L 5 V 1066/70

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
5
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 5 V 1066/70
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1) Hält eine Tatsacheninstanz klägerische Angaben für glaubhaft, den Anspruch aus ihrer Sicht voll deckend und für überzeugungsbildend im Sinne des § 128 Abs. 1 SGG, dann darf sie von einer Untermauerung derselben durch zeugenschaftliche oder urkundliche Beweismittel absehen.
2) Die Annahme einer Behinderung im Erwerbsleben durch seelische Begleiterscheinungen im Sinne des § 30 Abs. 1 Satz 1 BVG gründet sich auf objektive medizinische und sich aus der Lebenserfahrung ergebende konkrete Anhaltspunkte. Das subjektive Empfinden des Beschädigten genügt nicht, insbesondere wenn es sich hauptsächlich auf den privaten Bereich bezieht.
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt/Main vom 22. Oktober 1970 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Bei dem 1920 geborenen Kläger hatte das Versorgungsamt Frankfurt/Main im Umanerkennungsbescheid vom 28. Februar 1952 "Zustand nach zweimaliger Wirbelsäulenverletzung mit Bewegungsbehinderung. Restzustand nach Amöbenruhr” als Schädigungsfolgen nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) anerkannt und ab 1. Oktober 1950 mit einem Grade der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 40 v.H., ab 1. Januar 1951 von 35 v.H. bewertet.

Am 29. März 1966 beantragte er beim Versorgungsamt Frankfurt/Main Neufeststellung, da die Amöbenruhr wieder aktiv und jetzt mit einer Leberschädigung verbunden sei.

Hierauf holte das Versorgungsamt eine Krankenkassenauskunft ein, zog den Entlassungsschein über die stationäre Behandlung des Klägers vom 31. März bis 20. April 1966 sowie einen Befundbericht von der I. Medizinischen Universitätsklinik F. bei und ließ ihn in dieser Klinik untersuchen. In ihrem Gutachten vom 11. Januar 1967 diagnostizierten Prof. Dr. S. und der Ass.Arzt Dr. B. unter Verwertung von Röntgenbefunden u.a. einen Zustand nach Amöbenruhr mit Amöbenhepatitis und Untersäuerung des Magensaftes. Diese Ruhrfolgen seien schädigungsbedingt, klinisch behandlungsbedürftig und ergäben eine MdE von 40 v.H ... Folgezustände nach Rückenverletzungen seien nicht mehr nachweisbar.

Nach Stellungnahme von ORMR Dr. G. erließ das Versorgungsamt hierauf den Neufeststellungsbescheid vom 27. Februar 1967, in dem es die Schädigungsfolgen mit "Dauerausscheidung von Amöben (Entamöba histolytica) mit entzündlicher Mitbeteiligung der Leber und Untersäuerung des Magensaftes” bezeichnete und ab 1. März 1960 Versorgung nach einer MdE von 40 v.H. gewährte.

Im Widerspruchsverfahren machte der Kläger seelische Begleiterscheinungen infolge häufiger und plötzlicher zum Teil unwillkürlicher Stuhlentleerungen, Blähungen und Aufstoßens geltend und begehrte die Beibehaltung des früher anerkannten Zustandes nach Wirbelsäulenverletzung.

Das Versorgungsamt zog eine Verdienstbescheinigung mit Anlagen von der Arbeitgeberin des Klägers und die Krankenunterlagen über seine im Tropeninstitut H. vom 6. bis 31. Januar 1967 erfolgte stationäre Behandlung bei. Zu letzteren äußerte sich RMR Dr. K. am 28. August 1967 dahin, daß in H. ein Sistieren der Durchfälle erreicht worden sei. Da die Blähungen ebenfalls aufgehört hätten und der Kläger sich besser fühle, seien erhebliche seelische Begleiterscheinungen nicht wahrscheinlich. Zur Frage der MdE-Höhe und zu den aberkannten Folgen der Wirbelsäulenverletzungen nahm ORMR W. am 8. November 1967 zusätzlich Stellung. Bezüglich letzterer sei eine fachchirurgische Begutachtung erforderlich. Die MdE von 40 v.H. für die Ruhrfolgen erscheine den tatsächlichen Verhältnissen nicht ganz angemessen. Hierzu sollten sich die Internisten der Versorgungsärztlichen Untersuchungsstelle Frankfurt/Main abschließend äußern.

