L 3 U 40/93

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
S 3 U 950/90
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 40/93
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 17. November 1992 wird zurückgewiesen.

II. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin auch für die Berufungsinstanz.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der 1937 geborene Versicherte stritt mit der Beklagten seit 1988 um die Anerkennung und Entschädigung einer Pneumokoniose als bzw. wie eine Berufskrankheit (BK). Nachdem am 14. Dezember 1995 bei ihm zusätzlich ein Bronchialkarzinom festgestellt worden war, erkannte die Beklagte einen Bronchialtumor infolge beruflicher Chrom-Nickeleinwirkung als BK nach Ziffern 1103, 4109 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKVO) an und gewährte ihm Verletztenrente ab 15. Dezember 1995 nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 100 v.H. sowie das höchstmögliche Pflegegeld ab 16. Januar 1996. Am 3. Oktober 1996 ist der Versicherte verstorben. Der Rechtsstreit wird von seiner Ehefrau fortgeführt.

Ärztliche Berufskrankheitenanzeigen erstatteten der Lungenarzt Dr. am 6. Oktober 1988 gegenüber dem Landesgewerbearzt und Dr. Oberarzt der Fachklinik für Lungenerkrankungen in am 29. November 1988 gegenüber der Beklagten. Dr. sprach von einem Verdacht auf Silikose wegen Quarzstaubexposition und Dr. beschrieb eine Atemnot des Versicherten infolge feinstreifiger Pneumokoniose durch ausgedehnte Eisenablagerungen und Ablagerung von Aluminiumsilikaten und führte diese Erkrankung auf die Tätigkeit des Versicherten bei der Firma in K. zurück. Die Firma erstattete die BK-Anzeige vom 19. Januar 1989 und gab an, der Versicherte sei dort als Schlosser im Maschinenbau seit 1968 tätig gewesen. Es sei zu einer Lungenfibrose nach Brenn-, Schleif- und Schweißarbeiten von VA-Stählen und Aluminiummaterialien gekommen. Der Versicherte sei erstmals am 9. Februar 1988 wegen dieses Leidens auffällig und zugleich bewußtlos geworden.

Die Beklagte zog die Behandlungsunterlagen der Lungenklinik in , ein Vorerkrankungsverzeichnis der Betriebskrankenkasse der Firma ab Juni 1968 und die Unterlagen der Landesversicherungsanstalt (LVA) bei. Sie forderte Berichte des Hausarztes Dr. vom 3. April 1989 und des Dr. vom 10. Mai 1989 an und ließ die Arbeitsanamnese des Versicherten durch ihren Technischen Aufsichtsdienst (TAD) aufklären, der hierzu mit Berichten vom 2. Mai und 20. November 1989 im einzelnen Stellung nahm. Ein internistisch-arbeitsmedizinisches Gutachten ließ sie sodann von Prof. erstellen, dessen Gutachten vom 13. Juli 1989 ein fachradiologisches und ein fachkardiologisches Zusatzgutachten beigefügt waren. Der Versicherte sei Schweißrauch im Zeitraum von 1968 bis 1973 in bedeutsamem Umfange ausgesetzt gewesen. Von 1973 bis 1980 habe er im Schwermaschinenbau Kontakt mit eisen- und eisenoxidhaltigen Stoffen gehabt, aber keinen Kontakt mit Schweißrauch. Von 1980 bis 1988 sei er im Mischerbau metallhaltigen Stäuben ausgesetzt gewesen. Die arbeitstechnischen Voraussetzungen zur Entwicklung einer Ziffern-BK hätten nicht vorgelegen. Eine Exposition gegenüber quarz- oder asbesthaltigen Feinstäuben sei nicht belegt, so daß die Voraussetzungen der Ziffer 4103 (Silikose) bzw. 4101 (Asbestose) nicht gegeben seien. Auch die Voraussetzungen zur Entwicklung einer Hartmetallfibrose im Sinne einer BK nach Ziffer 4107 oder einer Aluminiumstaub-Pneumokoniose im Sinne der Ziffer 4106 hätten nach der Arbeitsplatzanamnese nicht vorgelegen. Die Erkrankung des. Versicherten könne auch nicht wie eine BK nach § 551 Abs. 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) anerkannt werden. Bisher hätten epidemiologische Studien keine Anhaltspunkte für ein gehäuftes Auftreten von Lungenfibrosen bei Schweißern erbracht. Auch beim Versicherten bestehe kein Hinweis darauf, daß der zu sekundären Lungen- und Lungengefäßveränderungen führende fibrotische Lungenprozeß wesentlich teilursächlich auf eine Schweiß- oder Schleifstaubexposition zurückgehe. Prof. trat im arbeitsmedizinisch-internistischen Fachgutachten nach Aktenlage vom 12. Dezember 1989 dieser Beurteilung bei. Nachdem der Landesgewerbearzt mit Stellungnahme vom 23. Januar 1990 dem Gutachten gefolgt war und einen Ursachenzusammenhang beim damaligen Wissensstand nicht wahrscheinlich zu machen vermochte, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 27. Juni 1990 die Anerkennung des Lungenleidens beim Versicherten als BK nach Ziffern 4101, 4103, 4106 oder 4107 der Anlage 1 zur BKVO ab sowie auch die Anerkennung derselben wie eine BK nach § 551 Abs. 2 RVO.

Der Versicherte legte am 18. Juli 1990 Klage vor dem Sozialgericht Kassel (SG) ein und zu deren Begründung Berichte des Hausarztes Dr. und des Prof. Lungenklinik vom 20. Oktober 1991 vor, der die nochmalige Einholung eines pathologischen Gutachtens empfahl, in dessen Rahmen die Lungenschnittpräparate des Prof. und die lungenbioptischen Befunde des Prof. ausgewertet werden sollten.

