L 8 KR 175/05

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Wiesbaden (HES)
Aktenzeichen
S 12 KR 1696/04
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 8 KR 175/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 3 KR 1/07 R
Datum
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Wiesbaden vom 12. August 2005 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 511,33 EUR festgesetzt.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darum, ob der Klägerin Anwaltskosten als Verzugsschaden zu erstatten sind.

Die Klägerin betreibt ein zur gesetzlichen Krankenversicherung zugelassenes Krankenhaus, in dem der bei der Beklagten versicherte R. in der Zeit vom 17. August bis 23. September 2002 stationär behandelt wurde. Die Klägerin stellte der Beklagten hierfür am 4. Oktober 2002 insgesamt 12.426,29 EUR in Rechnung. Mit Schreiben vom 18. November 2002 teilte die Beklagte mit, die Kosten seien bislang nur bis zum 23. August 2002 zugesagt, weshalb lediglich 1.130,00 EUR gezahlt würden. Hierauf forderte die Klägerin mit Schreiben vom 22. November 2002 die Beklagte zur Begleichung der Restforderung auf und setzt eine Frist bis zum 16. Dezember 2002. Mit anwaltlichem Schreiben vom 6. Februar 2003 wurde diese Forderung wiederholt. Am 8. April 2003 beglich die Beklagte hierauf die Rechnung vollständig.

Mit Schreiben vom 29. April 2003 forderte die Klägerin von der Beklagten die Begleichung ihrer Rechtsanwaltskosten in Höhe von insgesamt 511,33 EUR als Verzugsschaden. Nachdem eine Zahlung der Beklagten nicht erfolgte, hat die Klägerin am 16. Oktober 2004 Klage zum Sozialgericht Wiesbaden erhoben.

Mit Gerichtsbescheid vom 12. August 2005 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Aus dem öffentlich-rechtlichen Vertragsrecht, welches die Grundlage der Rechtsbeziehungen der Beteiligten bilde, ergebe sich keine Anspruchsgrundlage. § 10 Abs. 5 des Hessischen Vertrags über die allgemeinen Bedingungen der Krankenhausbehandlung vom 31. Mai 2002 sehe lediglich Verzugszinsen entsprechend § 288 Abs. 1 BGB vor, was im Umkehrschluss bedeute, dass die Vertragsparteien die übrigen BGB-Regelungen zum Verzugsschaden nicht entsprechend angewandt wissen wollten. Die Regelungen des BGB seien nicht voraussetzungslos auf öffentlich-rechtliche Vertragsverhältnisse übertragbar, vielmehr stelle § 69 SGB V klar, dass die Rechtsbeziehungen zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern zunächst einmal dem öffentlich-rechtlichen Recht zuzuordnen seien. Die ergänzende Heranziehung der BGB-Vorschriften setzte gemäß § 69 Satz 3 SGB V voraus, dass solches mit den Vorgaben des SGB V vereinbar sei. Insoweit sei zu berücksichtigen, dass § 112 SGB V die Entgeltabrechnung im Bereich der Krankenhausbehandlung ausdrücklich der Regelungsmacht der Vertragsparteien zuweise. Ein Unterlaufen der speziellen Vorschriften des SGB V durch eine großzügige Anwendung der BGB-Regelungen sei abzulehnen.

Gegen den ihr am 17. August 2005 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 16. September 2005 Berufung eingelegt.

Die Klägerin meint, die Beklagte habe sich eindeutig mit der Zahlung der Krankenhausbehandlungskosten in Verzug befunden. Durch ihr Verhalten habe sie die Beauftragung von Rechtsanwälten zur Beitreibung der offenstehenden Kosten veranlasst. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts ergebe sich gerade aus der Vorschrift des § 10 Abs. 5 des Vertrages über die allgemeinen Bedingungen der Krankenhausbehandlung, dass auch eine entsprechende Anwendung der Verzugsregelungen gewollt sei. Die Auffassung des Sozialgerichts führe dazu, dass es den Krankenhäusern bei solchen Fallgestaltungen nicht ermöglicht werde, die offenstehende Forderung in der im allgemeinen Rechtsverkehr üblichen Weise durch außergerichtliches anwaltliches Tätigwerden geltend zu machen. Dabei liege ein solches Verfahren im Interesse aller Beteiligten, weil es die kostenaufwändige Inanspruchnahme der Gerichte verhindere.

Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Wiesbaden vom 12. August 2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an sie 511,33 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die Entscheidung des Sozialgerichts für zutreffend. Die Vorschrift des § 69 SGB V enthalte eine abschließende Regelung über die Beziehungen der gesetzlichen Krankenkassen zu ihren Leistungserbringern. Für eine ergänzende Heranziehung des BGB sei daher kein Raum. Das gelte insbesondere, sofern Schadensersatz wegen Verzugs geltend gemacht werden solle.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Beklagten, der Gegenstand der Entscheidung war, Bezug genommen. Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte im Einverständnis der Beteiligten über die Sache ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 124 Abs. 2 SGG).