Nunmehr erstellte der Facharzt für Chirurgie Dr. H. unter Verwertung je eines urologischen, neurologischen und internistischen Nebengutachtens sowie von Röntgenbefunden ein am 14. Mai 1966 abgeschlossenes Hauptgutachten über den Kläger. Er hielt reizlose Narben im Rücken, am linken Unterarm und linken Unterschenkel ohne meßbaren Grad der MdE für Schädigungsfolgen. Über die besonderen seelischen Belastungen wegen häufiger Stuhlentleerung solle sich, die Kuranstalt äußern, nachdem der Kläger zwischenzeitlich Antrag auf Bewilligung einer Badekur gestellt habe. Der Internist Dr. D. fand für nennenswerte seelische Begleiterscheinungen im Zeitpunkt seiner Untersuchung keinen Anhalt. Der Nervenarzt Dr. M. meinte, daß die ihm vom Kläger geschilderten Beschwerden, wenn sie in der angegebenen Form vorhanden seien, eine besondere psychische Belastung mit der Folge der Erhöhung der MdE um 10 v.H. darstellten.

Nachdem das Versorgungsamt einen Bericht des Oberarztes Dr. S. und des Stationsarztes Dr. B. vom Krankenhaus N., in dem sich der Kläger ab 25. Juli bis zum 16. August 1968 zum Zwecke der Vornahme einer Laparoskopie und einer Gallenblasenoperation befand, sowie die Unterlagen über seine im Oktober/November 1968 in B. M. durchgeführte Badekur beigezogen und ORMR Dr. G. am 25. März 1969 dazu gehört hatte, erließ es am 25. April 1969 einen abändernden Bescheid. Darin bezeichnete es die Schädigungsfolgen nunmehr mit

1) "Chronische Gastro-Enteritis und Fehlen der Gallenblase sowie Untersäuerung des Magensaftes und Mitbeteiligung der Leber nach Amöbenruhr und langjähriger Amöbenbesiedlung.

2) Reizlose Narbe im Rücken, am linken Unterarm und linken Unterschenkel,” beließ es aber "bei dem bisherigen Grad der MdE von 40 v.H ... Diese Bemessung sei unter Berücksichtigung der seelischen Begleiterscheinungen erfolgt. Die rein anatomisch-funktionelle Beeinträchtigung sei nicht so gravierend, als daß sie diese Höhe der MdE allein begründen könne.

Hiermit war der Kläger nicht einverstanden. Zwar ruhe seine Amöbiasis derzeitig, sei aber nicht behoben. Ihm stehe der Status des Schwerbeschädigten zu, da sein seelischer Schaden mit einer MdE von 40 v.H. keineswegs abgegolten sei.

Zu diesen Einwänden äußerte sich ORMR W. am 20. Juni 1969. Für seelische Auswirkungen über ein der anerkannten Schädigungsfolge zukommendes übliches Maß hinaus fänden sich keine Anhaltspunkte, zumal nach Entfernung der Gallenblase eine Besserung eingetreten sei. Befundschwankungen ab Antragstellung bis zur Operation seien für das vorliegende Krankheitsbild typisch. Eine zeitweilige wesentliche Änderung habe nicht vorgelegen.

Hierauf gestützt erging der den Widerspruch zurückweisende Bescheid vom 25. Juni 1969.

