Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
5
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 5 V 1176/67
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1) Um einen bestimmten Berufsweg annehmen zu können, sind konkrete Anhaltspunkte erforderlich.
2) Je spezieller ein behaupteter Berufswunsch ist, desto größere Anforderungen sind an diese Anhaltspunkte in Bezug auf dessen Erreichen zu stellen.
3) Bei einem bei Einberufung 20-jährigen kaufmännischen Angestellten kann nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen angenommen werden, daß er bei glücklicher Heimkehr ausschließlich selbständiger Handelsvertreter geworden wäre. Insoweit sind Rückschlüsse aus dem nach der Schädigung ausgeübten Beruf erlaubt.
2) Je spezieller ein behaupteter Berufswunsch ist, desto größere Anforderungen sind an diese Anhaltspunkte in Bezug auf dessen Erreichen zu stellen.
3) Bei einem bei Einberufung 20-jährigen kaufmännischen Angestellten kann nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen angenommen werden, daß er bei glücklicher Heimkehr ausschließlich selbständiger Handelsvertreter geworden wäre. Insoweit sind Rückschlüsse aus dem nach der Schädigung ausgeübten Beruf erlaubt.
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt/M. vom 28. September 1967 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Bei dem 1920 geborenen Kläger waren mit Umanerkennungsbescheid nach dem BVG vom 31. Mai 1951
1) "Zustand nach Ausschneidung des oberen Endes des rechten Oberarmknochens mit Gelenkkopf.
2) Trümmerschußbruch des linken Darmbeinkammes mit Dickdarmresektion und Verdauungs- und Stuhlentleerungsbeschwerden” als Schädigungsfolgen mit einem Grad der MdE von 100 v.H. anerkannt gewesen. Auf Grund des Ergebnisses einer ärztlichen Nachuntersuchung erliess das Versorgungsamt F. am 6. März 1952 von Amts wegen einen bindend gewordenen Neufeststellungsbescheid, der die MdE bei gleicher Schädigungsfolge ab 1. Mai 1952 auf 70 v.H. festsetzte.
Am 27. Juli 1965 beantragte der Kläger unter Überreichung von Schul-, Lehr- und Arbeitszeugnissen soweit Bescheinigungen des ehemaligen Arbeitgebers und eines Arbeitskollegen Berufsschadensausgleich und gab zu seinem beruflichen Werdegang an, nach Erlangung der mittleren Reife die Kaufmannsgehilfenprüfung abgelegt zu haben. Anschließend sei er bis zu seiner Einberufung zum Reichsarbeitsdienst am 1. Mai 1940, an die sich der Kriegsdienst angeschlossen habe, als kaufmännischer Angestellter tätig gewesen. Er habe den durch die Schädigungsfolgen vermitelten Beruf des Kaufmanns/Handelsvertreters angestrebt. Nach dem Kriege sei er ab Februar 1946 von der Deutschen Bundesbahn zuerst als Eisenbahngehilfe, ab 1. Juli 1953 als Bundesbahnassistent beschäftigt worden und sei seit dem 1. April 1964 Bundesbahnobersekretär. Da er nicht betriebsdiensttauglich sei, wie der Facharzt für Innere Krankheiten Dr. Z. am 7. September 1965 bescheinigt habe, sei ein Aufstieg in die gehobene Beamtenlaufbahn bisher nicht möglich gewesen.
Nachdem die Bundesbahndirektion F. am 13. Dezember 1965 mitgeteilt hatte, der Kläger habe – möglicherweise wegen seiner Kriegsbeschädigung – weder eine Bewerbung für den gehobenen Dienst vorgelegt noch sonst zu erkennen gegeben, daß er sich darum bemühen wolle, erging der Bescheid vom 21. Januar 1966. Darin stufte ihn das Versorgungsamt als angestellten Vertreter im Wirtschaftsbereich Grundstoff- und Produktionsgüterindustrie (Wirtschaftsgruppe Chemische Industrie) in die Leistungsgruppe III ein. Berufsschadensausgleich wurde nicht gewährt, weil sich in Anrechnung des Einkommens kein auszahlbarer Betrag ergab.
Zur Begründung seines Widerspruchs führte der Kläger aus, als kaufmännischer Angestellter sei er in die Leistungsgruppe II einzugruppieren. Abgesehen davon begehre er aber Einstufung in die Besoldungsgruppe A 11 des Bundesbesoldungsgesetzes (BBesG), weil er nachweislich den Beruf des selbständigen Handelsvertreters angestrebt habe.
Der Widerspruchsbescheid vom 20. Februar 1967 bestätigte den angefochtenen Bescheid. Es sei zwar nicht auszuschließen, daß der Kläger im Falle einer gesunden Heimkehr eine selbständige Tätigkeit als Handelsvertreter ausüben würde. Doch sei es nicht wahrscheinlich, weil die Mehrzahl der Vertreter mit festem Gehalt und Erfolgsbeteiligung unselbständig arbeite. Diese Tätigkeit entspreche der Leistungsgruppe III.
Im Klageverfahren vor dem Sozialgericht Frankfurt/Main hat der Kläger vorgetragen, seine Zeugnisse über die kaufmännische Tätigkeit vor dem Kriege, die Erklärungen seines ehemaligen Arbeitgebers H. und des Kollegen M. ließen keinen Zweifel daran, daß er sich bereits damals mit dem Gedanken des Aufbaus einer selbständiger Handelsvertretung getragen habe. Berufliche Vorkenntnisse für eine solche Beschäftigung, die ihm ein vergleichsweise bedeutend höheres Einkommen gebracht hätte, seien vorhanden gewesen. Bezüglich seiner Aufstiegsmöglichkeiten bei der Deutschen Bundesbahn sei der Beklagte von falschen Voraussetzungen ausgegangen, indem er den Inhalt der Auskunft der Bundesbahndirektion F. vom 13. Dezember 1965 nicht richtig gewertet habe.
