L 18 AL 26/18

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
18
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 84 AL 609/14
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 18 AL 26/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 11 AL 35/18 B
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 8. Januar 2018 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten um die Höhe des der Klägerin ab 1. Januar 2014 zustehenden Arbeitslosengeldes (Alg).

Die 1956 geborene Klägerin war seit dem 3. März 1979 bei der D T AG bzw deren Rechtsvorgängern beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete zum 31. Mai 2012 durch Aufhebungsvertrag gegen Zahlung einer Abfindung iHv 215.589,83 EUR brutto.

Aufgrund von Sperrzeiten wegen Arbeitsaufgabe und verspäteter Arbeitsuchendmeldung (Bescheide vom 23. Juli 2012) und wegen des Ruhens des Alg-Anspruches im Hinblick auf die Entlassungsentschädigung bewilligte die Beklagte der Klägerin - zuletzt mit Bescheid vom 23. August 2012 - für die Zeit ab 21. April 2013 Alg iH eines tgl Leistungsbetrages von 47,78 EUR bis zum 28. Mai 2014 (ursprüngliche Anspruchsdauer ab 1. Juni 2012 540 Tage; tgl Bemessungsentgelt 136,58 EUR). Wegen Aufnahme einer versicherungspflichtigen, zuletzt bis 31. Dezember 2013 befristeten Beschäftigung der Klägerin ab 15. November 2012 hob die Beklagte die Alg-Bewilligung mWv selben Tag auf (Bescheid vom 15. November 2012).

Am 18. Dezember 2013 meldete sich die Klägerin mWv 1. Januar 2014 arbeitslos. Die Beklagte bewilligte ihr Alg für die Zeit ab 1. Januar 2014 iH eines tgl Leistungsbetrages von 28,30 EUR (Bescheid vom 16. Januar 2014; tgl Bemessungsentgelt 70,12 EUR). Den Widerspruch, mit dem die Klägerin die Berücksichtigung eines höheren Bemessungsentgelts aus ihrer früheren Beschäftigung begehrte, wies die Beklagte zurück (Widerspruchsbescheid vom 30. Januar 2014). MWv 1. August 2014 hob die Beklagte die Alg-Bewilligung wegen einer Beschäftigungsaufnahme der Klägerin auf (Bescheid vom 25. Juli 2014).

Mit Urteil vom 8. Januar 2018 hat das Sozialgericht (SG) Berlin die – auf § 151 Abs. 4 Sozialgesetzbuch – Arbeitsförderung – (SGB III) – gestützte Klage auf Gewährung von höherem Alg nach einem tgl Bemessungsentgelt iHv 136,58 EUR für die Zeit ab 1. Januar 2014 abgewiesen. Die Klage sei nicht begründet. Die Beklagte habe die Alg-Anspruchshöhe zutreffend nach dem im Bemessungsrahmen vom 1. Januar 2013 bis 31. Dezember 2013 erzielten Arbeitsentgelt festgesetzt. § 151 Abs. 4 SGB III sei nicht einschlägig, weil diese Vorschrift den tatsächlichen Vorbezug von Alg innerhalb der letzten zwei Jahre vor der Entstehung des neuen Alg-Anspruchs voraussetze. Die Klägerin habe aber kein Alg aus dem am 1. Juni 2017 entstandenen früheren Stammrecht auf Alg bezogen. Die bloße Bewilligung von Alg reiche insoweit nicht aus. Auf das – teilweise wörtlich zitierte - Urteil des Landessozialgerichts (LSG) Sachsen-Anhalt vom 23. Juni 2011 – L 2 AL 23/10 – werde Bezug genommen. Verfassungsrechtliche Bedenken bestünden nicht.

Mit der Berufung verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Auf die Berufungsschrift vom 16. Februar 2016 wird Bezug genommen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 8. Januar 2018 aufzuheben und die Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 16. Januar 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Januar 2014 zu verurteilen, ihr für die Zeit ab 1. Januar 2014 Arbeitslosengeld unter Berücksichtigung eines Bemessungsentgelts in Höhe von täglich 136,58 EUR zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung hat sie im Wesentlichen auf ihre Ausführungen im Klageverfahren sowie den Inhalt des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die vorbereitenden Schriftsätze der Beteiligten Bezug genommen.

Die Gerichtsakte sowie die von der Beklagten vorgelegte Verwaltungsakte sind Gegenstand der Beratung gewesen.

II.

Der Senat hat gemäß § 153 Abs. 4 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) die Berufung der Klägerin durch Beschluss zurückweisen können, weil er dieses Rechtsmittel einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich gehalten hat. Die Beteiligten sind hierzu vorher gehört worden (vgl § 153 Abs. 4 Satz 2 SGG).

