L 5 V 257/70

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
5
1. Instanz
SG Fulda (HES)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 5 V 257/70
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Berufsfördernde Maßnahmen schließen einen Berufsschadensausgleich aus, wenn sie erfolgreich verlaufen sind.
2. Eine berufsfördernde Eigeninitiative steht im Falle des Erfolges behördlichen Maßnahmen gleich.
3. Die Erteilung eines Beamtenscheines nach dem RVG stellt einen Ausgleich des beruflichen Schadens dar.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Fulda vom 3. Februar 1970 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Der 1892 geborene Kläger erhielt durch Umanerkennungsbescheid nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) vom 4. Juni 1952 wegen "Hochgradiger Versteifung im linken Ellenbogengelenk und li. Handgelenk mit teilweiser Lähmung und erheblicher Schwäche der linken Hand” als Schädigungsfolgen, hervorgerufen durch schädigende Einwirkungen während des ersten Weltkrieges, Versorgungsrente nach einem Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 50 v.H ... Das Vorliegen eines besonderen Betroffenseins im Beruf wurde mit Bescheid vom 25. April 1953 verneint. Durch Neufeststellungsbescheid vom 21. Oktober 1965, der die MdE ab 1. Januar 1964 auf 70 v.H. festsetzte, wurden die Gesundheitsstörungen mit "Hochgradiger Bewegungseinschränkung im linken Ellenbogengelenk mit Arthrose und freien Gelenkkörpern. Versteifung der Unterarmdrehgelenke links in ungünstiger Stellung, Lähmung des linken Ellennerven mit Bewegungs- und Handgefühlsausfällen” bezeichnet. Eine Höherbewertung nach § 30 Abs. 2 BVG erfolgte nicht, da der Kläger nicht mehr berufstätig sei und das 65. Lebensjahr vollendet habe.

Am 11. März 1964 beantragte er beim Versorgungsamts Fulda Berufsschadensausgleich. Zu seinem beruflichen Werdegang gab er an, nach Besuch der Volksschule an 1906 bis 1909 Schreiner gelernt und die Gesellenprüfung abgelegt zu haben. Anschließend sei er in seinem Beruf unselbständig tätig, von 1911 bis 1914 dagegen an seinem Wohnort selbständiger Schreiner gewesen. Nach Entlassung aus dem Heer im März 1916 habe er in der Landwirtschaft seines Bruders gearbeitet, 1923 in eine 2 ha große Landwirtschaft eingeheiratet, ein kleines Lebensmittelgeschäft angefangen und bis Februar 1944 nebenher noch leichte Schreinerarbeiten ausgeführt. Nach der von ihm eingereichten Bescheinigung der Kreishandwerkerschaft F. vom 6. Juli 1965 war er vom 1. April 1930 bis 1. Februar 1944 als selbständiger Schreiner in die Handwerkerrolle eingetragen. Aus den Akten ist zu entnehmen, daß er zusammen mit seiner Ehefrau den landwirtschaftlichen Besitz von 3 ha und das im eigenen Hause betriebene Kolonialwarengeschäft ab 1. März 1953 dem gemeinsamen Sohn gegen Gewährung freien Wohnrechts übergeben hat. Anschließend hat er Ausgleichsrente mit der Begründung beantragt, er verfüge außer der Versorgungsgrundrente über kein weiteres Einkommen mehr. Das Finanzamt Fulda hat am 8. Juni 1953 ein steuerpflichtiges Einkommen für 1950 und 1951 von 2.545,– DM und 2.735,– DM bescheinigt.

Mit Bescheid vom 27. Mai 1966 lehnte das Versorgungsamt den Antrag auf Berufsschadensausgleich mit der Begründung ab, der Kläger sei beruflich nicht besonders betroffen und habe außerdem im Zeitpunkt des Inkrafttretens des 2. Neuordnungsgesetzes (NOG) das 65. Lebensjahr schon vollendet gehabt. Im Anschluß an die Schädigung sei er als Landwirt und Lebensmitteleinzelhändler tätig gewesen. Nach der Übergabe des landwirtschaftlichen Besitzes und des Geschäftes erhalte er vertraglich vereinbarte Leistungen, die ihm auch ohne Schädigung entsprechend zugestanden hätten. Ein schädigungsbedingter Einkommensverlust liege somit nicht vor.