Mit Urteil vom 28. September 1967 hat das Sozialgericht den Bescheid vom 21. Januar 1966 (irrtümlich 21. Juni 1966) in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Februar 1967 aufgehoben hoben und den Beklagten verurteilt, dem Kläger Berufsschadensausgleich unter Zugrundelegung der Besoldungsgruppe A 11 BBesG zu gewähren. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, die vom Beklagten vorgenommene Beurteilung des vorliegenden Falles werde den tatsächlichen Verhältnissen mit den sich daraus ergebenden rechtlichen Folgen nicht gerecht. Das Schul- und Berufsbild des Klägers vor der Schädigung sowie seine Angaben und Beweisunterlagen machten es durchaus wahrscheinlich daß er sein angestrebtes Berufsziel als selbständiger Handelsvertreter ohne die Schädigungsfolgen erreicht hätte.
Gegen dieses Urteil, das dem Beklagten am 10. Oktober 1967 zugestellt worden ist, richtet sich dessen am 31. Oktober 1967 beim Hessischen Landessozialgericht eingegangene Berufung. Zur Begründung trägt er unter Wiederholung seiner bisherigen Einlassung ferner vor, außer den eigenen Behauptungen des Klägers und der Erklärung des Kaufmanns M. seien keine Anhaltspunkte dafür gegeben, daß der Kläger mit Wahrscheinlichkeit selbständiger Handelsvertreter geworden wäre. Aus dem Zeugnis des Arbeitgebers G. H. gehe das Gegenteil hervor. Im übrigen arbeite die überwiegende Zahl der Handelsvertreter in der Praxis unselbständig. Hiernach bestehe für das behauptete Berufsziel nur eine Möglichkeit, da die Schädigungsfolgen den Aufstieg des Klägers in den gehobenen Dienst bei der Deutschen Bundesbahn nicht ausgeschlossen hätten, er aber keine erkennbaren Bemühungen unternommen habe, sei auch deshalb kein Anhaltspunkt gegeben, daß er in einem kaufmännischen Beruf oder als Vertreter erfolgreicher gewesen wäre. Wenn er vor der Einberufung oder während des Krieges auch die Absicht bekundet haben möge, sich selbständig zu machen, so wäre ihm das wegen des vollständigen wirtschaftlichen Zusammenbruchs im Jahre 1945 auch bei gesunder Heimkehr nicht möglich gewesen.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt/Main vom 28. September 1967 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung als unbegründet zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend und führt ergänzend aus, er habe entgegen der Auffassung des Beklagten konkrete Beweisunterlagen vorgelegt, die seine Behauptung stützen, daß er ohne seine Verwundung das angestrebte Berufsziel des selbständigen Handelsvertreters erreicht hätte. Insoweit überreiche er noch eine Erklärung des Kaufmanns H. L. vom 20. Dezember 1967 und des Magistratrats K. G. vom 10. Januar 1968, die er ebenso wie den Bahnarzt Dr. Z. als Zeugen zu hören bitte. Der Inhalt seiner Personalakten bei der Deutschen Bundesbahn spreche nicht gegen seine ursprünglichen Berufspläne. Der Aufstieg in den gehobenen Dienst sei dort erst ab 1958 möglich gewesen. Er habe aber von der Ablegung der A-Feststellerprüfung Abstand nehmen müssen, weil er nach ärztlichem Zeugnis nicht betriebsdiensttauglich gewesen sei. Rückschlüsse auf sein berufliches Streben seien deshalb nicht möglich.
Der Senat hat in der mündlichen Verhandlung vom 18. September 1969 und vom 25. Februar 1970 den Kläger persönlich angehört, der erklärt hat, er sei in der Firma H. als kaufmännischer Lehrling und Angestellter sowohl in der Handelsvertretung als auch in der Lackfabrik ausgebildet und beschäftigt worden. Im vorliegenden Verfahren mache er lediglich einen Anspruch auf Berufsschadensausgleich nach der Besoldungsgruppe A 11 BBesG geltend, weil er die Absicht gehabt habe, sich als Handelsvertreter selbständig zu machen. Nach dem Kriege habe die Firma H. keine Verwendungsmöglichkeiten für ihn gehabt. Das Arbeitsamt habe ihn 1945 nicht in einer kaufmännischen Tätigkeit unterbringen können. Ferner ist der selbständige Handelsvertreter H. M. als Zeuge vernommen worden, der bekundet hat, während der Zeit, in welcher der Kläger Lehrling und kaufmännischer Angestellter bei der Firma H. gewesen sei, dort als Firmenvertreter gearbeitet zu haben. Seinerzeit habe er den Kläger gelegentlich in F. zu Kundenbesuchen mitgenommen und den Eindruck gehabt, daß dieser sich für die Vertretertätigkeit gut eignen würde. Er hätte sicherlich später als unselbständiger oder selbständiger Vertreter arbeiten können. Das Interesse dafür habe er aus Gesprächen mit ihm schon während seiner Ausbildung bei der Firma H. festgestellt.
In der mündlichen Verhandlung vom 25. Februar 1975 wurde der Magistratsdirektor K. G. als weiterer Zeuge gehört. Er hat ausgesagt, vor dem Kriege aus Gesprächen mit dem Kläger entnommen zu haben, daß dieser offenbar die Vorstellung gehabt habe, selbständiger Handelsvertreter zu werden. Das habe wegen seiner damaligen Tätigkeit nahegelegen. Nach dem Kriege habe der Kläger ihm sinngemäß gesagt, wegen seiner Schädigungsfolgen könne er diesem Berufsziel nicht erreichen. Er habe nun bei der Bundesbahn festen Boden gefunden und werde auch dort vermutlich seinen Weg machen. Berufliche Experimente wolle er der gewissen Sicherheit bei dieser Behörde und seines gesundheitlichen Zustandes wegen nicht unternehmen.
Die Akten des Versorgungsamts F. mit der Grundlisten – Nr ... und die Personalakten des Klägers haben vorgelegen. Auf ihren Inhalt und den der Gerichtsakten beider Instanzen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, wird Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß §§ 143, 151 Abs. 1 SGG frist- und formgerecht sowie auch im übrigen zulässige Berufung ist begründet.
Im Gegensatz zur Auffassung des Sozialgerichts hält der Senat den angefochtenen Bescheid vom 21. Januar 1966 für rechtmäßig.
Rechtsgrundlage ist § 30 Abs. 3 und 4 BVG i.d.F. des 2. und 3. NOG, wonach Schwerbeschädigte, deren Erwerbseinkommen durch die Schädigungsfolgen gemindert ist (Einkommensverlust), nach Anwendung des § 30 Abs. 2 BVG einen Berufsschadensausgleich in Höhe von vier Zehntel des Verlustes, höchstens jedoch 400,– DM bzw. 500,– DM monatlich erhalten (§ 30 Abs. 3 BVG). Einkommensverlust ist dabei der Unterschiedsbetrag zwischen dem derzeitigen Bruttoeinkommen aus gegenwärtiger oder früherer Tätigkeit zuzüglich der Ausgleichsrente und dem höheren Durchschnittseinkommen der Berufs- oder Wirtschaftsgruppe, welcher der Beschäftigte ohne die Schädigung nach seinen Lebensverhältnissen, Kenntnissen und Fähigkeiten und dem bisher betätigten Arbeits- und Ausbildungswillen wahrscheinlich angehört hätte. Allgemeine Vergleichsgrundlage zur Ermittlung des Durchschnittseinkommens sind die amtlichen Ermittlungen des Statistischen Bundesamtes für das Bundesgebiet und die jeweils geltenden beamten- oder tarifrechtlichen Besoldungs- oder Vergütungsgruppen des Bundes (§ 30 Abs. 4 BVG). Gemäß § 30 Abs. 7 BVG ist die Bundesregierung ermächtigt worden, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates zu bestimmen, welche Vergleichsgrundlage und in welcher Weise sie zur Ermittlung des Einkommensverlustes heranzuziehen ist.
Da der Kläger klargestellt hat, Berufsschadensausgleich nur wegen der schädigungsbedingten Verhinderung seines Berufszieles zu begehren, selbständiger Handelsvertreter zu werden, ist § 5 Abs. 1 der Durchführungsverordnung zu § 30 Abs. 3 und 4 BVG (DVO) in der Fassung vom 30. Juli 1964 und vom 28. Februar 1968 maßgebend. Hiernach ist Durchschnittseinkommen bei selbständig Tätigen mit mindestens dem Zeugnis über den erfolgreichen Besuch einer Mittelschule und mit abgeschlossener Berufsausbildung das Endgrundgehalt der Besoldungsgruppe A 11 des Bundesbesoldungsgesetzes (BBesG).
In Wertung des gesamten Akteninhalts, des Vortrages der Beteiligten und des Ergebnisses der Beweisaufnahme vermochte sich der Senat nicht davon zu überzeugen, daß dem Kläger Berufsschadensausgleich nach dieser Vorschrift zustehen. Denn es ist nicht wahrscheinlich i.S. der im Versorgungsrecht geltend Kausaltheorie, daß er ohne die Schädigungsfolgen nach dem Kriege selbständiger Handelsvertreter geworden wäre. Insoweit sind nach der Rechtsprechung des Senats konkrete Anhaltspunkte erforderlich, die Rückschlüsse erlauben oder Hinweise geben, daß gerade der behauptete Berufswunsch Wirklichkeit geworden wäre. Diese Anhaltspunkte können aus Urkunden, sei es unter anderem aus Schul- und beruflichen Zeugnissen, aus belegter Tätigkeit mit bestimmter Zielrichtung, vor der Schädigung und aus ebensolchen Beweismitteln für die Zeit nachher gewonnen werden, wobei auch das eigene glaubhafte Vorbringen gewertet werden kann. Das Mosaikbild solcher konkreten Punkte muß alles in allem so gestaltet sein, daß sich mehr dafür als dagegen ergibt, daß der angegebene Beruf unter Außerachtlassung der Schädigungsfolgen erreicht worden wäre. Je spezieller ein behauptetes Berufsziel im einzelnen ist, desto größere Anforderungen sind an die Anhaltspunkte in Bezug auf dessen Erreichen zu stellen. Werden diese grundsätzlichen Erwägungen auf den vorliegenden Fall übertragen, dann ergibt sich keine hinreichende Wahrscheinlichkeit für das klägerische Begehren.
Der Senat hält es zunächst bereits für zweifelhaft, ob der Kläger bei unterstellter gesunder Heimkehr überhaupt einen kaufmännischen Vertreterberuf aufgenommen hätte. Im Gegensatz zu der Auffassung des Beklagten, wie sie in dem angefochtenen Bescheid zum Ausdruck gekommen ist, hält er es für wahrscheinlicher, daß der Kläger seine Vorkenntnisse benutzend kaufmännischer Angestellter im allgemeinen Sinne ohne spezielle Ausrichtung auf das Reisen geworden wäre und sich innerhalb dieses Berufs bis zu der – zugebilligten – Leistungsgruppe III der kaufmännischen Angestellten emporgearbeitet hätte. Wird nämlich nach subjektiven und objektiven Anhaltspunkten geforscht, dann darf die bis 1949 andauernden katastrophale Wirtschaftslage in Deutschland nicht außer Betracht bleiben, die es außerordentlich erschwerte, eine Existenz als Handelsvertreter aufzubauen, wenn insbesondere der Geburtsjahrgang des Klägers und der in seine beruflichen Anfangsjahre fallende Abbruch seiner beruflichen Laufbahn durch den Kriegsdienst berücksichtigt wird. War er auch für die Tätigkeit als Handelsvertreter geeignet und hatte er nach den Bekundungen der Zeugen M. und G. den Willen zur Ausübung, nach den Angaben des Kaufmanns L. sogar noch während des Klägers, so bleibt doch zu bedenken, daß Reisetätigkeiten mangels genügenden Angebots frei zu verkaufender Massenartikel in den ersten Jahren nach dem Kriege stark eingeschränkt waren, insbesondere auf dem Lack- und Farbenmarkt, für den der Kläger Vorkenntnisse besaß. Zwar existierten Branchen, welch in der Lage waren, über nicht rationierte Altvorräte zu verfügen oder solche in freiverkäufliche Waren umzuarbeiten. Auch sie nahmen jedoch wie dem Senat aus eigener Sachkunde bekannt ist, die Möglichkeit des Absatzes durch Handelsvertreter, insbesondere durch junge und noch ungeübte, wie der Kläger gewesen wäre, allenfalls in beschränktem Umfang wahr. Hiernach wären die beruflichen Chancen für ihn nur gering gewesen, was konkret auch daraus hervorgeht, daß die Firma H. für ihn im Jahre 1945 keine Verwendung hatte. Die Tatsache, daß der Kläger durch das Arbeitsamt im Jahre 1945 nicht in eine kaufmännische Tätigkeit zu vermitteln war, erhärtet die Meinung des Senats weiter. Sie bestätigt seine Auffassung, daß es mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nachkriegsbedingte allgemeinwirtschaftliche Gründe waren, die das Berufsziel des Klägers vereitelten und nicht die anerkannten Schädigungsfolgen, die ihn an der Ausübung einer kaufmännischen Angestelltentätigkeit üblicher Art ohne Reisetätigkeit im übrigen schon damals nicht gehindert hätten, wenn sie auch in den Jahren 1945/46 noch hin und wieder Arbeitsunfähigkeit zur Folge gehabt haben können. Dieser letzte Schluß kann aus dem Gutachten des Vertragsarztes Dr. H. vom 4. März 1946 gezogen werden, wenn gegen ihn allerdings andererseits auch spricht, daß der Kläger am 21. Februar 1946 seine Tätigkeit bei der damaligen Reichsbahn aufgenommen hat, also arbeitsfähig gewesen sein muß. Hätte er jedoch auch als Ungeschädigter wegen der darniederliegenden Wirtschaft in den Jahren 1945 bis 1949 nur verschwindend geringe Chancen gehabt, als Handelsvertreter zu arbeiten, dann sprechen genügend vernünftige Gründe dafür, daß er sich etwa ab 1949/50 darauf nicht mehr spezialisiert hätte, zumal er offenbar Sicherheitsbestrebungen großen Wert beimißt, wie aus der Bekundung des Zeugen G. hervorgeht.
Dieser Wunsch nach Sicherheit im Beruf, der sich beim Kläger dahin konkretisiert hat, unter Abbruch der in Ansehung seines Gesundheitszustandes subjektiv möglichen Bemühungen und unter Außerachtlassung sich verbessernder objektiver Chancen in Bezug auf Dienste der damaligen Reichsbahn zu treten, verbietet es andererseits, seinem Begehren auf Eingruppierung in die Besoldungsgruppe A 11 BBesG Rechnung zu tragen. Selbst wenn der Senat nämlich unter Zurückstellung seiner Bedenken, ob der Kläger bei gesunder Heimkehr überhaupt angestellter Vertreter geworden wäre, diese Laufbahn als hinreichend wahrscheinlich unterstellt, dann würde es damit sein Bewenden haben müssen. Denn dafür, daß er als Handelsvertreter freiberuflich gearbeitet hätte, sind zu wenig konkrete Anhaltspunkte vorhanden. Dieser Beruf ist so speziell, daß die positive richterliche Überzeugung sich nur bilden kann, wenn ein dahingehendes Bestreben sichtbar deutlich wird. Das ist vorliegend jedoch schon deshalb nicht der Fall, weil bei dem Kläger eben das soziale Sicherheitsstreben offenbar vordergründig ist. Anders ist nicht zu erklären, daß er die angebotene Hilfe der Zeugen G. im Hinblick auf einen Tätigkeitswechsel ausgeschlagen und den "festen Boden” bei der Bahnbehörde und die "gewisse Sicherheit” dort vorgezogen hat. Seiner dem Zeugen gegebenen Begründung, er wolle auch wegen seines Gesundheitszustandes keine weiteren beruflichen Experimente unternehmen, ist nicht zu folgen. Denn er würde in den Diensten der Stadt F. genügend Möglichkeiten im Innendienst gefunden haben, die seinem Körperzustand entsprachen. Das vom Zeugen G. geschilderte Verhalten des Klägers vermag der Senat in Ansehung der in § 30 Abs. 4 BVG und in § 20 DVO enthaltenen Tatbestandsmerkmale "bisher betätigter Arbeits- und Ausbildungswillen” nicht positiv zu werten. Es läßt sichere Rückschlüsse darauf zu, daß er sich gescheut haben würde, die Unsicherheit des Aufbaues einer selbständigen Existenz als Handelsvertreter auf sich zu nehmen, zumal diese Berufssparte von vornherein vergleichsweise klein ist und es in ihr nur wenigen gelingt, dauerhafte gute wirtschaftliche Erfolge zu erringen.
In diesem Zusammenhang mußte der Senat auch die Personalakten des Klägers ergänzend werten. Sie geben noch über den Inhalt der Bescheinigungen der Bundesbahndirektion F. vom 13. Dezember 1965 und 18. Mai 1966 hinaus Aufschluß über Ausbildungs- und Leistungswillen, indem aus ihnen nichts dafür zu entnehmen ist, daß er zumindest ab 1958 Versuche zu einem Aufstieg in den gehobenen Dienst unternommen hat. Dieser war jedoch objektiv auch für ihn möglich, wenn er sich zunächst einmal der sog. A-Feststellerprüfung unterzogen hätte. Daß er diese nicht abgelegt hat, liegt nicht an den Schädigungsfolgen. Eine Bewerbung um Übernahme in den gehobenen Dienst hätten sie gleichfalls nicht verhindert, zumal der Kläger den gesundheitlichen Tauglichkeitsbestimmungen seine Eigenschaft als Schwerbeschäftigter hätte entgegensetzten können, falls es darauf überhaupt angekommen wäre, was nach der Bescheinigung seiner Arbeitgeberin vom 18. Mai 1966 nicht anzunehmen ist. Hat er aber gegebene Möglichkeiten zum beruflichen Weiterkommen nicht wahrgenommen und sich – zu seinen Gunsten unterstellt – auf abratende Empfehlungen des Internisten Dr. Z. verlassen, dann kann nicht angenommen werden, daß er genügend Energie und Streben gehabt hätte, sich aus dem Gros der angestellten Handelsvertreter bis zum freien Handelsvertreter emporzuarbeiten.
