Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 1 Ar 1104/71
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Für Schadenersatzansprüche nach § 145 Nr. 2 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) ist gemäß § 51 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) der Rechtsweg zu den Sozialgerichten eröffnet.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt/M. vom 15. Oktober 1971 aufgehoben.
Der Bescheid der Beklagten vom 27. Juni 1972 wird aufgehoben.
Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger zwei Dritter der außergerichtlichen Kosten in beiden Rechtszügen zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beklagte erhebt gegen den Lehrherrn der B. K. (verschiedentlich "B.K.” genannt), einen selbständigen Metzgermeister, einen Schadenersatzanspruch wegen unrichtiger Auskunftserteilung.
Durch Bescheid vom 9. Oktober 1969 gewährte die Beklagte B.K. eine Berufsausbildungsbeihilfe im Betrage von monatlich 64,– DM für die Zeit vom 10. September 1969 bis 28. Februar 1970. Diesen Bescheid widerrief die Beklagte durch Bescheid vom 23. März 1970 gegenüber dem Vater der B.K. als deren gesetzlichen Vertreter mit der Begründung, die vom Ausbildungsbetrieb gewährte Erziehungsbeihilfe von monatlich 110,– DM und der Wert der freien Kost überstiegen zusammen den Bedarf für die Ausbildung und den Lebensunterhalt.
Gegenüber dem Kläger machte die Beklagte durch Bescheid vom 3. April 1970 einen Schadenersatzanspruch gemäß § 145 Nr. 2 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) – im Betrage von zunächst 267,90 DM – geltend und begründete diesen damit, der Kläger habe ihr fahrlässig durch eine unrichtige Auskunftserteilung einen Schaden zugefügt. Dem Widerspruch half die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 10. Juni 1970 nicht ab.
Mit seiner Klage vertrat der Kläger die Ansicht, die Voraussetzungen für die Erhebung eines Schadenersatzanspruches seien nicht gegeben. Durch Urteil vom 15. Oktober 1971 erklärte das Sozialgericht Frankfurt/Main (SG) den Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit als unzulässig und verwies den Rechtsstreit an das Amtsgericht (AG) O ... In den Gründen führte es aus, es handele sich nicht um einen Streit in Angelegenheiten der Arbeitslosenversicherung; wenn auch ein Schadenersatzanspruch aus Verletzung der dem Arbeitgeber obliegenden Verpflichtungen öffentlich-rechtlicher Natur sei, so sei damit noch nicht der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit eröffnet. Schadensersatzansprüche aus der Verletzung öffentlich-rechtlicher Pflichten seien nach § 40 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) aus der Abgrenzung der Zuständigkeitsregelung zwischen den allgemeinen Verwaltungsgerichten und den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit nach § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO ausdrücklich herausgenommen und dem Zuständigkeitsbereich der ordentlichen Gerichte zugewiesen worden. Infolgedessen sei der Rechtsstreit an das Gericht des ersten Rechtszuges (Amtsgericht) zu verweisen gewesen. Das SG erteilte die Rechtsmittelbelehrung dahingehend, daß gegen dieses Urteil Berufung an das Landessozialgericht eingelegt werden könne.
Gegen das ihr am 27. Oktober 1971 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 15. November 1971 Berufung eingelegt. Sie ist der Auffassung, daß Schadensersatzansprüche der öffentlichen Hand gegen den Bürger nicht unter § 40 Abs. 2 VwGO fielen, sofern sie nicht aus der Verletzung öffentlich-rechtlicher Verträge hergeleitet würden. Soweit der Gesetzgeber eine Streitigkeit nicht ausdrücklich einem bestimmten Gerichtszweig zugewiesen habe, entscheide die innere Natur des streitigen Rechtsverhältnisses über den einzuschlagenden Rechtsweg. Liege dagegen ein öffentlich-rechtlicher Tatbestand aus der Sozialversicherung vor, so handele es sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit der in § 51 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) angeführten Art. Auch das Bundessozialgericht (BSG) habe in seinen Urteil vom 14. November 1968 – 7 Rar 15/68 (DBl. C Nr. 1418 zu § 143 l AVAVG) der Bundesanstalt unter dem Gesichtspunkt des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruches die Befugnis zuerkannt, einen Arbeitgeber gegenüber einen Schadenersatzanspruch durch Verwaltungsakt geltend zu machen, wenn dieser die unrechtmäßige Gewährung von Schlechtwettergeld, z.B. durch Verstoß gegen die ihm aus § 143 l Abs. 4 in Verbindung mit § 188 Abs. 3 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) erwachsenden Pflichten verschuldet habe. – In der Sache selbst habe der Arbeitgeber (Kläger) von B.K. die Ausbildungsvergütung – und zwar einerlei ob brutto (wie gefordert) oder netto (wie angegeben) – nicht richtig mitgeteilt. Damit habe er die "Bescheinigung des Ausbildungsbetriebes” zumindest fahrlässig unrichtig ausgeführt.
Während des Berufungsverfahrens erteilte die Beklagte den Bescheid vom 5. April 172, in dem sie u.a. ausführte "daß noch eine Restforderung von DM 54,90 verbleibe”, die von dem Kläger zu begleichen sei. Außerdem holte sie das Einverständnis der Eltern der B.K. und von dieser selbst zur Aufrechnung der Nachzahlung aus der für die Zeit vom 31. Oktober 1969 bis zum 28. Februar 1970 neu berechneten Berufsausbildungsbeihilfe (gegen den Schadenersatzanspruch) ein. Nachdem der Kläger den geforderten Betrag an die Beklagte zurückgezahlt hatte, erließ diese den Bescheid vom 27. Juni 1972 und verlangte hierin noch die Rückzahlung eines Betrages von 90,– DM.
Die Beklagte beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt/M., vom 15. Oktober 1971 aufzuheben und die Klage abzuweisen,
hilfsweise,
den Rechtsstreit an das Sozialgericht Frankfurt/M. zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen,
hilfsweise,
die Revision zuzulassen.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Ergänzung wird auf den Inhalt der Leistungs- und Gerichtsakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt und auch zulässig.
Zu Unrecht hat das Sozialgericht Frankfurt/Main den Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit unter Berufung auf § 40 Abs. 2 VwGO als unzulässig angesehen und den Rechtsstreit deshalb an das Amtsgericht O. verwiesen. Die Prüfung der Zulässigkeit des Rechtsweges ist in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen vorzunehmen (BSG 2, 26 mit weiteren Rechtsprechungs- und Literaturnachweisen), im übrigen hat die Beklagte zutreffenderweise eine dahingehende Rüge erhoben. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) ist für die Frage, ob ein bürgerlicher Rechtsstreit im Sinne des § 13 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) vorliegt, die rechtliche Natur des Klagebegehrens maßgebend, wie sie sich aus dem zugrundeliegenden Sachverhalt ergibt. Stellt sich der Klageanspruch nach der ihm vom Kläger gegebenen tatsächlichen Begründung als Folge eines Sachverhaltes der nach bürgerlichem Recht zu beurteilen ist, so ist der Rechtsweg zu den Zivilgerichten eröffnet (vgl. BGHZ 29, 187/89 mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen). Privatrechtlich ist danach ein Rechtsverhältnis der Beteiligten zueinander, soweit es nicht von ihrer Zugehörigkeit zu einem öffentlich-rechtlichen Gemeinwesen unmittelbar beeinflußt wird (Koordination), öffentlich-rechtlich ist das Verhältnis, in dem der einzelne Kraft seiner Unterwerfung unter die Gewalt des Staates oder einer sonstigen öffentlich-rechtlichen Gemeinschaft zu dieser öffentlichen Gewalt oder ihren Trägern oder dem der gleichen Gewalt Unterworfenen steht (Subordination – so Peters-Sautter-Wolff, Sozialgerichtsgesetz, § 51 Anm. 3 a bb). Nach § 51 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entscheiden die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit über öffentlich-rechtliche Streitigkeiten auch in Angelegenheiten der Arbeitslosenversicherung und der übrigen Aufgaben der Bundesanstalt für Arbeit. Ein Rechtsverhältnis ist öffentlich-rechtlich, wenn die es kennzeichnenden gegenseitigen Rechte und Pflichten der Beteiligten aus Rechtsnormen des öffentlichen Rechtes erwachsen (BSG 1, 176; 2, 26; BGHZ 14, 225; RGZ 157, 106 ff.; RVA 2559, 4124; AN 1920, 169; 1961, 295). Daraus ergibt sich, daß eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit dann vorliegt, wenn um die Begründetheit eines Anspruches gestritten wird, der auf einem Rechtssatz öffentlichen Rechts gestützt wird, oder wenn das Bestehen eines Rechtes streitig ist, das unter Berufung auf eine Rechtsnorm des öffentlichen Rechts in Anspruch genommen, aus einer solchen Norm hergeleitet wird. Ob es sich um einen vermögensrechtlichen oder nicht vermögensrechtlichen Anspruch handelt, ist für die Charakterisierung der Streitigkeit ohne Bedeutung (vgl. Zeihe, Das Sozialgerichtsgesetz, § 51 Anm. 3 A). Die Bescheide der Beklagten vom 3. April 1970 und vom 10. Juni 1970 habe ihre Rechtsgrundlage in § 145 Nr. Arbeitsförderungsgesetz (AFG), nach dem der Bundesanstalt für Arbeit zum Ersatz entstandenen Schadens verpflichtet ist, wer vorsätzlich oder fahrlässig eine Auskunft, zu der er nach § 144 Abs. 3 a.a.O. verpflichtet ist, nicht, nicht richtig oder vollständig erteilt. Damit ist derjenige zur Auskunftserteilung verpflichtet – soweit es für die Durchführung dieses Gesetzes (AFG) erforderlich ist – der den Bezieher einer laufenden Leistung (hierbei B.K., die von der Beklagten eine Berufsausbildungshilfe erhält) beschäftigt oder ihm Leistung gewährt oder ihm zu leisten verpflichtet ist, die geeignet sind, die laufende Leistung auszuschließen oder zu mindern. Diese aus § 144 Abs. 3 AFG herzuleitende Pflicht des Klägers gehört dem öffentlichen Recht an. Der Gesetzgeber hat diese dem Arbeitgeber im öffentlichen Interesse auferlegt, um der Bundesanstalt für Arbeit die ordnungsgemäße Wahrnehmung ihrer Aufgaben zu ermögliche, eine schuldhafte Verletzung dieser Pflicht als Bußgeldtatbestand im § 230 Abs. 1 Nr. 5 AFG normiert und den Kläger demgemäß durch Bescheid vom 30. April 1970 mit einem Verwaltungsgeld von 20,– DM belegt. Was für die dem Kläger (Arbeitgeber) durch § 144 Abs. 3 AFG auferlegte Verpflichtung bezüglich ihres öffentlich-rechtlichen Charakters gilt, trifft auch für die Schadenersatzansprüche zu, die aus einer Verletzung dieser Verpflichtung entstehen; auch sie sind öffentlich-rechtlicher Art (vgl. BSG, Urteil vom 28. Februar 1967 – 3 RU 150/67). Entgegen der Auffassung des Sozialgerichtes sind Schadenersatzansprüche aus Verletzung öffentlich-rechtlicher Pflichten nicht grundsätzlich durch § 40 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) aus der Abgrenzung der Zuständigkeitsregelung zwischen den allgemeinen Verwaltungsgerichten und den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit nach § 40 Abs. 1 VwGO herausgenommen und dem Zuständigkeitsbereich der ordentlichen Gerichte zugewiesen, sondern nur der bisherige "Besitzstands der Zivilgericht aus Zweckmäßigkeitsgründen auf gewissen Teilbereichen des öffentlichen Rechtes aufrechterhalten werden, so daß diese Vorschrift einschränkend auszulegen ist (vgl. BGHZ 43, 278). § 40 Abs. 2 VwGO erfaßt, daher nur Fälle von Amtspflichtverletzungen und solche, die mit ihnen eng zusammenhängen (vgl. BSG in SBb 1967, 166; BSG in DVBl. 1970, 293; vgl. auch BVerwG. In DVBl. 1971, 412, 414). Soweit dieser Gesichtspunkt keine Rolle spielt, wie hier bei Schadensersatzansprüchen gegen Privatpersonen, findet § 40 Abs. 2 VwGO keine Anwendung (vgl. OVG Lüneburg in DÖV 1968, 803; OVG Münster in DÖV 1967, 722).
