L 6 Ar 219/95

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Wiesbaden (HES)
Aktenzeichen
S 11 Ar 967/93
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 6 Ar 219/95
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Bietet der Schuldner einer zivilrechtlichen Forderung der Bundesanstalt für Arbeit den Abschluß eines Vergleiches an (Teilzahlung durch einen Dritten gegen Verzicht auf die Restforderung), gibt es keine gesetzliche Grundlage für eine hoheitliche Regelung durch die Bundesanstalt. Abgrenzung zu BSG vom 13.06.1989 – 2 RU 32/88 = Breithaupt 1990, S. 378.
Dennoch erlassene Verwaltungsakte (hier: Ablehnung des Vergleichsangebots) unterliegen der Aufhebung mangels Rechtsgrundlage.
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden vom 7. Dezember 1994 wird zurückgewiesen.

II. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Es geht in dem Rechtsstreit um die Frage, wie ein vom Kläger angeregtes Vergleichsangebot von der Beklagten bearbeitet werden kann.

Die Beklagte erwirkte gegen den Kläger ein arbeitsgerichtliches Versäumnisurteil vom 31. Mai 1990 über 132.944,69 DM nebst 7 % Zinsen ab 12. Januar 1990. Vollstreckungsversuche blieben bisher fruchtlos.

Mit Schreiben seiner Bevollmächtigten vom 14. April 1992 ließ der Kläger bei der Beklagten anfragen, ob die Möglichkeit bestehe, über evtl. sanierungsbereite Dritte und einen Verzicht des Großteils der Forderung zu einer Entschuldung zu kommen. Mit Schreiben vom 21. Dezember 1992 wurde vom Kläger eine Quote von 30 % angesprochen. Die Beklagte begehrte vom Kläger eine Selbstauskunft, eine Gläubigeraufstellung und einen Lohnnachweis über die letzten drei Monate. Nach weiterem Schriftwechsel lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 14. April 1993 das Vergleichsangebot unter Hinweis auf § 66 Abs. 1 Sozialgesetzbuch I (SGB I) ab, da der Kläger die erforderlichen Unterlagen nicht vorgelegt habe.

Hiergegen richtet sich der Widerspruch vom 21. April 1993.

Mit Widerspruchsbescheid vom 11. November 1993 hat die Beklagte den Widerspruch zurückgewiesen und zur Begründung im wesentlichen ausgeführt, zur Überprüfung der Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit des Vergleichangebotes sei der Kläger aufgefordert worden, seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse darzulegen. Nachdem dies nicht erfolgt sei, sei die Entscheidung nach Aktenlage ergangen. Der Widerspruch sei nach Überprüfung als unbegründet zurückzuweisen.

Hiergegen hat der Kläger am 24. November 1993 Klage erhoben und die Aufhebung der angefochtenen Bescheide begehrt. Er hat vorgetragen, daß ihm eine Offenbarung der Einzelvereinbarung mit den anderen vergleichsbereiten Gläubigern bzw. über die bereits abgeschlossenen 20 Vergleiche ohne eine einheitliche Quote mit Individualquoten von etwa 43 % (der Hauptforderungen) bzw. etwa 26 % (einschließlich Zinsen und Kosten) unzumutbar sei, da er damit die übrigen Vergleichsverhandlungen gefährden würde.

Die Beklagte hat vorgetragen, nach § 7 Bundeshaushaltsordnung (BHO) seien die Voraussetzungen zum Abschluß eines Vergleichs nach pflichtgemäßem Ermessen entsprechend dem Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit für jeden Einzelfall zu beurteilen. Deshalb obliege es dem Kläger die erforderlichen Prüfungsgrundlagen offen zu legen. Dazu gehörten die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse und die geforderte Gläubigeraufstellung.

Mit Urteil vom 7. Dezember 1994 hat das Sozialgericht Wiesbaden die angefochtenen Bescheide aufgehoben. In der Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, die Beklagte sei nicht berechtigt, die Vergleichsverhandlungen mit dem Kläger durch Verwaltungsakt zu regulieren. Gegenstand der Vergleichsverhandlungen sei eine zivilrechtliche Forderung, da es sich um Arbeitsentgeltansprüche handele, die durch gesetzlichen Forderungsübergang auf die Beklagte übergegangen seien, § 141m Arbeitsförderungsgesetz (AFG). Ein Sozialversicherungsverhältnis entstehe dadurch nicht, was sich auch daran zeige, daß die Forderung vor dem Arbeitsgericht erstritten worden sei. Der Kläger habe auch keinen Antrag nach § 76 SGB IV gestellt, der zu bescheiden gewesen wäre. Doch selbst, wenn die Beklagte berechtigt gewesen wäre, die Vergleichsverhandlungen hoheitlich zu regeln, böte jedenfalls § 60 SGB I für den Verwaltungsakt keine Rechtsgrundlage, da insoweit nur leistungsberechtigte Antragsteller von Sozialleistungen davon erfaßt würden. Dazu gehöre der Kläger jedenfalls nicht.

Gegen das ihr am 6. Februar 1995 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 6. März 1995 Berufung eingelegt.

