Beiträge versicherten Arbeitsentgelte und Arbeitseinkommen. Gemäß § 63 Abs. 2 Satz 1 SGB VI wird das in den einzelnen Kalenderjahren durch Beiträge versicherte Arbeitsentgelt und Arbeitseinkommen in Entgeltpunkte umgerechnet. Der Monatsbetrag einer Rente ergibt sich, indem die unter Berücksichtigung des Zugangsfaktors ermittelten persönlichen Entgeltpunkte mit dem Rentenartfaktor und dem aktuellen Rentenwert vervielfältigt werden. Danach zu berücksichtigende Beitragszeiten sind nach § 55 Abs. 1 S. 2 SGB VI auch Zeiten, für die Pflichtbeiträge nach besonderen Vorschriften als gezahlt gelten (vgl. Fichte in Hauck/Noftz, SGB VI, K § 250 Rdn. 1, Stand IV/2009). Eine gesetzliche Fiktion in diesem Sinne enthält § 2 Abs. 1 ZRBG, wonach für Zeiten der Beschäftigung von Verfolgten in einem Ghetto Beiträge als gezahlt gelten. Die Vorschrift lautet:
§ 2 Fiktion der Beitragszahlung
(1) Für Zeiten der Beschäftigung von Verfolgten in einem Ghetto gelten Beiträge als gezahlt, und zwar
1. für die Berechnung der Rente als Beiträge nach den Reichsversicherungsge- setzen für eine Beschäftigung außerhalb des Bundesgebiets sowie 2. für die Erbringung von Leistungen ins Ausland als Beiträge für eine Beschäfti- gung im Bundesgebiet (Ghetto-Beitragszeiten).
(2) Zusätzliche Entgeltpunkte für Beitragszeiten außerhalb des Bundesgebiets sind auf Grund von Ghetto-Beitragszeiten nicht zu ermitteln.
Da gemäß § 1 Abs. 2 ZRBG die Regelungen des ZRBG die rentenrechtlichen Vorschriften des Gesetzes zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung (WGSVG) ergänzen, werden Entgeltpunkte unter Berücksichtigung von § 14 WGSVG i.V.m. § 15 Sätze 2 bis 4 WGSVG aus den Beitragsbemessungsgrundlagen ermittelt, die sich nach Einstufung der Beschäftigung in die Anlage 1 zum Fremdrentengesetz (FRG) und nach der Zuordnung der Lohn-, Beitrags- und Gehaltsklassen oder Bruttoarbeitsentgelte nach den Anlagen 2 bis 16 zum FRG ergeben. Aufgrund der Gleichstellung mit Reichsgebiets-Beitragszeiten sind nach § 254d SGB VI Entgeltpunkte (Ost) zu vergeben.
Die Regelaltersrente der Klägerin ist daher unter Beachtung der zuvor genannten Regelungen bzgl. der Ermittlung von Entgeltpunkten (Ost) für die Monate August 1941 bis einschließlich Oktober 1942, die als Beitragszeiten gemäß § 1 Abs. 1 S. 1 ZRBG zu berücksichtigen sind, neu festzustellen. Diese Vorschrift lautet:
§ 1 Anwendungsbereich
(1) Dieses Gesetz gilt für Zeiten der Beschäftigung von Verfolgten in einem Ghetto, die sich dort zwangsweise aufgehalten haben, wenn
1. die Beschäftigung a) aus eigenem Willensentschluss zustande gekommen ist, b) gegen Entgelt ausgeübt wurde und 2. das Ghetto in einem Gebiet des nationalsozialistischen Einflussbereichs lag,
soweit für diese Zeiten nicht bereits eine Leistung aus einem System der sozialen Sicherheit erbracht wird ...
