L 7/10 AL 200/04

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
7
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 32 AL 2112/00
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 7/10 AL 200/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Beklagten wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass in Abänderung des Urteils des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 9. Juli 2004 der Bescheid der Beklagten vom 7. April 2000 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Mai 2000 aufgehoben wird.

II. Die Beklagte hat der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die 1945 geborene Klägerin wendet sich gegen den Eintritt einer Sperrzeit von 12 Wochen.

Vom 1. April 1971 bis zum 31. Januar 2000 war sie bei der Flughafen als Sachbearbeiterin beschäftigt. Am 15. Dezember 1999 schloss die Klägerin mit ihrem Arbeitgeber einen Aufhebungsvertrag. Darin heißt es u. a., dass auf der Grundlage einer mit dem Betriebsrat geschlossenen Vereinbarung vom 31. August 1994 nachstehende Vereinbarung über einen Übergangsurlaub (Sonderurlaub ohne Fortzahlung der Bezüge) in Verbindung mit anschließender Aufhebung des Arbeitsverhältnisses zwecks Inanspruchnahme von Altersrente getroffen werde. Die Klägerin erhalte ab dem 1. Februar 2000 bis zur Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses unter Aufrechterhaltung der Anwartschaft auf die ZVK-Gesamtversorgung einen unbezahlten Übergangsurlaub, an dessen Vereinbarung die F. ausdrücklich ein betriebliches Interesse anerkenne. Gleichzeitig werde das zwischen der F. und der Klägerin bestehende Arbeitsverhältnis aus betrieblichen Gründen im unmittelbaren Anschluss an den Übergangsurlaub mit dem Ziel vorgezogener Versorgung wegen Arbeitslosigkeit mit Ablauf des 31. Januar 2003 in gegenseitigem Einvernehmen aufgehoben. Die Klägerin verpflichte sich, sich umgehend, jedoch spätestens am 1. Februar 2000, persönlich bei dem für ihren Wohnort zuständigen Arbeitsamt arbeitslos zu melden. Im Hinblick auf die zu erwartenden Sperr- und Ruhenszeiten wegen der einvernehmlichen Aufgabe der Beschäftigung und der Einmalzahlung werde die Klägerin erst für die Zeit ab dem 1. Februar 2001 Arbeitslosengeld beantragen. Mit Beginn des vereinbarten Übergangsurlaubs ende das Beschäftigungsverhältnis der Klägerin bei der F. Das Arbeitsverhältnis bestehe dagegen, ohne dass die Klägerin während des Übergangsurlaubs ihre Beschäftigung bei der F wieder aufnehme, formal bis zu dem mit Ablauf des 31. Januar 2003 vereinbarten Aufhebungszeitpunkt fort. Die Klägerin erhalte bei Beginn des Übergangsurlaubs als finanzielle Hilfe für die berufliche oder private Umorientierung von der F. eine Einmalzahlung in Höhe von 238.070,26 DM brutto. Die Einmalzahlung werde der Klägerin am 15. Februar 2000 auf ihr Konto überwiesen. Der Anspruch auf Altersruhegeld mit 60 Jahren könne nur entstehen, wenn sich die Klägerin entsprechend den getroffenen Vereinbarungen beim zuständigen Arbeitsamt arbeitslos melde sowie in den letzten eineinhalb Jahren vor Beginn der Gesamtversorgung insgesamt noch mindestens 52 Wochen lang arbeitslos gewesen sei.

Ausweislich Blatt 1 der Leistungsakte - LA - meldete sich die Klägerin am 4. Januar 2000 arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld - nach einem Bearbeitervermerk zum 1. Februar 2000.

In einem Vordruck zur Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses verwies die Klägerin unter dem 16. März 2000 auf die Aufhebungsvereinbarung vom 15. Dezember 1999, die ebenso wie "ein Fahrplan für den Vorruhestand" beigefügt war (Bl. 4 bis 12 LA).