Im Widerspruchsverfahren führte der Kläger aus, wegen seiner Schädigungsfolgen habe er weder seinen erlernten Beruf ausüben noch ein anderes berufliches Fortkommen finden können. Er habe nur gearbeitet, soweit er körperlich in der Lage gewesen sei. Dementsprechend niedrig sei sein Verdienst aus Landwirtschaft und Einzelhandel gewesen, der es nicht einmal gestattet habe, Rentenversicherungsbeiträge zu leisten. Deshalb sei zumindest zu prüfen, welche Rente er bei weiterer Ausübung seines erlernten Berufes hätte beziehen können.

Durch Widerspruchsbescheid vom 14. Oktober 1966 wurde der angefochtene Bescheid bestätigt, da nicht bewiesen sei, daß er als Kaufmann und Landwirt ein jetzt noch fortwirkendes Mindereinkommen gegenüber der Tätigkeit als selbständiger Schreiner gehabt habe.

Im Klageverfahren vor dem Sozialgericht Fulda hat der Kläger Berufsschadensausgleich unter Einstufung in die Besoldungsgruppe A 9 des Bundesbesoldungsgesetzes (BBesG) begehrt und erneut darauf hingewiesen, daß er ohne die Schädigungsfolgen als selbständiger Schreiner ein Vielfaches seines tatsächlichen Einkommens erzielt haben würde.

Mit Urteil vom 3. Februar 1970 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, es sei nicht feststellbar gewesen, daß bei dem Kläger, der am 1. Januar 1964 das 72. Lebensjahr vollendet und sein Anwesen mit Geschäft bereits am 1. März 1953 auf seinen Sohn übertragen gehabt habe, ein bis in die Zeit des 2. NOG nachwirkender Einkommensverlust aus schädigungsbedingten Gründen eingetreten sei. Die Meisterprüfung würde er auch ohne Schädigung nicht abgelegt haben. Seine tatsächlich ausgeübte Erwerbstätigkeit sei gegenüber der als selbständiger Schreiner sozial gleichwertig gewesen. Eine etwa unzureichende Altersversorgung habe ihre Ursache in der wirtschaftlichen Entwicklung insbesondere nach dem zweiten Weltkrieg.

Gegen dieses Urteil, das dem Kläger am 6. März 1970 zugestellt worden ist, richtet sich seine am 20. März 1970 beim Hessischen Landessozialgericht eingegangene Berufung. Zur Begründung trägt er vor, ihm stehe der begehrte Berufsschadensausgleich nach der Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 19. Oktober 1967 zu.

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Fulda vom 3. Februar 1970 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 27. Mai 1966 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Oktober 1966 zu verurteilen, ihm Berufsschadensausgleich unter Eingruppierung in die Besoldungsgruppe A 9 BBesG ab 1. April 1964 zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Akten des Versorgungsamtes Fulda mit der Grundlisten-Nr. haben vorgelegen. Auf ihren Inhalt und den der Gerichtsakten beider Instanzen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, wird Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist nach § 143 ff. des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässig, aber unbegründet.

Zu Recht hat das angefochtene Urteil einen Berufsschadensausgleich unter Zugrundelegung eines selbständigen Schreinerberufes verneint. Schwerbeschädigte, deren Erwerbseinkommen durch die Schädigungsfolgen gemindert ist (Einkommensverlust), erhalten nach Anwendung des Absatzes 2 einen Berufsschadensausgleich in Höhe von vier Zehntel des auf volle Deutsche Mark nach oben abgerundeten Verlustes, jedoch höchstens 500,– DM monatlich. Einkommensverlust ist der Durchschnittsbetrag zwischen dem derzeitigen Bruttoeinkommen aus gegenwärtiger oder früherer Tätigkeit zuzüglich der Ausgleichsrente und dem höheren Durchschnittseinkommen der Berufs- oder Wirtschaftsgruppe, der der Beschädigte ohne die Schädigung, nach seinen Lebensverhältnissen, Kenntnissen und Fähigkeiten und dem bisher betätigten Arbeits- und Ausbildungswillen wahrscheinlich angehört hätte (§ 30 Abs. 3 und 4 BVG).

Von diesen Vorschriften ausgehend hat das Sozialgericht zutreffend festgestellt, daß im Falle des Klägers vom selbständigen Beruf eines Schreiners nicht ausgegangen werden kann. Wie sich aus den beigezogener Versorgungsakten einwandfrei ergibt, hat der Kläger eine selbständige Tätigkeit als Schreiner nur kurz vor dem ersten Weltkrieg hauptberuflich ausgeübt. Ab 1916 vertrat er seinen eingezogenen Bruder in der elterlichen Landwirtschaft und heiratete 1923 selbst in eine kleine Landwirtschaft von zirka 3 ha ein. Wenn diese nach der Auskunft der landwirtschaftlichen Altersklasse, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, auch keine volle Existenzgrundlage darstellte, so erreichte sie doch der Größe nach einen Umfang, der mehr als die Hälfte einer Existenzgrundlage ausmachte.

Die Versorgungsakten weisen weiter aus, daß der Kläger anfangs der zwanziger Jahre und 1925 sich bemühte, im Wege der Berufsförderung einen Beamtenschein zu erhalten. Dieser wurde ihm auch im Jahre 1925, und zwar am 24. Juni, ausgehändigt, so daß er nunmehr mit der Landwirtschaft als Rückhalt eine Beamtentätigkeit hätte aufnehmen können. Wenn die Verwirklichung einer solchen Absicht kurz nach der Inflation vielleicht schwierig gewesen sein mag, so hätte der Kläger dennoch in der nachfolgenden Zeit Gelegenheit gehabt, eine Anstellung als Beamter zu erhalten. Wenngleich also Maßnahmen in dieser Richtung eingeleitet worden waren, hat der Kläger aber hiervon nach einer Ablehnung bei der damaligen Reichsbahn und Reichspost keinen Gebrauch gemacht und schon im September 1925 den gerade erhaltenen Beamtenschein wieder gegen eine Abfindung zurückgeben wollen. Wegen Fristversäumnis konnte er aus diesem Grunde keine Abfindung erhalten. Dessen ungeachtet wurde ihm eine solche aber im Jahre 1926 zum Ausbau des Lebensmitteleinzelhandelsgeschäftes bewilligt. Diese Tatsache macht deutlich, daß der Kläger ernstlich nicht mehr darauf bestand, Beamter zu werden, sondern daß er sich spätestens 1925/26 entschlossen hatte, mit der Landwirtschaft als Rückhalt den Beruf eines Lebensmitteleinzelhändlers auszuüben. Als Landwirt und Kaufmann hatte er aber nach den damaligen Verhältnissen eine einem selbständigen Schreiner durchaus sozial gleichwertige Stellung erlangt, wenn man bedenkt, daß die Möglichkeiten eines selbständigen Schreiners in einem kleinen Dorf wie K. auch nur beschränkt waren. Mit Recht hat deshalb die Versorgungsverwaltung mit Bescheid vom 25. April 1953 ein besonderes berufliches Betroffensein des Klägers verneint. Dieser Bescheid besitzt zwar für das Verfahren zur Erlangung eines Berufsschadensausgleichs keine präjudizielle Bedeutung. Doch läßt dieser Umstand den Schluß zu, daß im Hinblick auf die erreichte dem Schreinerberuf sozial gleichwertige Stellung von diesem Beruf nicht mehr ausgegangen werden kann. Es kommt hinzu, daß in diesem Falle auch der Rechtsgedanke des § 30 Abs. 6 BVG zu beachten ist, wonach ein Berufsschadensausgleich dann entfällt, wenn arbeits- und berufsfördernde Maßnahmen zum Ausgleich des beruflichen Schadens geführt haben. Hierbei ist es gleichgültig, ob der Ausgleich durch behördliche Maßnahmen oder durch eigene Initiative des Beschädigten herbeigeführt worden ist. Im vorliegenden Fall war schon mit der Erteilung des Beamtenscheines ein Ausgleich des beruflichen Schadens erfolgt. Wenn der Kläger von der Möglichkeit, Beamter zu werden, keinen Gebrauch gemacht hat, und stattdessen durch eigene Initiative den Beruf eines selbständigen Kaufmanns ergriffen hat, so verbieten diese Umstände bei Ermittlung des Durchschnittseinkommens zur Erlangung eines Berufsschadensausgleichs einen Rückgriff auf die selbständige Stellung eines Schreiners. Umsomehr, als das Lebensmitteleinzelhandelsgeschäft keineswegs einen unbedeutenden Umfang hatte. Insoweit ergeben die Versorgungsakten ebenfalls mit aller Deutlichkeit, daß der Kläger bis zur Aufgabe des Geschäftes im Jahre 1953 immer zur Einkommensteuer veranlagt war.