Für die Feststellung der für die Anwendung von § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Buchst. a und b ZRBG erforderlichen Tatsachen genügt es nach § 1 Abs. 2 ZRBG i.V.m. § 3 Abs. 1 S. 1 WGSVG, wenn sie glaubhaft gemacht sind. Eine Tatsache ist glaubhaft gemacht, wenn ihr Vorliegen nach dem Ergebnis der Ermittlungen, die sich auf sämtliche erreichbaren Beweismittel erstrecken sollen, überwiegend wahrscheinlich ist. Glaubhaftmachung bedeutet danach mehr als das Vorhandensein einer bloßen Möglichkeit, aber auch weniger als die an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit. Es genügt die "gute Möglichkeit", dass der entscheidungserhebliche Vorgang sich so zugetragen hat, wie behauptet wird. Es muss mehr für als gegen den behaupteten Sachverhalt sprechen. Als Mittel der Glaubhaftmachung kommen neben der eidesstattlichen Versicherung alle Mittel in Betracht, die geeignet sind, die Wahrscheinlichkeit der Tatsache in ausreichendem Maße darzutun. Dabei sind ausgesprochen naheliegende, der Lebenserfahrung entsprechende Umstände zu berücksichtigen. Bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten muss das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten sein, weil nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Tatsache spricht (LSG NRW, Urteil vom 01. September 2006, L 4 R 145/05, in juris).
Es ist aufgrund der eigenen Erklärung der Klägerin vom 28. Juli 2011, ihren Angaben vom 20. Juni 2008 gegenüber dem BADV im Antrag nach der Anerkennungsrichtlinie sowie ihren Angaben im Rentenformantrag vom 05. November 2002 und dem beigefügten speziellen Ghetto-Fragebogen in Zusammenschau mit den historischen Erkenntnissen und unter Berücksichtigung des übrigen Akteninhalts überwiegend wahrscheinlich und damit glaubhaft gemacht, dass die Klägerin in der Zeit vom 01. August 1941 bis zum 31. Oktober 1942 im Ghetto Mosciska eine Beschäftigung gegen Entgelt ausgeübt hat.
Die Klägerin wurde 1924 in Mosciska (Mostyska bzw. Mostys’ka)/ Galizien/ Polen geboren, einem Ort, der - wie auch das ca. 4 km entfernte Lacka Wola (Volytsya) - an der Straßenverbindung bzw. in der Nähe der Eisenbahnstrecke zwischen Przemysl und Lemberg (Lwow bzw. Lviv) liegt. Galizien, und damit auch die Heimatregion der Klägerin, wurde nach dem im Juni 1941 erfolgten Einmarsch der deutschen Truppen am 01. August 1941 dem Generalgouvernement angegliedert und unterlag dem nationalsozialistischen Einflussbereich bis weit ins Jahr 1944 hinein. Nach den Beschreibungen in EJL (S. 847) und der Ghetto-Enzyklopädie (S. 499) wurde Mosciska bereits am 27. Juni 1941 von der deutschen Armee besetzt, in den folgenden Monaten ein Judenrat sowie ein jüdischer Ordnungsdienst gebildet, die jüdische Bevölkerung aus der Umgebung nach Mosciska umgesiedelt und letztlich in einem Ghetto konzentriert. Die Auflösung des Ghettos wurde mit den ersten Massendeportationen am 12./13. Oktober 1942 eingeleitet (vgl. Ghetto-Enzyklopädie, S. 499; Sandkühler, a.a.O. S. 233) und mit den Ende November/ Anfang Dezember 1942 erfolgten Deportationen abgeschlossen (vgl. Pohl, a.a.O. S. 241; Honigsman, a.a.O. S. 246).
Der Senat hält es für glaubhaft, dass die Klägerin im hier streitigen Zeitraum tatsächlich im Ghetto Mosciska gelebt und eine Beschäftigung beim Straßen- und Eisenbahnbau in bzw. in der Nähe von Lacka Wola ausgeübt und hierfür zweimal täglich zu Fuß eine Strecke von 4 bis 5 km zurückgelegt hat. So war es in den 40iger Jahren des 20. Jahrhunderts, insbesondere auch wegen der im ländlichen Raum ungünstigen Verkehrsverhältnisse, noch ganz üblich, längerer Arbeitswege (wie auch Schulwege) bei jedem Wetter zu Fuß zurück zu legen.
