Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
5
1. Instanz
SG Fulda (HES)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 5 V 917/69
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1.) Die Voraussetzungen des Versorgungsanspruchs nach § 7 Abs. 1 Nr. 3, 1. Alternative BVG sind erfüllt, da der Kläger als Angehöriger der Waffen-SS militärähnlichen Dienst für eine deutsche Organisation geleistet und seinen jetzigen Wohnsitz in Geltungsbereich des BVG hat.
2.) Die Strafhaft eines „anderen Kriegsopfers” die von seinem Heimatstaat wegen Zugehörigkeit zur freiwilligen Waffen-SS verhängt worden ist, ist keine Kriegsgefangenschaft im Sinne des § 1 Abs. 2 Buchst. 3 BVG, da sie nicht wegen Kriegsteilnahme, sondern wegen Verletzung der Treuepflicht gegenüber dem Heimatstaat Jugoslawien erfolgte (so auch BSG, Urteil v. 30.10.1969 Az.: 8 RV-89/68 im Falle eines belgischen Staatsangehörigen).
2.) Die Strafhaft eines „anderen Kriegsopfers” die von seinem Heimatstaat wegen Zugehörigkeit zur freiwilligen Waffen-SS verhängt worden ist, ist keine Kriegsgefangenschaft im Sinne des § 1 Abs. 2 Buchst. 3 BVG, da sie nicht wegen Kriegsteilnahme, sondern wegen Verletzung der Treuepflicht gegenüber dem Heimatstaat Jugoslawien erfolgte (so auch BSG, Urteil v. 30.10.1969 Az.: 8 RV-89/68 im Falle eines belgischen Staatsangehörigen).
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Fulda vom 15. Juli 1969 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Der 1921 geborene Kläger ist jugoslawischer Staatsangehöriger, der mit Bescheid vom 17. Juli 1968 des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge als Asylberechtigter gemäß § 28 Nr. 1 des Ausländergesetzes in Verbindung mit Art. 1 des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt worden ist.
Er stellte am 18. Januar 1968 beim Versorgungsamt F. Antrag auf Gewährung von Versorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) wegen Verschüttungsfolgen im September 1944 in Ungarn und der nach dem Kriege in jugoslawischen Lagern erlittenen Haftschäden. Der Kläger diente ab Mai 1942 in der Waffen-SS-Division "H.” und "K.”, zuletzt als Hauptsturmführer und geriet im Mai 1945 in S. in englische Kriegsgefangenschaft. Er ist dann an Jugoslawien ausgeliefert worden, das ihn in verschiedenen Straflagern gefangen hielt. Durch das Kreisgericht in S. ist er am 24. Juli 1947 u.a. wegen der Zugehörigkeit zur Waffen-SS und Kriegsteilnahme auf deutscher Seite zu einer Zuchthausstrafe von 8 Jahren mit Zwangsarbeit unter Anrechnung der Untersuchungshaft ab 2. November 1948 bestraft worden, die er bis 1955 verbüßte.
Im Auftrag der Versorgungsbehörde führten Dres. M., Z., H., R., C. und R. ärztliche Untersuchungen durch. In dem nervenfachärztlichen Hauptgutachten vom 22. Januar 1968 vertrat der Facharzt für Nervenkrankheiten Dr. R. die Ansicht, die "reaktionslose Narbe in der linken unteren Stirngegend und die reizlose Narbe am Rücken und Unterschenkel” seien Schädigungsfolgen, während die "narbigen Zwölffingerdarmveränderungen ohne Behinderung der Entleerungsfunktion des Magens, der knöchern fest verheilte Bruch des Grundgliedes des re. Mittelfingers und der 4. Zehe re., die traumatische Nasenscheidewandverbiegung nach links und der Verlust der Zähne 87654321/14578 im Oberkiefer und 76/4678 im Unterkiefer” als Haftschäden anzusehen seien. Dafür betrage die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) 30 v.H ... Dagegen seien der "gesteigerte innere Spannungszustand mit Neigung zu Handtremor und Ohnmachtsanfällen auf psychosomatischer Basis, die Rippenfellkuppenschwiele und Zwerchfellverwachsung rechts, die leichte Bronchitis, die leichte Entzündung der ableitenden Harnwege, die chron. Gaumenmandelentzündung und die Veränderungen am Zahnhalteapparat i.S. einer Parod. marg. chronica bei 5/5 und L 23” als Nichtschädigungsleiden zu beurteilen.