Im vorliegenden Fall ist aber auch nicht im Wege der Inzidentkontrolle von den Zivilgerichten über die angefochtenen Verwaltungsakte der Beklagten zu entscheiden. Eine Inzidentkontrolle kann nur einsetzen, wenn das Verhältnis von Hauptfrage zur Vorfrage vorliegt, d.M. wenn nach dem Kern des Streitgegenstandes klargestellt ist, welcher Gerichtsbarkeit innerhalb der Dritten Staatsgewalt der Streit zufällt. In diese Zuständigkeitsabgrenzung und damit in den Bereich der Zulässigkeit des Rechtsweges fällt die Hauptfrage, während die Vorfrage in den Teil der Sachentscheidung (Sachurteilsvoraussetzung, Begründetheit der Klage) fällt. In Ansehung von Verwaltungsakten ist die Inzidentkontrolle durch den zivilen Richter im Ergebnis eigentlich nur auf die Frage der Gültigkeit, d.h. auf die Frage der Wichtigkeit der Verwaltungsakte beschränkt. Auch darf in keinem Fall der Weg über die ordentliche Zivilgerichtsbarkeit dadurch gesucht werden, daß ein öffentlich-rechtliches Klagebegehren in ein privatrechtliches gekleidet wird (vgl. RGZ 157, 200; BGH in NJW 1956, 712) wie dies z.B. bei Schadensersatzklagen denkbar wäre (vgl. RGZ 159, 247; JW 1928, 1223). Deshalb ist der Rechtsweg bei einem auf rein öffentlich-rechtlichem Gebiet liegenden Schadenersatzanspruch selbst dann unzulässig, wenn er aus § 839 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) hergeleitet wird (RGZ 146, 257). Bei Bejahung der Zuständigkeit der ordentlichen Gerichtsbarkeit müßte diese nicht über eine öffentlich-rechtliche Vortrage (Rechtsnatur des Schadensersatzanspruches aus schuldhafter Verletzung der dem Arbeitgeber durch § 144 Abs. 3 AFG auferlegten Pflicht) mit entscheiden, vielmehr hätte diese auch darüber zu befinden, ob die rückwirkende Neuberechnung der Berufausbildungsbeihilfe richtig erfolgt ist und erst dann, ob die Aufrechnung in dem hier vorliegenden Fall zulässig ist (vgl. Hessisches Landessozialgericht, Beschluss vom 7. März 1968 – L-3/B – 34/67 – DBl. C Nr. 1360 a zu § 206 AVAVG).
Beruhen somit die in § 145 AFG (früher: § 206 Nr. 1 und 2 AVAVG) geregelten Schadensersatzansprüche auf einer Verletzung öffentlich-rechtlicher Verpflichtungen und gehören deshalb dem öffentlichen Recht an (vgl. Hennig-Kühl-Heuer, Kommentar zum Arbeitsförderungsgesetz, § 145 Anm. 1 sowie Weber-Paul, Kommentar zum Arbeitsförderungsgesetz, § 145 Anm. 4), so können sie wahlweise durch Verwaltungsakt oder durch Klage vor dem Sozialgericht nach § 54 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) geltend gemacht werden (vgl. Hennig-Kühl-Heuer a.a.O. und § 72 Anm. 27 sowie BSG, Urt. Vom 14. November 1968 – 7 Rar 15/68; a.A. anscheinend Regierungsentwurf S. 73 zu § 66 Abs. 1, vgl. ferner BSG 30, 233).
Die von der Beklagten (Arbeitsamt O.) während des Berufungsverfahrens erlassenen Bescheide vom 5. April 1972 und vom 27. Juni 1972 sind gemäß § 96 SGG Gegenstand des anhängigen Berufungsverfahrens geworden (vgl. BSG 18, 84). Diese Bescheide haben den Bescheid vom 3. April 1970 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Juni 1970, mit denen zunächst ein Betrag von 267,90 DM zurückgefordert worden ist, ersetzt, indem durch sie die Forderung zunächst auf 54,90 DM ermäßigt (so der Bescheid vom 5. April 1972) und sodann durch Bescheid vom 27. Juni 1972 auf einen Betrag von DM 90,– festgestellt worden ist. Von diesen Bescheiden, die mit der Klage angefochten gelten (Peters-Sautter-Wolff, Kommentar zum Sozialgerichtsgesetz, § 96 Anm. 20), war der Bescheid vom 27. Juni 1972 aufzuheben, im übrigen jedoch die Klage abzuweisen.
Entgegen der nach § 144 Abs. 3 AFG obliegenden Verpflichtung ist die "Bescheinigung des Ausbildungsbetriebes” unrichtig ausgefüllt, da die Angabe einer Ausbildungsvergütung von 100,– DM ab 1. September 1969 weder als Bruttobetrag (wie gefordert) noch als Nettobetrag (wie angegeben) zutrifft. Nach der Meldung zur Innungskrankenkasse war der Lehrling B.K. mit einem Betrag von 246,56 DM monatlich gemeldet, wovon 110,– DM netto auf die monatlich zu zahlende Lehrlingsvergütung entfielen. Auch unter Ziffer 5 a der genannten Bescheinigung des Ausbildungsbetriebes befindet sich unter der Rubrik "Sachbezüge” – entgegen der Verpflichtung – keine Eintragung; vielmehr sind von der beispielhaften Aufzählung für verschiedene Eintragungsmöglichkeiten hinter dem Wort "Sachbezüge” die Worte "freie Station, freie Teilverpflegung, freie Wohnung” durchgestrichen, dagegen die Worte "Freie Kost” offengeblieben und unterstrichen worden. Obwohl der Kläger gehalten war "Nichtzutreffendes bitte streichen” ist in dem darunter befindlichen und zur Frage 5 a "Sachbezüge”) gehörenden Kästchen "ja-nein”), das Wort "ja” durchgestrichen. Da die Bescheinigung vom 10. September 1969 wie auch die vom 21. Januar 1970 mit "K. J.” bzw. mit "K. J.” unter Beifügung des Firmenstempels unterzeichnet worden sind, konnte die Beklagte davon ausgehen, daß der Kläger die Bescheinigung unterzeichnet bzw. eine sachkundige Person mit deren Ausfüllung beauftragt hatte. Für die Verpflichtung des Klägers zum Schadensersatz ist es nicht entscheidend, ob er selbst oder seine Ehefrau die entsprechende Bescheinigung ausgefüllt hat. Da § 278 BGB auch öffentlich-rechtliche Verbindlichkeiten entsprechend angewendet werden kann (so Palandt, Ktr. zum Bürgerlichen Gesetzbuch, § 278 Anm. 5 sowie OLG Zelle, Urt. v. 23. November 1962 – 11 U 125/62 DBl. C Nr. 929 a zu § 175 AVAVG unter Hinweis auf RGZ 113, 296), hat der Kläger auch das Verschulden von Personen, deren er sich zur Erfüllung der ihm aus § 144 Nr. 3 AFG erwachsenen Verpflichtung bedient, zu vertreten (vgl. BSG in Breith. 1962, 928 und Kriegsopferversorgung (KOV) 1966, 74 sowie Schönleiter-Hennig, Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung, 2. Auflage 1969, § 47 Anm. 4). Sollte die Ehefrau des Klägers zur Ausfüllung der Bescheinigung nicht in der Lage gewesen sein, hätte sie diese Auskunft nicht erteilen dürfen bzw. die Beklagte an den Kläger bzw. eine andere mit der Materie vertraute Person verweisen müssen. Die Beklagte braucht sich auch kein mitwirkendes Verschulden gemäß § 254 BGB entgegenhalten zu lassen, da sie aufgrund der widersprüchlichen Angaben in der Bescheinigung eine telefonische Klärung herbeizuführen versuchte, doch (wiederum) von der Ehefrau des Klägers eine unrichtige Auskunft erhielt (siehe die Eintragung in der Bescheinigung vom 10. September 1969 – Bl. 3 der Leistungsakten). Auf die Vollständigkeit und Richtigkeit der ausgestellten Bescheinigung durfte die Beklagte aber vertrauen (vgl. Schönefelder-Kranz-Wanka, Ktr. Zum Arbeitsförderungsgesetz, § 133 Rz. 7), zumal auch der Lehrling B.K. die Frage nach der Gewährung von Sachleistungen verneint hatte.
