L 1 An 826/83

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
S 2 An 59/82
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 1 An 826/83
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1.) Ein nichtehelich geborenes Kind kann beim Tod der versicherten Mutter nur dann Vollwaisenrente beanspruchen, wenn sein Vater nicht bekannt und auch nicht mit Aussicht auf Erfolg zu ermitteln ist (im Anschluß an BSG vom 15.03.1988, Az.: 4/11 a RA 50/87).
2.) Eine solche Möglichkeit besteht, wenn der ehemalige Vormund der Waise den Namen des Vaters kennt, weil das nichtehelich geborene Kind seinen verfassungsrechtlich garantierten Anspruch auf Kenntnis der eigenen Abstammung im Wege der Auskunftsklage vor den Zivilgerichten geltend machen kann.
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 4. Februar 1983 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Bewilligung einer Vollwaisenrente.

Die Klägerin ist das 1957 nichtehelich geborene Kind der im Juli 1967 verstorbenen Versicherten W. T ... Sie wurde von ihrer Mutter durch notariellen Vertrag vom 20. April 1961 mit Zustimmung des Vormundschaftsgerichts adoptiert. Der Name des Vaters der Klägerin ist unbekannt, da sowohl die verstorbene Versicherte als auch ihre nach deren Tod zum Vormund der Klägerin bestellte Schwester, Frau G. T., hierzu Angaben verweigerten.

Das Sozialgericht Gelsenkirchen wies durch Urteil vom 6. Februar 1968 (Az.: S-7 (1)/An-159/67) die auf Zahlung von Vollwaisenrente gerichtete Klage gegen den Halbwaisenrente bewilligenden Bescheid der Beklagten vom 5. Oktober 1967 ab. Nur wenn die Person des Erzeugers objektiv nicht mehr feststellbar sei, sei es der Versichertengemeinschaft zuzumuten, dem Kind nach dem Tod der Mutter Vollwaisenrente zu bewilligen. Wenn aber nach den eigenen Angaben des Vormunds der Klägerin der Vater bekannt sei, aber nicht genannt werde, müsse sich die Klägerin das Verhalten des Vormunds zurechnen lassen, denn ein Prozeßbeteiligter könne nicht durch Verweigerung einer allein ihm möglichen Sachaufklärung eine günstige Prozeßentscheidung erreichen.

Am 18. September 1981 beantragte die inzwischen volljährige Klägerin bei der Beklagten erneut die Bewilligung einer Vollwaisenrente. Sie habe die Unterlagen des sozialgerichtlichen Verfahrens gefunden, nach dessen Urteil sie aufgrund des Verhaltens ihrer Tante nur Halbwaisenrente erhalte. Das Wissen ihres ehemaligen Vormundes müsse sie sich jetzt nicht mehr vorhalten lassen. Da ein Vater nicht festgestellt und nach einer Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSGE 10, 189) die Vollwaisenrente an die Stelle fehlender Unterhaltsansprüche gegen den Vater trete, könne sie Vollwaisenrente beanspruchen.

Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 20. November 1981 ab. Der Rentenbescheid vom 5. Oktober 1967 sei bindend geworden. Im übrigen bleibe es dabei, daß das nichteheliche Kind, dessen Vater bekannt sei, trotz fehlender Unterhaltsansprüche nicht Vollwaise werde, solange dieser lebe. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Bescheid vom 1. April 1982 zurück. Auf Entscheidungen des Bundessozialgerichts könne sich die Klägerin nicht berufen, da bisher nicht über einen Fall entschieden worden sei, wo der Vater bekannt, aber die Feststellung der Vaterschaft unterblieben sei.

Mit ihrer hiergegen am 5. Februar 1982 beim Sozialgericht Kassel erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren weiterverfolgt und erneut vorgetragen, daß sie es nicht zu vertreten habe, wenn von Dritten die mögliche Vaterschaftsfeststellung verhindert werde. Da weder sie, noch andere Personen oder eine Behörde ihren Vater ermitteln könnten, sei sie so zu behandeln, als ob eine Vaterschaft tatsächlich nicht feststellbar sei.