Es ist allerdings richtig daß der Kläger den Schreinerberuf nach der Auskunft der Handwerkskammer noch bis 1944 ausgeübt hat, jedoch wie er selbst in der Erklärung vom August 1965 bekundete, nur nebenberuflich. In gleicher Weise hat er im Klageverfahren vortragen lassen, daß der Schreinerberuf nur nebenbei ausgeübt worden sei. Eine nebenberufliche Tätigkeit scheidet aber bei Ermittlung des Durchschnittseinkommens von vornherein aus, wie sich aus § 2 der Durchführungsverordnung (DVO) zu § 30 Abs. 3 und 4 BVG vom 28. Februar 1968 eindeutig ergibt. In diesem Zusammenhang ist ferner darauf hinzuweisen, daß sich der Kläger selbst im Jahre 1934, als er sich um den Abschluß einer Lebensversicherung beim Raiffeisendienst bemühte, als Händler und Landwirt bezeichnet hat. Auch in Erstantrag und vor der Spruchkammer gab er als Beruf Kaufmann und Landwirt an. Bei einem solchen beruflichen Werdegang kann deshalb auf den Schreinerberuf nicht mehr zurückgegriffen werden.

Wenn sich der Kläger in dem selbst erwählten Beruf eines Landwirts und Kaufmanns keine Altersversorgung schaffen konnte, so hat das mit den Schädigungsfolgen nichts zu tun, sondern ist Ausfluß des Unternehmerrisikos, das er als Kaufmann und Landwirt trug. Dabei kann dahingestellt bleiben, weshalb es zu keiner privaten Altersversorgung gekommen ist, obwohl sich der Kläger im Jahre 1934 um den Abschluß einer Lebensversicherung bemüht hat. In dem nur nebenbei ausgeübten Beruf eines Schreiners war der Kläger wie aus der Auskunft der Kreishandwerkerschaft vom 23. November 1970 sich ergibt, nicht beitragspflichtig, weil er die Schreinertätigkeit nicht hauptberuflich ausgeübt hat. Dieser Umstand kann aber ebenfalls den Schädigungsfolgen nicht zur Last gelegt werden, weil der Kläger, wie durch den bindenden Bescheid vom 25. April 1953 feststeht, einen sozial gleichwertigen anderen Beruf erlangt hatte.

Bei dieser Sachlage fehlt es an einem schädigungsbedingten Einkommensverlust, weil von dem angegebenen Beruf eines selbständigen Schreiners nicht ausgegangen werden kann. In gleicher Weise entfällt ein Einkommensverlust, wenn auf den Beruf eines Landwirts und Kaufmanns abgestellt wird, weil sich ein solcher nach Lage der Dinge nicht nachweisen läßt. Demzufolge war dem angefochtenen Urteil beizutreten und die Berufung mit der sich aus § 193 SGG ergebenden Kostenfolge als unbegründet zurückzuweisen.
Rechtskraft
Aus
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