L 7 B 40/07 SO

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
7
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
S 16 SO 36/06 ER
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 7 B 40/07 SO
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Grundsätzlich wird Prozesskostenhilfe für ein abgeschlossenes Verfahren nicht mehr gewährt.

Eine Ausnahme ist zu machen, wenn der vollständige Antrag mit den erforderlichen Unterlagen während des Verfahrens gestellt, aber nicht beschieden wurde oder wenn der Antrag zwar unvollständig war, aber es das Gericht ausdrücklich oder stillschweigend gestattet hat, fehlende Unterlagen nachzureichen. Eine solche Genehmigung des Gerichts kann auch darin liegen, dass in einem gerichtlichen Vergleich, der das Hauptsacheverfahren beendet, eine Fortführung des PKH-Verfahrens vereinbart wird.

Streiten die Beteiligten im Hauptsacheverfahren um die Frage der Verwertbarkeit eines Vermögensgegenstandes, ist für das PKH-Verfahren hinsichtlich der wirtschaftlichen Voraussetzungen von Unverwertbarkeit dieses Vermögensgegenstandes auszugehen, weil dem Antragsteller sonst die gerichtliche Überprüfung seiner Rechtsposition von vornherein verwehrt wäre bzw. diese in das PKH-Verfahren verlagert würde
Der Beschluss des Sozialgerichts Darmstadt vom 4. August 2006 wird aufgehoben.

Der Antragstellerin wird Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren unter Beiordnung von Rechtsanwalt B. ab 23. März 2006 bewilligt.

Gründe:

I.

Die Beteiligten stritten in einem Verfahren zum einstweiligen Rechtsschutz darum, ob der Antragsgegner der Antragstellerin laufende Hilfe zum Lebensunterhalt zu gewähren hatte; dabei ging es insbesondere darum, ob ein von der Antragstellerin bewohntes Hausgrundstück als Vermögen zu berücksichtigen war.

Die Antragstellerin erhielt seit 2004 Sozialhilfe. Sie bewohnt ein Hausgrundstück, das nach Auffassung des Antragsgegners einen Wert von 350.000,- Euro hat. Aufgrund Leistungseinstellung mit Bescheid vom 8. Dezember 2004 erwirkte die Antragstellerin vor dem Verwaltungsgericht Frankfurt am Main unter dem 27. Januar 2005 einen Beschluss, wonach der Antragsgegner zur vorläufigen Weitergewährung der Hilfe zum Lebensunterhalt auf Darlehensbasis verpflichtet wurde (6 G 2876/04 {3}).

Ab 1.Oktober 2005 stellte der Antragsgegner die Leistung erneut ein (Bescheid vom 18. Oktober 2005). Die Beteiligten führten deswegen ein Verfahren zum einstweiligen Rechtsschutz vor dem Sozialgericht Darmstadt (im Folgenden: SG) unter dem Aktenzeichen. In diesem beantragte die Antragstellerin Prozesskostenhilfe (PKH) und legte mit Datum vom 6. Dezember 2005 eine Erklärung über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vor, in der keine Einkünfte und außer dem Grundstück auch keine Vermögenswerte angegeben sind. Der Antragstellerin wurde PKH ohne Ratenzahlung gewährt. Der Rechtsstreit endete durch Rücknahme des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, nachdem der Antragsgegner "ohne Nachgabe im Recht" die Leistung darlehensweise weiter bewilligt hatte.

Ab Februar 2006 erhielt die Antragstellerin zunächst erneut keine weiteren Leistungen von dem Antragsgegner mehr. Die Antragstellerin strengte daraufhin am 13. März 2006 ein abermaliges Verfahren zum einstweiligen Rechtsschutz beim SG an (S 16 SO 36/06 ER) und beantragte am 23. März 2006 PKH unter Beiordnung ihres Prozessbevollmächtigten. Dabei verwies der Prozessbevollmächtigte darauf, dass eine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse in dem abgeschlossenen Verfahren bereits vorgelegt worden sei. Die wirtschaftlichen Verhältnisse seien im Übrigen offenkundig. Er habe ein Formular an die Antragstellerin übersandt und werde es nachreichen.

Am 9. Juni 2006 beendeten die Beteiligten den Rechtsstreit durch Vergleich. Der Antragsgegner verpflichtete sich, die Leistungen bis 31. Dezember 2006 weiter zu gewähren und 2/3 der Kosten der Antragstellerin zu tragen. Die Antragstellerin betrieb im Gegenzug das Verfahren mit Ausnahme des Antrages auf Bewilligung von PKH nicht weiter.

Mit Schreiben vom 5. Juli 2006 erinnerte das SG "nochmals" an die Vorlage der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse. Mit Beschluss vom 4. August 2006 lehnte das SG die Bewilligung von PKH ab. Die Antragstellerin sei der Verpflichtung, eine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vorzulegen, nicht nachgekommen. Der Beschluss wurde am 8. August 2006 zugestellt.

Mit Schreiben vom 6. September 2006 (Eingang beim SG am 7. September 2006) übersandte der Prozessbevollmächtigte eine ausgefüllte und unterschriebene Erklärung der Antragstellerin zu ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen. Die Antragstellerin sei offenbar krankheitsbedingt nicht in der Lage gewesen, auf seine diversen Schreiben zu reagieren. Auf Anfrage des SG teilte die Antragstellerin mit, ihr Schreiben vom 6. September 2006 solle als Beschwerde gegen den Beschluss vom 4. August 2006 angesehen werden.

