L 16 R 359/16

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 31 R 4960/12
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 16 R 359/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 6. April 2016 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind im gesamten Verfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Gewährung einer großen Witwenrente (WR) nach dem am 30. April 2011 verstorbenen Versicherten H V (V).

Die 1957 geborene Klägerin bestreitet ihren Lebensunterhalt durch eine Erwerbstä-tigkeit bei einem Pflegedienst mit einem durchschnittlichen Monatsnettoverdienst in Höhe von seinerzeit ungefähr 1.100,- EUR. Zusätzlich erhält sie eine monatliche Rentenleistung aus der Betriebsrentenkasse des vormaligen Arbeitgebers des V in Höhe von 1.219,30 EUR netto. Die Klägerin war in erster Ehe von Juni 1980 bis Juni 1984 und in zweiter Ehe von Februar 1988 bis Mai 2004 verheiratet. Beide Ehen wurden geschieden.

Der 1952 geborene V war in erster Ehe ab Mai 1975 verheiratet. Diese Ehe wurde mit dem seit 25. August 2009 rechtskräftigen Urteil des Amtsgerichts T vom 10. Juli 2009 geschieden. Die Klägerin und V hatten sich im November 2004 kennengelernt und seit dem Jahr 2005 zusammengelebt. Im Oktober 2007 waren sie in eine ge-meinsame Wohnung gezogen.

Am 13. März 2010 wurde anlässlich einer Magnetresonanztomographie der Wirbel-säule wegen Schmerzen in der Brustwirbelsäule bei V ein diffus-großzelliges B-Zell-Lymphom (Stadium IVA) mit Manifestation in der Brustwirbelsäule, den Hoden und im Knochenmark entdeckt, welches nach dem Internationalen Prognostischen Index (IPI) in Stufe 3 eingeordnet wurde. Nach Entfernung des Tumors an der Brustwirbel-säule erfolgte von März bis Juni 2010 eine Chemotherapie in der Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Hämatologie und Onkologie der Charité. Am 29. Juni 2010 be-antragte V bei der Beklagten die Gewährung von Leistungen zur onkologischen Re-habilitation. In einem beigefügten Befundbericht der behandelnden Fachärztin für Allgemeinmedizin D vom 14. Juni 2010 hatte diese mitgeteilt, dass die Primärbe-handlung bei Teilremission im Juni 2010 beendet worden sei. V sei über die Bösar-tigkeit seines Leidens aufgeklärt worden. Im Juli 2010 wurde bei ihm ein zerebrales und testikuläres Rezidiv des B-Zell-Lymphoms festgestellt und eine erneute Chemo-therapie eingeleitet. Anlässlich seines Geburtstages am 3. August 2010 gab V seine Verlobung mit der Klägerin bekannt. Am 3. November 2010 bestellte er für sich und die Klägerin Trau-ringe. Vom 13. bis 18. November 2010 unterzog sich V einer ersten Hochdosis-Chemotherapie mit autologer Stammzellentransplantation. Am 23. November 2010 buchten die Klägerin und V einen Diskjockey für die Hochzeitsparty am 21. Mai 2011 und gaben diesen Termin den potentiellen Gästen bekannt. Beim Standesamt C von B wurde am 20. Dezember 2010 ein Eheschließungstermin für den 11. Mai 2011 an-gemeldet. Vom 11. Januar bis 10. Februar 2011 befand sich V erneut für eine Hoch-dosis-Chemotherapie mit autologer Stammzellentransplantation in stationärer Be-handlung im Czentrum für Tumormedizin. Ausweislich des dortigen Behandlungsbe-richts vom 10. Februar 2011 hatte die erste Hochdosis-Chemotherapie vornehmlich zur Kontrolle der systemischen Manifestation des Lymphoms gedient, während die zweite auf die Behandlung des zerebralen Rezidivs fokussiert war. Die dort behan-delnden Ärzte gingen davon aus, dass durch diese Behandlung die "sonst sehr ge-ringen Heilungschancen" des V erheblich verbessert worden seien. Die Entlassung des Klägers erfolgte "aktuell beschwerdefrei" und "in gutem Allgemeinzustand". Be-reits am 31. Januar 2011 hatten die Klägerin und V ein Angebot der Firma "m " für ein Buffet für 80 Personen für den 21. Mai 2011 erhalten. Am 4. Februar 2011 hatte V für sich und die Klägerin eine Kreuzfahrt im östlichen Mittelmeer für den Zeitraum vom 29. Mai bis 5. Juni 2011 gebucht. Am 11. März 2011 buchte er Flüge und Hotel für eine Reise nach V vom 23. bis 27. Mai 2011. Am 4. April 2011 buchten die Ver-lobten eine Fotografin für den 21. Mai 2011 und mieteten einen Raum für die ange-dachte Feierlichkeit.

Nachdem die Beklagte V die vom ihm beantragte onkologische Rehabilitationsleis-tung gewährt hatte, trat dieser die Maßnahme am 5. April 2011 in der Rehaklinik S A an. Gemäß dem dortigen Entlassungsbericht vom 11. April 2011 wurde V noch am Tag seiner Aufnahme zur Diagnostik in die neurologische Notaufnahme des Universi-tätsklinikums G verlegt, da in der Aufnahmeuntersuchung ein Verdacht auf ein (er-neutes) Rezidiv festgestellt worden war, nachdem V wegen einer Verschlechterung der Beinparese beidseits bereits seit dem 1. April 2011 auf einen Rollstuhl angewie-sen war. Nachdem sich im Universitätsklinikum G der Verdacht einer Meningeosis carcinomatosa ergeben hatte, wurde V am 8. April 2011 zur weiteren Diagnostik und Therapie in die C verlegt. Dort wurde ein meningeales Rezidiv bei progredienter neu-rologischer Ausfallsymptomatik diagnostiziert. Am 11. April 2011 unterzeichnete V eine Patientenverfügung, wobei er der Klägerin und – Falle der Verhinderung der Klägerin – seiner Tochter N V (N) eine Vorsorgevollmacht erteilte.