Mit Bescheid vom 12. September 1968 sind hiernach
1) "Reaktionslose Narbe in der linken unteren Stirngegend,
2) Reizlose Narbe am rechten Unterschenkel” als Schädigungsfolgen anerkannt worden, die jedoch keine Minderung der Erwerbsfähigkeit von wenigstens 25 v.H. bedingten. Der Bescheid stellte weiterhin fest, die als Haftschäden diagnostizierten Gesundheitsstörungen könnten deshalb nicht als schädigende Einwirkungen im Sinne des § 1 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) angesehen werden, weil sie als Folgen der Haft in dem Heimatstaat des Klägers zu beurteilen und damit nach Kriegsende entstanden seien.
Der auf den Widerspruch ergangene ablehnende Widerspruchsbescheid vom 6. Januar 1969 führte noch aus, das Festhalten durch die jugoslawischen Behörden in dem Heimatstaat des Klägers könne nicht als Kriegsgefangenschaft gewertet werden, weil die jugoslawischen Behörden für ihn als Kroaten keine ausländische Macht gewesen seien. Der Tatbestand des § 1 Abs. 2 Buchst. b BVG sei daher nicht anzuwenden.
Im Klageverfahren vor dem Sozialgericht Fulda hat der Kläger vorgetragen, er sei als Kriegsgefangener i.S. des BVG zu behandeln, da er während des Krieges in einer deutschen Einheit Militärdienst geleistet habe und deshalb in Jugoslawien inhaftiert gewesen sei. Die Strafhaft in Jugoslawien sei als Fortsetzung der in Österreich begonnenen Kriegsgefangenschaft durch die Engländer aufzufassen. Demgegenüber hat der Beklagte geltend gemacht, nach der Entlassung aus englischer Gefangenschaft und der Übergabe an die Behörden des Heimatstaates des Klägers könne nicht mehr von einer feindlichen Gewahrsamsmacht gesprochen werden.
Mit Urteil vom 15. Juli 1969 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, für die Haftschäden könne Versorgung nicht gewährt werden, weil sie nicht auf einer Kriegsgefangenschaft i.S. des § 1 Abs. 2 Buchst. b BVG beruhten. Kriegsgefangener sei nach den Begriffen des Völkerrechts nur derjenige, der als Soldat von einer feindlichen ausländischen Macht festgehalten werde. Nach Überstellung des Klägers an die jugoslawischen Behörden in Jahre 1945 habe er sich als jugoslawischer Staatsangehöriger nicht mehr in Gewahrsam einer ausländischen Macht befunden.
Gegen das dem Kläger am 7. August 1969 zugestellte Urteil ist die Berufung am 29. August 1969 bei dem Hessischen Landessozialgericht eingegangen, zu deren Begründung er ausführt, da er als Jugoslawe in der deutschen Armee gedient habe, müsse von seiner Zugehörigkeit zu dieser Armee ausgegangen werden. Seine Inhaftierung in Jugoslawien müsse demgemäß ebenfalls als Kriegsgefangenschaft angesehen werden, er sei nämlich genauso wie ein deutscher Soldat zu beurteilen. Im übrigen sei er damals Kroate gewesen, für den das kommunistische Jugoslawien ebenfalls eine feindliche Macht gewesen sei.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Fulda vom 15. Juli 1969 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 12. September 1968 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Januar 1969 zu verurteilen, Versorgungsbezüge nach einer MdE um 30 v.H. wegen der im Bescheid vom 12. September 1968 aufgeführten Gesundheitsstörungen als Haftschäden zu gewähren;
hilfsweise,
die Revision zuzulassen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend und führt ergänzend aus, bei der Strafhaft des Klägers wegen seiner Zugehörigkeit zur Waffen-SS handele es sich um eine Maßnahme seines Heimatstaates Jugoslawien. Eine solche Haft- und Strafverbüßung könne nicht als eine fortgesetzte Kriegsgefangenschaft angesehen werden.