Das SG hat der Beschwerde nicht abgeholfen (Beschluss vom 31. Januar 2007).

II.

Die Beschwerde ist begründet. Der Antragstellerin ist für das erstinstanzliche Verfahren PKH unter Beiordnung ihres Prozessbevollmächtigen zu bewilligen.

Nach § 73a Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 114 Zivilprozessordnung (ZPO) erhält ein Prozessbeteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann, auf Antrag PKH, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig erscheint.

Die Erfolgsaussichten des von der Antragstellerin betriebenen Verfahrens ergeben sich bereits aus dem mit dem Vergleich verbundenen Teilerfolg. Aussichten auf einen entsprechenden Erfolg bestanden auch schon zum Zeitpunkt der Antragstellung auf PKH, denn eine Änderung der Sach- und Rechtslage hatte sich zwischen Antragstellung und Vergleichsschluss nicht ergeben.

Der Umstand, dass der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung im Rahmen des Vergleichs zurückgenommen wurde, steht der nachträglichen Bewilligung von PKH im vorliegenden Fall nicht entgegen. Grundsätzlich kann allerdings PKH für ein abgeschlossenes Verfahren nicht mehr gewährt werden. Hiervon werden Ausnahmen gemacht, wenn der Bewilligungsantrag mit den erforderlichen Unterlagen während des Verfahrens gestellt, aber nicht beschieden wurde (vgl. Zöller-Philippi, Kommentar zur Zivilprozessordnung, 26. Auflage, § 119, Rdnr. 47).

Eine Ausnahme ist ferner dann zu machen, wenn es das Gericht ausdrücklich oder stillschweigend gestattet hat, fehlende Unterlagen nachzureichen. Dann ist PKH ab Eingang des unvollständigen Antrages zu gewähren, wenn die Unterlagen innerhalb einer gesetzten Frist eingereicht werden (vgl. Zöller-Philippi, a.a.O., Rdnr. 40; Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Beschluss vom 10. Februar 1992, MDR 1993, 91; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 18. August 1987 - 5 WF 78/87 -). So liegt der Fall hier. Zum Zeitpunkt des Abschlusses des gerichtlichen Vergleichs vom 9. Juni 2006 lag die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Antragstellerin noch nicht vor. Gleichwohl wurde im Vergleich die Fortführung des PKH-Verfahrens festgelegt. Damit hatte das SG die Nachreichung der Unterlagen zumindest stillschweigend gestattet. Die einmalige Erinnerung vom 5. Juli 2006 (eine mehrfache bzw. "nochmalige" Erinnerung ist nach dem Akteninhalt nicht nachzuvollziehen und mit Blick auf die zeitlichen Daten auch nicht anzunehmen) verändert die rechtliche Bewertung nicht. Denn eine Fristsetzung war mit dieser Erinnerung nicht verbunden. Es konnte ihr nicht entnommen werden, dass das Gericht nunmehr bzw. ab einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr bereit sei, auf die Unterlagen zu warten. Darüber hinaus sieht das Gesetz eine Ablehnung der Bewilligung erst dann vor, wenn erforderliche Unterlagen nicht innerhalb einer vom Gericht gesetzten Frist vorgelegt werden (§ 118 Abs. 2 Satz 4 ZPO).

Im vorliegenden Fall ist somit ausnahmsweise eine nachträgliche Bewilligung von PKH nach Beendigung des Rechtsstreits gerechtfertigt. Es kann deshalb dahinstehen, ob angesichts evtl. offenkundiger wirtschaftlicher Verhältnisse der Antragstellerin und der im vorangegangenen Verfahren () vorgelegten Unterlagen überhaupt eine neue Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse erforderlich war oder nicht.

Die Antragstellerin ist auch bedürftig im Sinne des § 73a Abs. 1 SGG i.V.m. § 115 ZPO. Eine Berücksichtigung des Hausgrundstücks als Vermögen gemäß § 115 Abs. 3 ZPO i.V.m. § 90 Sozialgesetzbuch XII (SGB XII) kommt nicht in Betracht. Denn die Beteiligten stritten im Verfahren für das PKH begehrt wird, gerade um die Frage, ob das Hausgrundstück einzusetzendes Vermögen ist oder nicht. Diese Frage darf im PKH-Bewilligungs-verfahren (bei Vorliegen der Erfolgsaussichten im Übrigen) nicht vorweg genommen werden, weil das PKH-Verfahren den grundrechtlich gebotenen Rechtsschutz nicht selbst bieten, sondern erst zugänglich machen soll (vgl. BVerfG, Beschluss vom 13. Juli 2005 – 1 BvR 175/05FamRZ 2005, 1893). Daher darf die materiell-rechtliche Prüfung im PKH-Verfahren regelmäßig nicht einen Umfang erreichen, der demjenigen in dem Verfahren selbst entspricht, für das PKH begehrt wird. Würde dessen ungeachtet vorliegend bereits im PKH-Verfahren die Verpflichtung zum Vermögenseinsatz des Hausgrundstücks (eingehend) geprüft und bejaht, würde der Antragstellerin die Möglichkeit genommen, ihre Rechtsposition in einem gerichtlichen Verfahren inhaltlich prüfen zu lassen.

Die Bewilligung der PKH wurde auf den 23. März 2006 datiert, weil die Antragstellerin erst an diesem Tag den entsprechenden Antrag gestellt hat.

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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