S 10 R 266/05

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Duisburg (NRW)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 10 R 266/05
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Erinnerung wird der Kostenfestsetzungsbeschluss des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle vom 11.11.2008 abgeändert und die aus der Staatskasse zu gewährende Vergütung auf 220,40 Euro festgesetzt. Im Übrigen wird die Erinnerung zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Streitig ist die Höhe des dem beigeordneten Rechtsanwalt (Erinnerungsführer) zustehenden Vorschusses aus der Staatskasse und insbesondere die Frage, in welcher Art und Weise zu berücksichtigen ist, dass der Erinnerungsführer im Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren tätig geworden ist.

Streitgegenstand des zugrunde liegenden Klageverfahrens war die Frage, ob der Anspruch der Klägerin auf Witwenrente aus der Versicherung ihres verstorbenen Ehegatten I. K. in Anwendung des § 22b FRG ausgeschlossen war, weil die Klägerin eine Altersrente aus eigener Versicherung bezieht, in deren Rahmen bereits 25 Entgeltpunkte berücksichtigt werden. Dabei war insbesondere streitig, ob es verfassungsrechtlich zulässig ist, dass der Gesetzgeber durch das Rentenversicherungs-Nachhaltigkeitsgesetz rückwirkend für die Zeit ab 07.05.1996 eine Begrenzung auf 25 Entgeltpunkte beim Zusammentreffen von einer Hinterbliebenenrente und einer Rente aus einer eigenen Versicherung geregelt hat.

Die Beklagte hatte den vom Erinnerungsführer gestellten Antrag der Klägerin auf Zahlung einer großen Witwenrente mit Bescheid vom 22.06.2005 abgelehnt, weil die Entgeltpunkte für anrechenbare Zeiten nach dem FRG vorrangig in der Rente aus der eigenen Versicherung der Klägerin zu berücksichtigen seien. Gegen diesen Bescheid erhob der Erinnerungsführer für die Klägerin am 01.07.2005 Widerspruch und trug zur Begründung vor, die in dem Rentenversicherungsnachhaltigkeitsgesetz vorgesehene Rückwirkung der Begrenzung auf 25 Entgeltpunkte beim Zusammentreffen von einer Hinterbliebenenrente und einer Rente aus eigener Versicherung sei wegen Verstoßes gegen das Rückwirkungsverbot verfassungswidrig. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Bescheid vom 30.08.2005 zurück.

In dem anschließenden Klageverfahren wurde der Klägerin mit Beschluss des Gerichts vom 05.01.2006 Prozesskostenhilfe bewilligt und der Erinnerungsführer beigeordnet. Mit Beschluss des Sozialgerichts vom 13.01.2006 wurde das Ruhen des Verfahrens angeordnet, da hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der Rückwirkung des Rentenversicherungsnachhaltigkeitsgesetzes mehrere Verfahren vor dem Bundessozialgericht anhängig waren.

Mit Schriftsatz vom 03.11.2008 beantragte der Erinnerungsführer im Wege der Gewährung eines Prozesskostenhilfevorschusses die Festsetzung folgender Gebühren und Auslagen:

Verfahrensgebühr Nr. 3102 VV (Mittelgebühr) 250,00 EUR Anrechnung gemäß Nr. 2503 Abs 2 VV 35,00 EUR 215,00 EUR Pauschale für Post und Telekommunikations- dienstleistungen Nr. 7001 VV 20,00 EUR

16 % Umsatzsteuer 7008 VV 37,60 EUR Gesamtbetrag 272,60 EUR

Mit Beschluss des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle vom 11.11.2008 wurden die als Vorschuss aus der Staatskasse zu zahlenden Gebühren und Auslagen auf 184,45 EUR festgesetzt. Dabei wurde für die Verfahrensgebühr der in Nr. 3103 VV RVG vorgesehene Betragsrahmen zugrunde gelegt und die sich daraus ergebene Mittelgebühr in Höhe von 170 EUR festgesetzt. Von dieser Mittelgebühr wurde die hälftige Beratungshilfegeschäftsgebühr in Höhe von 35 EUR in Abzug gebracht, so dass sich für die Verfahrensgebühr eine Gebührenhöhe von 135 EUR ergab. Unter Zugrundelegung der Pauschale für Post und Telekommunikationsdienstleistungen in Höhe von 20 EUR und einem Umsatzsteuersatz von 16 % ergab sich der festgesetzte Betrag in Höhe von 184,45 EUR.