Mit Bescheid vom 6. April 2000 (Bl. 20 LA) teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass im Zeitraum vom 1. Februar 2000 bis zum 24. April 2000 eine Sperrzeit eingetreten sei. Ihr Anspruch auf Arbeitslosengeld ruhe in diesem Zeitraum. Die Leistung könne ihr nach Ablauf der Sperrzeit nicht gezahlt werden, da die Voraussetzungen hierfür seit dem 25. April 2000 nicht mehr vorlägen, weil ihr Anspruch gemäß § 143a Sozialgesetzbuch Drittes Buch - Arbeitsförderung (SGB III) bis zum 31. Oktober 2000 ruhe. Diesbezüglich nahm sie Bezug auf einen Bescheid vom 6. April 2000. Als Begründung gab die Beklagte an, die Klägerin habe ihre Beschäftigung selbst aufgegeben, denn sie habe ihr Arbeitsverhältnis bei der FAG zum 31. Januar 2000 durch Aufhebungsvertrag gelöst. Dabei sei es unerheblich, ob die Initiative zum Abschluss des Aufhebungsvertrages von ihr oder von ihrem ehemaligen Arbeitgeber ausgegangen sei. Entscheidend sei, dass der Aufhebungsvertrag ohne ihre Zustimmung nicht hätte zustande kommen können.

Mit Bescheid vom 7. April 2000 (Bl. 18 LA) über das Ruhen des Anspruchs auf Leistungen teilte die Beklagte der Klägerin mit, sie habe von ihrem bisherigen Arbeitgeber wegen der Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses eine Abfindung, Entschädigung oder ähnliche Leistung (Entlassungsentschädigung) in Höhe von 165.285,79 DM erhalten. Da die Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch ihren Arbeitgeber zeitlich unbegrenzt ausgeschlossen gewesen sei, gelte eine Kündigungsfrist von 18 Monaten. Diese Frist sei bei der Auflösung des Arbeitsverhältnisses nicht eingehalten worden, so dass ihr Anspruch ruhe. Der Anspruch ruhe so lange, wie 25 v. H. der gezahlten bzw. zu beanspruchenden Beträge dem kalendertäglichen Arbeitsentgelt entsprächen. Das kalendertäglich verdiente Entgelt werde aus den am Tage des Ausscheidens aus dem Beschäftigungsverhältnis abgerechneten Entgeltabrechnungszeiträumen der letzten 52 Wochen, die mindestens 39 Wochen mit Anspruch auf Arbeitsentgelt enthielten, ermittelt. Der Ruhenszeitraum ende spätestens mit dem Zeitpunkt, an dem das Arbeitsverhältnis bei ordentlicher Kündigung geendet hätte oder bis zu dem es befristet war bzw. mit Ablauf von 12 Monaten nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Im Fall der Klägerin ruhe der Anspruch bis zum 31. Oktober 2000. Die Entscheidung beruhe auf § 143a SGB III.

Gegen den "Ruhens- und Sperrzeitbescheid" vom 7. April 2000 legte die Klägerin am 17. April 2000 Widerspruch ein. Sie habe sich zwar zum 1. Februar 2000 arbeitslos gemeldet, aber ausdrücklich, wie in dem Aufhebungsvertrag vom 15. Dezember 1999 mit ihrem ehemaligen Arbeitgeber vereinbart, Arbeitslosengeld erst ab dem 1. Februar 2001 beantragt. Sie verweise auf das zwischen der F. und einer Mitarbeiterin der Beklagten, Frau MU., geführte Telefonat vom 17. April 2000.

Nach einer Stellungnahme der Sachbearbeitung der Beklagten vom 24. Mai 2000 hat die Klägerin bei der Arbeitslosmeldung am 4. Januar 2000 nicht erwähnt, Leistungen erst zu einem späteren Zeitpunkt zu begehren. Der Aufhebungsvertrag habe nicht vorgelegen.

Mit Bescheid vom 25. Mai 2000 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin gegen den Bescheid vom 7. April 2000 zurück und bestätigte den Ruhenszeitraum bis zum 31. Oktober 2000. Eine Rücknahme des von der Klägerin ausgefüllten Antrags auf Arbeitslosengeld, in dem sie Arbeitslosengeld ab 1. Februar 2000 und nicht erst ab 1. Februar 2001 beantragt habe, sei nicht möglich. Eine solche Rücknahme sei nur bis zur Bewilligung der Leistung möglich. Mit der Bekanntgabe des Sperrzeitbescheides an die Klägerin gelte die Leistung als bewilligt. Daher könne die Widerspruchsführerin ihren Antrag auf Arbeitslosengeld mit Wirkung zum 1. Februar 2000 nicht mehr zurücknehmen.