Im Klageverfahren vor dem Sozialgericht Frankfurt/Main hat der Kläger begehrt, wegen der anerkannten Schädigungsfolgen und Zustandes nach zweimaliger Wirbelsäulenverletzung mit Bewegungsbehinderung Rente nach einer MdE von 70 v.H. zu gewähren. Zur Begründung hat er sich auf sein bisheriges Vorbringen sowie darauf bezogen, daß die leichte Besserung der Darmbeschwerden durch die Kur in Bad Mergentheim nur etwa ein Jahr angehalten habe. Auch die 1969 von dem Internisten Dr. M. eingeleitete Behandlung mit Säure- und Fermentpräparaten habe nur mäßigen Erfolg gehabt.

Demgegenüber hat der Beklagte ausgeführt, sämtliche ärztlichen Gutachten und Berichte, auch der des Dr. M. vom 28. April 1969, seien bei der medizinischen Beurteilung verwertet worden. An dem Grade der MdE ändere sich nichts. Ein krankhafter Zustand nach Wirbelsäulenverletzung sei nicht mehr vorhanden.

Das Sozialgericht hat in der mündlichen Verhandlung vom 9. Juli 1970 den Facharzt für Chirurgie Dr. B. als medizinischen Sachverständigen gehört, der die Erhöhung der MdE auf 50 v.H. für die jetzt anerkannten Schädigungsfolgen unter zusätzlicher Berücksichtigung der psychischen Belastungen vorgeschlagen hat. Den darauf fußenden gerichtlichen Vergleich hat der Beklagte seinem Vorbehalt entsprechend unter Bezugnahme auf eine Äußerung des ORMR Dr. H. widerrufen.

Mit Urteil vom 22. Oktober 1970 hat das Sozialgericht den Beklagten unter Abänderung der angefochtenen Bescheide verurteilt, für die nunmehr anerkannten Schädigungsfolgen unter Berücksichtigung seelischer Begleiterscheinungen Rente nach einer MdE von 50 v.H. ab Antragstellung zu gewähren. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, die Kammer sei wie ORMR W. in seinem Prüfvermerk vom 8. November 1967, Dr. M. in seinem Gutachten vom 3. April 1968, Dr. G. in seinem Vermerk vom 25. März 1969 und insbesondere wie der Chirurg Dr. B. der Überzeugung, daß seelische Begleiterscheinungen zu berücksichtigen seien. Das Beschwerdebild des Klägers habe sich während des streitigen Zeitraums auch nach Entfernung der Gallenblase nicht wesentlich geändert. Seine Angaben seien glaubhaft und hätten vom Beklagten nicht widerlegt werden können. In der Zukunft liegende Ereignisse konnten zwar keine Berücksichtigung finden. Aus dem Gutachten des Internisten Dr. D. und dem Vermerk des Dr. G. vom März 1969 könne aber der Beweis des Beklagten nicht als geführt angesehen werden, daß die umfangreichen Beschwerden nicht mehr vorhanden seien.

Gegen dieses Urteil, das dem Beklagten am 28. Oktober 1970 zugestellt wollen ist, richtet sich dessen am 19. November 1970 beim Hessischen Landessozialgericht eingegangene Berufung.

Zur Begründung rügt er wesentliche Verfahrensmängel, die er darin sieht, daß das Sozialgericht keine konkreten Feststellungen über das Vorliegen seelischer Begleiterscheinungen getroffen, keinen entsprechenden Beweis erhoben und im übrigen das Gesetz falsch angewandt habe. In der Sache sei die Entscheidung unrichtig da sich das Gericht tatsächlich nicht in Übereinstimmung mit ORMR W., Dr. M., Dr. G. und Dr. D. befinde. Die Beurteilung des Dr. B. beruhe nicht auf dem Gesamtergebnis des Verfahrens und habe dieses zum Teil ins Gegenteil verkehrt. Auch habe die Kammer die Frage der Beweislast mißverstanden, indem sie ausgeführt habe, die Behauptungen des Klägers über seine seelischen Begleiterscheinungen habe nicht widerlegt werden können und er, der Beklagte, habe keinen Gegenbeweis geführt.

Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt/Main vom 22. Oktober 1970 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen,
hilfsweise,
weitere Beweise von Amts wegen zu erheben durch Beiziehung eines Gutachtens und ggf. Vernehmung der in seinem Schriftsatz vom 10. Mai 1972 benannten Zeugen.

Zur Begründung bezieht er sich auf sein bisheriges Vorbringen hinsichtlich seiner seelischen Belastung, die von Arbeitskollegen bestätigt werden könne. Bei längeren Fehlzeiten habe er auch finanzielle Nachteile. Im übrigen bescheinige ihm der Leitende Arzt des Versorgungsamtes Frankfurt/Main am 22. Februar 1972 selbst, daß er schädigungsbedingte gesundheitliche Nachteile und Schwierigkeiten habe.

Der Senat hat bei der Arbeitgeberin des Klägers, der Hessischen Landesbank – Girozentrale –, Ermittlungen durchgeführt, bezüglich deren Ergebnisse auf Bl. 54 der Gerichtsakten verwiesen wird.

Die Akten des Versorgungsamts Frankfurt/Main mit der Grdl.Nr. XXXXX haben vorgelegen. Auf ihren Inhalt und den der Gerichtsakten beider Instanzen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, wird Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 151 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) frist- und formgerecht eingelegte Berufung ist nach §§ 143, 148 Ziff. 3 SGG auch im übrigen zulässig, da die Schwerbeschädigteneigenschaft des Klägers angesprochen ist. In der Sache hatte sie Erfolg.

Streitgegenstand war in der Berufungsinstanz lediglich die Frage, ob die durch Bescheid vom 25. April 1969 festgestellte Schädigungsfolge zu Ziff. 1) wegen seelischer Begleiterscheinungen ab 1. März 1966 eine MdE von 50 v.H. anstelle der vom Beklagten zugebilligten von 40 v.H. bedingt. Denn seinen in erster Instanz nach dem Klageantrag zusätzlich verfochtenen Anspruch auf Wiederanerkennung eines Zustandes nach zweimaliger Wirbelsäulenverletzung mit Bewegungsbehinderung mit dem Ziele einer weiteren Erhöhung der MdE auf insgesamt 70 v.H., über den das Sozialgericht trotz Widerrufs des gerichtlichen Vergleichs nicht entschieden hat, hat der Kläger im Wege einer selbständigen Berufung oder Anschlußberufung nicht geltend gemacht. Deshalb stellte sich für den Senat die Frage nach dem Vorliegen eines wesentlichen Verfahrensmangels insoweit nicht, wohl aber in dem Umfang, in dem der Beklagte solche Verfahrensmängel gerügt hat.

Soweit er ausgeführt hat, der Vorderrichter habe deshalb einen Verstoß gegen das Amtsermittlungsprinzip im Sinne der §§ 103, 106 SGG begangen, weil er das Vorbringen des Klägers über den Umfang und die Schwere seiner seelischen Beeinträchtigungen einfach als wahr unterstellt habe, ist ihm nicht ohne weiteres zu folgen. Denn ein Richter darf sich auf klägerische Angaben stützen und von einer Untermauerung derselben durch zeugenschaftliche oder urkundliche Beweismittel absehen, wenn er sie für glaubhaft hält, sie den Anspruch aus seiner Sicht voll decken und seine Überzeugung im Sinne des § 128 Abs. 1 SGG zu bilden imstande sind. Da der Vorderrichter erkennbar darauf abgestellt hat, daß die Einlassung des Klägers über starke seelische Belastungen im häuslichen Bereich, Gesellschaftsverkehr und in der Öffentlichkeit, so wie er sie wiederholt im einzelnen geschildert hat, unter § 30 Abs. 1 Satz 1 BVG zu subsumieren ist und diese Vorschrift ausfüllt, war er aus seiner Sicht zu einer Beweiserhebung insoweit nicht verpflichtet. Der Umstand, daß diese Auffassung, in Wertung der einschlägigen Rechtsprechung nicht zu halten ist, worauf noch einzugehen sein wird, stellt eine falsche Ansicht in der Sache, nicht aber einen wesentlichen Verfahrensmangel dar.