Die Berufung ist zulässig, jedoch nicht begründet. Gegenstand des Berufungsverfahrens ist ein von der Klägerin geltend gemachter höherer Alg-Anspruch nach einem mtl Bemessungsentgelt iHv 136,58 EUR für die Zeit ab 1. Januar 2014. Da die Beklagte die Alg-Bewilligung mit bestandskräftigem Bescheid vom 25. Juli 2014 mWv 1. August 2014 aufgehoben hat, ist der Berufungsantrag bei verständiger Würdigung (vgl § 103 SGG) dahingehend auszulegen, dass die Klägerin im Wege der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 4 SGG) höheres Alg unter Zugrundelegung eines höheren Bemessungsentgelts für die Zeit vom 1. Januar 2014 bis 31. Juli 2014 begehrt. Damit erstrebt sie keine bloße – unzulässige – Elementenfeststellung, sondern den Erlass eines Grundurteils (§ 130 Abs. 1 SGG), das auch im Höhenstreit möglich ist (vgl Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 18. Mai 2010 – B 7 AL 49/08 R = SozR 4-4300 § 122 Nr 8; BSG, Urteil vom 23. Februar 2017 – B 11 AL 1/16 R – juris).

Die Klägerin hatte am 1. Januar 2014 ein (neues) Stammrecht auf Alg erworben, denn sie erfüllte die Regelvoraussetzungen des Anspruchs auf Alg (§§ 136 f SGB III id ab 1. April 2012 geltenden und hier anwendbaren Fassungen). Gemäß § 137 Abs. 1 SGB III hat Anspruch auf Alg bei Arbeitslosigkeit, wer arbeitslos ist, sich bei der Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet und die Anwartschaftszeit erfüllt hat. Die Klägerin hatte sich mWv 1. Januar 2014 persönlich bei der Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet (§ 137 Abs. 1 Nr 2 iVm § 141 SGB III) Zu diesem Zeitpunkt war sie arbeitslos (§ 137 Abs. 1 Nr 1 iVm § 138 SGB III). Die Klägerin hatte auch die Anwartschaftszeit erfüllt (§ 137 Abs. 1 Nr 3 iVm §§ 142, 143 SGB III).

Nach § 142 Abs. 1 Satz 1 SGB III hat die Anwartschaftszeit zurückgelegt, wer in der Rahmenfrist mindestens zwölf Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden hat. Die Rahmenfrist beträgt gemäß § 143 Abs. 1 Satz 1 SGB III zwei Jahre und beginnt mit dem Tag vor der Erfüllung aller sonstigen Voraussetzungen für den Anspruch auf Alg. Die zweijährige Rahmenfrist reicht damit vorliegend vom 31. Dezember 2013 bis zum 1. Juni 2012, da sie nicht in eine vorangegangene Rahmenfrist hineinreicht (§ 143 Abs. 2 SGB III). In dieser Zeit hatte die Klägerin im einjährigen Bemessungsrahmen vom 1. Januar 2013 bis 31. Dezember 2013 (§ 150 Abs. 1 SGB III) gemäß § 151 Abs. 1 SGB III ein tgl Bemessungsentgelt iHv 70,12 EUR (25.595,36 EUR: 365 Tage) erzielt, was zwischen den Beteiligten auch nicht streitig ist.

Eine Bemessung nach § 151 Abs. 4 SGB III, die die Klägerin geltend macht, hat indes nicht zu erfolgen. Denn die Klägerin hatte in den letzten zwei Jahren vor der Entstehung des neuen Alg-Anspruchs am 1. Januar 2014, mithin in der Zeit vom 1. Januar 2012 bis 31. Dezember 2013, kein Alg bezogen, dessen Bemessungsentgelt mindestens zugrunde zu legen wäre. Dies setzt entgegen der Auffassung der Klägerin einen tatsächlichen Alg-Bezug voraus. Hinsichtlich der Begründung nimmt der Senat zunächst in entsprechender Anwendung von § 153 Abs. 2 SGG auf die zutreffende Begründung des SG in dem angefochtenen Urteil und das dort zitierte Urteil des LSG Sachsen-Anhalt vom 23. Juni 2011 Bezug (- L 2 AL 23/10 – juris).