Das SG zog einen Bericht des Prof. vom 10. April 1991 bei und beauftragte Prof. mit der Erstellung eines Gutachtens. Der empfahl vorab, ein Zusatzgutachten bei Dr. einzuholen zur Fragestellung, inwiefern insbesondere die Einwirkung von Aluminium- und Schleifscheibenstäuben als BK-verursachend in Betracht kämen. Dr. erstellte das pneumologisch-internistische Gutachten nach Aktenlage vom 11. November 1991 und gelangte darin zu dem Ergebnis, daß beim Versicherten keine Ziffern-BK Anerkennung finden könne. Eine Silikose nach Ziffer 4101 sei nicht nachgewiesen angesichts einer nur geringgradigen Quarzstaubexposition und untypischer röntgenologischer Lungenveränderungen. Eine Asbestose im Sinne der Ziffer 4103 komme ebenfalls nicht in Betracht mangels ausreichender Exposition. Eine Aluminose nach Ziffer 4106 sei nicht anzunehmen, da die Lungenfunktionsveränderungen hierfür ebenso untypisch sei wie die Leidensentwicklung. Eine Hartmetallunge könne zur Anerkennung als BK nach Ziffer 4107 nicht empfohlen werden, da die Lungenveränderungen bereits 1976 nachweisbar gewesen seien und damit schon vor Auftreten einer erheblichen Staubbelastung des Versicherten am Arbeitsplatz.

Die Beklagte ließ ihren TAD insbesondere zur Frage der Aluminiumstaubbelastung des Versicherten nachermitteln (Stellungnahme des TAD vom 10. Februar 1992). Auf Veranlassung des SG erstellte Prof. sodann das pathologische Gutachten vom 22. Juli 1992 und gelangte darin zu der Feststellung, nach den Ergebnissen der licht- und rasterelektronenmikroskopischen Untersuchungen liege beim Versicherten eine berufsbedingte feinstreifige Mischstaubpneumokoniose vor, die nicht einer bestimmten BK-Ziffer zugeordnet werden könne. Nach den histomorphologischen Veränderungen sei anzunehmen, daß eine wechselseitige kumulative Wirkung zwischen den einzelnen eingeatmeten und im Lungengewebe inkorporierten, berufsbedingten Staubarten vorliege, die zu der Entwicklung einer feinstreifigen berufsbedingten Mischstaubpneumokoniose geführt habe. Eine Asbesteinwirkung sei nicht nachweisbar und das Vorliegen einer Asbestose als BK mit Wahrscheinlichkeit auszuschließen. Die Staubablagerungen seien in den Fibrosezonen inkorporiert und somit für die Entstehung der interstitiellen Lungenfibrose verantwortlich zu machen. Es handele sich um aluminium- und eisenhaltige Silikate sowie reine Silitium- und Aluminiumablagerungen. Weiterhin könnten hohe Eisenablagerungen zum Teil mit hohen Chrom- und niedrigen Titananteilen und vereinzelt Glasfasern nachgewiesen werden.

Mit Urteil vom 17. November 1992 hat das SG die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 27. Juni 1990 verurteilt, die Atemwegserkrankung des Versicherten wie eine BK zu entschädigen. Die Voraussetzungen der BK-Ziffern 4101, 4103, 4106 und 4107 seien nach Ansicht aller Sachverständigen nicht erfüllt. Das Leiden des Versicherten sei aber wie eine BK zu entschädigen, was aus dem Gutachten des Prof. begründet hervorgehe.

Die Beklagte hat gegen das ihr am 15. Januar 1993 zugestellte Urteil am 18. Januar 1993 Berufung eingelegt, zu deren Begründung sie vorgetragen hat, die Voraussetzungen des § 551 Abs. 2 RVO seien im Gutachten des Prof wie auch in den Äußerungen des Prof. nicht im einzelnen behandelt. Sie lägen auch entgegen der erstinstanzlichen Entscheidung in den Personen des Versicherten nicht vor, wie die im Verwaltungsverfahren erstatteten Gutachten überzeugend nachgewiesen hätten. Durch epidemiologische Untersuchungen habe bisher nicht der Nachweis geführt werden können, daß Schweißer überhäufig an Lungenleiden erkrankten, weswegen die Beklagte insbesondere auf Schreiben ihres Hauptverbandes vom 12. Februar und 22. Oktober 1993 verwiesen hat.

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgericht Kassel vom 17. November 1992 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.

Der Senat hat das Gutachten des Prof. vom 31. Januar 1995 eingeholt, welches dieser in Zusammenarbeit mit Dr. erstattet hat. Er ist umfassend auf die Arbeitsanamnese des Versicherten insbesondere im Zeitraum von 1968 bis 1988 bei der Firma eingegangen. Die bei ihm diagnostizierte interstitielle Lungenfibrose mit histo-pathologischem Nachweis inkorporierter Staubablagerungen mit erheblicher Diffusionsstörung, die Therapiebedürftigkeit mittels systemischer Corticoide und der sekundären Komplikation eines Cor pulmonale sehe er als wahrscheinlich beruflich bedingt an. Die Anerkennung des Leidens als Ziffern-BK komme in Übereinstimmung mit den Vorgutachtern und der erstinstanzlichen Entscheidung nicht in Betracht. Der Versicherte erfülle indessen die Voraussetzungen des § 551 Abs. 2 RVO. Vollzeitschweißer seien unter ungünstigen arbeitstechnischen Bedingungen durch ihre berufliche Tätigkeit eine besonders gefährdete Personengruppe. Epidemiologische Untersuchungen lägen gegenwärtig hierzu nicht vor, seien aufgrund der Schwierigkeiten der Diagnosesicherung sowie der Seltenheit der Erkrankung aber auch nicht zu erwarten. Trotz der Tatsache, daß Fallbeschreibungen die schwächste Form des Nachweises für einen Ursachen-Wirkungszusammenhang darstellten, ergebe die Zahl gleichartiger Erkrankungen, die über einen jahrzehntelangen Zeitraum in Verbindung mit dem Fortschritt der pathologisch-anatomischen Methodenentwicklung in den letzten Jahren diagnostiziert worden sei, den Nachweis, daß Lungenfibrosen nach langjähriger Einwirkung von Schweißrauchen unter ungünstigen Expositionsbedingungen in einem kausalen Zusammenhang mit der beruflichen Schadstoffexposition stünden. Schweißrauche und deren Bestandteile seien unter bestimmten Expositionsbedingungen generell geeignet, eine fibrosierende Lungenerkrankung zu verursachen. Im Falle des Versicherten fänden sich keine bekannten konkurrierenden Faktoren für das Entstehen einer Lungenfibrose. Insbesondere hätten keine Einwirkungen der bekanntermaßen fibrogenen Asbestfaser- oder Quarzstäube bestanden. Den geringen Rauchgewohnheiten des Versicherten könne keine wesentliche Bedeutung für die Entstehung seiner Lungenfibrose beigelegt werden. In der Zeit nach 1986 hätten sich die wissenschaftlichen Erkenntnisse zur BK-Reife verdichtet, da Fallserien publiziert worden seien, bei denen unter Anwendung strengster Kausalitätskriterien und pathologisch-anatomischer Methoden eine kausale Zuordnung von Schweißrauchbestandteilen und fibrotischen Lungenreaktionen hätten nachgewiesen werden können. Auch im Tierversuch habe man die lokale fibrosierende Wirkung durch inhalierte Schweißrauchbestandteile seitdem nachweisen können. Der ursächliche Zusammenhang sei auch im konkreten Einzelfall nachzuweisen, da der Versicherte von 1968 bis 1988 Schweißrauchen und ungünstigen arbeitstechnischen Bedingungen ausgesetzt gewesen sei. Die Röntgenmikroskopanalyse zeige in den Fibrosezonen inkorporierte Staubablagerungen, wie sie bei Schweißern typisch seien. Seit Sicherung der Lungenfibrose durch die offene Lungenbiopsie am 11. Oktober 1988 sei die BK-bedingte MdE mit 40 v.H., seit 13. Juli 1989 mit 50 v.H., seit 17. Januar 1991 mit 70 v.H. und ab ihrer Untersuchung am 5. September 1994 mit 80 v.H. zu bewerten.

