L 6 Ar 394/96

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
S 14 Ar 1167/95
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 6 Ar 394/96
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 7. Februar 1996 wird zurückgewiesen.

II. Die Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosengeld ab 14. Dezember 1994.

Die Klägerin, geboren im Jahre 1956, ist spanische Staatsangehörige. Sie war von April 1991 bis einschließlich 15. Februar 1993 in der Kantine der Dresdner Bank in Frankfurt am Main beschäftigt und wurde vom 15. Februar 1993 bis zum 31. Dezember 1994 wegen einer Erkrankung als beitragsfreie Arbeitnehmerin geführt. Die Klägerin bezog vom 15. Februar 1993 bis zum 16. Oktober 1994 Krankengeld. Am 25. Mai 1994 hatte die Klägerin bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) einen Rentenantrag wegen Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit gestellt und meldete sich am 14. September 1994 bei der Beklagten arbeitslos und beantragte die Gewährung von Arbeitslosengeld unter Hinweis auf den gestellten Rentenantrag. Zugleich legte die Klägerin eine ärztliche Bescheinigung von Frau vom 13. Oktober 1994 vor. Danach leide die Klägerin an einer fibrösen Dysplasie und sei auf Dauer arbeitsunfähig. Ein Rentenantrag sei bereits gestellt worden.

Die Beklagte wies die Klägerin mit Schreiben vom 10. November 1994 darauf hin, daß sie der Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung stehe. Wie ihr bereits in einem Beratungsgespräch mitgeteilt worden sei, sei ihre Leistungsfähigkeit soweit gemindert, daß sie eine Beschäftigung von 18 oder mehr Wochenstunden nicht ausüben könne. Gleichwohl habe sie gemäß § 105 a Abs. 1 S. 2 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) einen Anspruch auf Leistungen bis die gesetzliche Rentenversicherung festgestellt habe, ob Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit vorliege. Die Klägerin sei jedoch dem Arbeitsamt gegenüber verpflichtet, bei den Feststellungen des Rentenversicherungsträgers mitzuwirken. Komme sie ihrer Verpflichtung nicht nach, so werde ihr Leistungsanspruch gemäß § 66 Sozialgesetzbuch – Erstes Buch (SGB I) entzogen werden. Wegen des genauen Wortlautes des Schreibens wird auf Blatt 124 der Leistungsakte verwiesen.

Die Beklagte bewilligte der Klägerin mit Bescheid vom 18. November 1994 Arbeitslosengeld ab 17. Oktober 1994.

Der Leitende Medizinaldirektor des Kreisgesundheitsamtes , Dr. untersuchte die Klägerin im Auftrag der Beklagten. In seinem Gutachten vom 25. Oktober 1994 führt Dr. aus, die Klägerin sei in der Lage vollschichtig leichte Arbeit in Werkshallen, in geschlossenen und temperierten Räumen in Tag-, Früh- und Spätschicht in wechselnder Körperhaltung mit weiteren Einschränkungen zu verrichten.

Die Beklagte eröffnete der Klägerin das Ergebnis der Begutachtung am 13. Dezember 1994 während eines Telefongesprächs. Dazu erklärte die Klägerin, sie fühle sich nicht arbeitsfähig und verwies auf ihren Rentenantrag. Ausweislich des Aktenvermerks in der Leistungsakte vom 19. Dezember 1994 (Blatt 131 der Leistungsakte) weigerte sich die Klägerin – auch nach Belehrung über die Rechtsfolgen –, sich im Rahmen des ärztlichen Gutachtens dem Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stellen.

Die Beklagte hob mit Bescheid vom 3. Januar 1995 die Bewilligung von Arbeitslosengeld ab 14. Dezember 1994 auf. Zur Begründung führte sie aus, die Klägerin stehe der Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung, da sie nicht bereit sei bzw. sich nicht für fähig halte, eine Tätigkeit im Rahmen des von Dr. festgestellten Leistungsvermögens auszuüben. Damit habe die Klägerin keinen Leistungsanspruch mehr.