Seine – ebenfalls unterstellten – Beziehungen zu dem Kaufmann L. hätten dabei keinesfalls genügt. Denn er hätte sich als unselbständiger Vertreter genügend Kapital und eine größere Anzahl sicherer Geschäftsbeziehungen schaffen müssen, ehe er diesen Sprung hätte wagen können. Alle diese Umstände als gegeben anzunehmen, vermochte der Senat sowohl angesichts des Berufsweges des Klägers ab 1945 als auch der wirtschaftlichen Lage indessen nicht, wenn er ihm auch ohne weiteres zugesteht, daß er während seiner Tätigkeit bei der Firma H. und noch im Kriege berufliche Wünsche der angegebenen Art gehabt hat. Er hätte sie aber auch als Ungeschädigter mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht realisiert.
Nach allem war wie geschehen zu erkennen.
Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 193 SGG.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Bei dem 1920 geborenen Kläger waren mit Umanerkennungsbescheid nach dem BVG vom 31. Mai 1951
1) "Zustand nach Ausschneidung des oberen Endes des rechten Oberarmknochens mit Gelenkkopf.
2) Trümmerschußbruch des linken Darmbeinkammes mit Dickdarmresektion und Verdauungs- und Stuhlentleerungsbeschwerden” als Schädigungsfolgen mit einem Grad der MdE von 100 v.H. anerkannt gewesen. Auf Grund des Ergebnisses einer ärztlichen Nachuntersuchung erliess das Versorgungsamt F. am 6. März 1952 von Amts wegen einen bindend gewordenen Neufeststellungsbescheid, der die MdE bei gleicher Schädigungsfolge ab 1. Mai 1952 auf 70 v.H. festsetzte.
Am 27. Juli 1965 beantragte der Kläger unter Überreichung von Schul-, Lehr- und Arbeitszeugnissen soweit Bescheinigungen des ehemaligen Arbeitgebers und eines Arbeitskollegen Berufsschadensausgleich und gab zu seinem beruflichen Werdegang an, nach Erlangung der mittleren Reife die Kaufmannsgehilfenprüfung abgelegt zu haben. Anschließend sei er bis zu seiner Einberufung zum Reichsarbeitsdienst am 1. Mai 1940, an die sich der Kriegsdienst angeschlossen habe, als kaufmännischer Angestellter tätig gewesen. Er habe den durch die Schädigungsfolgen vermitelten Beruf des Kaufmanns/Handelsvertreters angestrebt. Nach dem Kriege sei er ab Februar 1946 von der Deutschen Bundesbahn zuerst als Eisenbahngehilfe, ab 1. Juli 1953 als Bundesbahnassistent beschäftigt worden und sei seit dem 1. April 1964 Bundesbahnobersekretär. Da er nicht betriebsdiensttauglich sei, wie der Facharzt für Innere Krankheiten Dr. Z. am 7. September 1965 bescheinigt habe, sei ein Aufstieg in die gehobene Beamtenlaufbahn bisher nicht möglich gewesen.
Nachdem die Bundesbahndirektion F. am 13. Dezember 1965 mitgeteilt hatte, der Kläger habe – möglicherweise wegen seiner Kriegsbeschädigung – weder eine Bewerbung für den gehobenen Dienst vorgelegt noch sonst zu erkennen gegeben, daß er sich darum bemühen wolle, erging der Bescheid vom 21. Januar 1966. Darin stufte ihn das Versorgungsamt als angestellten Vertreter im Wirtschaftsbereich Grundstoff- und Produktionsgüterindustrie (Wirtschaftsgruppe Chemische Industrie) in die Leistungsgruppe III ein. Berufsschadensausgleich wurde nicht gewährt, weil sich in Anrechnung des Einkommens kein auszahlbarer Betrag ergab.
Zur Begründung seines Widerspruchs führte der Kläger aus, als kaufmännischer Angestellter sei er in die Leistungsgruppe II einzugruppieren. Abgesehen davon begehre er aber Einstufung in die Besoldungsgruppe A 11 des Bundesbesoldungsgesetzes (BBesG), weil er nachweislich den Beruf des selbständigen Handelsvertreters angestrebt habe.
Der Widerspruchsbescheid vom 20. Februar 1967 bestätigte den angefochtenen Bescheid. Es sei zwar nicht auszuschließen, daß der Kläger im Falle einer gesunden Heimkehr eine selbständige Tätigkeit als Handelsvertreter ausüben würde. Doch sei es nicht wahrscheinlich, weil die Mehrzahl der Vertreter mit festem Gehalt und Erfolgsbeteiligung unselbständig arbeite. Diese Tätigkeit entspreche der Leistungsgruppe III.
Im Klageverfahren vor dem Sozialgericht Frankfurt/Main hat der Kläger vorgetragen, seine Zeugnisse über die kaufmännische Tätigkeit vor dem Kriege, die Erklärungen seines ehemaligen Arbeitgebers H. und des Kollegen M. ließen keinen Zweifel daran, daß er sich bereits damals mit dem Gedanken des Aufbaus einer selbständiger Handelsvertretung getragen habe. Berufliche Vorkenntnisse für eine solche Beschäftigung, die ihm ein vergleichsweise bedeutend höheres Einkommen gebracht hätte, seien vorhanden gewesen. Bezüglich seiner Aufstiegsmöglichkeiten bei der Deutschen Bundesbahn sei der Beklagte von falschen Voraussetzungen ausgegangen, indem er den Inhalt der Auskunft der Bundesbahndirektion F. vom 13. Dezember 1965 nicht richtig gewertet habe.
Mit Urteil vom 28. September 1967 hat das Sozialgericht den Bescheid vom 21. Januar 1966 (irrtümlich 21. Juni 1966) in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Februar 1967 aufgehoben hoben und den Beklagten verurteilt, dem Kläger Berufsschadensausgleich unter Zugrundelegung der Besoldungsgruppe A 11 BBesG zu gewähren. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, die vom Beklagten vorgenommene Beurteilung des vorliegenden Falles werde den tatsächlichen Verhältnissen mit den sich daraus ergebenden rechtlichen Folgen nicht gerecht. Das Schul- und Berufsbild des Klägers vor der Schädigung sowie seine Angaben und Beweisunterlagen machten es durchaus wahrscheinlich daß er sein angestrebtes Berufsziel als selbständiger Handelsvertreter ohne die Schädigungsfolgen erreicht hätte.