Die Beklagte hat dem Gutachten entgegnet, der Versicherte habe lediglich ein Fünftel seiner Arbeitszeit mit Schweiß- und Brennschneidearbeiten verbracht, während er im übrigen zu 80 % Schlosser- und Schleifarbeiten verrichtet habe. Insoweit hat sie ergänzende Stellungnahmen des TAD vom 10. Mai und 1. September 1995 vorgelegt. Prof. habe danach nicht davon ausgehen dürfen, daß der Versicherte als Vollzeitschweißer anzusehen sei. Des weiteren hat die Beklagte auf die Ergebnisse der 35. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin vom 15. bis 18. Mai 1995 in Wiesbaden über das Thema Lungenfibrosen nach langjähriger Einwirkung von Schweißrauchen verwiesen. Aufgrund der dort vorgestellten neuen Erkenntnisse erkenne sie im Einzelfall Lungenfibrosen wie eine BK an, wenn die haftungsbegründende Kausalität bestehe und im Rahmen der haftungsausfüllenden Kausalität die Diagnose einer interstitiellen Lungenfibrose gesichert sei. Die haftungsbegründende Kausalität sei anzunehmen, wenn der Versicherte zur Berufsgruppe der Vollzeitschweißer gehöre, ungünstige Expositionsbedingungen aufgewiesen habe und eine mindestens 10 bis 12-jährige Verrichtung der Tätigkeit unter den genannten Bedingungen in Betracht komme. Die Anerkennung beim Versicherten scheitere bereits daran, daß er nicht Vollzeitschweißer gewesen sei. Der Versicherte hat vorgetragen, er habe in einem Umfang von 30 bis 50 % seiner Arbeitszeit Schweißarbeiten verrichtet.

Im Erörterungstermin vom 5. Dezember 1995 wurden die früheren Meister des Klägers und als Zeugen zur beruflichen Belastung des Versicherten bei der Firma im Zeitraum von 1968 bis 1988 gehört. Als Ergebnis der Zeugenbefragung blieb festzuhalten, daß der Versicherte allenfalls während der Hälfte seiner Tätigkeit Schweiß- und Brennarbeiten verrichtet hatte. Prof. und Dr. wurden sodann ergänzend gehört und führten mit Stellungnahme vom 15. Februar 1996 aus, nach den Erkenntnissen der 35. Jahrestagung in Wiesbaden seien als Kriterien für die kausale Einordnung von Lungenfibrosen nach Einwirkung von Schweißrauchen empfohlen: Der Nachweis einer vieljährigen Einwirkung von Schweißrauchen in hoher Konzentration; eine Objektivierung der Diagnose einer Lungenfibrose von Krankheitswert und der Ausschluß außerberuflicher Faktoren, die zu einer Lungenfibrose führen könnten. Sämtliche Kriterien würden vom Versicherten erfüllt und stellten die derzeit vertretene arbeitsmedizinisch-wissenschaftliche Lehrmeinung dar. Die sicherheitstechnischen Angaben des TAD, daß ungünstige Expositionsbedingungen beim Versicherten nicht vorgelegen hätten, seien von geringer Bedeutung, da der TAD selbst ausführe, daß davon auszugehen sei, daß der Versicherte sich während der Brennarbeiten innerhalb der aufsteigenden Brennrauche befunden habe. Bei der von Prof. durchgeführten Röntgenmikroanalyse habe es sich um ein Bio-Monitoring zum sicheren Nachweis der Einwirkung von Schweißrauchen gehandelt. Die histologische Untersuchung der Lungen weise einwandfrei in den Fibrosezonen die inkorporierten Staubablagerungen nach, wie sie bei Schweißrauchen und beim Plasmaschneiden typisch seien. Darüber hinaus spreche der Nachweis von Schweißrauchpartikeln in unmittelbarer topographischer Beziehung zu feingeweblich fibrogenen Reaktionen des Lungengewebes für den kausalen Zusammenhang. Aus diesen Befunden könne abgeleitet werden, daß dem Plasmaschneiden ein wesentlicher Anteil bei der Verursachung der Krankheit zukomme. Offensichtlich habe die Schweißrauchbelastung mit Tätigkeiten innerhalb der aufsteigenden Schweißrauche von "nur” 20 bis 50 % der Arbeitszeit ausgereicht, um die beim Versicherten einwandfrei diagnostizierte Lungenfibrose zu verursachen. Die Einwirkungen beim Plasmaschneiden seien denen des Schweißens vergleichbar.