Das Sozialgericht Kassel hat durch Urteil vom 4. Februar 1983 der Klage stattgegeben und die Beklagte zur Zahlung von Vollwaisenrente für die Zeit vom 1. Januar 1977 bis 30. November 1982 verurteilt. Zwar könne nicht der Tod beider Elternteile festgestellt werden, da der Name des Vaters der Klägerin nach deren glaubhafter Versicherung unbekannt sei. Der Gesetzgeber sei aber bei der Unterscheidung zwischen Halb- und Vollwaisen bei der Höhe der zu bewilligenden Rente davon ausgegangen, daß bei Halbwaisen noch ein Unterhaltsanspruch gegen den überlebenden Elternteil bestehe, bei Vollwaisen aber niemand mehr für Unterhalts Zahlungen an das Kind aufzukommen habe. Ein solcher Fall läge auch dann vor, wenn die Mutter eines nichtehelichen Kindes verstorben sei und das Kind – auf dessen Erkenntnisstand es ankomme – vom Erzeuger nichts wisse. Es sei unerheblich, ob die Tante der Klägerin als ehemaliger Vormund zur Sachaufklärung beitragen könne, denn es bestehe kein Zwang, die Vaterschaft eines nichtehelichen Kindes festzustellen.

Gegen dieses der Beklagten gegen Empfangsbekenntnis am 4. Juli 1983 zugestellte Urteil richtet sich die mit Schriftsatz vom 29. Juli 1983 – eingegangen beim Hessischen Landessozialgericht in Darmstadt am 2. August 1983 – eingelegte Berufung.

Die Beklagte wendet sich gegen die Entscheidung des Sozialgerichts und trägt vor, anders als in den bisher vom Bundessozialgericht entschiedenen Fällen könne die Klägerin mit Aussicht auf Erfolg ihren Vater feststellen lassen. Die Tante der Klägerin, die den Vater kenne, müsse hierzu als Zeugin vernommen werden. Das Amtsgericht Passau habe in einem vergleichbaren Fall die Mutter dazu verpflichtet, gegenüber ihrem nichtehelichen Kind Auskunft über die Person des Vaters zu erteilen. Solange die Klägerin es unterlasse, alle denkbaren Erkenntnismöglichkeiten zur Ermittlung ihres Vaters auszuschöpfen, müsse sie sich dieses Verhalten ebenso wie die Tante in dem Verfahren vor dem Sozialgericht Gelsenkirchen im Jahre 1968 zurechnen lassen.

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 4. Februar 1983 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die Entscheidung des Sozialgerichts für richtig und vertritt unter Bezugnahme auf ihr erstinstanzliches Vorbringen die Auffassung, daß ein zivilrechtliches Verfahren zur Feststellung der Vaterschaft ausgeschlossen sei, da sie hierfür zumindest den Namen des vermeintlichen Vaters angeben müsse. Ihre Tante könne nicht dazu gezwungen werden, vor Gericht Angaben zu machen, da ihr ein Zeugnisverweigerungsrecht zustehe, auf das sie sich gegebenenfalls berufen würde. Das von der Beklagten herangezogene Urteil des Amtsgerichts Passau sei weder einschlägig, noch auf sozialrechtlichem Gebiet ergangen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze im Gerichtsverfahren und der beigezogenen Rentenakte, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, denn sie ist form- und fristgerecht eingelegt sowie nach Zulassung durch das Sozialgericht im angefochtenen Urteil statthaft (§§ 151, 150 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz – SGG –).

Die Berufung der Beklagten ist auch begründet. Das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 4. Februar 1983 war aufzuheben, denn die Voraussetzungen für die Bewilligung einer Vollwaisenrente liegen im Falle der Klägerin nicht vor.

Rechtsgrundlage für das Begehren der Klägerin auf Überprüfung des bestandskräftigen (Bescheides vom 5. Oktober 1967 ist § 44 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch X (SGB X) vom 18. August 1980, BGBl. I, S. 1469 ber. S. 2218), der am 1. Januar 1981 (Art. II § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB X) in Kraft getreten ist. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den in Art. II § 40 Abs. 2 SGB X genannten Einschränkungen, denn nach dem Beschluss des Großen Senates des Bundessozialgerichts vom 15. Dezember 1982 (BSGE 54, 223, 226 ff.) findet § 44 SGB X, soweit Leistungen vor dem 1. Januar 1981 streitig und über den 31. Dezember 1980 hinaus anhängig sind, selbst dann Anwendung, wenn der Verwaltungsakt, der durch den angefochtenen Verwaltungsakt aufgehoben werden soll, vor dem 1. Januar 1981 erlassen worden ist.

Soweit sich im Einzelfall ergibt, daß bei Erlaß eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht nicht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen (§ 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X).