Am 21. April 2011 erfolgte in der C die Eheschließung zwischen der Klägerin und V. Am 30. April 2011 verstarb V.

Mit Rentenbescheid vom 8. Juni 2011 gewährte die Beklagte für V eine Rente wegen voller Erwerbsminderung ausgehend von einem Leistungsfall vom 13. März 2010 für den Zeitraum vom 1. April 2010 bis 30. April 2011.

Am 5. Oktober 2011 stellte die Klägerin einen Antrag auf Gewährung einer Hinter-bliebenenrente nach V. In der Anlage zum Rentenantrag wurde erklärt, dass die Ehe nicht habe viel früher geschlossen werden können, weil V noch verheiratet gewesen sei. Die Eheleute hätten seit 2005 zusammen gelebt. Die Verlobung sei auf dem ers-ten Geburtstag des Ehemannes nach seiner Scheidung gelegt worden. Die Krankheit sei eine eigentlich zu therapierende Form einer Krebserkrankung gewesen. Die Chemotherapie sei zur Stabilisierung des Gesundheitszustandes erfolgt. V habe so-dann durch die Reha-Maßnahme im April 2011 weiter zu Kräften kommen sollen. Danach habe am 21. Mai 2011 die Eheschließung erfolgen sollen. Es sei jedoch eine unvorhersehbare Verschlechterung des Gesundheitszustandes eingetreten.

Die Beklagte veranlasste daraufhin eine Stellungnahme ihres sozialmedizinischen Dienstes vom 9. November 2011, in welcher die Internistin Dr. H ausführte, dass zum Zeitpunkt der Eheschließung am 21. April 2011 mit Sicherheit davon auszugehen gewesen sei, dass der Versicherte an einer lebensbedrohlichen Erkrankung gelitten habe. Auch zum Zeitpunkt der Beantragung der Eheschließung am 20. Dezember 2010 sei die schlechte Prognose des bösartigen Tumorleidens bereits absehbar gewesen. Nach der Diagnose des Lymphoms im März 2010 sei es im Juli 2010 zu einem zerebralen und testikulären Rezidiv gekommen, so dass zu diesem Zeitpunkt die tödlichen Folgen der Krankheit vorhersehbar gewesen seien. Anfang April 2011 sei dann nach weiterer Therapie und autologer Stammzellentransplantation bei Verschlechterung der Beinparese und Rollstuhlpflichtigkeit erneut ein Rezidiv vermutet worden. Zu diesem Zeitpunkt sei der tödliche Ausgang in absehbarer Zeit unzweifelhaft gewesen.

Die Beklagte lehnte den Rentenantrag der Klägerin mit Bescheid vom 22. Dezember 2011 ab und führte zur Begründung aus: Im Rahmen der Gesamtabwägung sei an-gesichts der festgestellten äußeren Umstände davon auszugehen, dass eine Versor-gungsabsicht für die Heirat ausschlaggebend gewesen sei. Hiergegen wandte sich die Klägerin mit deren Widerspruch vom 6. Januar 2012 und trug vor: Bei der Erkrankung im März 2010 sei von einem absehbar tödlichen Ausgang nicht auszugehen gewesen. Die Eheschließung sei auf Wunsch des V nach einer sich abzeichnenden Besserung im Herbst 2010 für Mai 2011 beschlossen worden. V und sie seien davon ausgegangen, dass die körperliche Verfassung des V zu diesem Zeitpunkt wieder so gut sein würde, dass einer Hochzeit mit einem großen Fest nichts im Wege stehen würde. Die zweite Stammzellentherapie Anfang 2011 sei nach einer Besserung des Gesundheitszustandes nur noch aus Sicherheitsgründen und nicht aus notwendigen medizinischen Gründen vorgenommen worden. Die Ehe sei aus Liebe und nicht aus Gründen eines etwaigen Versorgungsanspruchs geschlossen worden. Falls sie von einem tödlichen Ausgang der Erkrankung ausgegangen wären und etwaige Versorgungsansprüche im Auge gehabt hätten, dann sie hätten sie bereits bei Erkennen der Erkrankung heiraten können. Ein vorzeitiges Versterben sei für beide jedoch nicht erkennbar gewesen. Die Beklagte veranlasste eine Stellungnahme ihres sozialmedizinischen Dienstes. Die hiermit beauftrage Fachärztin für Innere Medizin Dr. C kam unter dem 24. Juli 2012 zu dem Ergebnis, dass bereits bei Diagnosestellung im März 2010 bei einem diffus-großzelligem B-Zell-Lymphom Stadium IV mit Hoden- und Knochenmarksbefall von einer schlechten Prognose des Tumorleidens ausgegangen habe werden müssen. Im Juli 2010 sei es trotz Chemotherapie zu einem Rezidiv gekommen, womit sich die schlechte Prognose letztlich bestätigt habe und mit einer tödlichen Folge der Erkrankung habe gerechnet werden müssen. Die autologe Stammzelltransplantation im Januar 2011 sei als notwendig erachtet worden und auf die Behandlung des zerebralen Rezidivs fokussiert gewesen. Zwar sei die stationäre Aufnahme noch bei gutem Allgemeinzustand erfolgt, jedoch habe selbst bei mit an Hoffnung geknüpfter Stammzelltransplantation jederzeit mit dem tödlichen Ausgang der Erkrankung gerechnet werden müssen. Es habe sich um ein rasch wachsendes aggressives Lymphom mit hohem Risiko und einer Zehnjahresüberlebensrate von allenfalls 36% gehandelt. Nach dem Rezidiv sei diese noch geringer einzuschätzen gewesen. Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 12. September 2012 unter Bezugnahme auf die Feststellungen des sozialmedizinischen Dienstes zurück.

