L 5 V 475/68

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
5
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 5 V 475/68
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Ist ein Schwerbeschädigter nicht berufsunfähig im Sinne der Arbeiterrentenversicherung, übt er aber aus von ihm selbst zu vertretenden Gründen keine Berufstätigkeit aus, so ist ein schädigungsbedingter Einkommensverlust nicht nachzuweisen. Außerdem hindert § 30 Abs. 6 BVG die Gewährung eines Berufsschadensausgleiches.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 25. April 1968 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Der 1920 geborene Kläger bezieht gemäß Umanerkennungsbescheid vom 24. April 1951 wegen Verlustes des rechten Beines Versorgungsbezüge nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 80 v.H. (Bl. 62 VA). Eine Erhöhung der Rente wegen eines besonderen beruflichen Betroffenseins wurde mit Bescheid vom 7. Februar 1962 (Bl. 193 VA) abgelehnt, weil bereits zweimal Umschulungsmaßnahmen mit Erfolg durchgeführt worden seien. Dieser Bescheid wurde bindend.

Am 27. April 1964 beantragte der Kläger Berufsschadensausgleich und gab an, den Beruf eines Spenglers erlernt zu haben. Nach seiner Verwundung sei er zum technischen Zeichner und später vom 29. April 1952 bis 2. April 1955 zum Uhrmacher umgeschult worden. Durch Auftreten einer Zuckerkrankheit und eines Herzmuskelschadens sei er an manchen Tagen nicht einsatzfähig.

Mit Bescheid vom 14. Juli 1965 lehnte der Beklagte die Gewährung eines Berufsschadensausgleichs ab, weil arbeits- und berufsfördernde Maßnahmen mit Erfolg durchgeführt worden seien. Wenn der Kläger seinen Beruf als Uhrmacher nicht ausüben könne, so sei dies auf schädigungsunabhängige Umstände zurückzuführen. Der Widerspruch, der mit einem Attest des Dr. B., B., wonach der Diabetes und der Myocardschaden die Ausübung des Berufs als Uhrmacher nicht hinderten, begründet wurde, blieb erfolglos und wurde mit Bescheid vom 24. März 1966 (Bl. 267 VA) zurückgewiesen. Der Beklagte nahm in diesem Bescheid Bezug auf die bindende Feststellung, daß schädigungsunabhängige Umstände die Ausübung des Berufs als Uhrmacher verhinderten. Demgegenüber enthalte das Attest des Dr. B. keine neuen Gesichtspunkte.

Gegen den am 28. März 1966 zur Post gegebenen Bescheid hat der Kläger fristgerecht am 1. April 1966 Klage vor dem Sozialgericht in Darmstadt erhoben. Er trug vor, die Nichtschädigungsleiden hinderten ihn nicht an der Ausübung seines Berufes als Uhrmacher, er habe aber nicht in einer entsprechenden Arbeitsstelle durch das Arbeitsamt vermittelt werden können. Eine selbständige Tätigkeit als Uhrmacher sei ihm durch die Gewerbepolizei untersagt worden.

Mit Urteil vom 25. April 1968 wies das Sozialgericht die Klage ab. Es führte in den Entscheidungsgründen aus, daß der Kläger mit Erfolg zum Uhrmacher umgeschult worden sei. Er habe auch die Möglichkeit gehabt, ab dem Jahre 1956 eine Gesellentätigkeit auszuüben. Auch der Gesundheitszustand seiner Mutter habe ihn damals nicht gehindert, eine solche Tätigkeit auszuüben, weil sie nach seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung erst seit vier Jahren bettlägerig und nach den Angaben des Dr. R. erst seit sechs Monaten bettlägerig krank sei. Die Nichtausübung der Uhrmachertätigkeit sei deshalb auf Umstände zurückzuführen, die der Kläger zu vertreten habe, so daß ein Berufsschadensausgleich nach § 30 Abs. 6 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) nicht gewährt werden könne.

Gegen das am 3. Mai 1968 zugestellte Urteil hat der Kläger am 11. Mai 1968 fristgerecht Berufung eingelegt mit dem Antrag, das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 25. April 1968 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 14. Juli 1965 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. März 1966 zu verurteilen, Berufsschadensausgleich unter Zugrundelegung der Leistungsgruppe 1 der männlichen Arbeiter aller Wirtschaftsbereiche zu gewähren.

