L 1 KR 318/16

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 208 KR 366/15
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 318/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 24. Mai 2016 wird aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese jeweils selbst zu tragen haben. Die Revision wird zugelassen. Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 3.895,07 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Im Streit ist ein Prüfbescheid der Beklagten, mit dem diese Beiträge für die Beigeladene zu 1 (nachfolgend nur noch: "die Beigeladene") fordert. Der Sache nach geht es um die Frage, ob das so genannte Werkstudentenprivileg einschlägig ist.

Die Klägerin betreibt eine sprachtherapeutische Praxis. Die 1985 geborene Beigeladene ist Logopädin und war seit dem 2. März 2009 für die Klägerin tätig. Sie wurde von dieser in der Zeit vom 2. März 2009 bis zum 31. Dezember 2011 sowie ab dem 1. November 2014 als versicherungspflichtig in allen Zweigen der Sozialversicherung gemeldet. Sie schrieb sich ab 1. April 2010 an der Fernuniversität H als Teilzeitstudentin im Bachelor-Studiengang Kulturwissenschaften ein.

Am 7. Dezember 2011 schlossen die Klägerin und die Beigeladene einen als "Ergänzung zum Arbeitsvertrag vom 20.02.2009" bezeichneten Vertrag. Ab 1. Januar 2012 sollte die Arbeitszeit 15 Stunden pro Woche betragen, 15 Therapien pro Woche, 65 Therapien pro Monat. Es werde an drei Tagen pro Woche gearbeitet.

Die Beigeladene belegte in den Jahren 2012 und 2013 in ihrem Fernstudium jeweils Kurse mit insgesamt acht Semesterwochenstunden Bei einem Teilzeitstudium geht die Fernuniversität H von einer wöchentlichen Studienbelastung von 19 oder 20 Stunden aus, das heißt der Hälfte der für ein Vollzeitstudium vorgesehenen Belastung. Ein Teilzeitstudierender hat ein Modul pro Semester zu bearbeiten. Ein Modul umfasst 450 Arbeitsstunden.

Die Klägerin entrichtete in den Jahren 2012 und 2013 für die Beigeladene Beiträge zur Rentenversicherung, nicht aber zur Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung. Die Beklagte führte bei der Klägerin in der Zeit vom 15. Juli 2014 bis zum 9. September 2014 eine Betriebsprüfung für den Zeitraum 1. Januar 2010 bis zum 31. Dezember 2013 durch. Dabei gab die Klägerin an, dass die Beigeladene nur 15 Therapieeinheiten á 45 Minuten – entsprechend 13,75 Stunden pro Woche – bei ihr tätig sei. Die Beigeladene erklärte an Eides Statt, dass sie für ihr Fernstudium wöchentlich mehr Arbeitszeit und Arbeitskraft investiere.

Nach vorheriger Anhörung forderte die Beklagte von der Klägerin mit Bescheid vom 21. Oktober 2014 insgesamt 3.895,07 Euro an Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung sowie zur Arbeitsförderung für die Beigeladene nach. Diese sei abhängig Beschäftigte. Die Befreiungen von der Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung für die Beschäftigung von Studenten griffen nicht ein. Versicherungsfrei seien nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) sowie § 27 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) für die Dauer des Studiums ordentlich Studierende einer Hochschule oder einer der fachlichen Ausbildung dienenden Schule (Fachschule). Gesetzliches Leitbild des Werkstudentenprivilegs seien Studierende, die neben ihrem Studium eine entgeltliche Beschäftigung ausübten, um sich durch Arbeit die zur Durchführung des Studiums und zur Bestreitung ihres Lebensunterhaltes erforderlichen Mittel zu verdienen. Die Beschäftigung sei nur versicherungsfrei, wenn und solange sie neben dem Studium ausgeübt werde und diesem nach Zweck und Dauer untergeordnet sei, also das Studium die Hauptsache und die Beschäftigung die Nebensache sei. Das Studium der Beigeladenen sei nicht ihre Hauptsache. Sie habe den Status einer Teilzeitstudentin inne. Anlage des Bescheides war eine Berechnung der konkreten Beiträge.

Die Klägerin erhob hiergegen am 10. November 2014 Widerspruch und wiederholte ihr Vorbringen. Der Sachverhalt sei so mit der Beigeladenen zu 2 abgestimmt worden. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 5. Februar 2015 zurück. Zur Begründung führte sie ergänzend aus, für Teilzeitstudenten gelte das Werkstudentenprivileg generell nicht. Der tatsächliche Zeitaufwand für das Studium bzw. für die Beschäftigung sei deshalb unbeachtlich.