Sind somit die Bescheide der Beklagten vom 3. April 1970 und vom 10. Juni 1970 hinsichtlich der Geltendmachung eines Schadensersatzanspruches von 267,90 DM zu Recht ergangen, so war die Beklagte durch die Erteilung eines Bescheides vom 5. April 1972 gehindert, mit Bescheid vom 27. Juni 1972 abermals einen Betrag von 90,– DM zurückzufordern. In dem Bescheid vom 5. April 1972 hatte die Beklagte nämlich ausgeführt, B.K. werde eine Erklärung über ihr Einverständnis zu einer "Verrechnung” der Nachzahlung aus der neuberechneten Berufsausbildungsbeihilfe im Betrag von 213,– DM mit der noch bestehenden Überzahlung von 267,90 DM einreichen (siehe hierzu die Erklärung vom 10. April 1972), um dann in dem an den Kläger adressierten Bescheid fortzufahren,” daß noch eine Restforderung von 54,90 DM verbleibt, die von ihnen zu begleichen ist”. Diese Forderung hat der Kläger durch Zahlung des genannten Betrages erfüllt, so daß die Beklagte an ihre Bescheid vom 5. April 1972 abgegebene Erklärung gebunden war und deshalb die durch diesen Verwaltungsakt erledigte Sache nicht ohne weiteres zum Gegenstand eines neuen Verwaltungsakten (mit Bescheid vom 27. Juni 1972) machen konnte (vgl. Peters-Sautter-Wolff a.a.O., § 77 Anm. 3 b).
Selbst, wenn das Berufungsverfahren damit noch nicht abgeschlossen war, so hatte die relative Bindung der Beklagten an den Bescheid vom 5. April 1972 zur Folge, daß diese den begünstigenden Verwaltungsakt nur noch nach bestimmten Vorschriften oder Grundsätzen zurücknehmen oder abändern konnte (vgl. Schönleiter-Hennig a.a.O., § 24 Anm. 6 sowie BSG in BVBl. 1964, 140, vgl. ferner Urt. BSG v. 23. August 1967 – 3 RK 66/65 – DBl. C Nr. 1297 c zu § 23 BKGG). Wenn die Beklagte die Voraussetzungen einer Aufrechnung wegen mangelnder Gegenseitigkeit der Forderung (vgl. Palandt a.a.O. 23. Auflage, § 387 Anm. 4) nicht für gegeben ansah, so konnte sie den Bescheid vom 5. April 1972 nur noch unter den Voraussetzungen des § 151 Abs. 1 AFG aufheben. Unerheblich ist in einem solchen Fall, weshalb die Leistung trotz Fehlens der Leistungsvoraussetzungen bewilligt worden ist (z.B. unzureichende Sachverhaltsaufklärung oder falsche Rechtsanwendung), und ob ein Verschulden des Antragstellers (schuldhafte falsche oder unvollständige Angaben) oder der Verwaltung vorgelegen hat. Entscheidend ist allein die objektive Inkongruenz von Sachverhalt und Leistungsvoraussetzungen (vgl. Hennig-Kühl-Heuer a.a.O., § 151 Anm. 7). Aber auch, wenn der Bescheid der Beklagten vom 27. Juni 1972 diesen Voraussetzungen entsprochen hat, wobei unter "Leistung” jeder Vorteil zu verstehen ist, den die Bundesanstalt ihrer öffentlich-rechtlichen Aufgabenstellung gewährt (so Hennig-Kühl-Heuer a.a.O., § 142 Anm. 2), so hat der Kläger die Gewährung der Leistung nicht dadurch herbeigeführt, daß er vorsätzlich oder grob fahrlässig falsche oder unvollständige Angaben gemacht hat bzw. wußte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht wußte, daß die Voraussetzungen für die Leistung nicht vorlegen (Ziff. 2). Vielmehr haben die Feststellungen der Beklagten in dem Bescheid vom 5. April 1972 über eine Restforderung vom 54,90 DM auf ihrer unzutreffenden rechtlichen Beurteilung der Voraussetzungen für eine Aufrechnung beruht, einem Umstand, den der Kläger nach § 152 AFG nicht zu vertreten hat (vgl. Hastler in Sozialgerichtsbarkeit 1955, 386). Mangels fehlender gesetzlicher Voraussetzung konnte die Beklagte den Betrag von 90,– DM daher nicht mehr durch Bescheid vom 27. Juni 1972 zurückzufordern, so daß dieser Bescheid – im Gegensatz zu dem Bescheid vom 5. April 1972 – aufgehoben, die weitergehende Klage abgewiesen werden mußte.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der hier zu entscheidenden Rechtsfrage hat der Senat die Revision zugelassen.