Die Beklagte trägt vor, der Sichtweise des erstinstanzlichen Urteils stehe das Urteil des Bundessozialgerichts vom 13. Juni 1989 (2 RU 32/88 = Breithaupt 1990, S. 378 ff.) entgegen. Der Kläger mache einen öffentlich-rechtlichen Anspruch auf Entscheidung darüber geltend, ob der gegen ihn gerichtete bürgerlich-rechtliche Anspruch durch einen Vergleich geregelt werde. § 58 BHO stelle eine Norm des öffentlichen Rechts dar und regele die öffentlich-rechtliche Befugnis zum Abschluß von Vergleichen. Für das hiermit eröffnete öffentlich-rechtliche Verwaltungsverfahren hätten sowohl der Untersuchungsgrundsatz als auch die objektive Feststellungslast gemäß § 20 SGB X Geltung. Da der angestrebte Vergleich einen geldwerten Vorteil für den Kläger darstelle, fänden §§ 60, 66 SGB X analoge Anwendung.

Die Beklagte beantragt (sinngemäß),
das Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden vom 7. Dezember 1994 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger bezieht sich auf die erstinstanzliche Entscheidung.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten sowie der Gerichtsakten ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt, § 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die Berufung ist auch zulässig.

Der erkennende Senat hält die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich. Nach vorheriger schriftlicher Anhörung der Beteiligten ist der erkennende Senat nach pflichtgemäßer Ermessensausübung zu dem Ergebnis gelangt, die Berufung durch Beschluss zurückzuweisen, § 153 Abs. 4 SGG.

Das angefochtene Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden vom 7. Dezember 1994 ist unter Berücksichtigung des Berichtigungsbeschlusses vom 26. Januar 1995 nicht zu beanstanden. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 14. April 1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. November 1993 ist rechtswidrig. Die Aufhebung durch das angefochtene Urteil erfolgte damit zu Recht.

Für die Beklagte bestand keine rechtliche Grundlage, den vom Kläger angebotenen Vergleich mit hoheitlichen Mitteln zu betreiben, Auflagen zu erteilen, Mitwirkungspflichten einzufordern und die Ablehnung in die Form eines Verwaltungsaktes zu gießen. Der erkennende Senat weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung des Sozialgerichts zurück und sieht deshalb insoweit von einer Wiederholung der dortigen ausführlichen und überzeugenden Entscheidungsgründe ab, § 153 Abs. 2 SGG.

Soweit die Beklagte auf das Urteil des Bundessozialgerichts vom 13. Juni 1989 (2 RU 32/88) hinweist, erweist sich diese Entscheidung gerade nicht als einschlägig, da der Sachverhalt anders gelagert ist. Im dortigen Fall beantragte der Schuldner einer auf die Verwaltung übergegangenen zivilrechtlichen Forderung den Erlaß dieser Forderung. Dieser Antrag auf Erlaß wird von dem Bundessozialgericht als öffentlich-rechtlicher Anspruch auf Entscheidung (auch über den Abschluß eines privatrechtlichen Vertrages) gesehen.

Im vorliegenden Fall beantragt der Kläger jedoch keinen Vergleich oder berühmt sich eines entsprechenden Anspruchs. Vielmehr bleibt er mit seinem Angebot auf vergleichsweise Regelung auf dem Boden des Zivilrechts. Nach der Definition im Großen Brockhaus (Band 12, 1981, Vergleich) ist ein Vergleich ein Vertrag, der den Streit oder die Ungewißheit der Parteien über ein Rechtsverhältnis durch gegenseitiges Nachgeben beseitigt. Die zwischen den Beteiligten bestehende Ungewißheit besteht in der Frage, ob die Beklagte aus dem arbeitsgerichtlichen Urteil vom 31. Mai 1990 jemals erfolgreich gegen den Kläger vollstrecken kann, bzw. wenn ja, bis zu welcher Höhe. Vertragsangebote im Zivilrecht kann der Adressat annehmen oder ablehnen, letzteres ggf. verbunden mit einem eigenen Angebot, §§ 146 ff. BGB. Eine irgendwie geartete Zwangsmöglichkeit zur Offenbarung bestimmter Daten und Fakten hat ein Vergleichsinteressent nicht. Es liegt auch im Wesen eines Vergleichs begründet, daß keiner der Vergleichschließenden letzte Klarheit darüber erhalten kann, ob er den Vergleich nicht vielleicht doch noch zu günstigeren Bedingungen hätte schließen können. Soweit die Beklagte sich den Regeln der BHO verpflichtet fühlt, hat dies keine Bedeutung dem Kläger gegenüber. Die Beklagte hat allerdings das Recht, einen Vergleich dann abzulehnen, wenn sie der Meinung ist, daß sie anderenfalls Haushaltsrecht verletzen würde. Für eine Ablehnung des Vergleichs in hoheitlicher Form bestand für die Beklagte jedoch keine Rechtsgrundlage. Die Bescheide sind deshalb bereits aus diesem Grund aufzuheben. Umgekehrt hätte der Kläger gegen die schlichte Ablehnung des angebotenen Vergleichs keine rechtliche Handhabe gehabt. Entweder hätten die Beteiligten sich auf einer gemeinsamen Vergleichsbasis getroffen (was ihnen immer noch offen steht) oder ein Vergleich wäre eben nicht zustande gekommen, was schon vor der Führung des sozialgerichtlichen Verfahrens der Fall war und sich auch nach rechtskräftigem Abschluß nicht geändert haben wird. Die Ablehnung eines Vergleichsangebots durch die Beklagte in Form eines Verwaltungsaktes führt lediglich zu einer Beschäftigung der Sozialgerichtsbarkeit, ohne daß hierdurch ein evtl. Vergleich zwischen den Beteiligten gefördert würde.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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