Zur Begründung der Berufung trägt der Kläger vor, das Sozialgericht habe den Sachverhalt nicht ausreichend geprüft, es habe insbesondere bei dem Arbeitsamt und dem Innungsmeister des Uhrmachergewerbes feststellen müssen, weshalb er nicht in eine entsprechende Arbeitsstelle habe vermittelt werden können. Insofern habe auch auf seine persönlichen Verhältnisse Rücksicht genommen werden müssen. Der Beklagte hat beantragt, die Berufung als unbegründet zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend, weil der Gewährung eines Berufsschadensausgleichs die erfolgreiche Durchführung von berufsfördernden Maßnahmen entgegenstehe.

Die Invalidenrentenakten des Klägers – L 6/J 1364/67 – wurden beigezogen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen. Hierauf, insbesondere das Gutachten des Prof. Dr. A. die Schriftsätze der Beteiligten und den Akteninhalt im übrigen wird Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist nach § 143 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässig, sie ist jedoch nicht begründet.

Zutreffend hat das Sozialgericht Darmstadt angenommen, daß dem Kläger ein Berufsschadensausgleich nach § 30 Abs. 3 und 4 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) nicht zusteht. Ein solcher setzt voraus, daß eine schädigungsbedingte Einkommensminderung vorliegt. Schon hieran fehlt es, weil bei dem Kläger nach dem überzeugenden Gutachten des Prof. Dr. A. und des Oberarztes Dr. M. vom 10. September 1969, das im Invalidenrentenverfahren eingeholt worden ist, keine Berufsunfähigkeit im Beruf des Uhrmachers vorliegt. Kann er aber seinem erlernten Beruf nachgehen, so fehlt es schon deswegen an dem erforderlichen ursächlichen Zusammenhang einer eventuellen Einkommensminderung mit den anerkannten Schädigungsfolgen, hier dem Verlust des rechten Beines. Gegen die in dem Gutachten vom 10. September 1969 getroffenen Feststellungen bestehen nach Ansicht des Senats keine Bedenken, zumal schon im Jahre 1961 der Facharzt für Chirurgie Dr. B. angenommen hatte, daß der Kläger in der Lage sei, voll und ganz einer geregelten Beschäftigung nachzugehen.

Abgesehen hiervon scheitert der Anspruch des Klägers auf Berufsschadensausgleich auch deswegen, weil arbeits- und berufsfördernde Maßnahmen mit Erfolg durchgeführt worden sind. In diesem Fall hindert die Bestimmung des § 30 Abs. 6 BVG, die das Sozialgericht ebenfalls zutreffend angewandt hat, die Gewährung einer entsprechenden Versorgung. Anders wäre nur dann zu entscheiden, wenn die berufsfördernden Maßnahmen aus vom Kläger nicht zu vertretenden Gründen keinen Erfolg gehabt oder nicht zum Ausgleich des beruflichen Schadens geführt hätten. Beide Voraussetzungen liegen hier nicht vor.

Die zweimaligen berufsfördernden Maßnahmen führten jedesmal zu Erfolg. So wurde der Kläger bereits während des letzten Krieges erfolgreich zum technischen Zeichner umgeschult. Die neuerliche Umschulung zum Uhrmacher in der Zeit von 1952 bis 1955 war ebenfalls erfolgreich. Denn er hat die Gesellenprüfung in diesem Handwerk am 2. April 1955 vor der zuständigen Behörde bestanden und war sogar dann als selbständiger Uhrmacher in B. tätig. Wenn ihm die selbständige Ausübung des Uhrmachergewerbes aus gewerbepolizeilichen Gründen durch den Regierungspräsidenten im Jahre 1956 untersagt worden ist, so hätte dies der Aufnahme einer Gesellentätigkeit nicht im Wege gestanden. Denn nach dem Schreiben des Regierungspräsidenten vom 18. August 1956 war die Uhrmacherinnung bemüht, dem Kläger einen geeigneten Arbeitsplatz zu besorgen. Auf Antrag hätte sie auch die Gesellenzeit verkürzen und ihn früher zur Meisterprüfung zulassen können. Wenn entsprechende Vermittlungsversuche des Arbeitsamtes D. in der Folgezeit scheiterten, so waren hierfür, wie das Sozialgericht mit Recht angenommen hat, allein Umstände verantwortlich, die in der Person des Klägers lagen und die er deshalb selbst zu vertreten hat.