Die Beklagte hat abschließend ausgeführt, sie halte es nicht für erwiesen, daß der Versicherte zur Berufsgruppe der Vollzeitschweißer gehört habe und daß er ungünstigen Arbeitsbedingungen ausgesetzt gewesen sei. Zudem habe er die Schweißertätigkeit nur von 1980 bis 1988 und damit weniger als 10 Jahre verrichtet. Insoweit hat die Beklagte eine Stellungnahme des TAD vom 7. Mai 1996 vorgelegt.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Beklagte ist nicht begründet, da das SG sie zu Recht dem Grunde nach (§ 130 SGG) verurteilt hat, die Pneumokonoise des Versicherten wie eine BK (§ 551 Abs. 2 RVO) zu entschädigen. Anstelle des am 4. Oktober 1996 verstorbenen Versicherten hat dessen Ehefrau den Rechtsstreit fortgeführt (§§ 239, 246 Zivilprozeßordnung –ZPO– i.V.m. 202 SGG), der auch als Sonderrechtsnachfolgerin im Sinne des § 56 Abs. 1 Sozialgesetzbuch, – Allgemeiner Teil – (SGB 1) die Lebzeitenansprüche des Versicherten, insbesondere sein Anspruch auf Verletztenrente aus §§ 580, 581 RVO, zustehen. Denn ihrer glaubhaften Erklärung vor dem Senat folgend hat sie zum Todeszeitpunkt mit dem Versicherten in einem gemeinsamen Haushalt gelebt.

Das SG hat zutreffend verneint, daß die Atemwegserkrankung des Versicherten als Ziffern-BK nach Nrn. 4101 (Silikose), 4103 (Asbestose), 4106 (Aluminose) oder 4107 (Hartmetallunge) Anerkennung finden kann, Prof. hat sich die erstinstanzliche Entscheidung bestätigend im Berufungsverfahren mit Gutachten vom 31. Januar 1995 der zu diesen BK-Ziffern übereinstimmenden Auffassung aller zuvor gehörten Sachverständigen angeschlossen, wonach der Versicherte die Voraussetzungen keiner dieser BK’en erfüllte.

Eine Entschädigung des beim Versicherten festgestellten Atemwegsleiden kam daher nur in Betracht, da er die Voraussetzungen des § 551 Abs. 2 RVO erfüllte, wovon das SG richtigerweise ausgegangen ist. Nach dieser Vorschrift sollen die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung im Einzelfall eine Krankheit, auch wenn sie nicht in der BKVO bezeichnet ist oder die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine BK entschädigen, sofern nach neuen Erkenntnissen die übrigen Voraussetzungen des § 551 Abs. 1 RVO erfüllt sind. Eine abgrenzbare Personengruppe muß bei ihrer Arbeit in erheblich höherem Maße als die übrige Bevölkerung bestimmten gesundheitsschädlichen Einwirkungen ausgesetzt sein, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft geeignet sind, Krankheiten der jeweiligen Art zu verursachen. Der ursächliche Zusammenhang der Krankheit mit der gefährdenden Arbeit muß zudem im konkreten Fall hinreichend wahrscheinlich sein. Sinn dieser Regelung ist es nicht, jede Krankheit, deren ursächlicher Zusammenhang mit der Berufstätigkeit im Einzelfall nachgewiesen oder hinreichend wahrscheinlich ist, wie eine BK zu entschädigen. Entschädigt werden sollen nur solche Erkrankungen, die nur deshalb nicht in die Liste der BK’en aufgenommen worden sind, weil die Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft über die Gefährdung bestimmter Personengruppen in ihrer Arbeit bei der letzten Fassung der Anlage 1 zur BKVO noch nicht vorhanden waren, sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht zur BK-Reife verdichtet hatten, trotz Nachprüfung noch nicht ausreichten oder dem Verordnungsgeber noch nicht bekannt waren (BSGE 59, 295; 72, 303, 305; Urteil vom 25. August 1994, Az.: 2 RU 42/93; Bundessozialgericht –BSG– in SozR 2200 Nr. 18 zu § 551 RVO; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, S. 492 n ff; Bereiter-Hahn u.a., Gesetzliche Unfallversicherung, Anm. 8 zu § 551 RVO), es sich somit um "neue Erkenntnisse” im Sinne der Bestimmung handelt.

Dem Berufungsvorbringen der Beklagten folgend ließen sich mit dem pathologischen Gutachten des Prof. vom 22. Juli 1992 sowie den Berichten des den Kläger behandelnden Prof. die Anerkennungsvoraussetzung des § 551 Abs. 2 nicht hinreichend begründen. Prof. hat in seinem Gutachten vom 31. Januar 1995 mit Ergänzung vom 15. Februar 1996 jedoch alle relevanten Tatbestandsmerkmale zur Überzeugung des Senats bejaht, um die Pneumokoniose des Versicherten wie eine BK anerkennen zu können.