Die vorgenommene Umkehrung der Beweislast, auf welche der Beklagte zutreffend hingewiesen hat, beinhaltet gleichfalls keinen Mangel dieser Art, sondern kann den sachlichen Gehalt des angefochtenen Urteils in seinem darauf bezüglichen Teil ebenfalls nur unrichtig machen. Denn bei einer Erstanerkennung von seelischen Begleiterscheinungen im Sinne des § 30 Abs. 1 Satz 1 BVG, um welche es vorliegend geht, hat der Kläger, nicht aber der Beklagte die Darlegungs- und Beweislast. Deshalb liegt das sozialgerichtliche Urteil neben der Sache, wenn es auf Seite 9 ausführt, einen Beweis dafür, daß die vom Kläger nach wie vor geklagten Beschwerden nicht mehr bestünden, habe der Beklagte nicht führen können und die lediglich gezogenen Folgerungen reichten für einen insoweit zu fordernden Nachweis nicht aus.

Einen vom Beklagten zu Recht gerügten Mangel des Verfahrens sieht der Senat aber darin, daß das Vordergericht nicht aus dem gesamten ihm vorliegenden Akteninhalt geschöpft hat. Es liegt ein Verstoß gegen § 128 Abs. 1 SGG vor, weil das Gutachten des Dr. D. vom 13. April 1968, die Stellungnahme des ORMR vom 6. November 1967 und der Prüfvermerk des Dr. G. vom 25. März 1969 in wesentlichen Teilen unberücksichtigt geblieben sind. Der Internist Dr. D. hat nämlich zur Zeit seiner Untersuchung gerade keine nennenswerten seelischen Begleiterscheinungen gefunden. Daß er unter Berücksichtigung der Anhaltspunkte für die Ärztliche Gutachtertätigkeit im Versorgungswesen meinte, die medizinische MdE scheine den tatsächlichen Verhältnissen nicht ganz zu entsprechen, war in Bezug auf den Streitgegenstand unwesentlich. Auf gar keinen Fall durften, auch nicht etwa im Umkehrschluß, aus dieser Beurteilung positive Folgerungen für den Kläger gezogen werden. Indem das Vordergericht das dennoch tat, hat es das Gutachten verfälscht und verfahrenswidrig ausgelegt. Das gleiche gilt für den von ihm zitierten Prüfvermerk des ORMR W. auf dem Dr. D. bei seiner Erörterung des medizinischen MdE-Grades gefußt hat (siehe Bl. 229 VA). Dessen kritische Durchsicht ergibt ebenfalls, daß sich auch erster Arzt am 8. November 1967 lediglich zur medizinischen MdE-Bewertung der Folgen von Amöbenruhr, nicht eher zusätzlich zu seelischen Begleiterscheinungen geäußert hat. Aus diesem Grunde durfte sich das Sozialgericht nicht des ORMR W. bedienen, um seine Urteilsgrundlage zu erhalten, ebenso wie es Dr. G. hierfür zu Unrecht herangezogen hat. Denn dieser Arzt hat am 25. März 1969 gesagt, die Gesamt-MdE betrage weiterhin 40 v.H., worin seelische Begleiterscheinungen enthalten seien, nicht aber auch nur sinngemäß, daß sie MdE-steigernd berücksichtigt werden müßten.

Da hiernach die Grenzen des Rechts der freien Beweiswürdigung unzulässigerweise überschritten worden sind, liegt ein wesentlicher Verfahrensmangel vor. Er hat den Senat jedoch nicht veranlaßt, von der Vorschrift des § 159 Abs. 1 Ziff. 2 SGG Gebrauch zu machen. Der Rechtsstreit war entscheidungsreif, insbesondere nachdem in zweiter Instanz Ermittlungen bei der Arbeitgeberin des Klägers durchgeführt worden sind, die aus der Sicht des erkennenden Gerichtes wesentlich waren.