Hiergegen hat die Klägerin am 3. März 2015 Klage beim Sozialgericht Berlin (SG) erhoben. Für das Studium habe die Beigeladene eindeutig mehr Zeit aufwenden müssen als auf ihrer Arbeit als Logopädin.

Der Beklagte hat darauf hingewiesen, dass die Beigeladene im streitgegenständlichen Zeitraum immer nur Kurse bzw. Module im Umfang eines Teilzeitstudiums absolviert habe.

Die Beigeladene hat eine Aufstellung für den zeitlichen Aufwand des Studiums eingereicht.

Das SG hat mit Urteil vom 24. Mai 2016 (Zustellung: 14. Juni 2016) den Bescheid der Beklagten vom 21. Oktober 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Februar 2015 aufgehoben und festgestellt, dass die Beigeladene im Rahmen ihrer Tätigkeit für die Klägerin in der Zeit vom 1. Januar 2012 bis zum 31. Januar 2013 nicht der Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung unterlegen habe. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Beschäftigung sei hier neben dem Studium ausgeübt worden und habe nicht die überwiegende Zeit und Arbeitskraft der Beigeladenen in Anspruch genommen. Die wöchentliche Arbeitszeit habe auch nicht die Grenze von 20 Stunden überschritten. Die Beigeladene habe angegeben, montags von 11.00 Uhr bis 20.00 Uhr studiert zu haben, mittwochs von 10.00 Uhr bis 17.00 Uhr oder von 11.00 Uhr bis 20.00 Uhr, donnerstags und freitags von 08.00 Uhr bis 10.00 Uhr morgens oder von 18.00 Uhr bis 20.00 Uhr abends, samstags von 12.00 Uhr bis 14.00 Uhr. Vor Prüfungen habe sie das ganze Wochenende zur Vorbereitung genutzt, also samstags und sonntags von 11.00 Uhr bis 19.00 Uhr. Dies bestätige jedenfalls einen Zeitaufwand von mindestens 20 Stunden wöchentlich. Bei einem Teilzeitstudierenden sei die Inanspruchnahme des Werkstudentenprivilegs nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Die Rechtsprechung des Bundessozialgericht (BSG) stelle gerade nicht allein auf den förmlichen Status als Studierenden ab. Derjenige, der seinen Studienaufwand realistisch mit dem Umfang eines Teilzeitstudiums einschätze, würde gegenüber demjenigen benachteiligt, der sich als Vollzeitstudent immatrikuliere, weniger als 20 Stunden wöchentlich arbeite, aber lediglich das Studienpensum eines Teilzeitstudenten schaffe. Auch das Urteil des hiesigen Gerichts vom 11. Juni 2008 (L 9 KR 1041/05) stehe der Auffassung des SG nicht entgegen. Danach schließe der Status als Teilzeitstudent die Inanspruchnahme des Werkstudentenprivilegs grundsätzlich aus, wenn die Studienordnung vorsehe, dass als Teilzeitstudent immatrikuliert werde, wer wegen einer gleichzeitig ausgeübten beruflichen Tätigkeit oder einer gleichartigen zeitlichen Belastung nicht mehr als die Hälfte des für das Vollzeitstudium vorgesehenen Studienumfanges erbringen könne. Die Zulassungs- und Einschreibungsordnung der Fernuniversität sehe eine solche Voraussetzung für das Teilzeitstudium aber nicht vor.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten vom 30. Juni 2016. Zu deren Begründung hat sie ihr bisheriges Vorbringen wiederholt und vertieft. Sie beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 24. Mai 2016 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Nach der Rechtsprechung komme es sehr wohl auf die Zeitverteilung für das Studium und die Arbeit an. Nach der durchgeführten Beweisaufnahme habe die Beigeladene nicht mehr als maximal 15 Stunden in der Woche gearbeitet, aber mindestens 20 Stunden in der Woche studiert.

Entscheidungsgründe:

Es konnte im schriftlichen Verfahren entschieden werden, §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Alle Beteiligten haben sich mit einer solchen Vorgehensweise einverstanden erklärt.

Die Berufung der Beklagten hat Erfolg. Die Klage ist abzuweisen, da der streitgegenständliche Bescheid vom 21. Oktober 2014 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 5. Februar 2015 rechtmäßig ist und die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzt. Gleichzeitig besteht kein Anspruch auf die begehrte Feststellung.

