L 1 KR 298/15

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 208 KR 2618/13
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 298/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 30. Juni 2015 wird aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen. Diese haben ihre Kosten selbst zu tragen. Die Revision wird nicht zugelassen. Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 5.000,- EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Im Streit steht, ob der Beigeladene zu 1) (nachfolgend nur noch: "der Beigeladene") bei der Klägerin in der Zeit vom 1. Januar 2013 bis zum 31. Mai 2013 versicherungspflichtig beschäftigt war.

Der Beigeladene ist seit Ende 2008 Gesellschafter der Klägerin mit einem Anteil von 1/3 der Stammeinlagen. Auch die beiden anderen Mitgesellschafter haben einen Anteil von einem Drittel. Geschäftsführerin war zunächst die Mitgesellschafterin Frau R. Auf den Gesellschaftsvertrag der Klägerin vom 11. Dezember 2008 wird ergänzend verwiesen.

Die Klägerin und der Beigeladene schlossen am 19. Dezember 2012 mit Wirkung vom 1. Januar 2013 einen als Arbeitsvertrag bezeichneten Vertrag über die Tätigkeit als leitender Angestellter.

Der Beigeladene beantragte am 12. April 2013 bei der Beklagten die Feststellung des sozialversicherungsrechtlichen Status seiner Tätigkeit als mitarbeitender Gesellschafter der Klägerin. Diese verwies auf die Klausel in § 7 des Gesellschaftsvertrages, wonach in der Gesellschafterversammlung die Beschlüsse mit ¾ Mehrheit der abgegebenen Stimmen gefasst würden, soweit nicht die Satzung oder das Gesetz zwingend eine andere Mehrheit vorschrieben. Der Abschluss eines gesonderten Dienstvertrages, der die Mitarbeit des Gesellschafters in der Gesellschaft regele, sei kein Kriterium für ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis, sondern nach dem steuerrechtlichen Verständnis notwendige Voraussetzung zur Dokumentation der Vergütungsabreden einer Kapitalgesellschaft.

Die Beklagte stellte mit Bescheid vom 23. Mai 2013 gegenüber dem Beigeladenen und der Klägerin fest, dass dessen Tätigkeit als mitarbeitender Gesellschafter im Rahmen einer abhängigen Beschäftigung ausgeübt werde und Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung bestehe.

Die Klägerin erhob hiergegen am 29. Mai 2013 Widerspruch.

Der Beigeladene wurde mit Wirkung vom 1. Juni 2013 zum Geschäftsführer bestimmt. Die Klägerin und er schlossen einen Geschäftsführer-Vertrag.

Auf Antrag des Beigeladenen stellte die Beklagte mit Bescheid vom 28. August 2013 fest, dass der Beigeladene ab dem 1. Juni 2013 in seiner Tätigkeit als Geschäftsführer nicht mehr abhängig beschäftigt sei und nicht der Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung unterliege. Sie wies den Widerspruch gegen ihren Bescheid vom 23. Mai 2013 mit Widerspruchsbescheid vom 12. November 2013 als unbegründet zurück.

Die Klägerin hat hiergegen am 12. Dezember 2013 Klage vor dem Sozialgericht Berlin (SG) erhoben. Zur Klagebegründung hat die Klägerin vorgebracht, der Beigeladene sei als leitender Angestellter ohne jegliche Vorgaben an Arbeitsort oder Arbeitszeit tätig geworden. Er sei ausschließlich im kaufmännischen Bereich tätig. Ihm obliege die gesamte Projektsteuerung sowie die Strukturierung von EDV-Systemen. Er sei von den Beschränkungen des § 181 BGB ausgenommen gewesen.

Das SG hat mit Urteil vom 30. Juni 2015 den Bescheid der Beklagten vom 23. Mai 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. November 2013 aufgehoben und festgestellt, dass die Tätigkeit des Beigeladenen für die Klägerin vom 1. Januar 2013 bis 31. Mai 2013 nicht der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung unterlegen habe. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass der Beigeladene aufgrund der Bestimmung im Gesellschaftsvertrag, dass ein Gesellschafterbeschluss nur mit einer ¾ Mehrheit möglich sei, ungeachtet eines Stimmanteils von einem Drittel der Stimmrechte eine Sperrminorität habe und Gesellschafterbeschlüsse verhindern könne. Er sei zwar nicht als Geschäftsführer tätig, dennoch seien Weisungen durch die Geschäftsführerin für ihn letztlich ohne Folge. Es sei der Geschäftsführerin nicht möglich, Konsequenzen aus einer Missachtung von Weisungen zu ziehen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten vom 27. Juli 2015. Ein nicht zum Geschäftsführer bestellter mitarbeitender Gesellschafter mit Sperrminorität habe keinen maßgeblichen Einfluss auf die Geschicke der Gesellschaft, welcher ein Beschäftigungsverhältnis von vornherein ausschließe. Seine Rechtsmacht erschöpfe sich darin, Beschlüsse der Gesellschafterversammlung zu verhindern. Das ihm tatsächlich keine Weisungen erteilt wurden, sei unbeachtlich. Der Beigeladene habe funktionsgerecht dienend am Arbeitsprozess der Klägerin teilgenommen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 30. Juni 2015 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angegriffene Urteil. Zur Begründung hat sie erneut darauf hingewiesen, dass die Vereinbarung eines Dienstverhältnisses ausschließlich aus steuerlichen Gründen zur Vermeidung der Annahme verdeckter Gewinnausschüttungen erfolgt sei. Das Bundessozialgericht (BSG) betone als wichtigen Gesichtspunkt für die Annahme einer selbständigen Tätigkeit die Möglichkeit, unliebsame Weisungen des Arbeitgebers bzw. Dienstberechtigten gegen sich abzuwenden (Bezugnahme auf BSG, Urteil vom 19. August 2015 – B 12 KR 9/14 R – Rdnr. 35).