Gegen dieses Urteil, das dem Beklagten am 10. Oktober 1967 zugestellt worden ist, richtet sich dessen am 31. Oktober 1967 beim Hessischen Landessozialgericht eingegangene Berufung. Zur Begründung trägt er unter Wiederholung seiner bisherigen Einlassung ferner vor, außer den eigenen Behauptungen des Klägers und der Erklärung des Kaufmanns M. seien keine Anhaltspunkte dafür gegeben, daß der Kläger mit Wahrscheinlichkeit selbständiger Handelsvertreter geworden wäre. Aus dem Zeugnis des Arbeitgebers G. H. gehe das Gegenteil hervor. Im übrigen arbeite die überwiegende Zahl der Handelsvertreter in der Praxis unselbständig. Hiernach bestehe für das behauptete Berufsziel nur eine Möglichkeit, da die Schädigungsfolgen den Aufstieg des Klägers in den gehobenen Dienst bei der Deutschen Bundesbahn nicht ausgeschlossen hätten, er aber keine erkennbaren Bemühungen unternommen habe, sei auch deshalb kein Anhaltspunkt gegeben, daß er in einem kaufmännischen Beruf oder als Vertreter erfolgreicher gewesen wäre. Wenn er vor der Einberufung oder während des Krieges auch die Absicht bekundet haben möge, sich selbständig zu machen, so wäre ihm das wegen des vollständigen wirtschaftlichen Zusammenbruchs im Jahre 1945 auch bei gesunder Heimkehr nicht möglich gewesen.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt/Main vom 28. September 1967 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung als unbegründet zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend und führt ergänzend aus, er habe entgegen der Auffassung des Beklagten konkrete Beweisunterlagen vorgelegt, die seine Behauptung stützen, daß er ohne seine Verwundung das angestrebte Berufsziel des selbständigen Handelsvertreters erreicht hätte. Insoweit überreiche er noch eine Erklärung des Kaufmanns H. L. vom 20. Dezember 1967 und des Magistratrats K. G. vom 10. Januar 1968, die er ebenso wie den Bahnarzt Dr. Z. als Zeugen zu hören bitte. Der Inhalt seiner Personalakten bei der Deutschen Bundesbahn spreche nicht gegen seine ursprünglichen Berufspläne. Der Aufstieg in den gehobenen Dienst sei dort erst ab 1958 möglich gewesen. Er habe aber von der Ablegung der A-Feststellerprüfung Abstand nehmen müssen, weil er nach ärztlichem Zeugnis nicht betriebsdiensttauglich gewesen sei. Rückschlüsse auf sein berufliches Streben seien deshalb nicht möglich.
Der Senat hat in der mündlichen Verhandlung vom 18. September 1969 und vom 25. Februar 1970 den Kläger persönlich angehört, der erklärt hat, er sei in der Firma H. als kaufmännischer Lehrling und Angestellter sowohl in der Handelsvertretung als auch in der Lackfabrik ausgebildet und beschäftigt worden. Im vorliegenden Verfahren mache er lediglich einen Anspruch auf Berufsschadensausgleich nach der Besoldungsgruppe A 11 BBesG geltend, weil er die Absicht gehabt habe, sich als Handelsvertreter selbständig zu machen. Nach dem Kriege habe die Firma H. keine Verwendungsmöglichkeiten für ihn gehabt. Das Arbeitsamt habe ihn 1945 nicht in einer kaufmännischen Tätigkeit unterbringen können. Ferner ist der selbständige Handelsvertreter H. M. als Zeuge vernommen worden, der bekundet hat, während der Zeit, in welcher der Kläger Lehrling und kaufmännischer Angestellter bei der Firma H. gewesen sei, dort als Firmenvertreter gearbeitet zu haben. Seinerzeit habe er den Kläger gelegentlich in F. zu Kundenbesuchen mitgenommen und den Eindruck gehabt, daß dieser sich für die Vertretertätigkeit gut eignen würde. Er hätte sicherlich später als unselbständiger oder selbständiger Vertreter arbeiten können. Das Interesse dafür habe er aus Gesprächen mit ihm schon während seiner Ausbildung bei der Firma H. festgestellt.
In der mündlichen Verhandlung vom 25. Februar 1975 wurde der Magistratsdirektor K. G. als weiterer Zeuge gehört. Er hat ausgesagt, vor dem Kriege aus Gesprächen mit dem Kläger entnommen zu haben, daß dieser offenbar die Vorstellung gehabt habe, selbständiger Handelsvertreter zu werden. Das habe wegen seiner damaligen Tätigkeit nahegelegen. Nach dem Kriege habe der Kläger ihm sinngemäß gesagt, wegen seiner Schädigungsfolgen könne er diesem Berufsziel nicht erreichen. Er habe nun bei der Bundesbahn festen Boden gefunden und werde auch dort vermutlich seinen Weg machen. Berufliche Experimente wolle er der gewissen Sicherheit bei dieser Behörde und seines gesundheitlichen Zustandes wegen nicht unternehmen.
Die Akten des Versorgungsamts F. mit der Grundlisten – Nr ... und die Personalakten des Klägers haben vorgelegen. Auf ihren Inhalt und den der Gerichtsakten beider Instanzen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, wird Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß §§ 143, 151 Abs. 1 SGG frist- und formgerecht sowie auch im übrigen zulässige Berufung ist begründet.
Im Gegensatz zur Auffassung des Sozialgerichts hält der Senat den angefochtenen Bescheid vom 21. Januar 1966 für rechtmäßig.