Die nach § 551 Abs. 2 RVO allgemeinen zu fordernde gruppenspezifische Risikoerhöhung ist im Falle der Lungenfibrose von Schweißern nicht mit der im allgemeinen geforderten langfristigen zeitlichen Überwachung des Krankengutes zum Nachweis einer Fülle gleichartiger Gesundheitsstörungen (dazu BSGE 59, 295; Urteile des BSG vom 12. Juni 1990, Az.: 2 RU 21/89 und vom 24. Januar 1990, Az.: 2 RU 20/89 sowie Beschluss des BSG vom 30. Juni 1993, Az.: 2 BU 212/92; Urteil des Senats vom 8. November 1995, Az.: L-3/U-143/95) zu erbringen, da infolge der Seltenheit dieses Leidens statistisch abgesicherte Erkenntnisse im vorgenannten Sinne nicht erhoben worden sind. Insofern besteht Einvernehmen zwischen Professor im Gutachten vom 13. Juli 1989 und im Gutachten vom 12. Dezember 1989 einerseits und Prof. im Gutachten vom 31. Januar 1995 andererseits. Darüber hinausgehend hat Prof. zutreffend dargelegt, daß statistisch abgesicherte Erkenntnisse in diesem Sinne nicht zu erheben sind, da das Krankheitsbild nur schwer zu diagnostizieren ist und eine für eine derartige statistische Absicherung erforderliche Verbreitung nicht aufweist, daß jedoch neben eigenen Fallbeobachtungen eine Vielzahl gleichartiger Gesundheitsstörungen, Fallsammlungen und internationale Literatur es rechtfertigen, Schweißrauch als generell geeignet zur Herbeiführung einer Lungenfibrose anzusehen. Diese jahrzehntelangen Erfahrungen zusammen mit dem Fortschreiten der pathologisch-anatomischen Methodenentwicklung der letzten Jahre haben den Nachweis erbracht, daß Lungenfibrosen nach langjähriger Einwirkung von Schweißrauchen unter ungünstigen Expositionsbedingungen mit dieser Schadstoffbelastung in einem kausalen Zusammenhang stehen. Danach zählen Schweißer, die als sog. "Vollzeitschweißer” unter unzureichenden arbeitshygienischen Bedingungen tätig sind, zu einem besonders gefährdeten Berufskollektiv.

Der Senat folgt Prof. in diesem Punkt, da auch bei anderen eine statistische Signifikanz nur bedingt erreichenden Gesundheitsstörungen der Nachweis einer gruppenspezifischen Risikoerhöhung maßgeblich auf Fall-Kontroll-Studien gestützt wurde und derartige Studien beispielsweise bei der BK-Anerkennung von Kehlkopfkrebserkrankungen durch Asbest als ausreichend angesehen wurden. Der Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften hat im Rundschreiben VB 92/96 vom 23. Mai 1996 auf ein Schreiben des Bundesarbeitsministers vom 30. April 1996 verwiesen, wonach der dortige ärztliche Sachverständigenbeirat dem Verordnungsgeber die entsprechende Ergänzung der Ziffer 4104 der Anlage 1 zur BKVO empfohlen hat. Die wissenschaftliche Begründung des Sachverständigenbeirats führt unter Punkt 2 aus, zusammenfassend sprächen insbesondere die Fall-Kontroll-Studien für die wesentliche Mitverursachung eines Kehlkopfkarzinoms durch eine langjährige und intensive Asbestfaserstaub-Einwirkung am Arbeitsplatz, wobei auch die Ergebnisse von Kohortenstudien in die gleiche Richtung weisen sollen. Schon die Entschließung des Hauptverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften im Rundschreiben VB 102/93 vom 11. November 1993 argumentierte ebenso und hielt insbesondere nicht an der im allgemeinen geforderten langfristigen, statistisch eingehend begründeten Dokumentation als Nachweisanforderung fest.

Diese medizinischen Erkenntnisse sind "neu” im Sinne des § 551 Abs. 2 RVO, da sie sich erst nach Inkrafttreten der 2. Änderungsverordnung vom 18. Dezember 1992 zum 1. Januar 1993 zur BK-Reife verdichtet haben. Der Verordnungsgeber konnte dieselben bei der Neufassung der 1. und 2. Änderungsverordnung folglich nicht berücksichtigen. Die weitergehende Vertiefung der pathologisch-anatomischen Diagnostik unter Anwendung von energiedisperser Röntgenmikronalyse führten zu einer zunehmenden Validierung der Erkenntnisse und zumindest nach der 35. Jahrestagung der deutschen Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin vom 15. bis 18. Mai 1995 in Wiesbaden zum Thema "Lungenfibrosen nach langjähriger Einwirkung von Schweißrauchen” haben die Erkenntnisse BK-Reife erlangt. Sie führten – wie von der Beklagten in der Anlage 1 zum Schriftsatz vom 20. August 1996 mitgeteilt – zur Aufnahme erneuter Beratungen im ärztlichen Sachverständigenbeirat und veranlaßte den Hauptverband der Beklagten mit Zustimmung der Geschäftsführer laut Protokoll der Besprechung vom 21.–22. Juni 1995 in Ladenburg Anerkennungsvoraussetzungen nach § 551 Abs. 2 RVO zu präzisieren. Nach der von Prof. als herrschend bezeichneten Auffassung in der Arbeitsmedizin, die sein Mitarbeiter Dr. auf der vorgenannten Jahrestagung unter Auswertung zahlreicher Gutachten vorgetragen hatte, ist eine diagnostisch gesicherte Lungenfibrose bei einem Schweißer wie eine BK anzuerkennen, wenn er über viele Jahre der Einwirkung von Schweißrauchen in hoher Konzentration ausgesetzt war und außerberufliche für eine Lungenfibrose kausale Faktoren ausgeschlossen werden können. Die Beklagte fordert daran angelehnt, um eine diagnostisch gesicherte interstitielle Lungenfibrose wie eine BK anerkennen zu können, daß der Versicherte "Vollzeitschweißer” war, zudem unter ungünstigen Arbeitsbedingungen tätig war, diese Arbeiten mindestens 10 bis 12 Jahre verrichtet hat und andere Erkrankungsursachen auszuschließen sind.