Zwar hatte die Klägerin im Entschädigungsverfahren wiederholt erklärt, im ZAL Lacka Wola interniert gewesen zu sein (vgl. eidesstattliche Erklärungen vom 19. September 1956 und 24. September 1959, Formantrag auf Entschädigung wegen Schaden an Körper oder Gesundheit vom 26. Dezember 1962) und hierfür Zeugenerklärungen von Z R vom 01. Juni 1956/02. Juli 1963 und J B vom 02. Februar 1956/04. Februar 1963 vorgelegt. Letztere erscheinen dem Senat jedoch in Bezug auf den Aufenthaltsort der Klägerin nicht glaubhaft, denn beide Zeugen erklärten, im streitigen Zeitraum an anderen Orten in der Region um Mosciska, d.h. in Balice bzw. Trzcieniec gelebt und die Klägerin lediglich bei Arbeiten im Straßenbau in der Nähe von Lacka Wola gesehen zu haben, ohne selbst in diesem Bereich tätig gewesen zu sein. Auch hatte die Klägerin sowohl im Rahmen der Begutachtung bei Dr. Kund M.D. H im August 1963 als auch im Rentenformantrag von November 1996 von der Verbringung in ein Arbeitslager bzw. der Inhaftierung in Zwangsarbeitslagern bis zur im Oktober 1942 erfolgten Flucht in die Wälder bei Lacka Wola berichtet. Betrachtet man jedoch die ersten Angaben der Klägerin, so entsteht für den Senat der Eindruck, dass die Klägerin bei ihren späteren Schilderungen im Entschädigungsverfahren wie auch im ersten Rentenantrag vereinfachend auf ihren Tätigkeitsort abgestellt hatte. Denn zeitnah zum Verfolgungsgeschehen hatte sie sowohl im Formantrag vom 02. März 1950 als auch in der eidesstattlichen Erklärung vom 12. Januar 1950 gegenüber der IRO, jeweils bestätigt durch die Zeugenerklärungen von S R und B M vom 12. Januar 1950, einen Aufenthalt in Mosciska bis zu ihrer Flucht im Herbst 1942 angegeben. Zwar wurde hierbei das Ghetto Mosciska fälschlicherweise als Zwangsarbeitslager (ZAL) bezeichnet. Dies ist jedoch offensichtlich dem Umstand geschuldet, dass aufgrund der umfangreichen antijüdischen Maßnahmen (bis hin zu willkürlichen Tötungen und Deportationen; vgl. Sandkühler, a.a.O. S. 138 f), dem allgemeinen Arbeitszwang für Juden (in Galizien am 07. August 1941 mit anderen grundlegenden antijüdischen Vorschriften eingeführt, vgl. Sandkühler, a.a.O. S. 585) und den auch in den Ghettos gegebenen desolaten Verhältnissen im subjektiven Erleben der Verfolgten keine (rechtliche) Differenzierung zwischen Ghetto und ZAL erfolgte. Die in Entschädigungsverfahren oft fehlende Differenzierung zwischen Ghettos und ZAL wird hier auch in dem an das Landesentschädigungsamt gerichteten Schreiben des Central Kommittee der befreiten Juden in der US-Zone Deutschlands, Abteilung Wiedergutmachung, vom 26. Juli 1950 betreffend "Gutachten über das Ghetto bzw. Zwangsarbeitslager in MOSCISKA" deutlich. Entgegen der dortigen Schlussfolgerung, bestand nach der bereits zitierten Literatur zum Holocaust in Mosciska bei Przemysl gerade kein ZAL sondern ein Ghetto, welches höchstwahrscheinlich in den letzten Monaten seiner Existenz, d.h. im November/Dezember 1942, zur Sicherung der Deportationen in ein geschlossenes Ghetto oder Julag mit (der geschilderten) Stacheldrahtumzäunung und Bewachung durch ukrainische Hilfspolizei und deutsche Gendarmerie umgewandelt worden war (vgl. zur Umwandlung von Ghettos in Julags im November 1942: Honigsman, a.a.O. S. 244 ff; zur Bildung von geschlossenen Ghettos in Galizien: Sandkühler, a.a.O. S. 181). Zudem gilt es zu bedenken, dass es beim Entschädigungsverfahren letztlich nur um die Freiheitsbeschränkung bzw.- entziehung als solche ging und es unerheblich war, ob der Betroffene sich im Ghetto, ZAL oder Konzentrationslager aufgehalten und ob und durch wen vermittelt er Arbeiten verrichtet hat. Von daher bedurfte es keiner differenzierten Darstellung des Verfolgungsgeschehens bzgl. Ghettoarbeit (i.S.d. ZRBG) und Zwangsarbeit.