Im Klageverfahren hat das Sozialgericht (SG) B die Klägerin in der mündlichen Ver-handlung am 6. April 2016 persönlich angehört und durch Vernehmung der N Beweis erhoben. Auf die Anlage 1 zur Sitzungsniederschrift wird Bezug genommen. Nach-dem das SG dem Standesbeamten S von seiner beabsichtigten Vernehmung als Zeuge in Kenntnis gesetzt hatte, hat dieser mit Schreiben vom 29. Oktober 2015 mitgeteilt, er könne keine über die vorliegende Sammelakte zur Eheschließung hinausgehenden Informationen geben. Die Klägerin hat vorgetragen, nach der Scheidung des V im Juli 2009 sei beabsichtigt gewesen, im kommenden Jahr 2010 zu heiraten. Aufgrund der Erkrankung des V und der notwendigen Chemotherapie hätten die Hochzeitsvorbereitungen verschoben werden müssen. Sie hätten erst nach Stabilisierung des Gesundheitszustandes im Sommer 2010 wieder aufgenommen werden können.

Das SG hat mit Urteil vom 6. April 2016 den Bescheid der Beklagten vom 22. De-zember 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. September 2012 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin große WR ab 1. Mai 2011 zu gewähren. Zur Begründung ist ausgeführt: Die Klage sei als kombinierte Anfech-tungs- und Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 1 und 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig und auch begründet. Die Klägerin habe gegen den Beklagten einen An-spruch auf Gewährung einer großen WR gemäß § 46 Abs. 2 Sozialgesetzbuch – Ge-setzliche Rentenversicherung – SGB VI. Es sei nach den besonderen Umständen des Falles die Annahme nicht gerechtfertigt, dass es der alleinigen und überwiegen-de Zweck der Heirat der Klägerin mit V gewesen sei, einen Anspruch auf Hinterblie-benenversorgung zu begründen, so dass der Ausschlusstatbestand des § 46 Abs. 2a SGB VI dem Anspruch der Klägerin auf eine große WR gemäß § 46 Abs. 2 SGB VI nicht entgegen stehe. Zwar sei die Annahme des anspruchsausschließenden Vorlie-gens einer Versorgungsehe bei einer Ehedauer von nicht mindestens einem Jahr nach dem Ausnahmetatbestand des § 46 Abs. 2a Halbsatz 2 SGB VI nur dann nicht gerechtfertigt, wenn die Gesamtbetrachtung und Abwägung der Beweggründe beider Ehegatten für die Heirat ergebe, dass die von der Versorgungsabsicht verschiedenen Beweggründe insgesamt gesehen den Versorgungszweck überwögen oder zumin-dest gleichwertig seien. Es sei nicht zwingend, das bei beiden Ehegatten andere Beweggründe als Versorgungsgesichtspunkte für die Eheschließung ausschlagge-bend gewesen sein müssten. Vielmehr seien die von der Versorgungsabsicht ver-schiedenen Beweggründe in der Gesamtbetrachtung auch dann noch als zumindest gleichwertig anzusehen, wenn nachweislich für einen der Ehegatten der Versor-gungsgedanke bei der Eheschließung keine Rolle gespielt habe. Eine gewichtige Bedeutung komme dem Gesundheits- bzw. Krankheitszustand des Versicherten zum Zeitpunkt der Eheschließung zu. Ein gegen die gesetzlich Annahme einer Versor-gungsehe sprechender besonderer äußerer Umstand im Sinne des § 46 Abs. 2a SGB VI sei insbesondere dann anzunehmen, wenn der Tod des Versicherten, hin-sichtlich dessen bisher kein gesundheitliches Risiko eines bevorstehenden Ablebens bekannt gewesen sei, unvermittelt (plötzlich und unerwartet) eingetreten sei. Denn in diesem Fall könne nicht davon ausgegangen werden, dass alleiniger oder überwie-gender Zweck der Heirat gewesen sei, dem Ehegatten eine Hinterbliebenenversor-gung zu verschaffen. Dem gegenüber sei bei Heirat eines zum Zeitpunkt der Ehe-schließung offenkundig bereits an einer lebensbedrohlichen Krankheit leidenden Versicherten in der Regel der Ausnahmetatbestand des § 46 Abs. 2a Halbsatz 2 SGB VI nicht erfüllt. Jedoch sei es auch bei einer nach objektiven Maßstäben schwe-ren Erkrankung mit einer ungünstigen Verlaufsprognose oder entsprechender Kennt-nis der Ehegatten der Nachweis nicht ausgeschlossen, dass dessen ungeachtet (überwiegend oder zumindest gleichwertig) aus anderen als aus Versorgungsgrün-den geheiratet worden sei. Allerdings müssten dann bei der abschließenden Ge-samtbewertung diejenigen besonderen inneren und äußeren Umstände, die gegen eine Versorgungsehe sprächen, umso gewichtiger sein, wie offenkundig und wie le-bensbedrohlich die Krankheit eines Versicherten zum Zeitpunkt der Eheschließung gewesen sei. Der Ausnahmetatbestand des § 46 Abs. 2a Halbsatz 2 SGB VI sei je-doch nur dann erfüllt, wenn insoweit der volle Beweis erbracht werde. Dies erfordere zumindest ein der Gewissheit