Rechtsgrundlage des angefochtenen Bescheides ist § 28p Abs. 1 Satz 5 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV). Danach erlassen die Träger der Rentenversicherung im Rahmen ihrer Prüftätigkeit (§ 28p Abs. Satz 1 SGB IV) Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung einschließlich der Widerspruchsbescheide gegenüber den Arbeitgebern. Der Eintritt von Versicherungspflicht in den einzelnen Zweigen der Sozialversicherung und der Arbeitsförderung wegen Aufnahme einer abhängigen Beschäftigung bestimmt sich nach § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB III, § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V, § 1 Nr. 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch und § 20 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Elftes Buch. Die für den Eintritt von Versicherungspflicht in der Arbeitslosenversicherung sowie der Kranken-, Renten- und sozialen Pflegeversicherung danach erforderliche Beschäftigung lag bei der Beigeladenen unstrittig vor.

Die Voraussetzungen für eine Befreiung nach dem so genannten Werkstudentenprivileg nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 SGB V bzw. § 1 Abs. 2 Satz 1, § 20 Abs. 1 Satz 1 SGB XI sowie nach § 27 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 SGB III sind nicht erfüllt.

Nach der Rechtsprechung des BSG genügt für die Versicherungsfreiheit aufgrund des Werkstudentenprivilegs das formale Kriterium des förmlichen Status Student alleine aufgrund Immatrikulation nicht. Vielmehr muss das Studium Zeit und Arbeitskraft des Studenten überwiegend in Anspruch nehmen. Er muss trotz Beschäftigung seinem Erscheinungsbild nach Student bleiben (vgl. BSG, Urteil vom 11. November 2003 - B 12 KR 5/03 R - juris – Rdnr. 14). Das BSG fasst die bisherige Rechtsprechung u. a. in der hier einschlägigen Fallgruppe zusammen, dass die Studenten eine vor Studiumbeginn ausgeübte Beschäftigung auch während ihres Studiums fortsetzen. Regelmäßig hat das BSG in diesen Fällen Versicherungsfreiheit verneint, auch wenn die Arbeitszeit mit Rücksicht auf das Studium verringert worden ist (BSG, a.a.O. Rdnr. 18 mit Bezugnahmen). In all diesen Entscheidungen hat allerdings zwischen der fortgeführten Berufstätigkeit und dem Studium ein enger innerer Zusammenhang bestanden, dem für die Feststellung des Erscheinungsbildes eine größere Bedeutung beigemessen wurde als die zeitliche Inanspruchnahme durch die Beschäftigung. Der Senat folgt jedoch der vom 9. Senat im Hause in dessen genanntem Urteil vom 11. Juli 2008 geäußerten Auffassung, dass alleine aus dem Status einer Teilzeitstudentin daraus zu schließen ist, das Studium nehme die so studierende Beschäftigte nicht überwiegend in Anspruch (LSG Berlin-Brandenburg, a.a.O., juris-Rdnr. 28 unter Berufung auf ein Besprechungsergebnis der Spitzenverbände der Sozialversicherungsträger vom 29./30. April 1996 und auf LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 30. März 2001 – L 2 AL 17/99). Dies gilt auch, obwohl die Fernuniversität H, anders als die Universität in dem vom 9. Senat entschiedenen Fall, ein Teilzeitstudium nicht nur bei einer ausdrücklichen Erklärung zulässt, wegen einer gleichzeitig ausgeübten beruflichen Tätigkeit oder einer gleichartigen zeitlichen Belastung nicht mehr als die Hälfte des nach der Studienordnung für das Vollzeitstudium vorgesehene Studienumfang aufwenden zu können, sondern der freien Entscheidung überlässt. Maßgeblich können nämlich nicht die Immatrikulationsbedingungen der jeweiligen Universität sein. Vielmehr ergibt sich bereits aus dem Status eines Teilzeitstudierenden im Umfang von maximal 20 Stunden pro Woche, dass das Studium die Studenten nicht überwiegend in Anspruch nimmt (noch weitergehend: LSG Sachsen-Anhalt, a. a. O. juris-Rdnr. 40: Vollimmatrikulation erforderlich). Da die tatsächliche wöchentliche Studiendauer bzw. der tatsächlich betriebene Aufwand für das Studium nicht überprüfbar sind und eine solche Kontrolle auch nicht praktikabel wäre, ist bei einem offiziellen Teilzeitstudium per se von einem reduzierten Aufwand auszugehen (ebenso bereits SG München, Urteil vom 26. Februar 2009 – S 17 R 2675/05). Zutreffend hat die Beklagte ergänzend darauf hingewiesen, dass die Beigeladene hier auch rein tatsächlich nur Module im Umfang des Teilzeitstudiums absolviert hat. Dass sie hierfür womöglich mehr Zeit aufgewendet hat, als für die Arbeit bei der Klägerin, kann –wie ausgeführt- nicht relevant sein.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a SGG i. V. m. §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO.

Die Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen.

Der Beschluss über den Streitwert, der nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar ist, folgt aus § 52 Abs. 1, Abs. 2 Gerichtskostengesetz.
Rechtskraft
Aus
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