L 5 V 957/71

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
5
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 5 V 957/71
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Wird im Prozeßregister des LSG eine Einschreibesendung nicht eingetragen, ist daraus die Folgerung zu ziehen, daß sie nicht eingegangen ist.
2. Eine Eintragung im Einschreibesammelbuch des Absenders begründet nur dann die Glaubhaftmachung der Absendung, wenn die Einschreibenummer der Sendung auch im Prozeßregister des LSG eingetragen ist.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt/M. vom 25. Mai 1971 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Der 1910 geborene Kläger stellte am 6. November 1967 erstmalig Antrag auf Gewährung von Beschädigtenversorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz wegen der Folgen einer am 31. Juli 1944 erlittenen Verwundung am rechten Unterschenkel.

Nach Verwertung des Krankenblattes des Polizeilazaretts Versehrtenabteilung K. vertrat Dr. C. in dem Gutachten vom 12. März 1968 die Ansicht, als Schädigungsfolgen seien lediglich reizlose Narben am Unterschenkel rechts mit Faszienlücke in einer derselben, Zeichen einer alten Knochenverletzung am Schienbein, zwei kleine Weichteilstecksplitter im Unterschenkel rechts gegeben. Es handele sich um einen Durchschuß, der Schienbein an seinem lateralen, dem Wadenbein zugewandten Rand erfaßt habe. Eine Verbiegung bestehe nicht. Die MdE für betrage 10 v.H.

Mit Bescheid vom 15. Mai 1968 sind hiernach die von Dr. C. diagnostizierten Verwundungsfolgen als Schädigungsfolgen, die keine Minderung der Erwerbsfähigkeit von wenigstens 25 v.H. bedingen, anerkannt worden. Der Bescheid stellte weiterhin fest, nach § 30 Abs. 2 BVG sei der Kläger nicht besonders betroffen, weil er in der Ausübung seines Berufes durch die anerkannten Schädigungsfolgen nicht behindert sei. Die entartende Veränderungen in beiden Kniegelenken, die Bewegungseinschänkung im Schultergelenk rechts, die geringfügige Krampfaderbildung an beiden Unterschenkeln, der Senkspreizfuß und leichtes X-Beine seien keine Schädigungsfolgen.

Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 7.8.1968).

In dem Klageverfahren hat das Sozialgericht Frankfurt/M. Beweis erhoben und auf Veranlassung des Klägers von dem Facharzt für Chirurgie Dr. B. das Gutachten vom 31. März 1969 gemäß § 10 SGG eingeholt, der darin die Meinung vertreten hat, die verformenden Veränderungen im rechten Hüftgelenk (sekundärarthrotische Veränderungen seien im Sinne einer Verschlimmerung als Schädigungsfolgen anzusehen. Die Gesamt-MdE betrage 30 v.H. Durch die Schädigungsfolgen sei der Kläger in seinem vorwiegend stehenden Beruf als Instrumentenmacher beeinträchtigt.

In dem fachchirurgischen Gutachten vom 29. Januar 1970 führte dazu der Facharzt für Chirurgie Dr. H. aus, aufgrund der jetzigen Feststellungen könne der Auffassung im Gutachten des Dr. B. hinsichtlich der Bejahung eines Zusammenhangs zwischen der Arthrose im rechten Hüftgelenk und der Bewegungsbehinderung mit den Verwundungsfolgen nicht zugestimmt werden. Die MdE von 10 v.H. entspreche den bestehenden Schädigungsfolgen, wobei hinzukomme, daß ein Fasziendefekt in einer der Unterschenkelnarben nicht mehr bestehe.

Mit Bescheid vom 29. April 1970 sind hiernach die Schädigungsfolgen mit, Reizlose Narben am rechten Unterschenkel mit Lochdefekt im Schienbein und Weichteilstecksplitter” mit einer MdE wie bisher von 10 v.H. neu bezeichnet worden.