nahekommenden Grad der Wahrscheinlichkeit. Ge-messen an diesen Grundsätzen sei das Gericht der Überzeugung, dass ein beson-derer, die Annahme der Versorgungsehe ausschließender Umstand i.S.d. §46 Abs. 2a Halbsatz 2 SGB VI vorliegend bewiesen worden sei. Die Eheschließung sei zwar am 21. April 2011 zu einem Zeitpunkt, als die Erkrankung des V bereits eindeutig absehbar gewesen sei, erfolgt. An diesem Tag sei dem Verstorbenen erst klar ge-worden, wie schwer er tatsächlich erkrankt gewesen sei und dass die eigentlich für einen Monat später geplante Hochzeit nicht mehr wie geplant würde gefeiert werden können. Zwar sei die konkrete Eheschließung am 21. April 2011 einem spontanen Entschluss entsprungen, sie sei jedoch selbst von der Klägerin und V bereits seit längerer Zeit fest geplant gewesen. Dafür, dass diese geplante Eheschließung über-wiegend aus Versorgungsgesichtspunkten habe erfolgen sollen, gebe es hier keine Anhaltspunkte. Es sei zunächst zu berücksichtigen, dass eine Eheschließung vor dem Sommer 2009 gar nicht möglich gewesen wäre, weil V bis dahin noch in erster Ehe verheiratet gewesen und erst im August 2009 rechtskräftig geschieden worden sei. Die Klägerin habe glaubhaft geschildert, dass die Hochzeit in einem besonders schönen und feierlichen Rahmen habe stattfinden sollen und dies nach der Erkran-kung des V im März 2010 zunächst nicht möglich gewesen wäre. Nach dem Einzug in die gemeinsame Wohnung im November 2007 habe V der Klägerin einen Ring geschenkt als Symbol für ihre Beziehung und ihr zugesagt, das Verhältnis zu seiner seinerzeitigen Ehefrau zu klären. Beide seien davon ausgegangen, dass sie in Bezug auf eine Hochzeit noch "alle Zeit der Welt" gehabt hätten. Sie hätten auch in der Folgezeit viel Stress gehabt, mit der anstehenden Scheidung, mit dem Verhältnis zu den jeweiligen Kindern nach dem Umzug, mit ihrer Arbeit. Auch sei die Mutter der Klägerin krebskrank gewesen und habe von ihr gepflegt werden müssen. Ziel sei es gewesen, ihre Hochzeit "schön" zu machen und sich hierfür die entsprechende Zeit zu nehmen. Die Erstdiagnose im März 2010 sei für beide dann ein Schock gewesen. Der Entschluss, dann doch zu heiraten, sei nach Überzeugung des Gerichts von V ausgegangen. Zwar sei der Entschluss, von dem V seiner Tochter erstmals im Juli 2010 erzählt habe, damit zu einem Zeitpunkt entstanden, als dieser bereits an einer lebensbedrohlichen Erkrankung gelitten habe und sich hierüber auch bewusst gewe-sen sei. So habe die behandelnde Ärztin D in ihrem Befundbericht vom 14. Juni 2010 angegeben, dass V über die Bösartigkeit seines Leidens aufgeklärt gewesen sei. Die Hochzeit sei jedoch nicht überwiegend aus Versorgungsgesichtspunkten geschlos-sen worden, denn sie sei erst für das kommende Frühjahr geplant gewesen. Die Hochzeitsvorbereitungen seien seitens der Klägerin und des V konsequent auf die beabsichtigte große Feier im Mai 2011 ausgerichtet worden. Dies zeuge von dem unbedingten Willen der Eheleute – möglicherweise auch unter Verdrängung der ge-sundheitlichen Realitäten – ihre Eheschließung tatsächlich in dem von ihnen ge-wünschten schönen Rahmen und unter Inkaufnahme des hierfür erforderlichen zeitli-chen Vorlaufs zu begehen. Dass der Wunsch nach einer solchen Hochzeit schon länger und auch bereits vor der Erkrankung des V bestanden habe, habe die Kläge-rin glaubhaft dargelegt. Es sei auch zu berücksichtigen, dass das Zeitfenster für eine Hochzeit vor der Erkrankung im Zeitraum von August 2009 (Scheidung) bis März 2010 (Erstdiagnose) nicht groß bemessen gewesen sei. Wäre die große Hochzeits-feier bereits für Mai 2010 geplant worden, so hätten die Klägerin und V unmittelbar nach der Scheidung des V mit den entsprechenden Vorbereitungen beginnen müs-sen. Dass dies seinerzeit nicht erfolgt sei, sei nachvollziehbar. Die Eheleute wären noch Anfang April 2011 überzeugt gewesen, dass die Eheschließung im Mai 2011 hätte stattfinden können. Das Rezidiv und die hieraus folgende dramatische Ver-schlechterung des Gesundheitszustandes des V hätte beide "offenbar" überraschend getroffen. Das sie sodann in Anbetracht der unmittelbaren Lebensbedrohlichkeit der Gesundheitssituation die für weniger als ein Monat später geplante Hochzeit vorge-zogen hätten, sei nachvollziehbar und verständlich. Dafür, dass sie die Motivlage für die beabsichtigte Eheschließung bis hin zu überwiegenden Versorgungsgesichts-punkten geändert haben könnten, seien keine Anhaltspunkte ersichtlich gewesen.