Die Versorgungsakte des Versorgungsamtes F. mit der Grundl.-Nr ... hat vorgelegen. Auf ihren Inhalt und den der Gerichtsakten beider Rechtszüge, der auszugsweise vorgetragen worden ist, wird zur Ergänzung des Tatbestandes Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig; sie ist insbesondere frist- und formgerecht eingelegt worden (§§ 143, 151 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes – SGG –). Sie ist jedoch unbegründet.
Der Bescheid vom 12. September 1968, der in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Januar 1969 Gegenstand der Klage geworden ist (§ 95 SGG), ist zu Recht ergangen.
Zwischen den Beteiligten ist lediglich streitig, ob "narbige Zwölffingerdarmveränderungen ohne Behinderung der Entleerungsfunktion des Magens, der knöchern fest verheilte Bruch des Grundgliedes des rechten Mittelfingers und der 4. Zehe rechts, die traumatische Nasenscheidewandverbiegung nach links, der Verlust der Zähne 87654321/14578 im Oberkiefer und 76/4678 im Unterkiefer” Folgen einer Schädigung i.S. des Bundesversorgungsgesetzes sind und dem Kläger damit eine Versorgungsrente nach einer MdE um 30 v.H. zusteht.
Es ist auf Grund des überzeugenden Hauptgutachtens des Facharztes für Nervenkrankheiten Dr. R. davon auszugehen, daß er diese gesundheitlichen Schädigungen nicht bei dem militärischen Einsatz in den Waffen-SS-Divisionen bis Mai 1945 erlitten hat, sondern dafür Ursache die Strafhaft ist, die der Kläger als jugoslawischer Staatsangehöriger ab 1945 in seinem Heimatstaat Jugoslawien wegen seiner Zugehörigkeit zur SS-Einheiten und der Kriegsteilnahme auf deutscher Seite bis zum Jahre 1953 verbüßt hat.
Sein Versorgungsanspruch ist vorliegend gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 3 1. Alternative BVG i.V. mit §§ 1 ff. BVG zu beurteilen, nach dem das Bundesversorgungsgesetz auf andere Kriegsopfer anzuwenden ist, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich dieses Gesetzes haben, wenn die Schädigung mit einem Dienst im Rahmen der Deutschen Wehrmacht oder militärähnlichen Dienst für eine deutsche Organisation in ursächlichem Zusammenhang steht.
Voraussetzung für einen Anspruch auf Versorgung ist damit, daß die Gesundheitsstörungen auf schädigenden Vorgängen i.S. der §§ 1 bis 5 BVG beruhen (so BSG Urteil v. 30.12.1969 – Az.: 8 RV 89/68 –), wobei hier lediglich der in § 1 Abs. 2 Buchst. b BVG geregelte Tatbestand – nämlich der der Kriegsgefangenschaft – in Betracht kommen kann, die nach Meinung des Klägers für ihn auch in Jugoslawien als Fortsetzung der 1945 in Österreich begonnenen Kriegsgefangenschaft angedauert hat. Der Senat ist mit dem Vordergericht jedoch der Ansicht, daß eine Kriegsgefangenschaft i.S. des § 1 Abs. 2 Buchst. b BVG in Jugoslawien nicht vorgelegen hat, denn die Haft und Strafverbüßung auf Grund des Urteils des Kreisgerichts in S. vom 24. Juli 1947 ist keine fortgesetzte Kriegsgefangenschaft gewesen, sondern eine Strafhaft.