Rechtsgrundlage ist § 30 Abs. 3 und 4 BVG i.d.F. des 2. und 3. NOG, wonach Schwerbeschädigte, deren Erwerbseinkommen durch die Schädigungsfolgen gemindert ist (Einkommensverlust), nach Anwendung des § 30 Abs. 2 BVG einen Berufsschadensausgleich in Höhe von vier Zehntel des Verlustes, höchstens jedoch 400,– DM bzw. 500,– DM monatlich erhalten (§ 30 Abs. 3 BVG). Einkommensverlust ist dabei der Unterschiedsbetrag zwischen dem derzeitigen Bruttoeinkommen aus gegenwärtiger oder früherer Tätigkeit zuzüglich der Ausgleichsrente und dem höheren Durchschnittseinkommen der Berufs- oder Wirtschaftsgruppe, welcher der Beschäftigte ohne die Schädigung nach seinen Lebensverhältnissen, Kenntnissen und Fähigkeiten und dem bisher betätigten Arbeits- und Ausbildungswillen wahrscheinlich angehört hätte. Allgemeine Vergleichsgrundlage zur Ermittlung des Durchschnittseinkommens sind die amtlichen Ermittlungen des Statistischen Bundesamtes für das Bundesgebiet und die jeweils geltenden beamten- oder tarifrechtlichen Besoldungs- oder Vergütungsgruppen des Bundes (§ 30 Abs. 4 BVG). Gemäß § 30 Abs. 7 BVG ist die Bundesregierung ermächtigt worden, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates zu bestimmen, welche Vergleichsgrundlage und in welcher Weise sie zur Ermittlung des Einkommensverlustes heranzuziehen ist.
Da der Kläger klargestellt hat, Berufsschadensausgleich nur wegen der schädigungsbedingten Verhinderung seines Berufszieles zu begehren, selbständiger Handelsvertreter zu werden, ist § 5 Abs. 1 der Durchführungsverordnung zu § 30 Abs. 3 und 4 BVG (DVO) in der Fassung vom 30. Juli 1964 und vom 28. Februar 1968 maßgebend. Hiernach ist Durchschnittseinkommen bei selbständig Tätigen mit mindestens dem Zeugnis über den erfolgreichen Besuch einer Mittelschule und mit abgeschlossener Berufsausbildung das Endgrundgehalt der Besoldungsgruppe A 11 des Bundesbesoldungsgesetzes (BBesG).
In Wertung des gesamten Akteninhalts, des Vortrages der Beteiligten und des Ergebnisses der Beweisaufnahme vermochte sich der Senat nicht davon zu überzeugen, daß dem Kläger Berufsschadensausgleich nach dieser Vorschrift zustehen. Denn es ist nicht wahrscheinlich i.S. der im Versorgungsrecht geltend Kausaltheorie, daß er ohne die Schädigungsfolgen nach dem Kriege selbständiger Handelsvertreter geworden wäre. Insoweit sind nach der Rechtsprechung des Senats konkrete Anhaltspunkte erforderlich, die Rückschlüsse erlauben oder Hinweise geben, daß gerade der behauptete Berufswunsch Wirklichkeit geworden wäre. Diese Anhaltspunkte können aus Urkunden, sei es unter anderem aus Schul- und beruflichen Zeugnissen, aus belegter Tätigkeit mit bestimmter Zielrichtung, vor der Schädigung und aus ebensolchen Beweismitteln für die Zeit nachher gewonnen werden, wobei auch das eigene glaubhafte Vorbringen gewertet werden kann. Das Mosaikbild solcher konkreten Punkte muß alles in allem so gestaltet sein, daß sich mehr dafür als dagegen ergibt, daß der angegebene Beruf unter Außerachtlassung der Schädigungsfolgen erreicht worden wäre. Je spezieller ein behauptetes Berufsziel im einzelnen ist, desto größere Anforderungen sind an die Anhaltspunkte in Bezug auf dessen Erreichen zu stellen. Werden diese grundsätzlichen Erwägungen auf den vorliegenden Fall übertragen, dann ergibt sich keine hinreichende Wahrscheinlichkeit für das klägerische Begehren.
Der Senat hält es zunächst bereits für zweifelhaft, ob der Kläger bei unterstellter gesunder Heimkehr überhaupt einen kaufmännischen Vertreterberuf aufgenommen hätte. Im Gegensatz zu der Auffassung des Beklagten, wie sie in dem angefochtenen Bescheid zum Ausdruck gekommen ist, hält er es für wahrscheinlicher, daß der Kläger seine Vorkenntnisse benutzend kaufmännischer Angestellter im allgemeinen Sinne ohne spezielle Ausrichtung auf das Reisen geworden wäre und sich innerhalb dieses Berufs bis zu der – zugebilligten – Leistungsgruppe III der kaufmännischen Angestellten emporgearbeitet hätte. Wird nämlich nach subjektiven und objektiven Anhaltspunkten geforscht, dann darf die bis 1949 andauernden katastrophale Wirtschaftslage in Deutschland nicht außer Betracht bleiben, die es außerordentlich erschwerte, eine Existenz als Handelsvertreter aufzubauen, wenn insbesondere der Geburtsjahrgang des Klägers und der in seine beruflichen Anfangsjahre fallende Abbruch seiner beruflichen Laufbahn durch den Kriegsdienst berücksichtigt wird. War er auch für die Tätigkeit als Handelsvertreter geeignet und hatte er nach den Bekundungen der Zeugen M. und G. den Willen zur Ausübung, nach den Angaben des Kaufmanns L. sogar noch während des Klägers, so bleibt doch zu bedenken, daß Reisetätigkeiten mangels genügenden Angebots frei zu verkaufender Massenartikel in den ersten Jahren nach dem Kriege stark eingeschränkt waren, insbesondere auf dem Lack- und Farbenmarkt, für den der Kläger Vorkenntnisse besaß. Zwar existierten Branchen, welch in der Lage waren, über nicht rationierte Altvorräte zu verfügen oder solche in freiverkäufliche Waren umzuarbeiten. Auch sie nahmen jedoch wie dem Senat aus eigener Sachkunde bekannt ist, die Möglichkeit des Absatzes durch Handelsvertreter, insbesondere durch junge und noch ungeübte, wie der Kläger gewesen wäre, allenfalls in beschränktem Umfang wahr. Hiernach wären die beruflichen Chancen für ihn nur gering gewesen, was konkret auch daraus hervorgeht, daß die Firma H. für ihn im Jahre 1945 keine Verwendung hatte. Die Tatsache, daß der Kläger durch das Arbeitsamt im Jahre 1945 nicht in eine kaufmännische Tätigkeit zu vermitteln war, erhärtet die Meinung des Senats weiter. Sie bestätigt seine Auffassung, daß es mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nachkriegsbedingte allgemeinwirtschaftliche Gründe waren, die das Berufsziel des Klägers vereitelten und nicht die anerkannten Schädigungsfolgen, die ihn an der Ausübung einer kaufmännischen Angestelltentätigkeit üblicher Art ohne Reisetätigkeit im übrigen schon damals nicht gehindert hätten, wenn sie auch in den Jahren 1945/46 noch hin und wieder Arbeitsunfähigkeit zur Folge gehabt haben können. Dieser letzte Schluß kann aus dem Gutachten des Vertragsarztes Dr. H. vom 4. März 1946 gezogen werden, wenn gegen ihn allerdings andererseits auch spricht, daß der Kläger am 21. Februar 1946 seine Tätigkeit bei der damaligen Reichsbahn aufgenommen hat, also arbeitsfähig gewesen sein muß. Hätte er jedoch auch als Ungeschädigter wegen der darniederliegenden Wirtschaft in den Jahren 1945 bis 1949 nur verschwindend geringe Chancen gehabt, als Handelsvertreter zu arbeiten, dann sprechen genügend vernünftige Gründe dafür, daß er sich etwa ab 1949/50 darauf nicht mehr spezialisiert hätte, zumal er offenbar Sicherheitsbestrebungen großen Wert beimißt, wie aus der Bekundung des Zeugen G. hervorgeht.