Mit ihrer Berufung wendet sich die Beklagte gegen das angegriffene Urteil. Ange-sichts der schlechten Prognose des Tumorleidens zum Zeitpunkt der Diagnosestel-lung im März 2010 stellten sich die von der Klägerin und V im November 2010 be-gonnenen Hochzeitsvorbereitungen für Mai 2011 nicht als Verwirklichung einer schon bei Bekanntwerden der tödlichen Erkrankung gefassten Heiratsabsicht dar. Unter Zugrundelegung der Schilderung der Zeugin N sei nicht davon auszugehen, dass der Wunsch nach einer Hochzeit bereits vor der Erkrankung des V bestanden habe. Denn wenn V seiner Tochter im Juli 2010 und demzufolge vor der offiziellen Be-kanntgabe der Verlobung am 3. August 2010 die neue Heirat mitgeteilt habe, so sei nicht erkennbar und nachvollziehbar, warum er ein so freudiges Ereignis nicht bereits viel früher, nämlich schon vor seiner Erkrankung, seiner Tochter mitgeteilt habe. In Anbetracht des zeitlichen Ablaufs und der offensichtlich gegebenen Eile, in der die Eheschließung nach dem Erwachen aus dem künstlichen Koma auf der Intensivstati-on durchgeführt worden sei, lasse sich dies nur derart erklären, als dass den Eheleu-ten der Ernst der Lage bewusst gewesen sei und die Ehe bewusst angesichts des sich abzeichnenden Versterbens des V geschlossen worden sei. Es sei ferner zu berücksichtigen, dass die wirtschaftliche Situation der Klägerin bei Gewährung der begehrten WR tatsächlich und zwar auch im Falle eines künftigen Eigenbezuges von Altersrente verbessert würde. Zusätzlich und dies sogar sofort sei eine respektable monatliche Rentenleistung aus der Betriebsrentenkasse des vormaligen Arbeitgebers des V fällig geworden. Der Klägerin werde nicht unterstellt, dass das von ihr für die Heirat angeführte Motiv der Liebesbeziehung sowie das Zusammengehörigkeitsge-fühl nicht vorgelegen hätten.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 6. April 2016 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angegriffene Urteil und legt Briefe der S W vom 22. Juli 2016 und der Monika E vom 11. Juli 2016 sowie eine E-Mail des V vom 2. Januar 2011 an M L vor. Auf diese Dokumente wird Bezug genommen. Die Klägerin trägt ferner vor, be-reits im Oktober 2007 bei Einzug in die gemeinsame Wohnung sei eine spätere Hochzeit beabsichtigt gewesen. V habe deshalb Anfang 2008 begonnen, die Schei-dung von seiner ersten Ehefrau zu betreiben. Eine Heirat im Herbst 2009 hätten V und sie als ungeeignet und unpassend empfunden. Sie habe ihre an Krebs erkrankte Mutter pflegen müssen. Der Umzug in die gemeinsame Wohnung zwei Jahre zuvor habe nicht unerhebliche Konflikte mit ihren Kindern und der Tochter N des V verur-sacht. Die Scheidung des V sei nicht unproblematisch und kraftraubend gewesen. Es sei nie bestritten worden, dass den Eheleuten am Tag der Eheschließung die schlechte Prognose des Tumorleidens und die begrenzte Lebenserwartung des V bekannt gewesen sei. Indes sei die Eheschließung als Ausdruck der Verbundenheit zwischen beiden Eheleuten bereits seit längerer Zeit fest geplant gewesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Betei-ligten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsakten der Beklagten und die Patientenakte des V (IKB: ) haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Die Klägerin hat gegen die Be-klagte keinen Anspruch auf große WR.

Nach § 46 Abs. 2 Satz 1 SGB VI haben Witwen, die – wie die Klägerin – nicht wieder geheiratet haben, nach dem Tod des versicherten Ehegatten, der – wie hier – die allgemeine Wartezeit erfüllt hat, Anspruch auf große WR, wenn sie das 47. Lebens-jahr vollendet haben. Obgleich diese tatbestandlichen Voraussetzungen bei der Klä-gerin vorliegen, hat sie seit dem 1. März 2011 (vgl. § 99 Abs. 2 Satz 1 SGB VI) kei-nen Anspruch auf große WR, weil die Ehe nicht mindestens ein Jahr gedauert hat und – anders als das SG entschieden hat – keine besonderen Umstände des Falles die gesetzliche Regelannahme ausschließen, wonach es der alleinige oder überwie-gende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu be-gründen (vgl. § 46 Abs. 2a SGB VI). Diese Vorschrift wurde durch Artikel 1 Nr. 6b des Altersvermögensergänzungsgesetzes vom 21. März 2001 (BGBl I S. 403) mit Wirkung vom 1. Januar 2002 in das SGB VI eingefügt. Sie begründet für alle seit ihrem Inkrafttreten am 1. Januar 2002 (vgl. § 242a Abs. 3 SGB VI) geschlossenen Ehen stets – die – widerlegbare – gesetzliche Vermutung, dass bei einem Tod des Versicherten innerhalb eines Jahres nach der Eheschließung die Erlangung einer Versorgung alleiniger oder überwiegender Zweck der Eheschließung war.