Diese neuen Erkenntnisse hatte der Senat bei seiner Entscheidung in Anbetracht des im Februar 1988 erstmals aufgetretenen Atemwegsleidens des Versicherten seiner Entscheidung zugrunde zu legen. Denn das SG hatte über eine vom Kläger erhobene verbundene Anfechtungs- und Leistungsklage im Sinne des § 54 Abs. 4 SGG entschieden und die Beklagte zur Entschädigung dem Grunde nach gemäß § 130 SGG verurteilt. Im dagegen von der Beklagten eingeleiteten Berufungsverfahren war für die Entscheidung des Senats die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung zu beachten (zum maßgeblichen Zeitpunkt bei Verpflichtungs- und Leistungsklagen: Meyer-Ladewig, SGG mit Erläuterungen, Anm. 34 zu § 54 m.w.N.). Werden neue medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnisse gewonnen, ist es im allgemeinen geboten und bei Vorteilhaftigkeit für die Betroffenen unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes zudem unbedenklich, auch zurückliegende Sachverhalte nach diesen mittlerweile vorliegenden Erkenntnissen zu bewerten (ebenso die Rechtsprechung des BSG zur Frage absoluter Fahruntüchtigkeit bei Alkoholgenuß und einer Blutalkoholkonzentration von jetzt 1,1 ‰ gegenüber früher 1,3 ‰ im Urteil vom 25. November 1992, Az.: 2 RU 40/91, der sich der Senat angeschlossen hat). Dies hatte zur Folge, daß für den Senat die mittlerweile zur BK-Reife verdichteten medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Frage des ursächlichen Zusammenhangs beruflicher Belastungen und der Entstehung von Lungenfibrosen bei Schweißern im allgemeinen wie auch konkret im Fall des Versicherten entscheidungserheblich werden mußten.

Der Senat konnte der Berufung der Beklagten auch nicht im Hinblick auf die Entscheidung des BSG vom 22. Februar 1979, Az.: 8 a RU 44/78, stattgeben, wonach bei Anerkennung einer Erkrankung wie eine BK nach § 551 Abs. 2 RVO wie bei allen Sozialversicherungsansprüchen die Anspruchsvoraussetzung im Zeitpunkt des Versicherungsfalles erfüllt sein müssen mit der Folge, daß die beim Kläger 1988 aufgetretene Lungenerkrankung bei frühestens 1995 gesicherten medizinischen Erkenntnissen zur Anerkennungsfähigkeit nicht wie eine BK zu entschädigen gewesen wäre (ebenso BSGE 49, 148, 150; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 15. Dezember 1987, Az.: L-15/BU-40/86 sowie zuletzt Urteil des Senats vom 8. November 1995, Az.: L-3/U-143/95). Denn das BSG selbst folgt dieser Definition des Versicherungsfalles in anderen Entscheidungen nicht. Sie findet zudem berechtigterweise Widerspruch in Literatur und Rechtsprechung und steht weder mit der ratio legis des § 551 Abs. 2 RVO in Überstimmung noch ist sie frei von verfassungsrechtlichen Bedenken. In der Entscheidung im 52. Band, S. 273, 275, stellt das BSG fest, daß die medizinischen Erkenntnisse auch aus dem entschiedenen Sonderfall gewonnen und als solche im Rahmen des § 551 Abs. 2 RVO beachtlich sein können, womit sie zur Zeit des Versicherungsfalles noch nicht bereits gesichert vorgelegen haben konnten. Auch die Entscheidung des BSG in SozR 2200 Nr. 18 zu § 551 RVO geht davon aus, daß die neuen Erkenntnisse nicht im Zeitpunkt des Auftretens der Erkrankung bereits bestanden haben müssen. Der umfangreichen Rechtsprechung des BSG zum Umfang der Rückwirkungsvorschriften des Art. 2 Abs. 2 der 2. Änderungsverordnung zur BKVO in bezug auf § 551 Abs. 2 RVO hätte es nicht bedurft, wenn das BSG gefordert hätte, daß die neuen medizinischen Erkenntnisse zum Zeitpunkt des Auftretens der Erkrankung bzw. des Todes des Versicherten hätten vorliegen müssen. Denn die einschlägigen Rechtsstreite waren sämtlich dadurch geprägt, daß die neuen medizinischen Erkenntnisse zur BK-Ziffer 4104 (Urteile vom 25. August 1994, Az.: 2 RU 42/93 sowie vom 19. Januar 1995, Az.: 2 RU 14/94) bzw. zu den BK-Ziffern 2108–2109 (Urteile vom 19. Januar 1995, Az.: 2 RU 13/94 sowie Az.: 2 RU 20/94) in der Anlage 1 zur BKVO erst nach Inkrafttreten der 1. Änderungsverordnung zum 1. April 1988 gesichert vorlagen, während die Versicherten bereits vorher erkrankt oder verstorben und – soweit Wirbelsäulenerkrankungen im Streit waren – aus dem Berufsleben ausgeschieden waren, so daß der Versicherungsfall bei Anwendung der vorgenannten Definition des Versicherungsfalles zu verneinen gewesen wäre.

