L 23 AY 6/18 B ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
23
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 181 AY 11/18 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 23 AY 6/18 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 26. Februar 2018 aufgehoben. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt. Außergerichtliche Kosten des Antragstellers des gesamten Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.

Gründe:

Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 26. Februar 2018, mit dem der Antragsgegner verpflichtet wurde, dem Antragsteller vorläufig für die Zeit vom 26. Februar 2018 bis zum 7. Mai 2018 Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylblG) zu gewähren, ist zulässig und begründet.

Das Sozialgericht hat die einstweilige Anordnung zu Unrecht erlassen.

Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Die Notwendigkeit der vorläufigen Regelung (Anordnungsgrund) und der geltend gemachte Anspruch (Anordnungsanspruch) sind glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs. 2 Satz 3 SGG i. V. m. §§ 920 Abs. 2, 294 Zivilprozessordnung - ZPO). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.

Vorliegend bestand aufgrund der bestandskräftigen Ablehnung des Antrages auf Bewilligung von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz vom 13. Dezember 2017 mit Bescheid vom 14. Dezember 2017 bereits kein einer Regelung zugängliches und für die Statthaftigkeit eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung erforderliches "streitiges Rechtsverhältnis" (mehr). Der von der Prozessbevollmächtigten des Antragstellers mit dem Antrag beim Sozialgericht vorgelegte, mit Schreiben vom 10. Januar 2018 verfasste "Widerspruch gegen den Bescheid zur Aufhebung der Leistungen nach dem AsylbLG" befindet sich nicht in dem vom Senat beigezogenen Verwaltungsvorgang des Antragsgegners und wurde ausweislich der im erstinstanzlichen Verfahren eingereichten Faxkopie auch an eine unzutreffende Faxnummer nämlich an "030-xxxx-xxxx" (laut Internet: Fax-Nr. "A am Ostkreuz") anstelle der im Bescheid angegebenen Faxnummer des Antragsgegners (030-9028-6004) abgesandt. Der beim Antragsgegner am 21. März 2018 eingegangene Schriftsatz der Antragstellerin vom 13. März 2018 zur "Begründung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 14. Dezember 2017" wahrt nicht die Monatsfrist des § 84 Abs. 1 SGG zur Erhebung eines Widerspruchs. Da der Ablehnungsbescheid danach bestandskräftig ist, ist ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG, der zwar vor und auch während eines Widerspruchs- bzw. Hauptsacheverfahrens gestellt werden kann, nicht mehr statthaft (vgl. zur Problematik: Peters-Sautter-Wolf, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit § 86 b SGG, Rn. 81; Keller, a.a.O. § 86b Rn. 26d; Kopp-Schenke, Kommentar zur Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -, 17. Auflage, § 123 VwGO, Rn. 18; Dombert, in: Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 5. Aufl., 2008, Rn. 98, m. w. N.; Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 03. September 2014 - L 20 AS 2061/14 B ER -, Rn. 7, juris; LSG Saarland, Beschluss vom 11. August 2005 - L 9 B 4/05 AS - juris -; BayLSG, Beschluss vom 23. September 2010 - L 7 AS 651/10 B ER - juris; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 10. Februar 2006 - L 19 B 112/05 AS-ER - juris).

Die Bestandskraft einer ablehnenden behördlichen Entscheidung darf auch nicht dadurch unterlaufen werden, dass der dennoch bei Gericht gestellte Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz entgegen seines Erklärungsinhalts als Neuantrag an die Behörde fingiert wird, der ohne weiteres zur Zulässigkeit gerichtlichen Eilrechtsschutzes führt, wie das SG in dem angefochtenen Beschluss wohl meint.