Entscheidungsgründe:

Es kann im schriftlichen Verfahren entschieden werden. Alle Beteiligten haben sich mit dieser Vorgehensweise einverstanden erklärt, §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Die Berufung hat Erfolg. Das Sozialgericht hat der Klage zu Unrecht stattgegeben. Der streitgegenständliche Bescheid in der Fassung des Widerspruchsbescheides ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Der Beigeladene war bei ihr in der Zeit vom 1. Januar 2013 bis zum 31. Mai 2013 versicherungspflichtig beschäftigt.

Der Eintritt von Versicherungspflicht in den einzelnen Zweigen der Sozialversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung wegen Aufnahme einer abhängigen Tätigkeit bestimmt sich nach § 25 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch und § 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch. Die für den Eintritt von Versicherungspflicht in der Arbeitslosenversicherung sowie der Rentenversicherung danach erforderliche Beschäftigung wird in § 7 Abs. 1 SGB IV näher definiert. Beschäftigung ist die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB IV eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers. Abzugrenzen ist die eine Versicherungspflicht begründende abhängige Beschäftigung von einer selbständigen Tätigkeit. Nach der Rechtsprechung des BSG liegt Beschäftigung vor, wenn die Tätigkeit in persönlicher Abhängigkeit erbracht wird. Dieses Merkmal ist bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb gegeben, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und mit seiner Tätigkeit einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung erfassenden Weisungsrecht unterliegt. Dabei kann sich die Weisungsgebundenheit insbesondere bei Diensten höherer Art zu einer funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess verfeinern. Dagegen ist eine selbständige Tätigkeit durch ein eigenes Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen freie Gestaltung von Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob eine abhängige Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit vorliegt, richtet sich danach, welche der genannten Merkmale bei Betrachtung des Gesamtbildes der Verhältnisse überwiegen (vgl. zum Ganzen BSG Urt. v. 25. April 2012 – B 12 KR 24/10 R – juris-Rdnr. 16).

Ausgangspunkt der Prüfung, ob der Beigeladene bei der Klägerin im Rahmen einer Beschäftigung oder als Selbständige tätig wurde, sind die für seine Tätigkeit maßgeblichen vertraglichen Vereinbarungen.

Nach dem Arbeitsvertrag vom 19. Dezember 2012 ist eine abhängige Beschäftigung vereinbart. Vertragsgegenstand ist nach § 1 die Tätigkeit als leitender Angestellter. Der Beigeladene erhielt eine monatliche Grundvergütung, und arbeitnehmertypisch einen Urlaubsanspruch, sowie Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall nach den "jeweils geltenden gesetzlichen Bestimmungen" (§ 5 Nr. 1.3 des Arbeitsvertrags). Welche Motive hinter dem Abschluss der Vereinbarung gestanden haben könnten, ist für die vom Arbeitsvertrag ausgehenden Rechtswirkungen nicht relevant.

Ist danach also von abhängiger Beschäftigung auszugehen, wird dieses Ergebnis auch nicht durch den Umstand geändert, dass der Beigeladene innerhalb der Klägerin als Gesellschafter eine Sperrminorität besaß und besitzt. Ein GmbH-Gesellschafter, der von der GmbH angestellt und nicht einmal zum Geschäftsführer bestellt wurde, besitzt allein aufgrund seiner gesetzlichen Gesellschafterrechte in der Gesellschafterversammlung nicht regelmäßig zugleich auch die Rechtsmacht, seine Weisungsgebundenheit als Angestellter der Gesellschaft nach Belieben aufzuheben oder auch nur abzuschwächen. Die Dienstaufsicht und das Weisungsrecht über die Angestellten der GmbH ist Sache der laufenden Geschäftsführung und nicht der Gesellschafterversammlung (BSG, Urteil vom 11. November 2015 – B 12 R 2/14 R – Rdnr. 37 mit weiteren Nachweisen). Die laufenden Geschäfte der Klägerin führte in der streitgegenständlichen Zeit die Geschäftsführerin R. Weder der Gesellschaftsvertrag der Klägerin noch der Arbeitsvertrag enthalten Regelungen, die dem entgegenstünden. § 5 des Gesellschaftsvertrages enthält keine Regelung, welche ein Weisungsrecht der Gesellschafterversammlung gegenüber Beschäftigten bedeuten würde.

Der Beigeladene hat auch nur eingeschränkt ein unternehmerisches Risiko getragen. Maßgebendes Kriterium für ein derartiges Risiko ist der Einsatz von Kapital oder der eigenen Arbeitskraft, verbunden mit der Gefahr des Verlustes, sodass der Erfolg des Einsatzes der sächlichen und persönlichen Mittel ungewiss ist. Ein derartiger Sachverhalt ist hier nicht gegeben. Er hatte einen Anspruch auf eine monatliche Vergütung unabhängig vom Erfolg seiner Tätigkeit und trug damit nicht das Risiko, den Einsatz seiner Arbeitskraft nicht vergütet zu bekommen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197 a SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.

Die Streitwertfestsetzung, die unanfechtbar ist, folgt aus § 197a SGG in Verbindung mit §§ 63 Abs. 2, 52 Abs. 1, Abs. 2 Gerichtskostengesetz.
Rechtskraft
Aus
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