Die im Urteil vom 22. Februar 1979 geforderte Definition des Versicherungsfalles wird dem Gesetzeszweck des § 551 Abs. 2 RVO und der darin für den Versicherungsträger begründeten Risikozuweisung nicht gerecht und wird auch von dem ab 1. Januar 1997 anzuwendenden § 9 Abs. 2 SGB VII nicht mehr zugrunde gelegt, der das Bestehen neuer Erkenntnisse im Zeitpunkt der Entscheidung genügen läßt. Das BSG beachtet nicht hinreichend, daß der Begriff des Versicherungsfalles kein allgemeingültiger Gesetzesbegriff mit festgelegtem Inhalt ist, sondern im Hinblick auf die jeweilige Rechtsvorschrift und das darin versicherte Risiko zu definieren ist (Urteil des BSG vom 27. Juli 1989, Az.: 2 RU 54/88). Der Versicherungsfall einer Quasi-BK tritt ein, wenn sämtliche Tatbestandsmerkmale erfüllt sind, die § 551 Abs. 2 RVO voraussetzt, um eine Erkrankung wie eine BK anerkennen zu können. § 551 Abs. 2 RVO fordert, eine Erkrankung wie eine BK zu entschädigen, wenn nach Ergehen der letzten Änderungsverordnung zur BKVO neue medizinische Erkenntnisse gewonnen wurden bzw. sich zur BK-Reife verdichtet haben, die eine Anerkennung des Leidens als BK generell und im gerade betroffenen Einzelfall rechtfertigen. Weder der Wortlaut des § 551 Abs. 2 RVO noch eine andere Bestimmung legen fest, daß nur die Einzelfälle entschädigt werden dürfen, bei denen die Erkrankung nach der Festigung neuer Erkenntnisse aufgetreten ist. Typischerweise wird es vielmehr so sein, daß zumindest eine Vielzahl von Erkrankungsfällen auftreten muß, um zu der von der Rechtsprechung im allgemeinen geforderten langfristigen zeitlichen Überwachung und eine statistisch relevante Vielzahl entsprechender Erkrankungen umfassenden Forschungsergebnissen zu gelangen, die eine Erkrankung erst zur BK qualifizieren. Folglich realisiert sich das nach § 551 Abs. 2 RVO versicherte Risiko erst zu dem Zeitpunkt, in dem entsprechende Erkenntnisse gesichert vorliegen und läßt sodann den Versicherungsfall eintreten (im Ergebnis ebenso: Koch, Die rechtlichen Voraussetzungen für die Anwendung des § 551 Abs. 2 RVO aus Sicht der gesetzlichen Unfallversicherung, in: BG 93, S. 550, 553; Eilebrecht, Die Rückwirkungsklausel der 2. Verordnung zur Änderung der BKVO (2. ÄVO), in: BG 93, S. 187, 191). Das Gebot des § 551 Abs. 2 RVO, eine Erkrankung wie eine BK zu entschädigen, stellt jedenfalls solange eine originäre Anspruchsgrundlage für die Versicherten dar und gebietet eine Entschädigung auch für "Altfälle” – ggf. unter Beachtung der §§ 44 f. Sozialgesetzbuch 10. Band (SGB X) und der Verjährungsvorschriften – wie der Verordnungsgeber die neuen Erkenntnisse nicht durch Aufnahme der Erkrankung in die BK-Liste umgesetzt hat. Erst mit diesem Akt des Verordnungsgebers u.U. verbunden mit einer Rückwirkungsregelung sind Versicherungsträger und Gerichte an einer Entschädigung von außerhalb des Rückwirkungszeitraumes liegenden "Altfällen” auch im Rahmen des § 551 Abs. 2 RVO gehindert, wie das BSG in seiner ständigen Rechtsprechung zu diesen Fragen entschieden hat. Will man als Entschädigungsvoraussetzung die Existenzen neuer Erkenntnisse zum Zeitpunkt des Auftretens der Erkrankung fordern, wäre eine Entschädigung gerade der Fälle nicht möglich, die Anlaß für die Herausbildung neuer Erkenntnisse gewesen sind, was der Senat in Übereinstimmung mit Koch (a.a.O.) im Rahmen des § 551 Abs. 2 RVO sowie unter Beachtung von dessen Normzweck für unvertretbar hält.

Allein diese Definition des Versicherungsfalles steht in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Auslegung "neuer Erkenntnisse” im Rahmen des § 551 Abs. 2 RVO im Lichte des allgemeinen Gleichheitssatzes. Danach (Beschluss vom 22. Oktober 1981 in SozR 2200 Nr. 19 zu § 551 RVO) ist ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) auch dann anzunehmen, wenn Gerichte im Wege der Auslegung gesetzlicher Vorschriften zu einer dem Gesetzgeber verwehrten Differenzierung gleichzubehandelnder Gruppen gelangen. Im Hinblick auf den allgemeinen Gleichheitssatz soll insoweit nicht einzusehen sein, warum der Umstand, daß die vom Verordnungsgeber nicht berücksichtigten wissenschaftlichen Erkenntnisse über das Vorliegen einer BK etwas früher oder später (d.h. vor oder nach Erlaß der letzten BKVO-Fassung) gewonnen worden sind, zur Folge haben soll, daß der an einer BK leidende Versicherte in einem Fall Leistungen erhält und der andere nicht. Dasselbe muß zumindest im Rahmen des § 551 Abs. 2 RVO für die Frage gelten, ob die Erkrankung vor oder nach Eintritt der BK-Reife neuer Erkenntnisse ausgebrochen ist. Sofern der Gesetz- bzw. Verordnungsgeber durch Rückwirkungsvorschriften für Ungleichbehandlungen sorgt, handelt er in originärer Kompetenz und muß sich der Überprüfung durch Fach- bzw. Verfassungsgericht stellen, was hinsichtlich der als BK zur Anerkennung gestellten Wirbelsäulenerkrankungen derzeit vor dem Bundesverfassungsgericht geschieht.

Der Senat konnte offenlassen, ob die von der Beklagten präzisierten Anerkennungsvoraussetzungen mit den von Prof. im Gutachten vom 31. Januar 1995 und Dr. auf der 35. Jahrestagung dargestellten und der herrschenden Lehre in der Arbeitsmedizin entsprechenden Vorgaben übereinstimmen oder die dort normierten Grundsätze möglicherweise verschärfen. Denn der Versicherte litt nach übereinstimmender Diagnose aller Sachverständigen an einer interstitiellen Lungenfibrose und erfüllte auch die übrigen von der Beklagten aufgestellten Vorgaben.