Schon der Wortlaut des § 151 Abs. 4 SGB III lässt nach Auffassung des Senats eine zweifelsfreie Auslegung zu. Mit der Formulierung Arbeitslosengeld "bezogen" zu haben, kann sprachlich nur der tatsächliche Bezug im Sinne einer Auszahlung von Leistungen an die Klägerin gemeint sein. Auch das BSG hat zu § 124 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB III in der bis 31. Dezember 2003 geltenden Fassung (aF) ausgeführt, dass der Gesetzeswortlaut, soweit vom "Bezug" einer Leistung gesprochen werde, eindeutig sei und den tatsächlichen Bezug meine. Dieses gelte auch unter Berücksichtigung der Auslegungsregel des § 2 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Erstes Buch - Allgemeiner Teil - (SGB I; BSG, Urteil vom 29. Oktober 2008 - B 11 AL 13/07 R – juris – Rn 15, 17). In dieser Entscheidung hat das BSG zudem ausgeführt, in welchen Einzelfällen bei Vorschriften des SGB III, die auf den Bezug einer Leistung abstellen, über den Wortlaut hinaus ein realisierbarer Anspruch als ausreichend angesehen wird. Erwähnt werden dort jedoch nur § 105b Arbeitsförderungsgesetz (AFG) bzw § 126 SGB III aF. Selbst ein realisierbarer Anspruch der Klägerin auf Alg bestand indes im maßgebenden Zwei-Jahres-Zeitraum nicht. Denn trotz Bestehens des Stammrechts ist dies in Zeiten, in denen der Alg-Anspruch ruht, nicht der Fall (vgl BSG SozR 4100 § 105b Nr 3 und Nr 6). Gerade der Vergleich zur Begriffsbestimmung in § 126 Abs. 1 SGB III sowie die diesbezügliche Rechtsprechung des BSG und dessen Ausführungen zur Auslegung des Begriffs zeigen, dass auch in § 151 Abs. 4 SGB III jedenfalls das Bestehen eines Stammrechts auf Gewährung von Alg bei gleichzeitigem Ruhen nicht den Begriff des Bezugs von Alg erfüllt (so auch LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 17. November 2010 – L 12 AL 153/10 – juris).

Dem vom SG bereits herausgestellten Zweck des § 151 Abs. 4 SGB III, welcher sich direkt aus der Gesetzesbegründung (zur inhaltsgleichen Vorgängernorm des § 131 Abs. 4 SGB III: BT-Drucks 13/4941, S 178) ableiten lässt und durch die Rspr des BSG konkretisiert wurde (vgl etwa Urteil vom 13. September 2006 - B 11a AL 33/05 R -; Urteil vom 21. Juli 2009 - B 7 AL 23/08 R – beide juris), wird zur Überzeugung des Senats auch bei dem hier zugrunde gelegten Verständnis des Begriffs des Bezugs von Alg Rechnung getragen. Die Vorschrift soll einen Anreiz schaffen, eine Beschäftigung aufzunehmen, ohne Gefahr zu laufen, im Fall einer erneuten Arbeitslosigkeit bei Erwerb eines erneuten Anspruchs eine geringere Lohnersatzleistung zu erhalten. Damit sollen im Wege einer typisierenden Betrachtung des Gesetzgebers Hemmnisse, die einer Rückkehr in das Erwerbsleben entgegenstehen könnten, beseitigt werden. Zu beachten ist diesbezüglich, dass jemand, der ausschließlich ein Stammrecht auf Alg bei ruhendem Anspruch erworben hat und der bereits vor Ablauf des Ruhenszeitraums eine zum Wegfall der Arbeitslosigkeit führende Beschäftigung aufnimmt, zu keinem Zeitpunkt tatsächlich von Alg gelebt und seinen Lebensunterhalt durch dessen Bezug sichergestellt hat. Er ist in diesem Fall letztlich übergangslos von einer Beschäftigung in eine weitere eingetreten. Dass diesbezüglich ein schützenswerter Vertrauenstatbestand geschaffen wurde, ist für den Senat nicht ersichtlich.

Auch eine verfassungskonforme Auslegung streitet nicht für die Auffassung der Klägerin. Zwar ist der Anspruch auf Alg durch die Eigentumsgarantie des Art. 14 Grundgesetz (GG) geschützt (vgl etwa Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 10. Februar 1987 - 1 BvL 15/83 – juris - Rn 36 mwN). Dies bezieht sich grundsätzlich jedoch nicht auf die konkrete Höhe des Alg-Anspruchs, hinsichtlich dessen Ausgestaltung dem Gesetzgeber ein breiter Gestaltungsspielraum zukommt. Vorliegend liegt zudem ein Eingriff in einen konkreten, hier ohnehin gar nicht zur Auszahlung gekommenen Alg-Anspruch nicht vor. Denn die Klägerin hat zum 1. Januar 2014 vielmehr einen neuen Alg-Anspruch erworben, der auch aus verfassungsrechtlichen Erwägungen keines "Höhenbestandsschutzes" in Bezug auf einen früheren Alg-Bezug bedurfte. Auch eine Verletzung von Art. 3 GG ist zur Überzeugung des Senats nicht gegeben. Der allgemeine Gleichheitssatz wird verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten (hier Stammrechtsinhaber ohne konkreten Zahlungsanspruch) im Vergleich zu anderen Normadressaten (Alg-Bezieher) anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestünden, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten. Eine Rechtfertigung in diesem Sinne ist – wie bereits dargelegt - in der vorliegend fehlenden Schutzbedürftigkeit der Klägerin zu sehen, die zu keinem Zeitpunkt tatsächlich von Alg gelebt und ihren Lebensunterhalt durch dessen Bezug sichergestellt hat. Soweit sich die Klägerin auf § 150 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SGB III beruft, verweist das Gericht ebenfalls auf die zutreffenden Ausführungen des SG, § 153 Abs. 2 SGG analog.

Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved