S 10 R 285/08

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Duisburg (NRW)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 10 R 285/08
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beklagte hat 2/3 der außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten.

Gründe:

I.

Gegenstand des zugrunde liegenden Klageverfahrens war die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.

Der am 12.03.1957 geborene Kläger absolvierte eine Ausbildung zum Elektroinstallateur und übte zuletzt eine Tätigkeit bei den Technischen Werken in Emmerich in der Wartung und Reparatur der elektrischen Anlagen aus. Seit dem 20.04.2008 war er arbeitsunfähig erkrankt. Er beantragte am 28.04.2008 bei der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte veranlasste eine Begutachtung durch den Chirurgen Dr. T., die aufgrund einer Untersuchung vom 04.06.2008 durchgeführt wurde. Dr. T. diagnostizierte ein chronisches Schmerzsyndrom bei Zustand nach 1998 durchgeführter Bandscheibenoperation im Segment L4 / L5 und kam zu dem Ergebnis, der Kläger könne einer Tätigkeit im Beruf des Elektroinstallateurs nur noch 3 Stunden bis unter 6 Stunden und auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt körperlich leichten Arbeiten überwiegend im Sitzen 6 Stunden täglich nachgehen. Die Beklagte lehnte unter Zugrundelegung dieser sozialmedizinischen Leistungsbeurteilung die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung mit Bescheid vom 26.06.2008 ab und führte zur Begründung aus, es liege weder eine volle noch eine teilweise Erwerbsminderung vor, weil der Kläger gesundheitlich noch in der Lage sei, eine zumutbare Verweisungstätigkeit als Kabelformer in der Automobilindustrie im zeitlichen Umfang von mindestens 6 Stunden täglich zu verrichten.

Der Kläger erhob am 09.07.2008 Widerspruch und trug zur Begründung vor, er könne nur noch unter drei Stunden täglich eine Arbeitsleistung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt erbringen. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Bescheid vom 30.09.2008 zurück.

Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger am 15.10.2008 Klage und beantragte, die Beklagte zu verurteilen, ihm ab Antragstellung nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung, hilfsweise wegen Berufsunfähigkeit zu gewähren. Nach Einholung eines psychiatrischen Gutachtens des Dr. G. aufgrund einer Untersuchung vom 26.08.2009 und eines orthopädisch-schmerzmedizinischen Gutachtens des Dr. A. nach einer Untersuchung vom 10.12.2009 erkannte die Beklagte mit Vergleichsangebot vom 28.05.2010 eine am 28.04.2008 eingetretene volle Erwerbsminderung auf Zeit und einen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit vom 01.11.2008 bis zum 31.10.2011 an. Gleichzeitig erklärte sie sich bereit, zwei Drittel der außergerichtlichen Kosten des Klägers zu übernehmen. Anschließend einigten sich die Beteiligten, dass eine gerichtliche Kostenentscheidung getroffen werden solle. Daraufhin nahm der Kläger das Vergleichsangebot an und die Klage zurück und beantragte,

der Beklagten die außergerichtlichen Kosten des Klägers in vollem Umfang aufzuerlegen.

II.

Für die Kostenerstattungspflicht der Beteiligten war nach § 193 Abs. 1 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Beschluss zu entscheiden, da das Verfahren durch eine Klagerücknahme gem. § 102 Satz 2 SGG beendet wurde.

Die Entscheidung über die Kostentragungspflicht nach § 193 Abs. 1 SGG ergeht unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen (Meyer-Ladewig § 193 SGG Rn. 13 m.w.N.). Es sind insbesondere die Erfolgsaussichten der Klage in dem Sinne zu berücksichtigen, dass es in der Regel billig ist, dass der Beteiligte die Kosten trägt, der voraussichtlich unterlegen gewesen wäre (Meyer-Ladewig § 193 SGG Rn. 12 a und 13). Bei teilweisem Erfolg wird in der Regel eine Quotelung der Kosten entsprechend dem Verhältnis des Obsiegens und Unterliegens angemessen sein (vgl. Meyer-Ladewig § 193 Rn. 12 a). In die Entscheidung können auch andere Gesichtspunkte, wie die Veranlassung des Rechtsstreites, die Verursachung unnötiger Kosten und die Anpassungsbereitschaft an eine geänderte Sachlage eingehen.

Unter Heranziehung dieser Grundsätze erscheint es gerechtfertigt, der Beklagten zwei Drittel der außergerichtlichen Kosten des Klägers aufzuerlegen. Dies ergibt sich daraus, dass der Kläger nach der Beweissituation zum Zeitpunkt des erledigenden Ereignisses lediglich teilweise erfolgreich gewesen wäre.