Bei ihrer ablehnenden Entscheidung vom 5. Oktober 1967, die durch das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 6. Februar 1968 bestätigt worden ist, ist die Beklagte weder von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen, noch hat sie der Klägerin in Verkennung der Rechtslage die begehrte Vollwaisenrente versagt.

Nach § 44 Abs. 1 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) erhalten nach dem Tode des Versicherten seine Kinder bis zur Vollendung des 18., längstens bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres, Waisenrente. § 46 AVG bestimmt unter anderem, daß die Waisenrente bei Halbwaisen ein Zehntel, bei Vollwaisen ein Fünftel der nach § 30 AVG berechneten Versichertenrente ohne Kinderzuschuß zuzüglich Rentenanteilen aus der Höherversicherung beträgt.

Die vom Gesetz vorausgesetzte begriffliche Trennung zwischen Halb- und Vollwaisen ist nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts dem allgemeinen Sprachgebrauch zu entnehmen, wonach Vollwaise ein Kind ist, das beide Elternteile verloren hat (BSGE 10, 189, 191 – st. Rspr.). Der allgemeine Wortsinn knüpfe dabei an den Regelfall an, daß die Eltern des Kindes bekannt seien. Deshalb werde beim Tod nur eines Elternteils unterstellt, daß der Waise noch Unterhaltsansprüche gegen den überlebenden Elternteil zustünden, was die Zahlung der niedrigeren Halbwaisenrente rechtfertige (BSGE, a.a.O., 189 ff.). Die Klägerin ist danach weder Vollwaise, noch kann sie wegen der fehlenden Kenntnis über die Person ihres Vaters als solche behandelt werden.

Insbesondere ist sie nicht deshalb als Vollwaise anzusehen, weil sie von der verstorbenen Versicherten adoptiert worden ist. Nach dem geltenden Recht der sogenannten Volladoption werden zwar bei der Annahme minderjähriger Kinder die natürlichen verwandtschaftlichen Beziehungen vollständig und endgültig abgeschnitten. Beim Tod des Annehmenden – sofern er das Kind allein angenommen hat – wird das Kind deshalb Vollwaise mit einem entsprechenden Anspruch auf Vollwaisenrente, ungeachtet noch lebender leiblicher Eltern. Diese Rechtsfolgen sind aber für die Klägerin beim Tod ihrer Mutter nicht eingetreten. Durch die Adoption ihrer Tochter am 20. April 1961 konnte die verstorbene Versicherte den Vater des Kindes nicht von seinen bestehenden Verpflichtungen ausschließen. Dem nichtehelichen Vater verblieb die Verpflichtung zur Unterhaltszahlung, auch wenn sie derjenigen des Annehmenden nachgeordnet war (§ 1766 Abs. 2 BGB a.F.; Gernhuber, Lehrbuch des Familienrechts, 1964, S. 671 ff., 688, 693 zur Rechtslage bei Adoptionen nach altem Recht). Das Familienrechtsänderungsgesetz vom 11. August 1961 (BGBl. I, S. 1221, 1225) bestätigte dies und löste durch Einfügen eines Satzes in § 1766 Abs. 1 BGB a.F. gleichzeitig den Streit über die Frage, ob der außereheliche Erzeuger "Verwandter” des Kindes ist. Hieran hat auch das Gesetz über die rechtliche Stellung nichtehelicher Kinder (vom 19. August 1969, BGBl. I, S. 1243) nichts geändert. Das am 1. Juli 1970 in Kraft getretene Gesetz gilt nach dessen Art. 12 § 1 für die Zeit nach Inkrafttreten des Gesetzes auch für die vor dem Inkrafttreten geborenen Kinder.

Für den vorliegenden Fall ist dies von Bedeutung, weil die Unterhaltsansprüche des nichtehelichen Kindes nach den bis dahin geltenden §§ 1708 ff. BGB a.F. mit der Vollendung des 18. Lebensjahres des Kindes endeten. Die genannte Übergangsvorschrift sichert die vom Gesetzgeber gewollte Gleichstellung von ehelichen und nichtehelichen Kindern selbst für den Fall, daß vor Inkrafttreten des Gesetzes zwischen dem Vater und dem Kind ein Vertrag über die Abfindung von Unterhaltsansprüchen geschlossen worden ist. Seine Wirkung beschränkt sich auf die Zeit bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres (Art. 12 § 5 des Gesetzes vom 19. August 1969). Auch für die Klägerin bestand somit über das 18. Lebensjahr hinaus bis zum Ende ihrer Ausbildung ein Unterhaltsanspruch gegen ihren Vater. Da die Klägerin beim Inkrafttreten der Neuregelungen des Adoptionsrechts (Adoptionsgesetz vom 2. Juli 1976, BGBl. I, S. 1749) bereits volljährig war, sind für sie die neuen Vorschriften über die Adoption von Erwachsenen anzuwenden, deren Wirkung sich – wie nach altem Recht – auf das Verhältnis zwischen Annehmendem und Angenommenem beschränkt. Eine Volladoption findet nicht statt. Deshalb besteht nach § 1770 Abs. 3 BGB wie zuvor die nachrangige Verpflichtung der leiblichen Verwandten zur Unterhaltsgewährung.