Dazu vertrat der Facharzt für Chirurgie Dr. B. in seiner Stellungnahme vom 23. September 1970 die Ansicht, es seien keine neuen Gesichtspunkte ersichtlich, welche die Beurteilung in dem Gutachten vom 31. März 1969 widerlegen könnten. Bei integrierender Bewertung aller Schädigungsfolgen sei eine MdE von 30 v.H. anzunehmen, davon allein für die Veränderung am rechten Hüftgelenk mit 20 v.H.

Es ist weiterhin von Prof. Dr. He. von der Orthopädischen Universitätsklinik und Poliklinik F. F. das Gutachten vom 29. März 1971 eingeholt worden, der darin mit Doz. Dr. Bö. die Meinung äußerte, als verwundungsbedingte Leiden bestünden ein mit Defektbildung und leichter Verbiegung der Tibiavorderkante knöchern fest verheilter Schußbruch des Tibiakopfes sowie reizlose Narben und Weichteilstecksplitter im oberen Drittel des rechten Unterschenkels, die eine MdE von 10 v.H. bedingten. Verwundungsunabhängige Folgen seien die Aufbaustörung der gesamten Rumpfwirbelsäule, die Bewegungseinschränkung des rechten Hüftgelenkes bei mittelstarker Arthrosis deformans und leichter Arthrosis deformans des linken Hüftgelenkes, die Arthrosis beider Kniegelenke, rechts stärker als links, die X-Beinstellung beider Beine, Knicksenkspreizfuß und Hallux rigidus-Bildung beiderseits, die Periarthritis humeroscapularis rechts und Dupuytren’sche Kontraktur links. Die degenarativen Veränderungen am rechten Hüftgelenk beruhen auf verwundungsunabhängigen Ursachen. Durch die Verwundungsfolgen sei der Kläger in seiner Arbeitsfähigkeit nicht wesentlich behindert. Die Einschänkung seiner Arbeitsfähigkeit beruhe zum großen Teil auf verwundungsunäbhängigen Veränderungen der großen Gelenke und der Wirbelsäule.

Mit Urteil vom 25. Mai 1971 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, außer den anerkannten und zutreffend bewerteten Schädigungsfolgen bestünden bei ihm keine Gesundheitsstörungen, die mit Wahrscheinlichkeit auf schädigende Einwirkungen im Sinne des § 1 BVG zurückgeführt werden könnten. Das gelte besonders für die verformenden Veränderungen im rechten Hüftgelenk, die der medizinische Sachverständige Dr. B. fälschlicherweise als Schädigungsfolgen angesehen habe. Diese Ansicht sei insbesondere durch das Gutachten des Prof. Dr. He. widerlegt worden.

Gegen das dem Kläger am 8. Juli 1971 zugestellte Urteil ist die Berufung am 20. September 1971 bei dem Hessischen Landessozialgericht eingegangen, zu deren Begründung er bei gleichzeitigem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vorträgt, die Berufung sei rechtzeitig eingelegt worden. Daß sie beim Hessischen Landessozialgericht nicht auffindbar sei, sei dem Prozeßbevollmächtigten erst nach der Überreichung der Prozeßvollmacht am 13. September 1971 zur Kenntnis gelangt. Der nicht rechtzeitige Eingang der am 3. August 1971 gefertigten Berufungsschrift beruhe nicht auf dessen Verschulden, da sie am 4. August 1971 mit der Sammelpost an das Hessische Landessozialgericht in Darmstadt abgesandt worden sei. Dieser Beweis sei durch das Posteinlieferungsbuch geführt.

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt/M. vom 25. Mai 1971 aufzuheben und unter Abänderung des Bescheides vom 29. April 1970 den Beklagten zu verurteilen, wegen der weiteren Schädigungsfolge "verformende Veränderungen im rechten Hüftgelenk” im Sinne der Verschlimmerung Versorgungsrente nach einer MdE um 30 v.H. zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,
die Berufung als unzulässig zu verwerfen,
hilfsweise,
als unbegründet zurückzuweisen.