Dagegen erhob die Klägerin am 25. Januar 1995 Widerspruch unter Vorlage eines Attestes des Arztes – Psychotherapie – vom 13. März 1995. Danach leide die Klägerin seit 1976 an einem Morbus Paget, der in den letzten Jahren zu einem erheblichen Leistungsknick mit Arbeitsunfähigkeiten geführt habe. Die soziale Situation beeinträchtige die Klägerin in einem solchen Umfang, daß sie neben der organischen Erkrankung noch eine reaktive Depression entwickelt habe. Aus ärztlicher Sicht bestehe – bis zu einem noch ausstehenden Rehabilitationsaufenthalt in einer psychosomatischen Klinik – weiterhin Arbeitsunfähigkeit.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 23. Juni 1995 zurück. Dazu führte sie aus, die Entscheidung über die Aufhebung der Bewilligung des Arbeitslosengeldes beruhe auf § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Seit Erlaß des Bewilligungsbescheides sei eine wesentliche Änderung eingetreten, da die Klägerin nicht mehr bereit sei, jede zumutbare Arbeit anzunehmen. Die Klägerin habe keinen Leistungsanspruch nach § 105 a AFG, da sie vollschichtig eine Tätigkeit verrichten könne. Ebenso bestehe kein Anspruch nach § 105 b Abs. 1 AFG, da sie eine Bescheinigung über ihre Arbeitsunfähigkeit dem Arbeitsamt nicht vorgelegt habe.

Gegen den am 27. Juni 1995 zugestellten Widerspruchsbescheid hat die Klägerin am 21. Juli 1995 Klage vor dem Sozialgericht in Gießen erhoben. Dazu hat sie vorgetragen, das von der Beklagten eingeholte ärztliche Gutachten entspreche nicht ihrem tatsächlichen Gesundheitszustand. Der Arzt, habe ihre Arbeitsunfähigkeit attestiert. Sie habe zwischenzeitlich an einer medizinischen Rehabilitationsmaßnahme in der Zeit vom 20. Juni 1995 bis zum 15. August 1995 teilgenommen. Sie sei aus dieser arbeitsunfähig entlassen worden. Da sie arbeitsunfähig entlassen worden sei, sei sie nicht mehr in der Lage gewesen, eine Beschäftigung auszuüben. Daran habe sich bisher nichts geändert. Sie hat den Entlassungsbericht der medizinischen Rehabilitationsmaßnahme vorgelegt und vorsorglich die Einholung, eines ärztlichen Gutachtens beantragt.

Die Beklagte hat im Klageverfahren die Auffassung vertreten, da die Klägerin sich nicht entsprechend den ärztlichen Feststellungen des Gutachtens von der Arbeitsvermittlung zur Verfügung gestellt habe, besitze sie keinen Leistungsanspruch.