Der Bescheid der Beklagten vom 27. Juni 1972 wird aufgehoben.
Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger zwei Dritter der außergerichtlichen Kosten in beiden Rechtszügen zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beklagte erhebt gegen den Lehrherrn der B. K. (verschiedentlich "B.K.” genannt), einen selbständigen Metzgermeister, einen Schadenersatzanspruch wegen unrichtiger Auskunftserteilung.
Durch Bescheid vom 9. Oktober 1969 gewährte die Beklagte B.K. eine Berufsausbildungsbeihilfe im Betrage von monatlich 64,– DM für die Zeit vom 10. September 1969 bis 28. Februar 1970. Diesen Bescheid widerrief die Beklagte durch Bescheid vom 23. März 1970 gegenüber dem Vater der B.K. als deren gesetzlichen Vertreter mit der Begründung, die vom Ausbildungsbetrieb gewährte Erziehungsbeihilfe von monatlich 110,– DM und der Wert der freien Kost überstiegen zusammen den Bedarf für die Ausbildung und den Lebensunterhalt.
Gegenüber dem Kläger machte die Beklagte durch Bescheid vom 3. April 1970 einen Schadenersatzanspruch gemäß § 145 Nr. 2 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) – im Betrage von zunächst 267,90 DM – geltend und begründete diesen damit, der Kläger habe ihr fahrlässig durch eine unrichtige Auskunftserteilung einen Schaden zugefügt. Dem Widerspruch half die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 10. Juni 1970 nicht ab.
Mit seiner Klage vertrat der Kläger die Ansicht, die Voraussetzungen für die Erhebung eines Schadenersatzanspruches seien nicht gegeben. Durch Urteil vom 15. Oktober 1971 erklärte das Sozialgericht Frankfurt/Main (SG) den Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit als unzulässig und verwies den Rechtsstreit an das Amtsgericht (AG) O ... In den Gründen führte es aus, es handele sich nicht um einen Streit in Angelegenheiten der Arbeitslosenversicherung; wenn auch ein Schadenersatzanspruch aus Verletzung der dem Arbeitgeber obliegenden Verpflichtungen öffentlich-rechtlicher Natur sei, so sei damit noch nicht der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit eröffnet. Schadensersatzansprüche aus der Verletzung öffentlich-rechtlicher Pflichten seien nach § 40 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) aus der Abgrenzung der Zuständigkeitsregelung zwischen den allgemeinen Verwaltungsgerichten und den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit nach § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO ausdrücklich herausgenommen und dem Zuständigkeitsbereich der ordentlichen Gerichte zugewiesen worden. Infolgedessen sei der Rechtsstreit an das Gericht des ersten Rechtszuges (Amtsgericht) zu verweisen gewesen. Das SG erteilte die Rechtsmittelbelehrung dahingehend, daß gegen dieses Urteil Berufung an das Landessozialgericht eingelegt werden könne.
Gegen das ihr am 27. Oktober 1971 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 15. November 1971 Berufung eingelegt. Sie ist der Auffassung, daß Schadensersatzansprüche der öffentlichen Hand gegen den Bürger nicht unter § 40 Abs. 2 VwGO fielen, sofern sie nicht aus der Verletzung öffentlich-rechtlicher Verträge hergeleitet würden. Soweit der Gesetzgeber eine Streitigkeit nicht ausdrücklich einem bestimmten Gerichtszweig zugewiesen habe, entscheide die innere Natur des streitigen Rechtsverhältnisses über den einzuschlagenden Rechtsweg. Liege dagegen ein öffentlich-rechtlicher Tatbestand aus der Sozialversicherung vor, so handele es sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit der in § 51 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) angeführten Art. Auch das Bundessozialgericht (BSG) habe in seinen Urteil vom 14. November 1968 – 7 Rar 15/68 (DBl. C Nr. 1418 zu § 143 l AVAVG) der Bundesanstalt unter dem Gesichtspunkt des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruches die Befugnis zuerkannt, einen Arbeitgeber gegenüber einen Schadenersatzanspruch durch Verwaltungsakt geltend zu machen, wenn dieser die unrechtmäßige Gewährung von Schlechtwettergeld, z.B. durch Verstoß gegen die ihm aus § 143 l Abs. 4 in Verbindung mit § 188 Abs. 3 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) erwachsenden Pflichten verschuldet habe. – In der Sache selbst habe der Arbeitgeber (Kläger) von B.K. die Ausbildungsvergütung – und zwar einerlei ob brutto (wie gefordert) oder netto (wie angegeben) – nicht richtig mitgeteilt. Damit habe er die "Bescheinigung des Ausbildungsbetriebes” zumindest fahrlässig unrichtig ausgeführt.
Während des Berufungsverfahrens erteilte die Beklagte den Bescheid vom 5. April 172, in dem sie u.a. ausführte "daß noch eine Restforderung von DM 54,90 verbleibe”, die von dem Kläger zu begleichen sei. Außerdem holte sie das Einverständnis der Eltern der B.K. und von dieser selbst zur Aufrechnung der Nachzahlung aus der für die Zeit vom 31. Oktober 1969 bis zum 28. Februar 1970 neu berechneten Berufsausbildungsbeihilfe (gegen den Schadenersatzanspruch) ein. Nachdem der Kläger den geforderten Betrag an die Beklagte zurückgezahlt hatte, erließ diese den Bescheid vom 27. Juni 1972 und verlangte hierin noch die Rückzahlung eines Betrages von 90,– DM.
Die Beklagte beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt/M., vom 15. Oktober 1971 aufzuheben und die Klage abzuweisen,
hilfsweise,
den Rechtsstreit an das Sozialgericht Frankfurt/M. zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen,
hilfsweise,
die Revision zuzulassen.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Ergänzung wird auf den Inhalt der Leistungs- und Gerichtsakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt und auch zulässig.