Der Begriff der Kriegsgefangenschaft ist im Bereich des BVG ebenfalls in dem im Völkerrecht üblichen Sinne auszulegen und zwar gemäß dem Abkommen betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs vom 18. Oktober 1907 (RGBl. 1910, 107) und dem Abkommen über die Behandlung der Kriegsgefangenen vom 27. Juli 1929 (BGBl. II 1934/227), das durch das Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über die Behandlung der Kriegsgefangenen (BGBl. II 1954, 781) ersetzt worden ist (so BSG und BVerwG ständige Rechtsprechung vgl. BSG 3, 268; Urteil vom 7.12.1961, 8 RV 549/60; Urteil vom 23.8.1960 – 9 RV 550/57; BVBl. 1968, 27 ff.; BVerwG Urteil vom 8.7.1957 – Buchholz: Sammlg. BVerwG 412, 2 HKG § 1 Nr. 1). Danach ist Kriegsgefangener, wer wegen seiner Zugehörigkeit zu einem militärischen oder militärähnlichen Verband gefangen genommen worden ist und von einer ausländischen Macht festgehalten wird. Die Haftzeit des Klägers in Jugoslawien war jedoch keine Kriegsgefangenschaft, weil Jugoslawien für ihn als Kroaten keine "ausländische Macht” ist, wobei dem Wechsel der Staatsformen keine Bedeutung zukommt. Ursache der Kriegsgefangenschaft ist nämlich die Zugehörigkeit zu einer bewaffneten Einheit eines der an kriegerischen Auseinandersetzungen beteiligten Staates, wobei erreicht werden soll, die Kraft des Gegners zur Fortsetzung oder Wiederaufnahme von Kriegshandlungen zu schwächen. Die Gefangennahme ist damit lediglich in dem Interesse der kriegsführenden Parteien begründet, den Krieg zu gewinnen. Sie findet ihre Rechtfertigung in der Zugehörigkeit der Gefangenen zu einer gegnerischen Streitmacht.
Dieser Begriff der Kriegsgefangenschaft trifft jedoch auf den Kläger nicht zu, der auf der Seite Deutschlands und damit auf der Seite des Gegners von Jugoslawien gekämpft und gegen die Interessen seines eigenen Landes gehandelt hat, wie das auch in den Gründen des Urteils des Kreisgerichts in S. zum Ausdruck gekommen ist. Durch den Beitritt zur Waffen-SS hat der Kläger das zwischen dem Staat und seinen Bürgern bestehende Treue- und Fürsorgeverhältnis verletzt. Wegen dieser Verletzung braucht eine kriegsführende Macht ihren eigenen Staatsangehörigen, die in feindlichen Verbänden gekämpft haben, auch nicht nach Völkerrecht zu behandeln. Die ehemalige Feindmacht des deutschen Reiches Jugoslawien war daher berechtigt, wegen der Zugehörigkeit des Klägers zu Waffen-SS-Einheiten ihre einschlägigen Strafvorschriften anzuwenden. Das ist auch mit dem Urteil des Kreisgerichts vom 24. Juli 1947 geschehen, das festgestellt hat, er habe – da er während des Krieges in den feindlichen bewaffneten Formationen gedient und an den Kämpfen auf der Seite des Feindes gegen den Verbündeten – die Rote Armee – teilgenommen, eine strafbare Handlung gemäß Art. 3 Punkt 5 des Gesetzes gegen das Volk und den Staat begangen. Die Verletzung der Pflichten gegenüber dem Heimatstaat Jugoslawien ist damit der eigentliche Grund für die Strafe, die der Kläger nach Übergabe durch die englische Besatzungsmacht an Jugoslawien ab 1945 bis 1953 zu verbüßen hatte.
Da die Strafhaft nicht als Kriegsgefangenschaft im Sinne des § 1 Abs. 2 Buchst. b BVG zu werten ist, waren demgemäß auch die von den begutachtenden Ärzten festgestellten Gesundheitsstörungen, die ursächlich auf die Strafhaft zurückgehen, nicht als Schädigungsfolgen anzuerkennen. Der Berufung war vielmehr der Erfolg zu versagen.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war gemäß § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG nicht zuzulassen, da die vorliegende Rechtsfrage keine grundsätzliche Bedeutung hat und auch der Senat von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts nicht abgewichen ist, sondern vielmehr das Urteil in einem gleichgelagerten Fall, nämlich dem eines belgischen Staatsangehörigen, der in der Waffen-SS gedient hatte, bei seiner Entscheidung berücksichtigt hat (BSG-Urteil vom 30.10.1969 – Az.: 8 RV 89/68).
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Der 1921 geborene Kläger ist jugoslawischer Staatsangehöriger, der mit Bescheid vom 17. Juli 1968 des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge als Asylberechtigter gemäß § 28 Nr. 1 des Ausländergesetzes in Verbindung mit Art. 1 des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt worden ist.
Er stellte am 18. Januar 1968 beim Versorgungsamt F. Antrag auf Gewährung von Versorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) wegen Verschüttungsfolgen im September 1944 in Ungarn und der nach dem Kriege in jugoslawischen Lagern erlittenen Haftschäden. Der Kläger diente ab Mai 1942 in der Waffen-SS-Division "H.” und "K.”, zuletzt als Hauptsturmführer und geriet im Mai 1945 in S. in englische Kriegsgefangenschaft. Er ist dann an Jugoslawien ausgeliefert worden, das ihn in verschiedenen Straflagern gefangen hielt. Durch das Kreisgericht in S. ist er am 24. Juli 1947 u.a. wegen der Zugehörigkeit zur Waffen-SS und Kriegsteilnahme auf deutscher Seite zu einer Zuchthausstrafe von 8 Jahren mit Zwangsarbeit unter Anrechnung der Untersuchungshaft ab 2. November 1948 bestraft worden, die er bis 1955 verbüßte.
Im Auftrag der Versorgungsbehörde führten Dres. M., Z., H., R., C. und R. ärztliche Untersuchungen durch. In dem nervenfachärztlichen Hauptgutachten vom 22. Januar 1968 vertrat der Facharzt für Nervenkrankheiten Dr. R. die Ansicht, die "reaktionslose Narbe in der linken unteren Stirngegend und die reizlose Narbe am Rücken und Unterschenkel” seien Schädigungsfolgen, während die "narbigen Zwölffingerdarmveränderungen ohne Behinderung der Entleerungsfunktion des Magens, der knöchern fest verheilte Bruch des Grundgliedes des re. Mittelfingers und der 4. Zehe re., die traumatische Nasenscheidewandverbiegung nach links und der Verlust der Zähne 87654321/14578 im Oberkiefer und 76/4678 im Unterkiefer” als Haftschäden anzusehen seien. Dafür betrage die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) 30 v.H ... Dagegen seien der "gesteigerte innere Spannungszustand mit Neigung zu Handtremor und Ohnmachtsanfällen auf psychosomatischer Basis, die Rippenfellkuppenschwiele und Zwerchfellverwachsung rechts, die leichte Bronchitis, die leichte Entzündung der ableitenden Harnwege, die chron. Gaumenmandelentzündung und die Veränderungen am Zahnhalteapparat i.S. einer Parod. marg. chronica bei 5/5 und L 23” als Nichtschädigungsleiden zu beurteilen.