Die gesetzliche Vermutung des § 46 Abs. 2a SGB VI greift vorliegend ein. Die Ehe zwischen der Klägerin und V hat weniger als ein Jahr gedauert, nämlich vom 21. Ap-ril 2011 bis zum Tod des V am 30. April 2011. Sie wäre nur widerlegt, wenn zur vol-len Überzeugung des Senats erwiesen wäre, dass der Eheschließung zumindest gleichgewichtig (auch) Motive zugrunde lagen, die nicht auf Versorgungsgesichts-punkten beruhen. Diese volle Überzeugung vermochte der Senat indes nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens und der persönlichen Anhörung der Klägerin in der mündlichen Verhandlung nicht gewinnen.

Eine gewichtige Bedeutung bei der Gesamtbewertung aller vom Senat feststellbaren inneren und äußeren Ehemotive kommt dem Gesundheits- bzw. Krankheitszustand des Versicherten zum Zeitpunkt der Eheschließung zu. So kann ein gegen die ge-setzliche Annahme einer Versorgungsehe sprechender besonderer (äußerer) Um-stand insbesondere dann anzunehmen sein, wenn der Tod des Versicherten, bei welchem bisher kein gesundheitliches Risiko eines bevorstehenden Ablebens be-kannt war, unvermittelt, das heißt plötzlich oder unerwartet eingetreten ist (zB. Unfalltod). Auf der anderen Seite ist bei Heirat eines zum Zeitpunkt der Eheschließung offenkundig bereits an einer lebensbedrohlichen Krankheit leidenden Versicherten in der Regel der Ausnahmetatbestand des § 46 Abs. 2a SGB VI nicht erfüllt (vgl. hierzu Bundessozialgericht – BSG –, Urteil vom 6. Mai 2010 – B 13 R 134/08 R – juris Rn. 21 ff). Indes ist sogar bei einer nach objektiven Maßstäben schweren Erkrankung mit einer ungünstigen Verlaufsprognose und entsprechender Kenntnis der Ehegatten im Einzelfall der Nachweis nicht ausgeschlossen, dass dessen ungeachtet (überwiegend oder zumindest gleichwertig) aus anderen als aus Versorgungsgründen geheiratet wurde. Allerdings müssen dann bei der abschließenden Gesamtbewertung diejenigen besonderen (inneren und äußeren) Umstände, die gegen eine Versorgungsehe sprechen, umso gewichtiger sein, je offenkundiger und je lebensbedrohlicher die Krankheit eines Versicherten zum Zeitpunkt der Eheschließung gewesen war (vgl. BSG aaO). Dementsprechend steigt mit dem Grad der Lebensbedrohlichkeit einer Krankheit und dem Grad der Offenkundigkeit zugleich der Grad des Zweifels an dem Vorliegen solcher vom hinterbliebenen Ehegatten zu beweisenden besondere Umstände, welche von diesem für die Widerlegung der gesetzlichen Annahme ("Vermutung") einer Versorgungsehe bei einem Versterben des versicherten Ehegatten innerhalb eines Jahres nach Eheschließung angeführt werden. Bei alledem ist der Ausnahmetatbestand des § 46 Abs. 2a SGB VI nur erfüllt, wenn insoweit nach § 202 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit § 292 Zivilprozessordnung (ZPO) der volle Beweis erbracht wird. Dieser erfordert zumindest einen der Gewissheit nahe kommenden Grad der Wahrscheinlichkeit; die nur denkbare Möglichkeit reicht nicht aus. Hiernach ist eine Tatsache bewiesen, wenn sie in so hohem Grade wahrschein-lich ist, dass alle Umstände des Falls nach vernünftiger Abwägung des Gesamter-gebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen. Eingedenk des im sozialgerichtli-chen Verfahrens gemäß § 103 SGG geltenden Amtsermittlungsgrundsatzes muss die Klägerin zur Anspruchsbegründung den Sachverhalt zwar nicht darlegen und beweisen. Sie muss allerdings dann mit der Versagung des geltend gemachten An-spruchs auf WR rechnen, wenn nach Ausschöpfung des Amtsermittlungsgrundsatzes "besondere Umstände" im Sinne des § 46 Abs. 2a SGB VI nicht festgestellt werden können. Denn die Darlegungs- und Beweislast für ihr Vorliegen als ein den Anspruch begründender Umstand und damit auch die Folgen eines nicht ausreichenden Beweises trägt nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast derjenige, welcher den WR-Anspruch geltend macht (vgl. BSG, Urteil vom 5. Mai 2009 – B 13 R 55/08 R = SozR 4-2600 § 46 Nr. 6 mwN). Hiervon ausgehend hat der Senat nicht die volle richterliche Überzeugung gewinnen können, dass im vorliegenden Einzelfall besondere Umstände iSv § 46 Abs. 2a SGB VI vorlagen, aus denen sich ergibt, dass es nicht der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen.

Besondere Umstände im Sinne des Gesetzes lassen sich nicht abschließend typisie-ren und bewerten (vgl. BSG aaO; BSG, Urteil vom 6. Mai 2010 – B 13 R 134/08 R – Rn. 17). Hierbei kommen insbesondere in Betracht der nicht vorhersehbare Tod des Ehepartners, die Nachholung einer nach ausländischem Recht gültig geschlossenen Ehe, die nach deutschem Recht nicht gültig war, das Vorhandensein gemeinsamer leiblicher Kinder, das Vorliegen einer Schwangerschaft, die Erziehung eines minder-jährigen Kindes des Verstorbenen durch den Hinterbliebenen, eine Heirat zur Siche-rung der erforderlichen Betreuung oder Pflege des anderen Ehegatten (vgl. hierzu Kamprad in: Hauck/Heines, SGB VI, Gesetzliche Rentenversicherung, Kommentar, § 46 Rn. 38).

Die Klägerin und der V führten seit 2005 eine Beziehung, bei der beide Partner ihre Wohnungen zunächst beibehielten. Nachdem V und die Klägerin im Oktober 2007 zusammengezogen waren, hatten sie nach dem Vorbringen der Klägerin bereits zu diesem Zeitpunkt den Wunsch, später zu heiraten. V wollte deshalb die Scheidung von seiner ersten Ehefrau betreiben. Nachdem die Scheidung im Sommer 2009 er-folgt war, wurde der Heiratswunsch aber offensichtlich zunächst nicht weiter verfolgt. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin und V die Heirat tatsächlich planten, lassen sich frühesten im Sommer 2010 nach der Diagnose der lebensbedrohlichen Erkrankung feststellen, als V an seinem Geburtstag die Verlobung mit der Klägerin bekanntgab und einen Hochzeitstermin im Frühjahr 2011 in Aussicht stellte. Soweit die Klägerin behauptet, eine Heirat im Herbst 2009 sei wegen der Krankheit und Pflege ihrer an Krebs erkrankten Mutter, den nach wie vor bestehenden Konflikten einer Patchworkfamilie und der soeben erst überstandenen Scheidung, die Kraft und Energie gekostet habe, unpassend und ungeeignet erschienen, vermag dies nicht überzeugend zu erklären, warum die Vorbereitungen für das von den späteren Ehe-leuten geplante große Fest nicht bereits im Winter 2009/2010 in Angriff genommen worden sind. Entgegen der Auffassung des SG hatte es für einen Einstieg in die er-sichtlich aufwändige Vorbereitung der in einem besonders schönen und feierlichen Rahmen beabsichtigten Hochzeit zwischen der Scheidung im Sommer 2009 und der Erstdiagnose der Erkrankung des V im März 2010 durchaus ein hinreichend großes Zeitfenster gegeben. Dass eine Hochzeit im Jahre 2010 dann im späteren Verlauf des Jahres 2009 dann doch "passend" für die späteren Eheleute gewesen wäre, hat-te V im Beisein der Klägerin im November 2009 beim Martinsgansessen der Freun-din W (vgl. deren Angaben im Schreiben vom 22. Juli 2016) anvertraut, indem er davon sprach, er sei für 2010 "in Planung". Auch die Freundin E bestätigte (vgl. Schreiben vom 11. Juli 20169) dass V nach der Scheidung immer wieder davon gesprochen habe, dass "nun endlich" die Planung für die Hochzeit in konkrete Bahnen gelenkt werden könne. Es gibt freilich für die Wintermonate 2009/2010 keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass diese "konkreten Bahnen" dann auch beschritten worden wären, z.B. durch Anmeldung eines Termins zur Eheschließung für das Frühjahr/oder den Sommer 2010. Vielmehr spricht alles dafür, dass die späteren Eheleute zwischen Scheidung und Erstdiagnose der Tumorerkrankung – wie bereits früher schon – zwar eine spätere Heirat ins Auge fassten, aber diese Überlegungen sich noch nicht zu einem festen, konkreten Entschluss verdichtet hatten. Lediglich abstrakte Pläne zur Heirat, noch ohne entsprechende Vorbereitungen und ohne definitiv ins Auge gefassten Termin sowie Äußerungen der Ehepartner über Hochzeitspläne genügen nicht, um eine spätere Eheschließung unter dem Eindruck einer lebensbedrohlichen Erkrankung als konsequente Verwirklichung eines bereits zuvor gefassten Entschlusses erschein zu lassen (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 5. Dezember 2017 – L 11 R 402717 – juris Rn. 33). Dementsprechend konnte sich der Senat von einem fest gefassten Plan zur Eheschließung in diesem vor der Erstdiagnose gelegenen Zeitraum nicht im erforderlichen Vollbeweis überzeugen.

Für das Vorliegen einer Versorgungsehe spricht vorliegend entscheidend die zum Zeitpunkt der Eheschließung bestehende schwere und ganz offenkundig lebensbe-drohliche Erkrankung des V mit infauster Verlaufsprognose. Die Lebenserwartung des Versicherten lag – auch nach Einschätzung der Klägerin – im Zeitpunkt der Ehe-schließung deutlich unter einem Jahr und es musste jederzeit mit seinem Ableben gerechnet werden. Dies steht zur Überzeugung des Senats aufgrund der vorliegen-den medizinischen Unterlagen über V und einer vertieften Befassung mit seiner Er-krankung fest. Der Ernst der Lage war der Klägerin sowie V zu diesem Zeitpunkt auch bewusst. V war nach seiner Einlieferung in die C im April 2011 wegen seiner Schmerzen in ein künstliches Koma versetzt worden. In der mündlichen Verhandlung vor dem SG hat die Klägerin berichtet, dass ihr gesagt worden sei, es könne sein, dass V nicht mehr aufwache. Nach dem Aufwachen auf der Intensivstation sei V klar geworden, wie schwer er erkrankt gewesen sei und es sei beiden klar gewesen, dass "er nicht mehr 100 Jahre alt werden würde, aber noch mehrere Monate möglich wä-ren". Es ist offenkundig, dass der noch am Tag des Aufwachens gefasste Entschluss, die für den 11. Mai 2011 geplante Trauung vorzuziehen, unter dem Eindruck dieser unmittelbaren Todesgefahr entstanden war und sogleich in die Tat umgesetzt worden ist.

Angesichts der dargelegten äußerst bedrohlichen gesundheitlichen Situation des V, bei der damit gerechnet werden musste, dass der Versicherte den ursprünglich vor-gesehenen Heiratstermin nicht mehr erleben würde – was dann auch so eintrat –, bedarf es erheblicher, vom Versorgungsgedanken unabhängiger (höchst-)per-sönlicher Gründe, um die gesetzliche Annahme einer Versorgungsehe zu entkräften. Die vom hinterbliebenen Ehegatten, wie von der Klägerin, behaupteten inneren Um-stände für die Heirat sind nicht nur für sich – isoliert – zu betrachten, sondern vor dem Hintergrund der im Zeitpunkt der Eheschließung bestehenden äußeren Um-stände in die Gesamtwürdigung einzubeziehen (vgl. BSG, Urteil vom 5. Mai 2009 – B 13 R 55/08 R – Rn 24). Solche, angesichts der evidenten Lebensbedrohlichkeit der Krankheit besonders gewichtige innere oder äußere Umstände erkennt der Senat hier im erforderlichen Vollbeweis nicht. Insbesondere lässt sich die Heirat nicht als konsequente Verwirklichung eines bereits vor Erlangung der Kenntnis von der le-bensbedrohlichen Krankheit bestehenden Entschlusses darstellen. Wie oben ausge-führt, lag ein fester Entschluss der Klägerin und des V vor der Erstdiagnose des B-Zell-Lymphoms im März 2011 nicht vor. Bei dieser Erkrankung handelte es um eine zwar prinzipiell heilbare, aber bösartige Erkrankung, bei der nach der bei V festge-stellten IPI Stufe 3 (vgl. Bericht des Charité Campus Virchow-Klinikums vom 29. Mai 2010) ein hoch-intermediäres Risiko bestand. Die Gesamtüberlebensrate nach 3 Jahren beträgt bei Lymphomen mit dieser IPI-Klassifikation 65 % (vgl. https://www.onkopedia.com/de/onkopedia/guidelines/diffuses-grosszelliges-b-zell-lymphom/@@view/html/index.html). Über die Bösartigkeit und damit die Lebensbe-drohlichkeit dieser Erkrankung war V auch aufgeklärt worden (vgl. den Befundbericht der Fachärztin D vom 14. Juni 2010). Nachdem diese Erkrankung bei V zunächst mittels Tumorentfernung und Chemotherapie behandelt worden war, wurde im Juli 2010 ein zerebrales und testikuläres Rezidiv festgestellt, worauf erneut eine Chemo-therapie erfolgte. Auch wenn sich der Zustand des Klägers – vorübergehend – nach dieser Chemotherapie verbessert und er im August 2010 seine Verlobung bekannt-gegeben hatte, bestand nach wie vor ein erhebliches Sterberisiko. Auch während der im Herbst/Winter 2010/2011 von V und der Klägerin getroffenen Vorbereitungen für die für Mai 2011 in Aussicht genommene Hochzeit musste sich V weiteren Chemo-therapien unterziehen. Mit der letzten Chemotherapie im Januar/Februar 2011 konn-ten zwar nach Auffassung der behandelnden Ärzte die "sonst sehr geringen Hei-lungschancen erheblich verbessert" werden. Dies ändert jedoch nichts daran, dass die späteren Eheleute zu keinem Zeitpunkt davon ausgehen konnten und auch nicht ausgegangen sind, dass die Krebserkrankung überwunden und V geheilt worden war. Schließlich kommt es für den Tatbestand einer Versorgungsehe nicht darauf an, ob im Zeitpunkt der Eheschließung – und erst Recht nicht in einem davor liegenden Zeitpunkt – die Partner davon ausgehen, das der unter einer lebensbedrohlichen Er-krankung leidende Partner das erste Jahr nach der Eheschließung überleben wird. Die Hoffnung oder Erwartung, eine lebensbedrohliche Erkrankung zu überstehen, ist kein besonderer Umstand des Falles iS des § 46 Abs. 2 SGB VI, ebenso wenig wie das Bestehen einer langjährigen Lebensgemeinschaft vor der Eheschließung, denn beidem lässt sich eben nicht für sich genommen entnehmen, dass die Ehe nicht ge-rade deshalb geschlossen worden ist, um einen Anspruch des überlebenden Ehegat-ten auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen (vgl. LSG Schleswig, Urteil vom 21. März 2007 – L 8 R 112/06 –, juris Rn. 53). Nach alledem bleibt es dabei, dass sämtliche Vorbereitungshandlungen für die im Mai 2011 geplante Heirat in Zeiträume fallen, in den V unter dieser lebensbedrohlichen Erkrankung gelitten hatte. Auch unter Berücksichtigung der konkreten Planung der für Mai 2011 angesetzten Hochzeit stellt sich die vorgezogene Eheschließung am 21. April 2011 als ein (erst) unter dem Eindruck einer andauernden lebensbedrohlichen Erkrankung gefasster Entschluss dar. Hinzu kommt, dass aus objektiver Sicht auch die Gewährung von angesichts der bescheidenen Einkommensverhältnisse der Klägerin nicht unerheblichen Rentenleistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung sowie der Betriebsrentenversorgung des V zu erwarten war. Der Senat ist im Rahmen der erforderlichen Gesamtbewertung aller Umstände im Ergebnis nicht in der Lage, im Wege des Vollbeweises die Feststellung zu treffen, dass vorliegend besondere Umstände vorlagen, aus denen sich ergibt, dass es nicht der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen. Nach den Grundsätzen der objektiven Beweislast geht dies zu Lasten der Klägerin.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht, § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG.
Rechtskraft
Aus
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