Er war von 1968 bis 1988 bei der Firma in im Maschinenbau als Schweißer, Plasmabrenner und Schleifer tätig. In diesem 20jährigen Zeitraum hatte er neben den bei fehlender Absaugung mit intensiver Staubbelastung verbundenen Schleifarbeiten Schweißtätigkeiten insbesondere beim Heften von Stahl- und Alublechen für Großbauteile zu verrichten, bei denen er den Schweißrauchen und Schweißgasen ausgesetzt war und mußte vor allem Schneidearbeiten mit dem Plasmabrenner verrichten, der mit Preßluft und Argon betrieben wurde und mit einer besonders intensiven Schadstoffbelastung für den Versicherten verbunden war. Dieses entnimmt der Senat den im wesentlichen übereinstimmenden Aussagen der Zeugen und zweier früherer Meister des Versicherten, die im Erörterungstermin vom 5. Dezember 1995 zudem bestätigen konnten, daß der Sachverständige Prof. im Gutachten vom 31. Januar 1995 die Schadstoffbelastung des Klägers am Arbeitsplatz in allen wesentlichen Punkten erfaßt und zutreffend zugrunde gelegt hat. In Übereinstimmung mit Prof. und zuletzt auch dem Technischen Aufsichtsdienst der Beklagten (Herrn ) in der Stellungnahme vom 7. Mai 1996 ist in Anbetracht der Tatsache, daß bei den Schweiß- und Brennarbeiten des Versicherten keine Absaugeinrichtung installiert war und er sich einen Schweißerschutzhelm tragend mit dem Kopf innerhalb der aufsteigenden Schweißrauche befand davon auszugehen, daß er der einen Vollzeitschweißer treffenden Schadstoffexposition ausgesetzt war. Dies gilt auch in Anbetracht der von den Zeugen bestätigten und vom Technischen Aufsichtsdienst wiederholt dargelegten Umstände, daß der Versicherte sicher nicht mehr als die Hälfte seiner Arbeitszeit mit Schleif- und Brennarbeiten befaßt war. Verbliebene Zweifel hinsichtlich Dauer und Intensität der Schadstoffexposition bei ungünstigen Arbeitsbedingungen sind beim Versicherten schließlich durch die Ergebnisse des pathologischen Gutachtens des Prof. vom 22. Juli 1992 überwunden. Die histologische Untersuchung des Lungengewebes mit Hilfe der energiedispersen Röntgenmikroanalyse im Rasterelektronenmikroskop hat den sicheren Nachweis der Einwirkung von Schweißrauchen erbracht, da sie in den Fibrosezonen inkorporierte, für Schweiß- und Plasmabrennrauche typische Staubablagerungen ergeben hat. Wie auch die Ergebnisniederschrift zur Geschäftsführerbesprechung vom 21./22. Juni 1995 bemerkt, kann die bei Versicherten eindeutig bestätigte direkte topographische Beziehung von abgelagerten Schweißrauchbestandteilen und der feingeweblichen fibrogenen Lungenreaktion als deutliches Indiz für den wesentlichen Kausalzusammenhang zwischen Einwirkung und aufgetretener Erkrankung angesehen werden und kann unter Umständen verbliebene Defizite bei der Exposition ausgleichen. In Übereinstimmung mit Prof. mußte der Senat danach annehmen, daß der Versicherte, der einen "Vollzeitschweißer” treffenden Schadstoffbelastung ausgesetzt und unter ungünstigen Arbeitsbedingungen für einen hinreichend langen Zeitraum tätig war. Da der geringe Zigarettenkonsum des Versicherten, der gegenüber Prof. angegeben hatte, fünf bis 10 Zigaretten pro Woche bis 1985 geraucht zu haben, als wesentliche Mitursache Prof. folgend nicht in Betracht kommt, sind keine Konkurrenzursachen festzustellen und die berufliche Schadstoffbelastung ist im konkreten Einzelfall als wesentlicher Kausalbeitrag für die Entstehung der Lungenfibrose zu werten.

Die im Verwaltungsverfahren von der Beklagten eingeholten Gutachten der Professoren vom 13. Juli 1989 und vom 12. Dezember 1989 haben sich weder mit der Frage befaßt, inwiefern die für § 551 Abs. 2 RVO zu fordernde gruppentypische Risikoerhöhung auch anders als durch umfassende epidemiologische Studien nachgewiesen werden kann, noch konnten sie die Ergebnisse des erst im Klageverfahren erstatteten pathologischen Gutachtens des Prof. vom 22. Juli 1992 und die weitere Verfeinerung der pathologisch-anatomischen Diagnostik in ihre Überlegungen einbeziehen. Ihre Aussagen entsprechen danach nicht dem aktuellen Stand der Arbeitsmedizin und den von der herrschenden Lehre dort mittlerweile vertretenen Erkenntnissen. Dasselbe gilt für die früheren Urteile des BSG zur "Elektroschweißerlunge” als Quasi-BK vom 23. Juni 1977, Az.: 2 RU 53/76, sowie vom 31. Januar 1984, Az.: 2 RU 67/82, die den aktuellen Erkenntnisstand und die Fortentwicklung der Arbeitsmedizin nicht berücksichtigen konnten.

Der Senat sah sich durch die Tatsache, daß der Verordnungsgeber mit der Frage der Anerkennung der "Elektroschweißerlunge” als BK befaßt ist, an einer Entscheidung des Rechtsstreits nicht gehindert. Er ist in Übereinstimmung mit Stimmen in Rechtsprechung und Literatur (Urteil des LSG Niedersachsen vom 17. März 1994, Az.: L-3/U-131/92; Eilebrecht, a.a.O., S. 192 und Koch, a.a.O., S. 553) der Auffassung, daß laufende Ermittlungen des Verordnungsgebers jedenfalls solange keine "Entscheidungssperre” bewirken können, als Einzelheiten dieser Entscheidung beispielsweise in Form eines Verordnungsentwurfes nicht bekannt sind. § 17 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Allgemeiner Teil verpflichtet die Leistungsträger und in gleicher Weise die deren Verwaltungshandeln überprüfenden Sozialgerichte die den Versicherten zustehenden Sozialleistungen in zeitgemäßer Weise, umfassend und schnell zu erbringen. Ein weiteres Zuwarten ist der Ehefrau des Versicherten nicht zumutbar, zumal der Versicherte selbst den Ausgang dieses seit der Antragstellung im 9. Jahr laufenden BK-Anerkennungsverfahrens nicht mehr erleben durfte. Immerhin konnte die Beklagte hinsichtlich der Bronchialkrebserkrankung noch eine Entscheidung zu Lebzeiten des Versicherten treffen, wodurch wesentliche Weichenstellungen zugunsten des Versicherten und der Klägerin geschehen sind. Auch für die Zeit ab 1988 wird die Beklagte im Rahmen der festzustellenden MdE, die Prof. mit 80 v.H. eingeschätzt hat, die dem Versicherten zu Lebzeiten zustehenden und auf die Klägerin im Wege der Sonderrechtsnachfolge übergegangenen Leistungen zu erbringen haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG, diejenige über die Nichtzulassung der Revision auf § 160 Abs. 2 SGG.
Rechtskraft
Aus
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