Zu Unrecht hat das Sozialgericht Frankfurt/Main den Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit unter Berufung auf § 40 Abs. 2 VwGO als unzulässig angesehen und den Rechtsstreit deshalb an das Amtsgericht O. verwiesen. Die Prüfung der Zulässigkeit des Rechtsweges ist in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen vorzunehmen (BSG 2, 26 mit weiteren Rechtsprechungs- und Literaturnachweisen), im übrigen hat die Beklagte zutreffenderweise eine dahingehende Rüge erhoben. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) ist für die Frage, ob ein bürgerlicher Rechtsstreit im Sinne des § 13 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) vorliegt, die rechtliche Natur des Klagebegehrens maßgebend, wie sie sich aus dem zugrundeliegenden Sachverhalt ergibt. Stellt sich der Klageanspruch nach der ihm vom Kläger gegebenen tatsächlichen Begründung als Folge eines Sachverhaltes der nach bürgerlichem Recht zu beurteilen ist, so ist der Rechtsweg zu den Zivilgerichten eröffnet (vgl. BGHZ 29, 187/89 mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen). Privatrechtlich ist danach ein Rechtsverhältnis der Beteiligten zueinander, soweit es nicht von ihrer Zugehörigkeit zu einem öffentlich-rechtlichen Gemeinwesen unmittelbar beeinflußt wird (Koordination), öffentlich-rechtlich ist das Verhältnis, in dem der einzelne Kraft seiner Unterwerfung unter die Gewalt des Staates oder einer sonstigen öffentlich-rechtlichen Gemeinschaft zu dieser öffentlichen Gewalt oder ihren Trägern oder dem der gleichen Gewalt Unterworfenen steht (Subordination – so Peters-Sautter-Wolff, Sozialgerichtsgesetz, § 51 Anm. 3 a bb). Nach § 51 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entscheiden die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit über öffentlich-rechtliche Streitigkeiten auch in Angelegenheiten der Arbeitslosenversicherung und der übrigen Aufgaben der Bundesanstalt für Arbeit. Ein Rechtsverhältnis ist öffentlich-rechtlich, wenn die es kennzeichnenden gegenseitigen Rechte und Pflichten der Beteiligten aus Rechtsnormen des öffentlichen Rechtes erwachsen (BSG 1, 176; 2, 26; BGHZ 14, 225; RGZ 157, 106 ff.; RVA 2559, 4124; AN 1920, 169; 1961, 295). Daraus ergibt sich, daß eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit dann vorliegt, wenn um die Begründetheit eines Anspruches gestritten wird, der auf einem Rechtssatz öffentlichen Rechts gestützt wird, oder wenn das Bestehen eines Rechtes streitig ist, das unter Berufung auf eine Rechtsnorm des öffentlichen Rechts in Anspruch genommen, aus einer solchen Norm hergeleitet wird. Ob es sich um einen vermögensrechtlichen oder nicht vermögensrechtlichen Anspruch handelt, ist für die Charakterisierung der Streitigkeit ohne Bedeutung (vgl. Zeihe, Das Sozialgerichtsgesetz, § 51 Anm. 3 A). Die Bescheide der Beklagten vom 3. April 1970 und vom 10. Juni 1970 habe ihre Rechtsgrundlage in § 145 Nr. Arbeitsförderungsgesetz (AFG), nach dem der Bundesanstalt für Arbeit zum Ersatz entstandenen Schadens verpflichtet ist, wer vorsätzlich oder fahrlässig eine Auskunft, zu der er nach § 144 Abs. 3 a.a.O. verpflichtet ist, nicht, nicht richtig oder vollständig erteilt. Damit ist derjenige zur Auskunftserteilung verpflichtet – soweit es für die Durchführung dieses Gesetzes (AFG) erforderlich ist – der den Bezieher einer laufenden Leistung (hierbei B.K., die von der Beklagten eine Berufsausbildungshilfe erhält) beschäftigt oder ihm Leistung gewährt oder ihm zu leisten verpflichtet ist, die geeignet sind, die laufende Leistung auszuschließen oder zu mindern. Diese aus § 144 Abs. 3 AFG herzuleitende Pflicht des Klägers gehört dem öffentlichen Recht an. Der Gesetzgeber hat diese dem Arbeitgeber im öffentlichen Interesse auferlegt, um der Bundesanstalt für Arbeit die ordnungsgemäße Wahrnehmung ihrer Aufgaben zu ermögliche, eine schuldhafte Verletzung dieser Pflicht als Bußgeldtatbestand im § 230 Abs. 1 Nr. 5 AFG normiert und den Kläger demgemäß durch Bescheid vom 30. April 1970 mit einem Verwaltungsgeld von 20,– DM belegt. Was für die dem Kläger (Arbeitgeber) durch § 144 Abs. 3 AFG auferlegte Verpflichtung bezüglich ihres öffentlich-rechtlichen Charakters gilt, trifft auch für die Schadenersatzansprüche zu, die aus einer Verletzung dieser Verpflichtung entstehen; auch sie sind öffentlich-rechtlicher Art (vgl. BSG, Urteil vom 28. Februar 1967 – 3 RU 150/67). Entgegen der Auffassung des Sozialgerichtes sind Schadenersatzansprüche aus Verletzung öffentlich-rechtlicher Pflichten nicht grundsätzlich durch § 40 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) aus der Abgrenzung der Zuständigkeitsregelung zwischen den allgemeinen Verwaltungsgerichten und den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit nach § 40 Abs. 1 VwGO herausgenommen und dem Zuständigkeitsbereich der ordentlichen Gerichte zugewiesen, sondern nur der bisherige "Besitzstands der Zivilgericht aus Zweckmäßigkeitsgründen auf gewissen Teilbereichen des öffentlichen Rechtes aufrechterhalten werden, so daß diese Vorschrift einschränkend auszulegen ist (vgl. BGHZ 43, 278). § 40 Abs. 2 VwGO erfaßt, daher nur Fälle von Amtspflichtverletzungen und solche, die mit ihnen eng zusammenhängen (vgl. BSG in SBb 1967, 166; BSG in DVBl. 1970, 293; vgl. auch BVerwG. In DVBl. 1971, 412, 414). Soweit dieser Gesichtspunkt keine Rolle spielt, wie hier bei Schadensersatzansprüchen gegen Privatpersonen, findet § 40 Abs. 2 VwGO keine Anwendung (vgl. OVG Lüneburg in DÖV 1968, 803; OVG Münster in DÖV 1967, 722).