Mit Bescheid vom 12. September 1968 sind hiernach
1) "Reaktionslose Narbe in der linken unteren Stirngegend,
2) Reizlose Narbe am rechten Unterschenkel” als Schädigungsfolgen anerkannt worden, die jedoch keine Minderung der Erwerbsfähigkeit von wenigstens 25 v.H. bedingten. Der Bescheid stellte weiterhin fest, die als Haftschäden diagnostizierten Gesundheitsstörungen könnten deshalb nicht als schädigende Einwirkungen im Sinne des § 1 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) angesehen werden, weil sie als Folgen der Haft in dem Heimatstaat des Klägers zu beurteilen und damit nach Kriegsende entstanden seien.
Der auf den Widerspruch ergangene ablehnende Widerspruchsbescheid vom 6. Januar 1969 führte noch aus, das Festhalten durch die jugoslawischen Behörden in dem Heimatstaat des Klägers könne nicht als Kriegsgefangenschaft gewertet werden, weil die jugoslawischen Behörden für ihn als Kroaten keine ausländische Macht gewesen seien. Der Tatbestand des § 1 Abs. 2 Buchst. b BVG sei daher nicht anzuwenden.
Im Klageverfahren vor dem Sozialgericht Fulda hat der Kläger vorgetragen, er sei als Kriegsgefangener i.S. des BVG zu behandeln, da er während des Krieges in einer deutschen Einheit Militärdienst geleistet habe und deshalb in Jugoslawien inhaftiert gewesen sei. Die Strafhaft in Jugoslawien sei als Fortsetzung der in Österreich begonnenen Kriegsgefangenschaft durch die Engländer aufzufassen. Demgegenüber hat der Beklagte geltend gemacht, nach der Entlassung aus englischer Gefangenschaft und der Übergabe an die Behörden des Heimatstaates des Klägers könne nicht mehr von einer feindlichen Gewahrsamsmacht gesprochen werden.
Mit Urteil vom 15. Juli 1969 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, für die Haftschäden könne Versorgung nicht gewährt werden, weil sie nicht auf einer Kriegsgefangenschaft i.S. des § 1 Abs. 2 Buchst. b BVG beruhten. Kriegsgefangener sei nach den Begriffen des Völkerrechts nur derjenige, der als Soldat von einer feindlichen ausländischen Macht festgehalten werde. Nach Überstellung des Klägers an die jugoslawischen Behörden in Jahre 1945 habe er sich als jugoslawischer Staatsangehöriger nicht mehr in Gewahrsam einer ausländischen Macht befunden.
Gegen das dem Kläger am 7. August 1969 zugestellte Urteil ist die Berufung am 29. August 1969 bei dem Hessischen Landessozialgericht eingegangen, zu deren Begründung er ausführt, da er als Jugoslawe in der deutschen Armee gedient habe, müsse von seiner Zugehörigkeit zu dieser Armee ausgegangen werden. Seine Inhaftierung in Jugoslawien müsse demgemäß ebenfalls als Kriegsgefangenschaft angesehen werden, er sei nämlich genauso wie ein deutscher Soldat zu beurteilen. Im übrigen sei er damals Kroate gewesen, für den das kommunistische Jugoslawien ebenfalls eine feindliche Macht gewesen sei.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Fulda vom 15. Juli 1969 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 12. September 1968 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Januar 1969 zu verurteilen, Versorgungsbezüge nach einer MdE um 30 v.H. wegen der im Bescheid vom 12. September 1968 aufgeführten Gesundheitsstörungen als Haftschäden zu gewähren;
hilfsweise,
die Revision zuzulassen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend und führt ergänzend aus, bei der Strafhaft des Klägers wegen seiner Zugehörigkeit zur Waffen-SS handele es sich um eine Maßnahme seines Heimatstaates Jugoslawien. Eine solche Haft- und Strafverbüßung könne nicht als eine fortgesetzte Kriegsgefangenschaft angesehen werden.
Die Versorgungsakte des Versorgungsamtes F. mit der Grundl.-Nr ... hat vorgelegen. Auf ihren Inhalt und den der Gerichtsakten beider Rechtszüge, der auszugsweise vorgetragen worden ist, wird zur Ergänzung des Tatbestandes Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig; sie ist insbesondere frist- und formgerecht eingelegt worden (§§ 143, 151 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes – SGG –). Sie ist jedoch unbegründet.