Das Sozialgericht Gießen hat mit Urteil vom 7. Februar 1996 den Bescheid der Beklagten vom 3. Januar 1995 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Juni 1995 aufgehoben. Dazu hat es ausgeführt, die angefochtenen Bescheide seien rechtswidrig. Die Klägerin habe auch ab dem 14. Dezember 1994 Anspruch auf Arbeitslosengeld. Die Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosengeld könne nicht auf § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X gestützt werden. Eine wesentliche Änderung der Verhältnisse, die der Bewilligung von Arbeitslosengeld zugrunde gelegen habe, sei nicht eingetreten. Der Leistungsanspruch der Klägerin ergebe sich aus § 105 a Abs. 1 Satz 1 AFG. Danach erhalte Arbeitslosengeld auch, wer die in den §§ 101 bis 103 genannten Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosengeld deshalb nicht erfülle, weil er wegen einer nicht nur vorübergehenden Minderung seiner Leistungsfähigkeit keine längere als kurzzeitige Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes ausüben könne, wenn weder Berufsunfähigkeit noch Erwerbsunfähigkeit im Sinne der gesetzlichen Rentenversicherung festgestellt worden sei. Diese Feststellung treffe gem. § 105 a Abs. 1 Satz 2 AFG allein der zuständige Träger der gesetzlichen Rentenversicherung. Den nahtlosen Versicherungsschutz der Erwerbsfähigkeit (in der Rentenversicherung) und der Erwerbsmöglichkeit (in der Arbeitslosenversicherung) suche das Gesetz rechtstechnisch auf doppelte Weise zu gewährleisten, indem er das Leistungsvermögen des Arbeitslosen bis zur Feststellung des Eintritts der Erwerbs- und Berufsunfähigkeit fingiere und die Feststellungen dazu ausschließlich dem Rentenversicherungsträger übertrage (Hinweis auf BSGE 44, 29, 31; 49, 1, 8). Damit solle ein negativer Kompetenzkonflikt zwischen der Bundesanstalt und dem Rentenversicherungsträger wegen einer unterschiedlichen Beurteilung des Leistungsvermögens nicht zu Lasten des Versicherten gehen (Hinweis auf das Urteil des Bundessozialgerichts vom 12. Juni 1992 – Az.: 11 RAr 35/91 in SozR 3-4100 § 105 a Nr. 4). Der Rentenversicherungsträger habe im Falle der Klägerin bisher keine bindenden Feststellungen über das Vorliegen einer Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit getroffen. Der Bescheid der BfA vom 15. Januar 1996 sei im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Gerichts noch anfechtbar gewesen. Auch könne das Gutachten des vom 25. Oktober 1994 die Feststellung des zuständigen Trägers der gesetzlichen Rentenversicherung nicht ersetzen. Würde die Klägerin entsprechend der Forderung der Beklagten sich dem Arbeitsmarkt im Rahmen des von festgestellten Leistungsvermögens zur Verfügung stellen, so könne dies Auswirkungen auf das Rentenverfahren haben. Im übrigen halte die Kammer die Beurteilung des gegenüber dem Attest des Arztes Dieter Schmidt und dem Entlassungsbericht aus der medizinischen Rehabilitationsmaßnahme nicht für überzeugend. Auch leide der Bescheid der Beklagten vom 19. November 1994 an einem formellen Mangel. Es fehle an einer wirksamen Anhörung gemäß § 24 SGB X. Auch seien die Bescheide gemäß § 35 Abs. 1 Satz 2 SGB X nicht ausreichend begründet, da weder der Bescheid vom 3. Januar 1995 noch der Widerspruchsbescheid vom 23. Juni 1995 eine Auseinandersetzung mit den Voraussetzungen für eine rückwirkende Aufhebung nach § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X enthielten. Ebenso habe die Beklagte kein Ermessen ausgeübt, obwohl ein atypischer Fall vorliege.

Gegen das der Beklagten am 1. März 1996 zugestellte Urteil hat sie am 28. März 1996 Berufung eingelegt.

Dazu trägt sie vor, ihre eigenen Feststellungen, daß die Klägerin nicht erwerbsunfähig sei, deckten sich mit den Feststellungen des Rentenversicherungsträgers. Dieser habe das Vorliegen einer Erwerbsunfähigkeit der Klägerin verneint. Nicht maßgeblich sei, ob diese Entscheidung des Rentenversicherungsträgers bestandskräftig geworden sei. Auch sei der Rentenversicherungsträger nicht allein zu Ermittlungen zur Erwerbsfähigkeit eines Arbeitslosen ermächtigt. Entsprechende Feststellungen des Arbeitsamtsarztes dienten insbesondere der Durchführung der Arbeitsvermittlung und stellten keine Vorwegnahme der Entscheidung des Rentenversicherungsträgers dar. Das Sozialgericht habe kein zusätzliches ärztliches Gutachten zur Leistungsfähigkeit der Klägerin eingeholt. Dies sei jedoch erforderlich gewesen, um beurteilen zu können, ob ihre Leistungsfähigkeit falsch beurteilt worden sei. Da die Klägerin nicht bereit sei, eine Beschäftigung im Rahmen des ärztlichen Gutachtens anzunehmen, fehle es an der subjektiven Verfügbarkeit gemäß § 103 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 a AFG. Damit entfalle ihr Anspruch auf Arbeitslosengeld. Im übrigen weise sie darauf hin, daß die fehlende Anhörung im Rahmen der Aufhebung des Bewilligungsbescheides im Widerspruchsverfahren nachgeholt worden sei. Auch sei eine Ermessensentscheidung nach § 152 Abs. 3 AFG nicht erforderlich gewesen.