Da gilt zunächst für die Schutzbehauptung, daß er sich um seine alte Mutter habe kümmern müssen. Abgesehen davon, daß von einer Erkrankung der Mutter in den Jahren nach 1956 nichts bekannt ist, hätte ein solcher Umstand auch nicht in den Schädigungsfolgen seine Ursache gehabt. Für die Nichtaufnahme einer Tätigkeit sind aber nur solche Umstände rechtlich bedeutsam, die in den anerkannten Schädigungsfolgen ihre Ursache haben, andere haben außer Betracht zu bleiben. Davon abgesehen war die Mutter des Klägers, worauf das Sozialgericht ebenfalls mit Recht hingewiesen hat, erst in den letzten Jahren bettlägerig krank, wobei sich auch hier noch zwischen den Angaben des Klägers und den ärztlichen Attesten erhebliche Widersprüche ergeben.

Die Zuckerkrankheit und die Herzmuskelschädigung hat der Kläger zwar im Jahre 1960, wie sich aus der Auskunft des Arbeitsamtes D. vom 16. Juli 1960 ergibt, als Ursache dafür angegeben, daß er keine regelmäßige Tätigkeit als Uhrmacher ausüben könne. Diese zweimalige Einlassung dem Arbeitsamt gegenüber war indessen nachweislich unrichtig. Denn nach der Auskunft des behandelnden Hausarztes Dr. B. in B. vom 17. Dezember 1965 waren diese Krankheiten nicht so gravierend, daß sie der Aufnahme einer Uhrmachertätigkeit im Wege gestanden hätten. Hiervon abgesehen handelt es sich bei diesen Gesundheitsstörungen auch wiederum um solche, die nicht als Schädigungsfolgen anerkannt sind, und die deshalb dem Wehrdienst nicht angelastet werden können. Sie haben bei der Prüfung der Frage, ob sie den Kläger an der Aufnahme einer Uhrmachertätigkeit hinderten außer Betracht zu bleiben.

In diesem Zusammenhang ist ferner darauf hinzuweisen, daß der Kläger gegen die Ablehnung eines besonderen beruflichen Betroffenseins (§ 30 Abs. 2 BVG) durch den Bescheid vom 7. Februar 1962 keine Einwendungen erhoben hat. Das läßt nur den Schluß zu, daß er nicht in der Lage war, Einwendungen gegen seine Berufsfähigkeit als Uhrmacher vorzubringen.

Im übrigen ist nunmehr durch das Gutachten des Prof. Dr. A. und des Oberarztes Dr. M. vom 10. September 1969 festgestellt worden, daß der Kläger in seinem Beruf als Uhrmacher nicht berufsunfähig ist. Es ist ihm sogar ein Anmarsch zur Arbeitsstätte unter einem Kilometer und die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel zuzumuten. Da sich aus dem Gutachten keine zeitlichen Beschränkungen hinsichtlich der Arbeitsfähigkeit ergeben, muß ferner angenommen werden, daß der Kläger ganztägig in der Lage ist, einer beruflichen Tätigkeit nachzugehen. Unter diesen Umständen ist nicht nachzuweisen, daß der Kläger irgendwie durch die Schädigungsfolgen gehindert wäre, eine entsprechende Tätigkeit aufzunehmen. Nach der grundsätzlichen Entscheidung des Großen Senats des Bundessozialgerichts vom 11. Dezember 1969 kann er auch nicht darauf bestehen, nur in B. in eine entsprechende Tätigkeit untergebracht zu werden. Vielmehr kommt für ihn, da er ganztägig tätig sein kann, das gesamte Arbeitsfeld der Bundesrepublik in Frage.

Rückfragen bei dem zuständigen Arbeitsamt und dem Innungsmeister waren nicht erforderlich, da der Kläger nach seiner glaubhaften Erklärung vor dem Hess. Landessozialgericht am 20. Februar 1969 sich seit 1961 nicht mehr um eine Vermittlung durch das Arbeitsamt gekümmert hat. Daraus muß geschlossen werden, daß bei ihm ein ernsthafter Wille zur Aufnahme einer entsprechenden Tätigkeit fehlt. Bei diesem Sachverhalt hängt infolgedessen die Nichtaufnahme einer beruflichen Tätigkeit allein mit Umständen zusammen, die der Kläger selbst zu vertreten hat. Zu Recht hat deshalb das Sozialgericht im Hinblick auf die Bestimmung des § 30 Abs. 6 BVG die Gewährung eines Berufsschadensausgleichs versagt. Die Berufung konnte deshalb keinen Erfolg haben und war mit der sich aus § 193 SGG ergebenden Kostenfolge zurückzuweisen.
Rechtskraft
Aus
Saved