Im vorliegenden Fall ist aber auch nicht im Wege der Inzidentkontrolle von den Zivilgerichten über die angefochtenen Verwaltungsakte der Beklagten zu entscheiden. Eine Inzidentkontrolle kann nur einsetzen, wenn das Verhältnis von Hauptfrage zur Vorfrage vorliegt, d.M. wenn nach dem Kern des Streitgegenstandes klargestellt ist, welcher Gerichtsbarkeit innerhalb der Dritten Staatsgewalt der Streit zufällt. In diese Zuständigkeitsabgrenzung und damit in den Bereich der Zulässigkeit des Rechtsweges fällt die Hauptfrage, während die Vorfrage in den Teil der Sachentscheidung (Sachurteilsvoraussetzung, Begründetheit der Klage) fällt. In Ansehung von Verwaltungsakten ist die Inzidentkontrolle durch den zivilen Richter im Ergebnis eigentlich nur auf die Frage der Gültigkeit, d.h. auf die Frage der Wichtigkeit der Verwaltungsakte beschränkt. Auch darf in keinem Fall der Weg über die ordentliche Zivilgerichtsbarkeit dadurch gesucht werden, daß ein öffentlich-rechtliches Klagebegehren in ein privatrechtliches gekleidet wird (vgl. RGZ 157, 200; BGH in NJW 1956, 712) wie dies z.B. bei Schadensersatzklagen denkbar wäre (vgl. RGZ 159, 247; JW 1928, 1223). Deshalb ist der Rechtsweg bei einem auf rein öffentlich-rechtlichem Gebiet liegenden Schadenersatzanspruch selbst dann unzulässig, wenn er aus § 839 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) hergeleitet wird (RGZ 146, 257). Bei Bejahung der Zuständigkeit der ordentlichen Gerichtsbarkeit müßte diese nicht über eine öffentlich-rechtliche Vortrage (Rechtsnatur des Schadensersatzanspruches aus schuldhafter Verletzung der dem Arbeitgeber durch § 144 Abs. 3 AFG auferlegten Pflicht) mit entscheiden, vielmehr hätte diese auch darüber zu befinden, ob die rückwirkende Neuberechnung der Berufausbildungsbeihilfe richtig erfolgt ist und erst dann, ob die Aufrechnung in dem hier vorliegenden Fall zulässig ist (vgl. Hessisches Landessozialgericht, Beschluss vom 7. März 1968 – L-3/B – 34/67 – DBl. C Nr. 1360 a zu § 206 AVAVG).
Beruhen somit die in § 145 AFG (früher: § 206 Nr. 1 und 2 AVAVG) geregelten Schadensersatzansprüche auf einer Verletzung öffentlich-rechtlicher Verpflichtungen und gehören deshalb dem öffentlichen Recht an (vgl. Hennig-Kühl-Heuer, Kommentar zum Arbeitsförderungsgesetz, § 145 Anm. 1 sowie Weber-Paul, Kommentar zum Arbeitsförderungsgesetz, § 145 Anm. 4), so können sie wahlweise durch Verwaltungsakt oder durch Klage vor dem Sozialgericht nach § 54 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) geltend gemacht werden (vgl. Hennig-Kühl-Heuer a.a.O. und § 72 Anm. 27 sowie BSG, Urt. Vom 14. November 1968 – 7 Rar 15/68; a.A. anscheinend Regierungsentwurf S. 73 zu § 66 Abs. 1, vgl. ferner BSG 30, 233).
Die von der Beklagten (Arbeitsamt O.) während des Berufungsverfahrens erlassenen Bescheide vom 5. April 1972 und vom 27. Juni 1972 sind gemäß § 96 SGG Gegenstand des anhängigen Berufungsverfahrens geworden (vgl. BSG 18, 84). Diese Bescheide haben den Bescheid vom 3. April 1970 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Juni 1970, mit denen zunächst ein Betrag von 267,90 DM zurückgefordert worden ist, ersetzt, indem durch sie die Forderung zunächst auf 54,90 DM ermäßigt (so der Bescheid vom 5. April 1972) und sodann durch Bescheid vom 27. Juni 1972 auf einen Betrag von DM 90,– festgestellt worden ist. Von diesen Bescheiden, die mit der Klage angefochten gelten (Peters-Sautter-Wolff, Kommentar zum Sozialgerichtsgesetz, § 96 Anm. 20), war der Bescheid vom 27. Juni 1972 aufzuheben, im übrigen jedoch die Klage abzuweisen.
Entgegen der nach § 144 Abs. 3 AFG obliegenden Verpflichtung ist die "Bescheinigung des Ausbildungsbetriebes” unrichtig ausgefüllt, da die Angabe einer Ausbildungsvergütung von 100,– DM ab 1. September 1969 weder als Bruttobetrag (wie gefordert) noch als Nettobetrag (wie angegeben) zutrifft. Nach der Meldung zur Innungskrankenkasse war der Lehrling B.K. mit einem Betrag von 246,56 DM monatlich gemeldet, wovon 110,– DM netto auf die monatlich zu zahlende Lehrlingsvergütung entfielen. Auch unter Ziffer 5 a der genannten Bescheinigung des Ausbildungsbetriebes befindet sich unter der Rubrik "Sachbezüge” – entgegen der Verpflichtung – keine Eintragung; vielmehr sind von der beispielhaften Aufzählung für verschiedene Eintragungsmöglichkeiten hinter dem Wort "Sachbezüge” die Worte "freie Station, freie Teilverpflegung, freie Wohnung” durchgestrichen, dagegen die Worte "Freie Kost” offengeblieben und unterstrichen worden. Obwohl der Kläger gehalten war "Nichtzutreffendes bitte streichen” ist in dem darunter befindlichen und zur Frage 5 a "Sachbezüge”) gehörenden Kästchen "ja-nein”), das Wort "ja” durchgestrichen. Da die Bescheinigung vom 10. September 1969 wie auch die vom 21. Januar 1970 mit "K. J.” bzw. mit "K. J.” unter Beifügung des Firmenstempels unterzeichnet worden sind, konnte die Beklagte davon ausgehen, daß der Kläger die Bescheinigung unterzeichnet bzw. eine sachkundige Person mit deren Ausfüllung beauftragt hatte. Für die Verpflichtung des Klägers zum Schadensersatz ist es nicht entscheidend, ob er selbst oder seine Ehefrau die entsprechende Bescheinigung ausgefüllt hat. Da § 278 BGB auch öffentlich-rechtliche Verbindlichkeiten entsprechend angewendet werden kann (so Palandt, Ktr. zum Bürgerlichen Gesetzbuch, § 278 Anm. 5 sowie OLG Zelle, Urt. v. 23. November 1962 – 11 U 125/62 DBl. C Nr. 929 a zu § 175 AVAVG unter Hinweis auf RGZ 113, 296), hat der Kläger auch das Verschulden von Personen, deren er sich zur Erfüllung der ihm aus § 144 Nr. 3 AFG erwachsenen Verpflichtung bedient, zu vertreten (vgl. BSG in Breith. 1962, 928 und Kriegsopferversorgung (KOV) 1966, 74 sowie Schönleiter-Hennig, Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung, 2. Auflage 1969, § 47 Anm. 4). Sollte die Ehefrau des Klägers zur Ausfüllung der Bescheinigung nicht in der Lage gewesen sein, hätte sie diese Auskunft nicht erteilen dürfen bzw. die Beklagte an den Kläger bzw. eine andere mit der Materie vertraute Person verweisen müssen. Die Beklagte braucht sich auch kein mitwirkendes Verschulden gemäß § 254 BGB entgegenhalten zu lassen, da sie aufgrund der widersprüchlichen Angaben in der Bescheinigung eine telefonische Klärung herbeizuführen versuchte, doch (wiederum) von der Ehefrau des Klägers eine unrichtige Auskunft erhielt (siehe die Eintragung in der Bescheinigung vom 10. September 1969 – Bl. 3 der Leistungsakten). Auf die Vollständigkeit und Richtigkeit der ausgestellten Bescheinigung durfte die Beklagte aber vertrauen (vgl. Schönefelder-Kranz-Wanka, Ktr. Zum Arbeitsförderungsgesetz, § 133 Rz. 7), zumal auch der Lehrling B.K. die Frage nach der Gewährung von Sachleistungen verneint hatte.