Die Versorgungsakte mit der Grdl.Nr. XXX hat vorgelegen. Auf ihren Inhalt und den der Gerichtsakte beider Rechtszüge, der auszugsweise vorgetragen worden ist, wird zur Ergänzung des Tatbestandes Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist unzulässig, da sie verspätet eingelegt worden ist.

Das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt/M. vom 25. Mai 1971, das mit vollständiger und richtiger Rechtsmittelbelehrung versehen ist, ist dem Prozeßbevollmächtigten des Klägers als Zustellungsempfänger am 8. Juli 1971 gemäß § 5 Abs. 1 Verwaltungszustellungsgesetz (VwZG) vom 3. Juli 1952 (BGBl. I 379) ausgehändigt worden. Gemäß § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beträgt die Frist zur Einlegung der Berufung einen sonst nach Zustellung dieses Urteils. Diese Frist hat der Kläger nicht gewahrt. Sie begann gemäß § 64 Abs. 1 SGG am 8. Juli 1971 und endete nach Abs. 3 dieser Vorschrift, da das Ende der Frist mit dem 8. August 1971 auf einen Sonntag fiel am Montag, dem 9. August 1971. Beim hessischen Landessozialgericht lag aber erst am 20. September 1971 die Berufung vor und damit nach Ablauf der Berufungsfrist.

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand konnte nicht gewährt werden, was dann gemäß § 67 SGG möglich ist, wenn ein Kläger ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten. Im vorliegenden Fall kommt es, da der Kläger durch einen Prozeßbevollmächtigten vertreten war, jedoch nicht auf sein Verschulden, sondern allein auf das Verschulden seines Prozeßbevollmächtigten an. Dieser war durch die Rechtsmittelbelehrung eingehend auf die einzuhaltende Rechtsmittelfrist hingewiesen und entsprechend belehrt worden. Er hätte also ohne weiteres während der laufenden Frist ein Rechtsmittel einlegen können. Daß er daran durch irgend einen Umstand gehindert war, hat der Prozeßbevollmächtigte nicht dargetan, sondern vielmehr darauf hingewiesen, daß die Berufungsschrift am 4. August 1971 an das Hessische Landessozialgericht mit einer Sammeleinschreibesendung abgesandt worden sei. Für diese Behauptung fehlt jeglicher Nachweis, da die Berufungsschrift nicht beim Hessischen Landessozialgericht eingegangen ist. Dieser Nachweis ist auch nicht mit dem Posteinlieferungsbuch des Prozeßbevollmächtigten zu führen, das unter dem Datum des 4. August 1971 lediglich zwei Eintragungen "Hessisches Landessozialgericht Darmstadt” neben anderen enthält. Daß sich dabei auch der Berufungsschriftsatz des Klägers befunden hat, ist damit nicht glaubhaft gemacht, noch dazu sich unter der Einschreibenummer 038 die Berufungsschrift des W. gegen Bundesversicherungsanstalt für Angestellte, die mit der Pr.L. 810 Eingang in das Tagebuch betreffend die Berufungen beim Hessischen Landessozialgericht gefunden hat, verbirgt, während unter der Nr. 043 die Berufungsschrift in der Sache J./LVA Hessen (L-2/J 808/71) eingegangen ist. Hätte die Berufungsschrift des Klägers beigelegen, dann wäre sie ebenfalls im Prozeßregister des Hessischen Bundessozialgerichts registriert worden. Da das nicht der Fall ist, ist die Folgerung zu ziehen, daß die Berufungsschrift nicht zur Absendung gelangt ist. Dieses Verschulden des Prozeßbevollmächtigten hat der Kläger nach herrschender Rechtsprechung wie eigenes Verschulden zu vertreten, was eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand daher nicht ermöglicht. Der Antrag des Klägers war deshalb abzulehnen.

Da hiernach die Berufung nicht in der gesetzlichen Frist eingelegt worden ist, mußte sie als unzulässig verworfen werden. (§ 158 Abs. 1 SGG), ohne daß auf die Sache selbst eingegangen werden konnte.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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