Die Klägerin ist aufgrund ihrer persönlichen Lebensumstände und dem Umstand, daß nach dem Tod der Mutter Unterhalts Zahlungen vollständig ausgefallen sind, auch nicht wie eine Vollwaise zu behandeln. Zwar ist nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (a.a.O., 192 und das Urteil vom 15. März 1988, Az.: 4/11 a RA 50/87), der sich der Senat anschließt, anerkannt, daß § 46 AVG für den hier vorliegenden Ausnahmefall, in dem nur die Person eines Elternteils bekannt ist, nicht paßt, da der Gesetzgeber eine solche Fallgestaltung übersehen hat. Nach Auswertung der Gesetzesmaterialien und unter Berücksichtigung des vom Gesetzgeber beabsichtigten Zwecks der Regelung, mit der erhöhten Waisenrente einen Ausgleich für den Verlust von Unterhaltsansprüchen zu schaffen, hat das Bundessozialgericht (BSGE 10, 189 ff.) entschieden, daß bei sinngemäßer Auslegung des Gesetzes das nichteheliche Kind dann als Vollwaise anzusehen ist, wenn nach dem Tod der Mutter eine Feststellung des Vaters nicht mehr möglich ist. Die Bewilligung von Vollwaisenrente als Regelfall immer schon dann vorzusehen, wenn die Mutter des nichtehelichen Kindes verstorben ist, hat das Bundessozialgericht (a.a.O., 190) ebenso abgelehnt, wie die Auffassung, die den Todesnachweis beider Elternteile fordert. Während nach der ersten Alternative das nichteheliche Kind gegenüber dem ehelichen Kind, das bei unbekanntem Aufenthalt des Vaters für den ausfallenden Unterhalt keine Vollwaisenrente erhält (Urteil des BSG vom 15. März 1988), bevorzugt würde, wäre nach der zweiten Alternative das nichteheliche Kind wegen Beweisnot immer vom Bezug der Vollwaisenrente ausgeschlossen. Seine vermittelnde Meinung hat das Bundessozialgericht in der bereits genannten Entscheidung vom 15. März 1988 präzisiert und daran festgehalten, daß nur einem nichtehelichen Kind, dessen Vater nicht bekannt und auch nicht mit Aussicht auf Erfolg zu ermitteln sei, Vollwaisenrente zustehe.

Hiervon ausgehend ist der Senat zu der Überzeugung gelangt, daß die Klägerin – anders als in den bisher entschiedenen Fällen – noch die rechtliche Möglichkeit hat, die Person ihres Vaters feststellen zu lassen:

Die Tante der Klägerin als deren ehemaliger Vormund kennt nach eigenen Angaben gegenüber der Beklagten (Bl. 29 der Rentenakte) den Namen des Vaters. Im vorliegenden Rechtsstreit kommt zwar eine Vernehmung der Tante als Zeugin nicht in Betracht. Ihr steht – insoweit stimmt der Senat der Rechtsauffassung der Klägerin zu – als naher Angehöriger ein Zeugnisverweigerungsrecht (§ 383 Abs. 1 Nr. 3 Zivilprozeßordnung – ZPO –) zu, das durch die Ausnahmefälle in § 385 ZPO nicht berührt wird. Die uneingeschränkte Aussagepflicht über Geburten, und über Tatsachen, welche die durch das Familienverhältnis bedingter Vermögensangelegenheiten betreffen (§ 385 Abs. 1 Nrn. 2 und 3 ZPO) umfaßt nicht die Verpflichtung, nähere Angaben zur Zeugung oder zum Namen des Vaters eines Kindes zu machen (Zöller, ZPO, 14. Auflage 1984, § 383 Rdnrn. 3 bis 5). Abgesehen davon hätte die Aussage der Tante keine Auswirkung auf den Ausgang des Rechtsstreits. Selbst wenn sie den Namen des vermeintlichen Vaters angäbe, wäre die Vaterschaft dieser Person im Verhältnis zur Klägerin noch nicht festgestellt. Hierfür ist die Durchführung eines förmlichen Vaterschaftsfeststellungsverfahrens notwendig. Es ist aber die höchstpersönliche Angelegenheit der Klägerin, zu entscheiden, ob sie ein entsprechendes Feststellungsverfahren durchführen will oder nicht. Dem von der Beklagten gestellten Beweisantrag mußte deshalb auch aus diesem Grunde nicht nachgegangen werden.