Dieser Wunsch nach Sicherheit im Beruf, der sich beim Kläger dahin konkretisiert hat, unter Abbruch der in Ansehung seines Gesundheitszustandes subjektiv möglichen Bemühungen und unter Außerachtlassung sich verbessernder objektiver Chancen in Bezug auf Dienste der damaligen Reichsbahn zu treten, verbietet es andererseits, seinem Begehren auf Eingruppierung in die Besoldungsgruppe A 11 BBesG Rechnung zu tragen. Selbst wenn der Senat nämlich unter Zurückstellung seiner Bedenken, ob der Kläger bei gesunder Heimkehr überhaupt angestellter Vertreter geworden wäre, diese Laufbahn als hinreichend wahrscheinlich unterstellt, dann würde es damit sein Bewenden haben müssen. Denn dafür, daß er als Handelsvertreter freiberuflich gearbeitet hätte, sind zu wenig konkrete Anhaltspunkte vorhanden. Dieser Beruf ist so speziell, daß die positive richterliche Überzeugung sich nur bilden kann, wenn ein dahingehendes Bestreben sichtbar deutlich wird. Das ist vorliegend jedoch schon deshalb nicht der Fall, weil bei dem Kläger eben das soziale Sicherheitsstreben offenbar vordergründig ist. Anders ist nicht zu erklären, daß er die angebotene Hilfe der Zeugen G. im Hinblick auf einen Tätigkeitswechsel ausgeschlagen und den "festen Boden” bei der Bahnbehörde und die "gewisse Sicherheit” dort vorgezogen hat. Seiner dem Zeugen gegebenen Begründung, er wolle auch wegen seines Gesundheitszustandes keine weiteren beruflichen Experimente unternehmen, ist nicht zu folgen. Denn er würde in den Diensten der Stadt F. genügend Möglichkeiten im Innendienst gefunden haben, die seinem Körperzustand entsprachen. Das vom Zeugen G. geschilderte Verhalten des Klägers vermag der Senat in Ansehung der in § 30 Abs. 4 BVG und in § 20 DVO enthaltenen Tatbestandsmerkmale "bisher betätigter Arbeits- und Ausbildungswillen” nicht positiv zu werten. Es läßt sichere Rückschlüsse darauf zu, daß er sich gescheut haben würde, die Unsicherheit des Aufbaues einer selbständigen Existenz als Handelsvertreter auf sich zu nehmen, zumal diese Berufssparte von vornherein vergleichsweise klein ist und es in ihr nur wenigen gelingt, dauerhafte gute wirtschaftliche Erfolge zu erringen.
In diesem Zusammenhang mußte der Senat auch die Personalakten des Klägers ergänzend werten. Sie geben noch über den Inhalt der Bescheinigungen der Bundesbahndirektion F. vom 13. Dezember 1965 und 18. Mai 1966 hinaus Aufschluß über Ausbildungs- und Leistungswillen, indem aus ihnen nichts dafür zu entnehmen ist, daß er zumindest ab 1958 Versuche zu einem Aufstieg in den gehobenen Dienst unternommen hat. Dieser war jedoch objektiv auch für ihn möglich, wenn er sich zunächst einmal der sog. A-Feststellerprüfung unterzogen hätte. Daß er diese nicht abgelegt hat, liegt nicht an den Schädigungsfolgen. Eine Bewerbung um Übernahme in den gehobenen Dienst hätten sie gleichfalls nicht verhindert, zumal der Kläger den gesundheitlichen Tauglichkeitsbestimmungen seine Eigenschaft als Schwerbeschäftigter hätte entgegensetzten können, falls es darauf überhaupt angekommen wäre, was nach der Bescheinigung seiner Arbeitgeberin vom 18. Mai 1966 nicht anzunehmen ist. Hat er aber gegebene Möglichkeiten zum beruflichen Weiterkommen nicht wahrgenommen und sich – zu seinen Gunsten unterstellt – auf abratende Empfehlungen des Internisten Dr. Z. verlassen, dann kann nicht angenommen werden, daß er genügend Energie und Streben gehabt hätte, sich aus dem Gros der angestellten Handelsvertreter bis zum freien Handelsvertreter emporzuarbeiten.
Seine – ebenfalls unterstellten – Beziehungen zu dem Kaufmann L. hätten dabei keinesfalls genügt. Denn er hätte sich als unselbständiger Vertreter genügend Kapital und eine größere Anzahl sicherer Geschäftsbeziehungen schaffen müssen, ehe er diesen Sprung hätte wagen können. Alle diese Umstände als gegeben anzunehmen, vermochte der Senat sowohl angesichts des Berufsweges des Klägers ab 1945 als auch der wirtschaftlichen Lage indessen nicht, wenn er ihm auch ohne weiteres zugesteht, daß er während seiner Tätigkeit bei der Firma H. und noch im Kriege berufliche Wünsche der angegebenen Art gehabt hat. Er hätte sie aber auch als Ungeschädigter mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht realisiert.
Nach allem war wie geschehen zu erkennen.
Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 193 SGG.
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