Sind somit die Bescheide der Beklagten vom 3. April 1970 und vom 10. Juni 1970 hinsichtlich der Geltendmachung eines Schadensersatzanspruches von 267,90 DM zu Recht ergangen, so war die Beklagte durch die Erteilung eines Bescheides vom 5. April 1972 gehindert, mit Bescheid vom 27. Juni 1972 abermals einen Betrag von 90,– DM zurückzufordern. In dem Bescheid vom 5. April 1972 hatte die Beklagte nämlich ausgeführt, B.K. werde eine Erklärung über ihr Einverständnis zu einer "Verrechnung” der Nachzahlung aus der neuberechneten Berufsausbildungsbeihilfe im Betrag von 213,– DM mit der noch bestehenden Überzahlung von 267,90 DM einreichen (siehe hierzu die Erklärung vom 10. April 1972), um dann in dem an den Kläger adressierten Bescheid fortzufahren,” daß noch eine Restforderung von 54,90 DM verbleibt, die von ihnen zu begleichen ist”. Diese Forderung hat der Kläger durch Zahlung des genannten Betrages erfüllt, so daß die Beklagte an ihre Bescheid vom 5. April 1972 abgegebene Erklärung gebunden war und deshalb die durch diesen Verwaltungsakt erledigte Sache nicht ohne weiteres zum Gegenstand eines neuen Verwaltungsakten (mit Bescheid vom 27. Juni 1972) machen konnte (vgl. Peters-Sautter-Wolff a.a.O., § 77 Anm. 3 b).
Selbst, wenn das Berufungsverfahren damit noch nicht abgeschlossen war, so hatte die relative Bindung der Beklagten an den Bescheid vom 5. April 1972 zur Folge, daß diese den begünstigenden Verwaltungsakt nur noch nach bestimmten Vorschriften oder Grundsätzen zurücknehmen oder abändern konnte (vgl. Schönleiter-Hennig a.a.O., § 24 Anm. 6 sowie BSG in BVBl. 1964, 140, vgl. ferner Urt. BSG v. 23. August 1967 – 3 RK 66/65 – DBl. C Nr. 1297 c zu § 23 BKGG). Wenn die Beklagte die Voraussetzungen einer Aufrechnung wegen mangelnder Gegenseitigkeit der Forderung (vgl. Palandt a.a.O. 23. Auflage, § 387 Anm. 4) nicht für gegeben ansah, so konnte sie den Bescheid vom 5. April 1972 nur noch unter den Voraussetzungen des § 151 Abs. 1 AFG aufheben. Unerheblich ist in einem solchen Fall, weshalb die Leistung trotz Fehlens der Leistungsvoraussetzungen bewilligt worden ist (z.B. unzureichende Sachverhaltsaufklärung oder falsche Rechtsanwendung), und ob ein Verschulden des Antragstellers (schuldhafte falsche oder unvollständige Angaben) oder der Verwaltung vorgelegen hat. Entscheidend ist allein die objektive Inkongruenz von Sachverhalt und Leistungsvoraussetzungen (vgl. Hennig-Kühl-Heuer a.a.O., § 151 Anm. 7). Aber auch, wenn der Bescheid der Beklagten vom 27. Juni 1972 diesen Voraussetzungen entsprochen hat, wobei unter "Leistung” jeder Vorteil zu verstehen ist, den die Bundesanstalt ihrer öffentlich-rechtlichen Aufgabenstellung gewährt (so Hennig-Kühl-Heuer a.a.O., § 142 Anm. 2), so hat der Kläger die Gewährung der Leistung nicht dadurch herbeigeführt, daß er vorsätzlich oder grob fahrlässig falsche oder unvollständige Angaben gemacht hat bzw. wußte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht wußte, daß die Voraussetzungen für die Leistung nicht vorlegen (Ziff. 2). Vielmehr haben die Feststellungen der Beklagten in dem Bescheid vom 5. April 1972 über eine Restforderung vom 54,90 DM auf ihrer unzutreffenden rechtlichen Beurteilung der Voraussetzungen für eine Aufrechnung beruht, einem Umstand, den der Kläger nach § 152 AFG nicht zu vertreten hat (vgl. Hastler in Sozialgerichtsbarkeit 1955, 386). Mangels fehlender gesetzlicher Voraussetzung konnte die Beklagte den Betrag von 90,– DM daher nicht mehr durch Bescheid vom 27. Juni 1972 zurückzufordern, so daß dieser Bescheid – im Gegensatz zu dem Bescheid vom 5. April 1972 – aufgehoben, die weitergehende Klage abgewiesen werden mußte.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der hier zu entscheidenden Rechtsfrage hat der Senat die Revision zugelassen.
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