Der Bescheid vom 12. September 1968, der in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Januar 1969 Gegenstand der Klage geworden ist (§ 95 SGG), ist zu Recht ergangen.
Zwischen den Beteiligten ist lediglich streitig, ob "narbige Zwölffingerdarmveränderungen ohne Behinderung der Entleerungsfunktion des Magens, der knöchern fest verheilte Bruch des Grundgliedes des rechten Mittelfingers und der 4. Zehe rechts, die traumatische Nasenscheidewandverbiegung nach links, der Verlust der Zähne 87654321/14578 im Oberkiefer und 76/4678 im Unterkiefer” Folgen einer Schädigung i.S. des Bundesversorgungsgesetzes sind und dem Kläger damit eine Versorgungsrente nach einer MdE um 30 v.H. zusteht.
Es ist auf Grund des überzeugenden Hauptgutachtens des Facharztes für Nervenkrankheiten Dr. R. davon auszugehen, daß er diese gesundheitlichen Schädigungen nicht bei dem militärischen Einsatz in den Waffen-SS-Divisionen bis Mai 1945 erlitten hat, sondern dafür Ursache die Strafhaft ist, die der Kläger als jugoslawischer Staatsangehöriger ab 1945 in seinem Heimatstaat Jugoslawien wegen seiner Zugehörigkeit zur SS-Einheiten und der Kriegsteilnahme auf deutscher Seite bis zum Jahre 1953 verbüßt hat.
Sein Versorgungsanspruch ist vorliegend gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 3 1. Alternative BVG i.V. mit §§ 1 ff. BVG zu beurteilen, nach dem das Bundesversorgungsgesetz auf andere Kriegsopfer anzuwenden ist, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich dieses Gesetzes haben, wenn die Schädigung mit einem Dienst im Rahmen der Deutschen Wehrmacht oder militärähnlichen Dienst für eine deutsche Organisation in ursächlichem Zusammenhang steht.
Voraussetzung für einen Anspruch auf Versorgung ist damit, daß die Gesundheitsstörungen auf schädigenden Vorgängen i.S. der §§ 1 bis 5 BVG beruhen (so BSG Urteil v. 30.12.1969 – Az.: 8 RV 89/68 –), wobei hier lediglich der in § 1 Abs. 2 Buchst. b BVG geregelte Tatbestand – nämlich der der Kriegsgefangenschaft – in Betracht kommen kann, die nach Meinung des Klägers für ihn auch in Jugoslawien als Fortsetzung der 1945 in Österreich begonnenen Kriegsgefangenschaft angedauert hat. Der Senat ist mit dem Vordergericht jedoch der Ansicht, daß eine Kriegsgefangenschaft i.S. des § 1 Abs. 2 Buchst. b BVG in Jugoslawien nicht vorgelegen hat, denn die Haft und Strafverbüßung auf Grund des Urteils des Kreisgerichts in S. vom 24. Juli 1947 ist keine fortgesetzte Kriegsgefangenschaft gewesen, sondern eine Strafhaft.