§ 30 Abs. 1 Satz 1 BVG, wonach bei der MdE seelische Begleiterscheinungen zu berücksichtigen sind, knüpft erkennbar an das Erwerbsleben an. Anderenfalls hätte es des Wortes "dabei” nicht bedurft. Zu dieser Frage hat sich das BSG mehrfach zu äußern gehabt (vgl. z.B. Urt. des 11. Senats vom 29.10.1958 in BSGE 8 S. 209 ff. und Urt. des 9. Senats vom 6.5.1959 in "Die Kriegsopferversorgung” 1970 S. 29 ff.). Dort ist klar ausgeführt worden, die einschlägige Bestimmung könne nur so verstanden werden, daß sich die seelischen Begleiterscheinungen im konkreten Fall für das allgemeine Erwerbsleben bemerkbar machen müssen. Die gesetzliche Regelung stellt keine Ausnahme, sondern eine Erweiterung und Ergänzung des Begriffes "Beeinträchtigung im allgemeinen Erwerbsleben” dar. Hiernach können seelische Begleiterscheinungen nur dann zu einer Erhöhung der durch den körperlichen Befund bedingten MdE führen, wenn sie sich auch im besonderen Beruf des Beschädigten in einem wirtschaftlich meßbaren Umfang nachteilig auswirken. Für die Annahme einer solchen Behinderung im Erwerbsleben bedarf es sowohl medizinischer als auch sich aus der Lebenserfahrung ergebender konkreter Anhaltspunkte. Dagegen genügt das subjektive Empfinden des Beschädigten nicht, daß er in seinem Wohlbefinden beeinträchtigt sei oder sich wegen eines eingeschränkten Lebensgefühls oder einer Unsicherheit aus der Gesellschaft ausgegliedert fühlt (vgl. hierzu BSG-Urt. v. 6.5.1969 a.a.O.).

Werden diese Gedankengänge, denen sich der Senat voll anschließt, auf den vorliegenden Fall übertragen, dann ergeben sowohl die aktenkundigen medizinischen als auch die sich aus dem Vorbringen des Klägers, ergebenden Fakten sowie die Tatsachen, welche von seiner Arbeitgeberin mitgeteilt worden sind, daß die begehrte Erhöhung der MdE auf 50 v.H. nicht gerechtfertigt ist.

Was zunächst die Schilderung des Klägers über seine Beeinträchtigungen angeht, so umfaßt sie weit überwiegend Dinge, welche seinen privaten Bereich angehen. Schon deshalb ist der Auffassung des Sozialgerichts nicht zu folgen, weil es eine Verknüpfung mit das Erwerbsleben angehenden Tatbeständen nicht hergestellt hat. Mißhelligkeiten, welche hauptsächlich das persönliche Wohlbefinden berühren, tun eine wesentliche Beeinträchtigung im allgemeinen Erwerbsleben eben noch nicht dar. Für die Situation am Arbeitsplatz haben sich aber keine gravierenden Umstände finden lassen. Die darauf abzielenden eingehenden Fragen des Senats hat die Arbeitgeberin des Klägers sämtlich verneint oder negativ umschrieben. Hiernach ist nicht davon auszugehen, daß er im Erwerbsleben seelischen Belastungen besonderer Art ausgesetzt ist. Besonderheiten im Vergleich zu seinen Arbeitskollegen haben sich für den streitig Zeitraum nicht gezeigt, sieht man davon ab, daß der Kläger während der Dienstzeit des öfteren den Arzt oder das Krankenhaus aufsuchen mußte. Das hat indessen zu keinem das Arbeitsklima berührenden Beeinträchtigungen geführt, die von Seiten des Klägers her gesehen als seelische Begleiterscheinungen gewertet werden könnten. Vielmehr bringen ihm die Kollegen vollstes Verständnis entgegen.