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 7. Februar 1996 aufzuheben und die Klage abzuweisen,
hilfsweise,
die Revision zuzulassen.

Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, nach der Nahtlosigkeitsregelung des § 105 a AFG sei das Arbeitslosengeld bis zum Abschluß des Rentenverfahrens weiterzuzahlen und verweist auf ein Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 19. Januar 1983 (– Az.: 13 Ar 11105/87 –). Die Klägerin hat den Bescheid der BfA vom 15. Januar 1996 sowie ihr Widerspruchsschreiben vom 19. Januar 1996 vorgelegt. Weiter trägt sie vor, zwischenzeitlich sei auch ein Widerspruchsbescheid ergangen, gegen den sie Klage vor dem Sozialgericht Gießen erhoben habe. Auch sei sie vom 7. August bis 18. September 1997 in stationärer Behandlung der Spezialklinik für Naturheilverfahren GmbH gewesen. Dazu verweist sie auf den vorläufigen Entlassungsbericht der Klinik. Sie sei auch aus dieser Klinik arbeitsunfähig entlassen worden.

Der Senat hat die Leistungsakte (Stamm-Nr.: XXXXX) und die medizinischen Unterlagen der BfA beigezogen und die Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung am 22. Oktober 1997 angehört. Wegen der Einzelheiten des Vortrags der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und auf die beigezogenen Akten verwiesen, deren Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig. Sie wurde form- und fristgerecht eingelegt und ist statthaft gemäß § 151 Abs. 1; §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Die Berufung ist jedoch nicht begründet.

Die Beklagte hat zu Unrecht das mit Bescheid vom 18. November 1994 gewährte Arbeitslosengeld mit Bescheid vom 3. Januar 1995 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 23. Juni 1995 ab 14. Dezember 1994 der Klägerin entzogen.

Soweit die Beklagte die Gewährung des Arbeitslosengeldes für die Zeit vom 14. Dezember 1994 bis zum 3. Januar 1995 aufgehoben hat, kann sie diese Entscheidung nicht auf § 48 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch – Zehntes Buch (SGB X) stützen.

Zum einen stimmt diese Entscheidung der Beklagten mit der Rechtsfolge des § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X nicht überein und zum anderen sind auch die tatbestandlichen Voraussetzungen nicht gegeben.

Gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei Erlaß des Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Damit kann auf § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X nur eine Entscheidung gestützt werden, die ihre Wirkung in der Zukunft entwickelt. Die mit Bescheid vom 3. Januar 1995 getroffene Entscheidung, den Anspruch der Klägerin für die Zeit vom 14. Dezember 1994 an bis einschließlich 3. Januar 1995 zu entziehen, wirkt aber für die Vergangenheit.

Außerdem ist entgegen der Auffassung der Beklagten nach dem Erlaß des Bewilligungsbescheides vom 18. November 1994 keine wesentliche Änderung der tatsächlichen Verhältnisse eingetreten, die dem Erlaß des Verwaltungsaktes zugrunde gelegen haben. Bereits bei Erlaß des Bewilligungsbescheides vom 18. November 1994 war der Umfang der Leistungsfähigkeit der Klägerin zweifelhaft, wie das Gutachten von vom 25. Oktober 1994 auf der einen Seite und das Schreiben der Beklagten vom 10. November 1994 auf der anderen Seite zeigt. An dieser Unsicherheit der Beurteilung der Leistungsfähigkeit der Klägerin hatte sich auch später nichts geändert. So legte die Klägerin nach Eröffnung des Gutachtens von am 13. Dezember 1994 (telefonisch) im Widerspruchsverfahren und im Laufe des Rentenverfahrens ein ärztliches Attest von dem Arzt vom 13. März 1995 vor. Dieser Arzt, der nach seinem Arztstempel auf dem Attest auch Psychotherapien durchführt, sah die Klägerin bis zum noch ausstehenden Aufenthalt in einer psychosomatischen Klinik für arbeitsunfähig an.