Nach dem Ergebnis der medizinischen Beweisaufnahme stand dem Kläger lediglich ein Anspruch auf eine befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung zu, weil der Sachverständige Dr. A. Behandlungsmöglichkeiten aufgezeigt hat, die zu einer Besserung des Gesundheitszustandes und der Leistungsfähigkeit des Klägers im Erwerbsleben führen können. Nach den Feststellungen des Sachverständigen Dr. A. kann von Seiten des orthopädischen Fachgebietes durch eine versteifende Operation und eine Bandscheiben-Endoprothese oder durch minimalinvasive Behandlungsverfahren eine Beschwerdelinderung herbeigeführt werden. Der Sachverständige weist zudem darauf hin, dass auch durch den Spontanverlauf eine Besserung eintreten könne und dass die Schmerzmedikation geändert werden sollte. Damit liegt keine Unwahrscheinlichkeit im Sinne des § 102 Abs. 2 Satz 5 SGB VI vor, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit behoben werden kann, so dass die Erwerbsminderungsrente zu befristen war.

Der Kläger wäre insoweit mit seinem Klagebegehren unterlegen gewesen, als seine Klage auf die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente auf Dauer gerichtet war. Dies ergibt sich aus dem in der Klageschrift formulierten Klageantrag. Der Kläger beantragte, die Beklagte zu verurteilen, ihm eine Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung und weiter hilfsweise wegen Berufsunfähigkeit zu gewähren. Somit ergibt sich aus dem Wortlaut des Antrages keine zeitliche Begrenzung des geltend gemachten Rentenanspruches.

Der Antrag kann auch nicht entgegen dem Wortlaut durch Auslegung dahingehend verstanden werden, dass eine Zeitrente begehrt wurde. Im Rahmen der Auslegung von Prozesshandlungen ist § 133 BGB entsprechend heranzuziehen (BSG SozR 3-4100 § 104 Nr. 11 m.w.N.). Danach ist nicht an dem Wortlaut der Erklärung zu haften, sondern der wirkliche Wille zu erforschen und zu berücksichtigen, der sich nicht nur aus dem Wortlaut der Erklärung, sondern auch aus den sonstigen Umständen ergeben kann (BSG SozR 2200 § 205 Nr. 65).

Dabei war vorliegend zu berücksichtigen, dass der Kläger die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente "ab Antragstellung" beantragte. Lediglich bei einer Rente wegen Erwerbsminderung auf Dauer ist unter den in § 99 SGB VI genannten Voraussetzungen eine Rentengewährung ab Rentenantragstellung möglich. Befristete Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit werden dagegen nach § 101 Abs. 1 SGB VI nicht vor Beginn des 7. Kalendermonats nach dem Eintritt der Minderung der Erwerbsfähigkeit geleistet. Insoweit spricht die Beantragung einer Erwerbsminderungsrente ab Antragstellung für ein auf eine Dauerrente gerichtetes Klagebegehren.

Dagegen ergibt sich aus dem Umstand, dass darüber hinaus beantragt wurde, dass die Erwerbsminderungsrente "nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen" gewährt wird, nichts Gegenteiliges. Dadurch wird deutlich, dass es sich um eine Verpflichtungsklage und nicht um eine auf einen Zahlbetrag gerichtete Leistungsklage handelte, weil die Berechnung einer Erwerbsminderungsrente im Voraus durch den Kläger kaum möglich ist. Dagegen ergibt sich aus der Bezugnahme auf die gesetzlichen Bestimmungen kein Anhaltspunkt dafür, ob eine Zeitrente oder eine Dauerrente begehrt wird. Damit wird zum Einen die Vorschrift des § 102 Abs. 2 Satz 1 SGB VI in Bezug genommen, wonach eine befristete Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit in der Regel auf Zeit geleistet wird. Die Bezugnahme erstreckt sich aber auch auf andere einschlägige Bestimmungen, insbesondere auch auf die Regelung des § 102 Abs. 2 Satz 4 SGB VI, wo abweichend vom Regelfall die Gewährung einer unbefristeten Rente wegen Erwerbsminderung vorgesehen ist, wenn unwahrscheinlich ist, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit behoben werden kann. Weder aus dem Klageantrag noch aus der Klagebegründung ergeben sich Hinweise darauf, dass nur die Regelung des § 102 Abs. 2 Satz 1, aber nicht die Regelung des § 102 Abs. 2 Satz 4 SGB VI in Bezug genommen worden ist und nur eine Zeitrente beantragt werden sollte (ebenso LSG NRW v. 25.08.2005, Az.: L 3 B 12/05 R). Allein aus dem Umstand, dass eine Vorschrift der Regelfall und eine andere Vorschrift die Ausnahme regelt, lässt nicht die Auslegung zu, dass lediglich eine Rente nach Maßgabe des den Regelfall vorsehenden § 102 Abs. 2 Satz 1 SGB VI beantragt werden sollte (ebenso LSG Baden-Württemberg v. 24.10.2005, Az.: L 11 R 4138/05 AK-B).

Da der Kläger insoweit obsiegt hat, dass die Voraussetzungen für eine Erwerbsminderungsrente dem Grunde nach sowohl in medizinischer als auch in versicherungsrechtlicher Hinsicht nachgewiesen worden sind und ein Unterliegen lediglich hinsichtlich der zeitlichen Dauer der Erwerbsminderungsrente vorliegt, hält es das Gericht für angemessen, der Beklagten zwei Drittel der außergerichtlichen Kosten des Klägers aufzuerlegen.
Rechtskraft
Aus
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