Wirtschaftlich meßbare Einbußen hat die auf solche Begleiterscheinungen zu beziehende Schädigungsfolge ebenfalls nicht gebracht. Soweit der Kläger ausgeführt hat, eine Fehlzeit von mehr als 15 oder Arbeitstagen führe zu einem Abzug bei der Gewinnausschüttung, muß sich entgegenhalten lassen, daß 1968 nach Auskunft seiner Arbeitgeberin die längste Krankheitszeit durch einen Herzkollaps bedingt war. Dieser ist aber nicht in Zusammenhang mit Schädigungsfolgen zu bringen. Die vom Beklagten im selben Jahr bewilligte Badekur muß hier ohnehin außer Betracht bleiben. Dasselbe Bild zeigt sich im Ergebnis für 1969 und die folgende Zeit. Erkrankungen an Amöben waren zeitlich nur kurz. 1971 bestand zunächst eine schädigungsunabhängige Lungenentzündung, die eine längere Arbeitsunfähigkeit zur Folge hatte. Die dann in der Zeit vom 17. Mai bis 17. Juni 1971 behandelte Lebererkrankung bringt der Kläger aber selbst nicht in Zusammenhang mit der begehrten MdE-Erhöhung wegen seelischer Begleiterscheinungen. Das kann objektiv gesehen auch gar nicht getan werden. Denn nach dem Urteil der gehörten Ärzte sind die geklagten Durchfälle seit der Gallenblasenoperation des Jahres 1968 Folge der zurückgebliebenen Gastroenteritis, nicht aber der Mitbeteiligung der Leber nach Amöbenruhr.

Angesichts der klaren Auskünfte der Arbeitgeberin hatte der Senat hiernach keine Veranlassung zur Vernehmung von Arbeitskollegen des Klägers als Zeugen. Nicht sein subjektives Empfinden, sondern objektive Tatsachen, in Bezug auf seelische Beeinträchtigungen waren allein rechtserheblich. Medizinisch gesehen sind diese Beeinträchtigungen nicht derart schwerwiegend, als daß sie eine Erhöhung der MdE mit der Folge der Zubilligung des Schwerbeschädigtenstatus rechtfertigen konnten. Dem Chirurgen Dr. B. welchem das Sozialgericht insoweit für seine gegenteilige Meinung gefolgt ist, vermochte sich der Senat schon deshalb nicht ohne weiteres anzuschließen, weil wegen seines Fachgebietes gegen beweiskräftige Aussagen Bedenken bestehen. Hinzu kommt, daß er bei seiner Anhörung als Terminssachverständiger auf den Nervenarzt Dr. M. in dem Sinn entscheidend abgestellt hat, dieser habe in seinem Gutachten vom 3. April 1968 keinen Zweifel aufkommen lassen, daß die Beschwerden des Klägers eine zusätzliche psychische Belastung darstellten. Diese Beurteilung ist von ihrem Ausgangspunkt her aber unrichtig. Denn Dr. M. hat in diesem Gutachten auf Bl. 8 tatsächlich gesagt, zweifellos bedeuteten diese Beschwerden, welche der Kläger zuvor im einzelnen geschildert hatte, eine besondere psychische Belastung, wenn sie in der angegebenen Form vorhanden seien. Diesen Bedingungssatz hat Dr. B. nicht beachtet, worin ihm das Sozialgericht zu unrecht gefolgt ist. Gerade er gibt dem Sachverhalt indessen ein ganz anderes Bild. Denn abgesehen davon, daß der Kläger Dr. M. gegenüber auch nur von seelischen Beeinträchtigungen im privaten Bereich gesprochen hatte, welche in Bezug auf § 30 Abs. 1 Satz 1 BVG nicht relevant sind, war der Umfang der Beschwerden in der angegebenen Form auch nicht vorhanden gewesen. Das geht aus den Unterlagen des Tropeninstituts in H. aus der Zeit vom 6. bis 31. Januar 1967 hervor, wo ein Sistieren der Durchfälle erreicht worden ist. Der Kläger selbst hatte im Widerspruchsverfahren zugestanden, daß insoweit eine Besserung erzielt worden ist (vgl. Bl. 180 VA), wenn er dann auch anschließend auf neue Erscheinungen als Folge von Magenbeschwerden eingegangen ist. Immerhin ist in diesem Zusammenhang aber wesentlich, daß sein Körpergewicht sich nicht verringert, sondern im Gegenteil erhöht und er darüberhinaus Dr. M. erzählt hatte, jedes Wochenende mit dem Pkw seinen Vater in der R. zu besuchen. Längeres Autofahren und Aufenthalte außerhalb der eigenen Wohnung waren ihm mithin ohne weiteres möglich.