Gegen diesen Beschluss legte der Prozessbevollmächtigte Erinnerung ein und führte zur Begründung aus, für die Verfahrensgebühr sei der in Nr. 3102 VV RVG vorgesehene Rahmen zugrunde zu legen, da er im behördlichen Verfahren auf Beratungshilfebasis tätig geworden sei und eine Gebühr nach Nr. 2400 VV RVG nicht erhalten habe. Jedenfalls scheide bei Zugrundelegung einer Gebühr nach Nr. 3103 VV RVG eine Anrechnung der hälftigen Beratungshilfegeschäftsgebühr aus, da die Verfahrensgebühr nach Nr. 3103 VV RVG bereits deshalb niedriger sei, weil eine Tätigkeit im Verwaltungs- bzw. im Widerspruchsverfahren vorausgegangen sei.

Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle hat der Erinnerung nicht abgeholfen.

II.

Die nach § 56 Abs. 1 RVG zulässige Erinnerung ist teilweise begründet. Dem Erinnerungsführer steht ein Vorschuss in Höhe der Mittelgebühr der Verfahrensgebühr nach Nr. 3103 VVRVG ohne Anrechnung der hälftigen Beratungshilfegeschäftsgebühr und damit in einer Höhe von 170,00 EUR zu.

Rechtsgrundlage für den beantragten Vorschuss auf die Vergütung als beigeordneter Rechtsanwalt ist § 47 RVG. Danach kann ein Rechtsanwalt, dem wegen seiner Vergütung ein Anspruch gegen die Staatskasse zusteht, für die entstandenen Gebühren und die entstandenen und voraussichtlich entstehenden Auslagen aus der Staatskasse einen angemessenen Vorschuss fordern.

Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 RVG entstehen in Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit, in denen - wie vorliegend - das Gerichtskostengesetz nicht anzuwenden ist, Betragsrahmengebühren. Bei Rahmengebühren bestimmt nach § 14 Abs. 1 RVG der Rechtsanwalt die Gebühren im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfanges und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen. Dabei ist auch das Haftungsrisiko des Rechtsanwaltes zu berücksichtigen. Ist die Gebühr von einem Dritten zu ersetzen, ist die vom dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist.

Die von dem Erinnerungsführer getroffene Bestimmung hinsichtlich der Höhe der Verfahrensgebühr entspricht nicht billigem Ermessen und ist daher nicht verbindlich, da eine Verfahrensgebühr in Höhe von 170 EUR angemessen ist und die getroffene Bestimmung (250 EUR) um mehr als 20 von 100 von der angemessenen Gebühr abweicht. Das Gericht teilt die in der sozialgerichtlichen Rechtssprechung vorherrschende Auffassung, das Unbilligkeit jedenfalls dann vorliegt, wenn die durch den Rechtsanwalt bestimmte Gebühr die nach Ansicht des Gerichts angemessene Gebühr um mehr als 20 von 100 übersteigt (vergleiche LSG NRW von 09.08.2007 Az: L 20 B 91/07 AS mwN).

Der Betragsrahmen für die Verfahrensgebühr ergibt sich vorliegend aus Nr. 3103 VV RVG. Danach beträgt die Gebühr nach Nr. 3102 VV RVG, das heißt die Verfahrensgebühr für

Verfahren vor den Sozialgerichten, in denen Betragsrahmengebühren entstehen, 20 EUR bis 320 EUR, wenn eine Tätigkeit in einem Verwaltungsverfahren oder in einem weiteren, der Nachprüfung des Verwaltungsaktes dienenden Verfahren vorausgegangen ist. Der Erinnerungsführer war vor Erhebung der Klage im Rahmen der streitigen Angelegenheit bereits im Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren tätig.