Dem Anspruch der Klägerin auf Arbeitslosengeld steht nicht entgegen, daß sie sich am 13. Dezember 1994 nicht entsprechend dem Gutachten von der Arbeitsvermittlung zur Verfügung stellte. Die Klägerin hat mit ihrem Antrag auf Gewährung von Arbeitslosengeld der Beklagten mitgeteilt, daß sie bereits am 25. Mai 1994 einen Antrag bei der BfA auf Gewährung von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit gestellt hatte. Dem entsprechend wies die Beklagte die Klägerin mit Schreiben vom 10. November 1994 auf die Regelung des § 105 a AFG hin. Sie wurde auch darauf hingewiesen, daß der zuständige Rentenversicherungsträger die Entscheidung darüber trifft, ob Berufsunfähigkeit oder Erwerbsunfähigkeit im Sinne der gesetzlichen Rentenversicherung vorliegt. Dies bedeutet, daß die Beklagte gehindert ist, über Fragen zu entscheiden, die die objektive Verfügbarkeit betreffen, soweit sie einen Fall des § 105 a AFG angenommen hat. Dies ist unabhängig davon, ob der Rentenversicherungsträger im Rahmen der Amtshilfe oder auf Antrag des Arbeitslosen tätig wird (siehe dazu Bundessozialgericht Urteil vom 7. August 1979 – Az.: 7 RAr 70/78 in BSGE 49, 1, 4). Diese Bindung der Beklagten an ihre Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 105 a AFG soll einen für den Arbeitslosen nachteiligen negativen Kompetenzkonflikt zwischen der Beklagten und dem Rentenversicherungsträger wegen unterschiedlicher Beurteilung der Leistungsfähigkeit des Arbeitslosen ausschließen.

Die damit angestrebte Nahtlosigkeit des Versicherungsschutzes ist allerdings auf die objektive Verfügbarkeit beschränkt, denn die Fiktion ausreichenden gesundheitlichen Leistungsvermögens des Arbeitslosen kann das Fehlen anderer versicherungsrechtlicher Anspruchsvoraussetzungen nicht ersetzen (BSG Urteil vom 12. Juni 1992 – Az.: 11 RAr 35/91 in SozR 3-4100 § 105 a AFG Nr. 49). Die Arbeitsbereitschaft im Sinne von § 103 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AFG bleibt jedoch von den Feststellungen des Rentenversicherungsträgers unbeeinflußt. Es besteht auch kein gerechtfertigter Grund dafür, einen etwa fehlenden Arbeitswillen über den Weg einer gesetzlichen Fiktion unbeachtlich werden zu lassen (vgl. dazu Steinmeyer/Winkler in Gagel, Arbeitsförderungsgesetz, § 105 a Rdnr. 12). Bei der Beurteilung der Frage, ob die fehlende Arbeitsbereitschaft der Klägerin ihrem Leistungsanspruch entgegensteht, ist jedoch zu beachten, daß die Beklagte trotz ihres Schreibens vom 10. November 1994 von der Klägerin erwartete, daß sie sich entsprechend dem Gutachten von für eine vollschichtige Tätigkeit zur Verfügung stellte. Die Befugnis der Beklagten, Feststellungen zur objektiven Verfügbarkeit zu treffen und anhand dessen die subjektive Verfügbarkeit der Klägerin zu überprüfen, ruhte jedoch vorliegend bis zur Entscheidung des Rentenversicherungsträgers. Nur so kann, wie der vorliegende Fall zeigt, vermieden werden, daß das Arbeitsamt von dem Arbeitslosen eine Erklärung zu seiner Vermittlungsfähigkeit verlangt, die im Gegensatz zu seinem Begehren im Rentenverfahren steht. Dies gilt insbesondere dann, wenn unterschiedliche ärztliche Beurteilungen zur Leistungsfähigkeit des Arbeitslosen vorliegen. Hier rechtfertigt es die Sachnähe des Rentenversicherungsträgers, diesem die Entscheidungshoheit zur Leistungsfähigkeit zu übertragen, wenn sowohl Leistungen der Arbeitslosenversicherung als auch der Rentenversicherung geltend gemacht werden.