Auch soweit das Schreiben der Prozessbevollmächtigten vom 13. März 2018 oder der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz selbst als Überprüfungsantrag nach § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - SGB X - ausgelegt werden kann, führt dies nicht zur Zulässigkeit des Antrages nach § 86b Abs. 2 SGG. Der Senat hält die Auffassung, dass ein Antrag auf die einstweilige Gewährung bestandskräftig abgelehnter Leistungen dann nicht unzulässig sei, wenn die Möglichkeit der Durchbrechung der Bestandskraft des Ablehnungsbescheids im Ergebnis eines noch nicht abgeschlossenen Überprüfungsverfahrens bestehe (so LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 01. November 2011 - L 25 AS 1646/11 B ER, zitiert nach juris), für nicht vertretbar (ebenso Sächsisches LSG, Beschluss vom 26. Mai 2011 - L 3 AS 378/11 B ER - m.w.N.; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 10. April 2012 - L 20 AS 702/12 B ER, L 20 AS 703/12 B PKH -, Beschluss vom 07. September 2010 - L 5 AS 1480/10 B ER; LSG Bayern, Beschluss vom 5. Februar 2009 - L 11 AS 20/09 B ER; LSG Thüringen, Beschluss vom 30. Oktober 2008 - L 9 AS 626/08 ER; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 13. Juni 2007 - L 7 AS 2050/07 ER-B; LSG Saarland, Beschluss vom 11. August 2005 - L 9 B 4/05 AS; jeweils zitiert nach juris). Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, der den Erlass einer vorläufigen Regelung bis zum bestandskräftigen Abschluss eines bestimmten Verwaltungsverfahrens zum Gegenstand hatte, kann nicht dahingehend ausgelegt oder umgedeutet werden, dass er nunmehr den Erlass einer vorläufigen Regelung während des Überprüfungsverfahrens nach § 44 SGB X zum Gegenstand haben soll. Denn eine einstweilige Anordnung dient dazu, das jeweilige Hauptsacheverfahren zu flankieren. Ein anderer Anspruch als der im jeweiligen Hauptsacheverfahren verfolgte kann deshalb mit einer einmal beantragten einstweiligen Anordnung nicht gesichert werden (vgl. Dombert, in: Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitver-fahren 5. Aufl., 2008, Rn. 230). Auch eine Regelungsanordnung kann nach dem Wortlaut von § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG nur "in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis" ergehen. Der Anspruch auf Überprüfung nach § 44 SGB X ist aber ein vom Gesetzgeber geschaffener, im Vergleich zum ursprünglichen Leistungsanspruch eigenständiger Anspruch mit weiteren, eigenständigen formellen und materiellen Tatbestandsvoraussetzungen. Vorläufiger gerichtlicher Rechtsschutz in Bezug auf das Verfahren nach § 44 SGB X kann deshalb nur im Rahmen eines neuen Antrages auf Erlass einer einstweiligen Anordnung erlangt werden (vgl. bereits SächsLSG, Beschluss vom 25. August 2008 - L 3 B 317/08 AS-ER - juris).

Erst Recht begründet nicht der bei Gericht gestellte Antrag auf Leistungsgewährung im Rahmen des Erlasses einer einstweiligen Anordnung durch das Gericht ein streitiges Rechtsverhältnis mit der Behörde und damit die Statthaftigkeit des Erlasses einer einstweiligen Anordnung. Selbst wenn mit dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung bei Gericht ein Leistungsantrag gegenüber der Behörde als gestellt anzusehen wäre - wie das Sozialgericht im vorliegenden Fall angenommen hat - (zu Recht ablehnend: Wahrendorf in Roos/Wahrendorf, SGG, 2014, § 86b Rn 172, Dombert a.a.O. Rn 95; a.A.: Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, § 86b Rn. 26b), bliebe der Erlass einer einstweiligen Anordnung unzulässig. Denn hat sich der Rechtsschutzsuchende nicht zuvor an die Behörde gewandt, fehlt es grundsätzlich am Rechtsschutzbedürfnis für die Inanspruchnahme der Gerichte (LSG Bayern v. 14.06.2016 - L 15 SB 97/16 B ER - juris Rn. 13; LSG Nordrhein-Westfalen v. 24.01.2012 - L 12 AS 1773/11 B ER - juris Rn. 18; Keller a.a.O. 26b; Krodel/Feldbaum, Das sozialgerichtliche Eilverfahren, Rn. 30; Meßling in: Hauck/Behrend, SGG, § 86b Rn. 143, Std. Dezember 2014). Dies ist auch dann verfassungsrechtlich unbedenklich, wenn die Behörde in der Vergangenheit Leistungen nicht ohne weiteres gewährt hat (BVerfG (K) v. 30.10.2009 - 1 BvR 2442/09 - juris Rn. 4 - BVerfGK 16, 347 (348). Es obliegt dem Betroffenen, einen Antrag so rechtzeitig zu stellen, dass er bei Untätigkeit der Behörde oder einer negativen Entscheidung dann in zulässiger Weise um gerichtlichen Rechtsschutz nachsuchen kann (Burkiczak in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl. 2017, § 86b SGG, Rn. 311).

Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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