Auch für die Zeit nach der Beurteilung durch den Neurologen Dr. M. waren die Beschwerden nicht in der angegebenen Form vorhanden. Insoweit verweist der Senat auf das Ergebnis der Mitte 1968 im N.-Krankenhaus vorgenommenen Gallenblasenoperation sowie auf den Bericht der Kuranstalt B. M., in welcher sich der Kläger im Oktober/November 1968 befunden hatte. Er bestätigt die Annahme des Dr. D. vom 3. April 1968, daß sich für seelische Begleiterscheinungen keine Anhaltspunkte fänden. Denn mehr als bis zu drei Stühlen täglich in wechselnder Konsistenz sind im Entlassungsbericht des Chefarztes Dr. S. nicht vermerkt, wobei der Leib weich und nicht aufgetrieben war. Besonders bemerkenswert ist darüberhinaus, daß der Kläger auf die Frage nach seinen Beschwerden in M. selbst von gutem Appetit, keinem Aufstoßen, wenn auch von Völlegefühl und Unterbauchschmerzen, dann aber wieder nur von täglichem Stuhl gesprochen hatte. Auch der Internist Dr. M., den er zum Beweise seines Vorbringens besonders hervorgehoben hat, vermerkt in seinem Arztbericht vom 28. April 1969 (Bl. 208 VA) ein palpatorisch unauffälliges Abdomen und als Diagnose Hepatopathieverdacht. Ermüdbarkeit und Kopfschmerzen, nicht aber etwa häufige quälende Durchfälle mit ihren Begleiterscheinungen. Die Gastroenteritis ist von ihm gar nicht aufgeführt worden.

Aus diesen aktenkundigen Tatsachen heraus hält der Senat die Auffassung des ORMR Dr. G. vom 25. März 1969 und des ORMR Witzel vom 20. Juni 1969 für überzeugend. Die Stuhlverhältnisse, welche sich nach der Gallenblasenoperation offensichtlich gebessert haben, waren während des streitigen Zeitraums nicht geeignet, eine weitere Erhöhung der MdE zu rechtfertigen. Die vom Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 14. Juni 1972 überreichte Bescheinigung des Reg. Med. Direktors Dr. S. vom 22. Februar 1972 steht keinesfalls dagegen. Denn dieser Arzt hat irrtümlicherweise auf die durch Bescheid vom 25. April 1969 abgeänderte frühere Schädigungsfolge abgestellt. Einen Beweiswert für das Berufungsverfahren konnte sie deshalb nicht haben. Die Dauerausscheidung von Amöben wurde nämlich durch die Gallenblasenoperation des Jahres 1968 beseitigt. Eine hypothetische künftige Wiederkehr oder sonstige Verschlimmerung war vom Senat aber nicht zu berücksichtigen. Diese nur den medizinischen Grad der MdE berührende Frage würde im übrigen der Vorschrift des § 62 Abs. 1 BVG unterliegen, welche vorliegend nicht heranzuziehen war.

Nach alledem mußte die Berufung des Beklagten Erfolg haben, ohne daß der Sachverhalt Anlaß zu weiterer Beweiserhebung bot. Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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