Solange jedoch das objektive Leistungsvermögen des Arbeitslosen nicht feststeht, kann auch die subjektive Verfügbarkeit nicht festgestellt werden. Dies bedeutet, daß die Beklagte, sobald sie anerkannt hat, daß die Voraussetzungen des § 105 a AFG vorliegen, später nicht mehr berechtigt ist, eigene Feststellungen zu § 105 a AFG zu treffen. Sie ist damit verpflichtet, Arbeitslosengeld oder -hilfe zu gewähren. Dabei verkennt der Senat nicht, daß damit die Beklagte verpflichtet sein könnte, über einen langen Zeitraum Leistungen wegen Arbeitslosigkeit zu gewähren, obwohl der Arbeitslose nicht gewillt ist, eine Arbeit aufzunehmen. Der Beklagten stünde jedoch die Möglichkeit offen, die Leistungen wegen Arbeitslosigkeit nach Maßgabe des § 105 a Abs. 3 AFG nur vorbehaltlich zu zahlen.

Die Beklagte kann ihre mit Bescheid vom 3. Januar 1995 getroffene Entscheidung, die Gewährung von Arbeitslosengeld für die Zukunft aufzuheben, nicht auf § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X stützen. Wie bereits dargelegt, war zum Zeitpunkt dese Erlasses dieses Bescheides keine wesentliche Änderung eingetreten.

Der somit fehlerhafte Bescheid der Beklagten kann aber auch nicht nach § 43 Abs. 1 SGB X umgedeutet werden. Danach kann ein fehlerhafter Verwaltungsakt in einen anderen rechtmäßigen Verwaltungsakt umgedeutet werden. Dies setzt jedoch voraus, daß die Voraussetzungen für den Erlaß des anderen rechtmäßigen Verwaltungsaktes vorgelegen haben. Vorliegend wäre eine Umdeutung in einen Verwaltungsakt nach § 45 Abs. 1 SGB X in Betracht gekommen. Dies hätte jedoch vorausgesetzt, daß der Bewilligungsbescheid vom 18. November 1994 bereits bei seinem Erlaß rechtswidrig gewesen wäre. Dies vermochte der Senat jedoch nicht zu erkennen. Die Beklagte bewilligte der Klägerin Arbeitslosengeld in Kenntnis ihres Rentenantrages und unter Hinweis auf die Regelung des § 105 a AFG. Der Senat konnte darin keine fehlerhafte Entscheidung erkennen.

Es bedurfte somit keiner Entscheidung des Senates, ob die Entscheidung der Beklagten trotz der fehlenden Ermessensentscheidung gemäß § 152 Abs. 3 AFG rechtmäßig ist.

Im übrigen weist der Senat darauf hin, daß es für die vorliegend zu treffende Entscheidung unerheblich ist, ob der Bewilligungsbescheid vom 18. November 1994 (im Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 7. Februar 1996 fälschlicherweise mit Datum "19.11.1994” benannt) ohne Anhörung der Klägerin erlassen wurde. Dies wäre nur erheblich, wenn die Beklagte darauf ihren Bescheid vom 3. Januar 1994 und Widerspruchsbescheid vom 23. Juni 1994 hätte stützen können. Die Beklagte könnte deshalb keine Rücknahme des Bewilligungsbescheides vom 18. November 1994 nach § 45 SGB X erlassen. Sollte die Klägerin vor Erlaß dieses Bewilligungsbescheides nicht im erforderlichen Umfang angehört worden sein, so verletzt dies nicht die Rechte der Klägerin.

Die Beklagte gewährte der Klägerin mit Bescheid vom 18. November 1994 das beantragte Arbeitslosengeld, wenn auch unter Hinweis auf die Regelung des § 105 a AFG mit Schreiben vom 10. November 1994, in vollem Umfang.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war vom Senat gem. § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen.
Rechtskraft
Aus
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