Nach Auffassung des Gerichts lässt weder der Wortlaut des Gebührentatbestandes noch Sinn und Zweck der Regelung eine Auslegung in dem Sinne zu, dass der reduzierte Gebührenrahmen der Nr. 3103 VV RVG keine Anwendung findet, wenn der Rechtsanwalt im Verwaltungsverfahren auf Beratungshilfebasis tätig gewesen ist und die Gebühr der Nr. 2400 VV RVG tatsächlich nicht erhalten hat. Der Gebührentatbestand knüpft seinem Wortlaut nach allein an die vorherige Tätigkeit in dem Verwaltungs- bzw. Widerspruchsverfahren an, nicht jedoch an die Art und Weise bzw. den Umfang der Vergütung. Durch die Reduzierung des Gebührenrahmens soll nach den Motiven des Gesetzgebers berücksichtigt werden, dass die Tätigkeit in einem Verwaltungs- bzw. Widerspruchsverfahren die anschließende Tätigkeit in einem gerichtlichen Verfahren durchaus erleichtert, weil der Rechtsanwalt sich bereits eingehend mit der Sache befasst hat (BT-Drucksache 15/1971 Seite 212 zu Nr. 3103). Dieser Gesichtspunkt kommt uneingeschränkt auch dann zum Tragen, wenn der Rechtsanwalt in dem Verwaltungs- bzw. Widerspruchsverfahren seine Gebühren nicht nach Maßgabe der Nr. 2400, 2401 VV RVG erhalten hat, sondern auf der Basis von Beratungshilfe tätig geworden ist. Die Art der Vergütung im Verwaltungs- bzw. Widerspruchsverfahren hat keinen Einfluss auf den infolge der Vorbefassung mit der Angelegenheit verringerten Aufwand der Tätigkeit im Gerichtsverfahren (ebenso SG Dresden vom 27.02.2009 S 24 SF 180/08 R/F; SG Augsburg vom 11.05.2009 S 3 SF 100/09 E; SG Aachen vom 27.02.2009 S 9 AS 42/08).

Ausgehend von dem in Nr. 3103 vorgesehenen Betragsrahmen (30 bis 320 EUR) ist der Ansatz der Mittelgebühr in Höhe von 170 EUR gerechtfertigt. Es handelt sich um eine Angelegenheit mit überdurchschnittlicher Bedeutung für die Klägerin, da die Gewährung einer Hinterbliebenenrente dem Grunde nach einen wesentlichen Bestandteil der Existenzsicherung darstellt. Der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit war unterdurchschnittlich, da lediglich ein klagebegründender Schriftsatz und eine Stellungnahme zur Frage des Ruhens des

Verfahrens verfasst worden ist. Der Schwierigkeitsgrad der anwaltlichen Tätigkeit war überdurchschnittlich, da verfassungsrechtliche Fragen, insbesondere das Problem einer ausnahmsweise zulässigen echten Rückwirkung zu behandeln und eine Befassung mit zahlreichen höchstrichterlichen Entscheidungen erforderlich war. Die sich aus dem PKH-Verfahren ergebenen Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Klägerin sind als unterdurchschnittlich zu beurteilen, sodass insgesamt bei 2 als überdurchschnittlich und 2 als unterdurchschnittlich zu bewertenden Kriterien der Ansatz der Mittelgebühr angemessen ist.

Die Verfahrensgebühr in Höhe von 170 EUR ist nicht um die Hälfte der im Wege der Beratungshilfe gewährten Geschäftsgebühr nach Nr. 2503 Abs. 2 VV RVG zu vermindern. Nach diesem Gebührentatbestand ist auf die Gebühr für ein anschließendes gerichtliches oder behördliches Verfahren die im Rahmen der Beratungshilfe aus der Staatskasse gezahlte Geschäftsgebühr zur Hälfte anzurechnen. Diese Anrechnung setzt nicht voraus, dass die Geschäftsgebühr für die Beratungshilfe außerhalb eines gerichtlichen oder behördlichen Verfahrens entstanden seinen muss (vergleiche LSG NRW vom 29.10.2009 Az: L 1 B 6/09 AS unter der Aufgabe der früheren Rechtssprechung). Auch durch diese Anrechnungsvorschrift soll berücksichtigt werden, dass der Rechtsanwalt mit der Thematik im Rahmen der Beratungshilfe bereits befasst war und sich dadurch der Umfang seiner diesbezüglichen gerichtlichen Tätigkeit nicht unerheblich reduziert (SG Aachen vom 27.02.2009 S 9 AS 42/08; SG Augsburg vom 11.05.2009 S 3 SF 100/09 E; SG Berlin vom 02.10.2009 S 164 SF 1112/09 E). Somit dient diese Regelung dem gleichen Zweck wie die in Nr. 3103 VV RVG vorgesehene Reduzierung des Gebührenrahmens, nämlich der Vermeidung einer unangemessenen Doppelvergütung für bereits geleistete Arbeit.