Auch sieht der Senat es nicht als glaubhaft an, dass in Lacka Wola ein Zwangsarbeitslager bestand. Zwar wird in diversen Werken (vgl. die Auflistung im Schriftsatz des Bevollmächtigten der Klägerin vom 29. August 2011, Bl. 255 ff der Verwaltungsakte) und auch im Haftstättenverzeichnis der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" ein ZAL in Lacka Wola aufgeführt, dies jedoch unter Übernahme der Angaben aus den ITS-Katalogen 1969 und 1979. Auffällig ist hierbei, dass sich in den ITS-Katalogen außer in der Spalte Schließung (Sommer 1943; amtl. Bericht) keinerlei Angaben zu diesem ZAL finden. Zudem gilt es die Ausführungen des Sachverständigen G in seinem Gutachten vom 20. Januar 2010 im Verfahren des LSG NRW (L 18(8) R 199/05) zum Zustandekommen der ITS-Informationen, d.h. zu der zweifelhaften Quellenlage, zu bedenken. Dagegen wird ein ZAL Lacka Wola (Volytsya) weder in den ausführlichen Werken zur nationalsozialistischen Judenverfolgung in Galizien/Westukraine von Pohl (a.a.O.), Sandkühler (a.a.O.) und Honigsman (a.a.O.) erwähnt, noch ist es im Handbuch der Lager in der Ukraine von Dubyk (a.a.O.) aufgeführt. Das vom Staatlichen Archivkomitee der Ukraine in 2000 herausgegebene Handbuch der Lager, Gefängnisse und Ghettos auf dem besetzten Territorium der Ukraine führt für den Rayon Mostys’ka nur das Ghetto Mostys’ka und das ZAL Balytschi (polnisch Balice) auf. Daher misst der Senat den sachnäheren Werken von Dubyk, Pohl, Sandkühler und Honigsman ein höheres Gewicht bei als den mageren Angaben aus zweifelhafter Quelle in den ITS-Katalogen von 1969 und 1979. Der Senat verkennt dabei nicht, dass ab Herbst 1941 wegen des forcierten Ausbaus der für die Wehrmacht wichtigen Straßen- und Eisenbahnlinien ("Straßenbau-Ost-Projekt" bzw. "Otto-Programm") auch im Distrikt Galizien zahlreiche Zwangsarbeitslager eingerichtet, und zwar zum Ausbau der Durchgangsstraße IV zwischen Lemberg und Tarnopol, wo bis zum Frühjahr 1942 15 Lager mit insgesamt 2500 Zwangsarbeitern entstanden (vgl. Mario Wenzel, "Zwangsarbeitslager für Juden in den besetzten polnischen und sowjetischen Gebieten", in "Der Ort des Terrors", Band 9 , hrsg. von Wolfgang Benz und Barbara Distel, S. 128, 130; Sandkühler a.a.O., Se. 144 ff, 147). Jedoch findet ein ZAL in Lacka Wola hierbei keine Erwähnung.
Die Klägerin hat auch glaubhaft gemacht, dass die Arbeit im Straßen- und Eisenbahnbau in Lacka Wola aus eigenem Willensentschluss zustande gekommen ist. Nach der Rechtsprechung des BSG dient das Merkmal einer aus eigenem Willensentschluss zustande gekommenen Beschäftigung der tatsächlichen Abgrenzung zur Zwangsarbeit. Insoweit kann auf das Gesetz zur Errichtung der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" (EVZStiftG) zurückgegriffen werden, das in seinem § 11 demjenigen eine Entschädigung wegen Zwangsarbeit zubilligt, der in einem Ghetto unter vergleichbaren Bedingungen (wie in einem Konzentrationslager) inhaftiert war und "zur Arbeit gezwungen wurde". Diese Wendung macht auch für das ZRBG deutlich, dass eine Situation, in der jemand (allgemein) zur Arbeit gezwungen "war", nach dem Gesetz noch keine Zwangsarbeit darstellt. Ein genereller (faktischer und rechtlicher) Arbeitszwang allein macht die mit Rücksicht darauf ausgeübte Tätigkeit nicht zur Zwangsarbeit und steht deshalb einer "Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss" nicht entgegen; eine solche ist vielmehr erst dann nicht mehr gegeben, wen jemand zu einer (spezifischen) Arbeit gezwungen "wurde" (vgl. BSG, Urteil vom 03. Juni 2009, B 5 R 26/08 R, juris, Rnr. 19). Im Lichte dessen ist Zwangsarbeit die Verrichtung von Arbeit unter obrigkeitlichem (hoheitlichem) Zwang, wie z.B. bei Kriegsgefangenen. Typisch ist dabei die obrigkeitliche Zuweisung von Arbeitern an bestimmte Unternehmen, ohne dass die Arbeiter selbst hierauf Einfluss haben. Eine verrichtete Arbeit entfernt sich umso mehr von dem Typus des Arbeits- und Beschäftigungsverhältnisses und nähert sich dem Typus Zwangsarbeit