Der Begriff der Kriegsgefangenschaft ist im Bereich des BVG ebenfalls in dem im Völkerrecht üblichen Sinne auszulegen und zwar gemäß dem Abkommen betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs vom 18. Oktober 1907 (RGBl. 1910, 107) und dem Abkommen über die Behandlung der Kriegsgefangenen vom 27. Juli 1929 (BGBl. II 1934/227), das durch das Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über die Behandlung der Kriegsgefangenen (BGBl. II 1954, 781) ersetzt worden ist (so BSG und BVerwG ständige Rechtsprechung vgl. BSG 3, 268; Urteil vom 7.12.1961, 8 RV 549/60; Urteil vom 23.8.1960 – 9 RV 550/57; BVBl. 1968, 27 ff.; BVerwG Urteil vom 8.7.1957 – Buchholz: Sammlg. BVerwG 412, 2 HKG § 1 Nr. 1). Danach ist Kriegsgefangener, wer wegen seiner Zugehörigkeit zu einem militärischen oder militärähnlichen Verband gefangen genommen worden ist und von einer ausländischen Macht festgehalten wird. Die Haftzeit des Klägers in Jugoslawien war jedoch keine Kriegsgefangenschaft, weil Jugoslawien für ihn als Kroaten keine "ausländische Macht” ist, wobei dem Wechsel der Staatsformen keine Bedeutung zukommt. Ursache der Kriegsgefangenschaft ist nämlich die Zugehörigkeit zu einer bewaffneten Einheit eines der an kriegerischen Auseinandersetzungen beteiligten Staates, wobei erreicht werden soll, die Kraft des Gegners zur Fortsetzung oder Wiederaufnahme von Kriegshandlungen zu schwächen. Die Gefangennahme ist damit lediglich in dem Interesse der kriegsführenden Parteien begründet, den Krieg zu gewinnen. Sie findet ihre Rechtfertigung in der Zugehörigkeit der Gefangenen zu einer gegnerischen Streitmacht.
Dieser Begriff der Kriegsgefangenschaft trifft jedoch auf den Kläger nicht zu, der auf der Seite Deutschlands und damit auf der Seite des Gegners von Jugoslawien gekämpft und gegen die Interessen seines eigenen Landes gehandelt hat, wie das auch in den Gründen des Urteils des Kreisgerichts in S. zum Ausdruck gekommen ist. Durch den Beitritt zur Waffen-SS hat der Kläger das zwischen dem Staat und seinen Bürgern bestehende Treue- und Fürsorgeverhältnis verletzt. Wegen dieser Verletzung braucht eine kriegsführende Macht ihren eigenen Staatsangehörigen, die in feindlichen Verbänden gekämpft haben, auch nicht nach Völkerrecht zu behandeln. Die ehemalige Feindmacht des deutschen Reiches Jugoslawien war daher berechtigt, wegen der Zugehörigkeit des Klägers zu Waffen-SS-Einheiten ihre einschlägigen Strafvorschriften anzuwenden. Das ist auch mit dem Urteil des Kreisgerichts vom 24. Juli 1947 geschehen, das festgestellt hat, er habe – da er während des Krieges in den feindlichen bewaffneten Formationen gedient und an den Kämpfen auf der Seite des Feindes gegen den Verbündeten – die Rote Armee – teilgenommen, eine strafbare Handlung gemäß Art. 3 Punkt 5 des Gesetzes gegen das Volk und den Staat begangen. Die Verletzung der Pflichten gegenüber dem Heimatstaat Jugoslawien ist damit der eigentliche Grund für die Strafe, die der Kläger nach Übergabe durch die englische Besatzungsmacht an Jugoslawien ab 1945 bis 1953 zu verbüßen hatte.
Da die Strafhaft nicht als Kriegsgefangenschaft im Sinne des § 1 Abs. 2 Buchst. b BVG zu werten ist, waren demgemäß auch die von den begutachtenden Ärzten festgestellten Gesundheitsstörungen, die ursächlich auf die Strafhaft zurückgehen, nicht als Schädigungsfolgen anzuerkennen. Der Berufung war vielmehr der Erfolg zu versagen.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war gemäß § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG nicht zuzulassen, da die vorliegende Rechtsfrage keine grundsätzliche Bedeutung hat und auch der Senat von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts nicht abgewichen ist, sondern vielmehr das Urteil in einem gleichgelagerten Fall, nämlich dem eines belgischen Staatsangehörigen, der in der Waffen-SS gedient hatte, bei seiner Entscheidung berücksichtigt hat (BSG-Urteil vom 30.10.1969 – Az.: 8 RV 89/68).
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