Wenn die Tante im Rechtsstreit der Klägerin gegen den Rentenversicherungsträger nicht zur Preisgabe der Identität des Vaters der Klägerin verpflichtet ist, bedeutet das nicht, daß sie das Recht auf Verweigerung von Angaben auch in einem Prozeß der Klägerin gegen ihren ehemaligen Vormund hätte.

Im Verhältnis zwischen dem nichtehelichen Kind und seiner Mutter steht nunmehr fest, daß ein Auskunftsanspruch auf Benennung des leiblichen Vaters besteht. Die von der Beklagten hierfür zitierte Entscheidung des Amtsgerichts Passau ist vom Landgericht (NJW 88, S. 144 ff.) bestätigt worden. Das Bundesverfassungsgericht hat durch Beschluss vom 18. Januar 1988 (NJW 88, S. 3010) die hiergegen von der Mutter eingelegte Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen. Zur Begründung hat es ausgeführt, daß die Mutter zwar grundsätzlich nicht zu einer solchen Auskunft verpflichtet sei, weil hierdurch in die nach Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz (GG) geschützte Intimsphäre eingegriffen werde. Das Grundrecht stehe ihr aber nicht schrankenlos zur Verfügung. Es werde eingeschränkt durch das Recht des nichtehelichen Kindes, welches aus der Verbindung, die sonst vor einer Offenbarung gegenüber anderen geschützt sei, mit eigenen Rechten hervorgegangen sei. Sowohl dem Verfassungsauftrag des Art. 6 Abs. 5 GG zugunsten des nichtehelich geborenen Kindes als auch aus dem Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG) folge das Recht des Kindes auf Kenntnis seines leiblichen Vaters. Bei einer Abwägung zwischen den Rechten der Mutter und des Kindes hätten aufgrund der Wertentscheidung des Verfassungsgebers die Kindesinteressen grundsätzlich Vorrang (BVerfG, a.a.O.; ebenso bereits: BVerfGE 37, 217, 252). Die Bedeutung der Kenntnis der eigenen Abstammung für die freie Entfaltung der Persönlichkeit und die Menschenwürde hat das BVerfG in seinem Urteil vom 31. Januar 1989 (Az.: 1 BvL 17/87, 17 ff.) nochmals ausführlich dargelegt und die nach dem bürgerlichen Recht beschränkte Möglichkeit der Ehelichkeitsanfechtung durch volljährige Kinder mit dem Grundgesetz für unvereinbar erklärt. Wenn aber die Mutter des nichtehelichen Kindes diesem gegenüber dazu verpflichtet ist, den Vater zu benennen, kann für den Vormund nichts anderes gelten. Er muß erst recht dem Kind sein Wissen offenbaren, zudem die Interessen der Mutter, zu schweigen, nach deren Tod nicht mehr berücksichtigt werden können und müssen. Auf welche Rechtsgrundlage eine solche Auskunftsklage zu stützen wäre, ist zwar streitig (LG Passau a.a.O., Deichfuß, NJW, S. 113, 116 m.w.N.), aber nicht von Sozialgerichten zu entscheiden. Im Falle der Klägerin wäre darüber hinaus denkbar, Schadensersatzansprüche gegen den Vormund aus § 1833 Abs. 1 BGB wegen der Verletzung ihm nach den §§ 1789, 1793 BGB obliegenden Pflichten geltend zu machen.

Im Hinblick darauf, daß die Klägerin bisher nicht alle zulässigen und erfolgversprechenden Erkenntnisquellen zur Ermittlung ihres Vaters ausgeschöpft hat, kann sie nicht den nichtehelichen Kindern gleichgestellt werden, die bereits nach dem Tod der Mutter Vollwaisenrente deshalb beziehen, weil niemand mehr Angaben zur Person des Vaters machen kann.

Die Entscheidung des Sozialgerichts konnte deshalb keinen Bestand haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
Rechtskraft
Aus
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