an, als sie durch hoheitliche Eingriffe überlagert wird, denen sich der Betroffene nicht entziehen kann (vgl. BSG, Urteil vom 03. Juni 2009, B 5 R 26/08 R, juris, Rnr. 20). Ob eine aus eigenem Willensentschluss im Sinne des ZRBG zustande gekommene Beschäftigung oder eine den eigenen Willensentschluss ausschließende Zwangsarbeit vorlag, ist vor dem Hintergrund der wirklichen Lebenslage im Ghetto zu beurteilen. Dabei sind die Sphären "Lebensbereich" und "Beschäftigungsverhältnis" grundsätzlich zu trennen; ebenso spielen die Beweggründe zur Aufnahme der Beschäftigung keine Rolle. Eine aus eigenem Willensentschluss aufgenommene Beschäftigung liegt vor, wenn der Ghetto-Bewohner noch eine Dispositionsbefugnis zumindest dergestalt hatte, dass er die Annahme oder Ausführung der Arbeit auch ohne Gefahr für Leib, Leben oder seine Restfreiheit ablehnen konnte. Davon ist regelmäßig auszugehen, wenn es sich um eine vom Judenrat angebotene Arbeit handelt, ohne dass im Einzelnen zu ermitteln wäre, wer letztlich als "Arbeitgeber" fungierte und wie das Verhältnis zwischen diesem, dem Beschäftigten und dem Judenrat ausgestaltet war (vgl. BSG, Urteil vom 03. Juni 2009, B 5 R 26/08 R, juris, Rnr. 21, 22; Urteil vom 02. Juni 2009, B 13 R 81/08 R, juris, Rnr. 21). Schließlich steht auch ein bestimmtes Lebensalter im Sinne einer Altersuntergrenze nicht der Annahme einer aus eigenem Willensentschluss aufgenommen Beschäftigung im Sinne des § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 a) ZRBG entgegen (vgl. BSG, Urteile vom 02. Juni 2009, B 13 R 139/08 R, und 14. Juli 1999, B 13 RJ 61/98 R, jeweils in juris). Die Voraussetzung der Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss ist vorliegend erfüllt. Die Klägerin hat wiederholt angegeben, dass sie die Tätigkeiten durch Vermittlung des Judenrates gefunden hatte, vgl. Antrag nach der Anerkennungsrichtlinie vom 20. Juni 2008 und persönliche Erklärung vom 28. Juli 2011. Soweit sie noch im Ghettofragebogen zum Rentenformantrag vom 05. November 2002 angegeben hatte, die Arbeit durch die "Germans" vermittelt bekommen zu haben, sieht der Senat darin keinen eklatanten Widerspruch. Schließlich waren es deutsche Stellen und Firmen, die in Galizien den Straßen- und Eisenbahnbau betrieben und sich wegen ihres Arbeitskräftebedarfes entweder an die neu eingerichteten Abteilungen für jüdische Arbeitnehmer bei den Arbeitsämtern oder direkt an die lokalen Judenräte wandten (vgl. Pohl a.a.O., S. 133 f). Dass die Klägerin mit ihren Tätigkeiten auch dem im August 1941 in Galizien für die jüdische Bevölkerung eingeführten allgemeinen Arbeitszwang nachkam, spricht im Lichte der Rechtsprechung des BSG nicht gegen ein freiwillig eingegangenes Beschäftigungsverhältnis. Auch sieht der Senat es als unschädlich an, dass die Klägerin und ihre Arbeitskolleginnen auf dem Weg von Moscisko zu den Baustellen in Lacka Wola und zurück durch einen "foremen" (Werkmeister/Vorarbeiter/Aufseher) begleitet wurden, denn durch diesen war der wegen der für die jüdische Bevölkerung bestehenden Aufenthaltsbeschränkungen in Ghettos (vgl. Pohl a.a.O., S. 157) notwendige Nachweis eines erlaubten Weges zur Arbeit möglich. Ebenso wenig vermag die durchgehende Bezeichnung als Zwangsarbeit im Entschädigungsverfahren zur Ablehnung des Merkmals "Freiwilligkeit" im Sinne der Ghetto-Rechtsprechung des BSG zu führen. Wie bereits oben dargelegt, bedurfte es im Entschädigungsverfahren keiner differenzierten Darstellung des Verfolgungsgeschehens bzgl. Ghettoarbeit (i.S.d. ZRBG) und Zwangsarbeit. Zudem bestand für die Verfolgten unter den nationalsozialistischen, vom Vernichtungswillen geprägten Repressionsmaßnahmen nachvollziehbar der Eindruck eines alle Lebensbereiche allumfassenden Zwangsverhältnisses. Zu bemerken ist hier noch, dass die Klägerin bereits bei der Rentenantragstellung im Jahr 1996 auf die Frage nach der ersten versicherungspflichtigen Beschäftigung ihre Tätigkeit im "Zwangsarbeitslager Lackawola" angegeben hatte.