Aus der amtlichen Anmerkung zu Nr. 3103 VV RVG geht hervor, dass der Gesetzgeber vermeiden wollte, dass unter diesem Gesichtspunkt eine mehrfache Minderung der Vergütung des Rechtsanwaltes vorgenommen wird. Aus diesem Grund ist dort geregelt, bei der Bemessung der Gebühr nach Nr. 3103 VV RVG sei nicht zu berücksichtigen, dass der Umfang der Tätigkeit in Folge der Tätigkeit im Verwaltungsverfahren oder im Widerspruchsverfahren geringer sei. Somit findet in der amtlichen Anmerkung zu Nr. 3103 VV RVG der gesetzgeberische Wille Ausdruck, dass der geringere Aufwand des

Rechtsanwaltes wegen der Vorbefassung mit der Angelegenheit allein durch den geringeren Gebührenrahmen der Nr. 3103 VV RVG vollständig abgegolten sein soll. Dies geht noch deutlicher aus den Gesetzesmaterialien hervor, wenn dort ausgeführt wird, mit der amtlichen Anmerkung solle klar gestellt werden, dass der durch die vorangegangene Tätigkeit ersparte Aufwand "ausschließlich" durch die Anwendung des geringeren Rahmens berücksichtigt werden solle (BT - Drucksache 15/1971 Seite 212 zu Nr. 3103). Damit lässt sich nicht vereinbaren, die Verfahrensgebühr der Nr. 3103 VV RVG zusätzlich zu mindern, in dem man aus dem gleichen Gesichtspunkt, nämlich der Vorbefassung mit der Angelegenheit im Verwaltungs- oder Widerspruchsverfahren die Gebühr durch die hälftige Anrechnung der Geschäftsgebühr für die Beratungshilfe weiter reduziert. Da der gesetzgeberische Wille seinen Niederschlag in der amtlichen Anmerkung gefunden hat, bestehen keine Bedenken, den Gebührentatbestand dahingehend auszulegen, dass die in Nr. 3103 VV RVG für den Fall der Vorbefassung mit der Angelegenheit vorgesehene Gebührenreduzierung der Verfahrensgebühr im sozialgerichtlichen Verfahren die speziellere Vorschrift gegenüber der allgemeinen Regelung der Gebührenreduzierung bei Vorbefassung mit der Angelegenheit im Rahmen der Beratungshilfe nach Nr. 2503 Abs. 2 VV RVG ist (ebenso: SG Aachen vom 27.02.2009 S 9 AS 42/08; SG Augsburg vom 11.05.2009 S 3 SF 100/09 E; SG Dresden vom 27.02.2009 S 24 SF 180/08 R/F; SG Berlin vom 02.10.2009 S 164 SF 1112/09 E; andere Ansicht LSG NRW vom 01.02.2007 L 12 B 8/06 AS; Thüringer LSG vom 16.01.2009 L 6 B 255/08 SF; SG Osnabrück vom 21.07.2009 S 1 SF 84/08; SG Würzburg vom 27.07.2009 S 2 SF 17/09 E).

Hinsichtlich der auf die Vergütung entfallenden Umsatzsteuer ist ein Satz von 16 % zugrunde zu legen. Bei einer Änderung des Umsatzsteuersatzes ist derjenige Satz maßgebend, der bei Eintritt der Fälligkeit der Vergütung galt (Gerold/Schmidt Kommentar zum RVG Nr. 7008 VV Rn 45). Die Vergütung wird fällig, wenn der Auftrag erledigt oder die Angelegenheit beendet ist (§ 8 Abs. 1 Satz 1 RVG). Ist der Rechtsanwalt in einem gerichtlichen Verfahren tätig, wird die Vergütung auch fällig, wenn das Verfahren länger als 3 Monate ruht (§ 8 Abs. 1 Satz 2 RVG). Da der Ruhensbeschluss des Gerichts am 13.01.2006 ergangen ist, war die Vergütung bereits im April 2006 fällig. Zu diesem Zeitpunkt betrug der Umsatzsteuersatz 16 %.

Damit ergibt sich folgende aus der Staatskasse zu gewährende Vergütung:

Verfahrensgebühr Nr. 3103 VV 170,00 EUR Auslagenpauschale Nr. 7001 VV 20,00 EUR Umsatzsteuer Nr. 7008 VV 30,40 EUR Gesamtbetrag 220,40 EUR

Die Kostenentscheidung beruht auf § 56 Abs. 2 Satz 3 RVG.
Rechtskraft
Aus
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