Die zulässige Berufung der Klägerin hat in der Sache keinen Erfolg. Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts ist nicht zu beanstanden. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erstattung ihrer Rechtsanwaltskosten als Verzugsschaden, obwohl sich die Beklagte im Zeitpunkt der Begleichung der restlichen Krankenhausbehandlungskosten im April 2003 – was zwischen den Beteiligten unstreitig ist – im Verzug befand. Denn für die Erstattung solcher Verzugsschäden fehlt es an einer Anspruchsgrundlage.

Ein unmittelbar auf §§ 280 Abs. 1, 286 Abs. 1 BGB gestützter Anspruch der Klägerin scheidet aus. Denn die Rechtsbeziehungen der Krankenkassen zu allen zugelassenen Leistungserbringern richten sich für die Zeit ab dem Jahr 2000 gemäß § 69 SGB V in der durch das GKV-Gesundheitsreformgesetz 2000 vom 22. Dezember 1999 (BGBl. I 2226) geltenden Fassung ausschließlich nach öffentlichem Recht. Dies gilt unabhängig davon, ob die Rechtsbeziehungen zu den einzelnen Gruppen der Leistungserbringer bis dahin als öffentlich-rechtlich oder zivilrechtlich angesehen wurden (BSG, Urteil vom 23. März 2006, B 3 KR 6/05 R).

Der Anspruch der Klägerin lässt sich auch nicht auf eine analoge Anwendung des § 286 Abs. 1 BGB i.V.m. § 61 Satz 2 SGB V stützen. Gemäß § 69 Satz 2 SGB V werden die Rechtsbeziehungen der Krankenkassen und ihrer Verbände zu den Krankenhäusern und ihren Verbänden abschließend im Vierten Kapitel, in den §§ 63, 64 und in dem Krankenhausfinanzierungsgesetz, dem Krankenhausentgeltgesetz sowie den hiernach erlassenen Rechtsverordnungen geregelt. Für diese Rechtsbeziehungen gelten im Übrigen die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches entsprechend, soweit sie mit den Vorgaben des § 70 und den übrigen Aufgaben und Pflichten der Beteiligten nach diesem Kapitel vereinbar sind (Satz 3).

Zu der Vorschrift des § 61 Satz 2 SGB X hat der 2. Senat des BSG in einer früheren Entscheidung entschieden, dass der Verweis auf die Vorschriften des BGB grundsätzlich uneingeschränkt ist, also auch die Geltendmachung von Anwaltskosten als Verzugsschaden grundsätzlich zulässt (SozR 3-1300 § 61 Nr. 1). Die Geltendmachung eines Verzugsschadens ist auch – entgegen dem Sozialgericht – durch die Beteiligten vertraglich nicht ausgeschlossen worden. In § 10 Abs. 5 des Hessischen Vertrages über die allgemeinen Bedingungen der Krankenhausbehandlung vom 31. Mai 2002 heißt es lediglich, dass die Krankenkasse Verzugszinsen entsprechend § 288 Abs. 1 BGB schuldet, wenn Zahlungen nicht innerhalb bestimmter Fristen bei dem Krankenhaus eingehen, wie es vorliegend der Fall war. Aus dem bloßen Schweigen des Vertragstextes zu der Frage, ob auch andere Verzugsschäden erstattungsfähig sind, kann jedoch ohne besondere Anhaltspunkte im Vertragswerk nicht darauf geschlossen werden, dass damit die Geltendmachung derartiger Schäden durch die Vertragsparteien ausgeschlossen werden sollte.

Der geltend gemachte Anspruch auf Erstattung der Anwaltskosten im Fall des Verzugs ist jedoch durch eine Systementscheidung des Gesetzgebers ausgeschlossen.

Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts hat es in der Vergangenheit stets ausgeschlossen, die Verzugsvorschriften auf im Sozialversicherungsrecht begründete Zahlungsansprüche anzuwenden, soweit in sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften keine ausdrückliche gesetzliche Regelung darüber enthalten war (BSG, Urteil vom 23. März 2006, a.a.O., m.w.N.). Zur Begründung ist auf die Solidarhaftung aller Versicherten, auf die einseitig zu Lasten der Leistungsträger getroffenen Regelungen hinsichtlich der Gerichtsgebühren (§§ 183, 184 Sozialgerichtsgesetz – SGG – jeweils a.F.) sowie auf den Ausschluss der Erstattung außergerichtlicher Kosten an den Leistungsträger selbst im Falle seines Obsiegens (§ 193 Abs. 4 SGG a.F.) verwiesen worden. Das galt auch im Bereich des Krankenversicherungsrechts (BSG, Urteil vom 17. Januar 1996, BSGE 77, 219). Erst durch das Urteil vom 23. März 2006 hat der 3. Senat des BSG diese Rechtsprechung insoweit aufgegeben, als für den Bereich der Rechtsbeziehungen der Krankenkassen zu den Krankenhäusern, Rehabilitationskliniken und nichtärztlichen Leistungserbringern nunmehr die entsprechende Anwendung des § 291 BGB über die Pflicht zur Zahlung von Prozesszinsen bejaht wird. Es hat dazu insbesondere auf die Neufassung des Kostenrechts im sozialgerichtlichen Verfahren durch das 6. SGG-Änderungsgesetz vom 17. August 2001 abgestellt, welches seit 2. Januar 2002 das bisherige sozialrechtliche Kostenrecht durch eine an die Verwaltungsgerichtsordnung angenäherte Regelung ersetzt hat. Ergänzend hat das BSG die entsprechende Anwendung des § 291 BGB mit der wachsenden Bedeutung der Wirtschaftlichkeit in der Leistungserbringung der gesetzlichen Krankenversicherung begründet, in der die Leistungserbringer nach kaufmännischen Grundsätzen auf liquide Mittel angewiesen sind und wegen des Wettbewerbsdrucks auf Zinsen nicht verzichten können.

Die hier dargelegte Rechtsentwicklung zeigt jedoch gleichzeitig die Grenzen der entsprechenden Anwendung der Vorschriften des BGB über die Haftung im Fall des Verzugs auf. Denn die frühere Rechtsprechung des BSG hat Ansprüche auf Erstattung von Verzugsschäden nach §§ 288, 286 BGB für den Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung immer abgelehnt (Urteil vom 17. Januar 1996, a.a.O., m.w.N.). Es hat dazu ausgeführt, die in § 61 Satz 2 SGB X vorgesehene entsprechende Anwendung der Vorschriften des BGB finde ihre Grenze an dem objektivierten Willen des SGB, die Verzinsung abschließend zu regeln, und ermögliche deshalb den Rückgriff auf die §§ 286, 288 und 291 BGB nicht (vgl. auch BSG, SozR 1300 § 61 Nr. 1).

Vor diesem rechtlichen Hintergrund käme eine weitergehende Schadensersatzpflicht der Krankenkassen gegenüber den Leistungserbringern aus Verzug nur in Betracht, wenn sich aus dem maßgebenden Spezialrecht eine dahingehende gesetzgeberische Systementscheidung ergeben würde. Daran fehlt es aber. Für den Bereich der Leistungserbringung durch die Krankenhäuser hat der Gesetz- und Verordnungsgeber Vertragsverletzungen der Krankenkassen bei der Abrechnung erbrachter Leistungen zwar mit Sanktionen versehen. Diese Vorschriften (§ 11 Abs. 3 KHEntgG, § 17 Abs. 1 BPflV) beinhalten jedoch ausschließlich Regelungen über Verzugszinsen bei verspäteter Zahlung. Weitergehende Schadensersatzansprüche bei Verzug sind hingegen gesetzlich bzw. verordnungsrechtlich nicht vorgesehen. Hieraus muss jedoch geschlossen werden, dass der Gesetz- bzw. Verordnungsgeber die Schadensersatzpflicht der Krankenkassen im Fall des Verzugs auf die Verzinsungspflicht beschränken wollte. Denn die normativen Regelungen in § 11 Abs. 1 Satz 3 KHEntgG und in § 17 Abs. 1 Satz 3 BPflV sind erst entstanden, als die Rechtsprechung des BSG zum grundsätzlichen Ausschluss jeglicher auf Verzug gründender Schadensersatzansprüche bereits Bestand hatte. Vor diesem Hintergrund hätte es nahegelegen, in den genannten Vorschriften statt des Begriffs der "Verzugszinsen" den Begriff des Verzugsschadens zu gebrauchen, wenn der Gesetzgeber die Absicht gehabt hätte, eine umfassende Einstandspflicht der Krankenkassen für den Fall der verspäteten Vertragserfüllung zu schaffen. Insoweit muss davon ausgegangen werden, dass der Gesetz- bzw. Verordnungsgeber weitergehende Ersatzansprüche gerade nicht einräumen wollte.

Angesichts dieser Rechtslage kann es dahinstehen, ob in dem Abrechnungsverhältnis zwischen Krankenkassen und Krankenhäusern angesichts der auf beiden Seiten vorhandenen Sachkunde die vorgerichtliche Einschaltung von Rechtsanwälten auf Seiten der Krankenhäuser tatsächlich (im Sinne der Verzugsvorschriften) veranlasst und damit ein liquidationsfähiger Schaden ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 52 Abs. 3 Gerichtskostengesetz.

Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen.
Rechtskraft
Aus
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