Letztlich hatte der Senat auch keine durchgreifenden Bedenken, die geforderte Entgeltlichkeit der Beschäftigungen im Straßen- und Eisenbahnbau zu bejahen. "Entgelt" im Sinne von § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 b) ZRBG ist jegliche Entlohnung, gerade auch in Form von Nahrungsmitteln oder entsprechenden Lebensmittelkarten oder Gutscheinen (Coupons). Weitergehende Erfordernisse (z.B. Einhaltung einer Mindesthöhe oder die Miternährung einer anderen Person) müssen nicht erfüllt werden. Unerheblich ist, - ob das Entgelt nur "geringfügig" war oder zum Umfang der geleisteten Arbeit in keinem angemessenen Verhältnis stand, - ob als Entgelt nur Sachbezüge in Form freien Unterhalts (oder eines Teils davon) gewährt wurden, - ob das Entgelt unmittelbar von der Beschäftigungsstelle ("Arbeitgeber") oder von einer anderen Instanz (z.B. dem Judenrat) gewährt wurde (vgl. BSG, Urteile vom 02. Juni 2009, B 13 R 85/08 R und B 139/08 R, und 03. Juni 2009, B 5 R 26/08 R, jeweils in juris).
Die von der Klägerin im ersten ZRBG-Antrag von 2002 wie auch später glaubhaft angegebene Entlohnung durch "marks" (= Lebensmittelmarken) und "food" (Essen, Nahrung) erfüllt den Entgeltbegriff i.S. der Ghetto-Rechtsprechung des BSG. Soweit die Klägerin 1996 im Vordruck zur Beschäftigungsaufstellung zu den Fragen nach den Entgelten und Sachbezügen jeweils noch "0.00" eingetragen hatte, steht dies der vom Senat vorgenommenen Bewertung nicht zwingend entgegen. Zu bedenken ist hier, dass die Entlohnung in Form von einfachsten Mahlzeiten (i.d.R. Suppe und Brot) am Arbeitsplatz und Lebensmittelmarken zwar für den Betroffenen überlebensnotwendig war, jedoch weder für ihn noch für die seinerzeitige (wie auch heutige) Bevölkerung wenig mit einem üblichen Arbeitslohn gemein hatte. Von daher ist es nicht weiter verwunderlich, wenn die entsprechenden Fragen zum Arbeitsentgelt/-einkommen von der Klägerin zunächst mit "0.00" beantwortet wurden. Dass die Entlohnung durch Gewährung einer Mahlzeit und von Lebensmittelmarken gleichwohl einen gewissen Wert hatte, ergibt sich aus den historischen Umständen. Die Lebensmittelversorgung nicht nur der jüdischen Bevölkerung war in Galizien durch eine sich ständig verschärfende Rationierung ("Politik des Aushungerns", Lebensmittelproduktion in erster Linie für das Reich und die Wehrmacht) und damit verbundene Hungersnöte geprägt (vgl. Sandkühler a.a.O., S. 116 ff; s. auch zur Wirtschaftsausbeutung in der Landwirtschaft: Pohl a.a.O. S. 100 f).
Schließlich bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass die geltend gemachten Ghetto-Beitragszeiten beim Social Security Service oder in einem anderen System der sozialen Sicherheit zu Gunsten der Klägerin rentensteigernd berücksichtigt werden (§ 1 Abs. 1 S. 1 Nr.1 Buchst. a ZRBG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt der Entscheidung in der Sache.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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