Hiergegen hat die Klägerin am 13. Juni 2000 Klage erhoben. Sie habe sich korrekt zum 1. Februar 2000 arbeitslos gemeldet und dabei ausdrücklich erwähnt, dass sie Arbeitslosengeld erst ab Februar 2001 beantrage. Als Zeugin könne sie Frau K. K. benennen. Ebenso verweise sie auf ein Telefonat von Herrn H., Mitarbeiter der F., mit Frau MU. vom Arbeitsamt A-Stadt vom 17. April 2000. Mittlerweile sei ihr ein geänderter Bewilligungsbescheid über Zahlungen von Arbeitslosengeld ab 1. Februar 2001 für 585 Tage zugestellt worden. Liege, wie in ihrem Fall, zwischen Arbeitslosmeldung und Beantragung des Arbeitslosengeldes eine Frist von über einem Jahr, entfalle die Verhängung einer Sperr- und Ruhenszeit und müsse Arbeitslosengeld ab 1. Februar 2001 für insgesamt 780 Tage gezahlt werden.

Die Beklagte hat vorgetragen, zur Feststellung der Arbeitslosigkeit im Sinne von § 118 Abs. 1 SGB III komme es gerade auf die Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses an. Dieses habe durch Aufhebungsvertrag zum 31. Januar 2000 geendet. Der Inhalt des Antragsvordrucks (Meldung 4. Januar 2000 mit Wirkung zum 1. Februar 2000) sowie eine Stellungnahme der Fachabteilung der Beklagten vom 24. Mai 2000 stehe der Behauptung der Klägerin, ihren Antrag am 1. Februar 2000 mit Wirkung ab 1. Februar 2001 gestellt zu haben, entgegen.

Mit Urteil vom 9. Juli 2004 hat das SG den Bescheid vom 6. April 2000 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Mai 2000 abgeändert, soweit die Minderung der Anspruchsdauer von 195 Tagen festgestellt worden ist.

Der Bescheid vom 6. April 2000 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Mai 2000 sei insoweit rechtswidrig, als die Beklagte im Rahmen der Sperrzeitentscheidung auch eine Minderung der Anspruchsdauer von 195 Tagen festgestellt habe. Eine solche sei nämlich nicht eingetreten, weil die Klägerin so zu behandeln sei, wie wenn sie sich erst zum 1. Februar 2001 arbeitslos gemeldet und Arbeitslosengeld beantragt haben würde. Nach § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGB III trete eine Sperrzeit von 12 Wochen ein, sofern der Arbeitslose das Beschäftigungsverhältnis löse und dadurch vorsätzlich oder grob fahrlässig die Arbeitslosigkeit herbeigeführt habe, ohne für sein Verhalten eine wichtigen Grund zu haben. Diese Voraussetzungen lägen im Falle der Klägerin unzweifelhaft vor. Sie habe mit ihrem ehemaligen Arbeitgeber am 15. Dezember 1999 einen Aufhebungsvertrag geschlossen, durch den ihr Beschäftigungsverhältnis zum 1. Januar 2001 beendet worden sei. Ohne ihre Zustimmung wäre Arbeitslosigkeit zum 1. Februar 2000 im Hinblick auf ihre 28-jährige Betriebszugehörigkeit, wonach die ordentliche arbeitgeberseitige Kündigung ausweislich der Arbeitsbescheinigung zeitlich unbegrenzt ausgeschlossen gewesen sei, nicht möglich gewesen. Ihren umfassenden Kündigungsschutz habe die Klägerin durch die Aufhebungsvereinbarung ohne wichtigen Grund aufgegeben. Die Sperrzeit habe jedoch im Falle der Klägerin keine Minderung der Anspruchsdauer zur Folge gehabt. Zwar mindere sich gemäß § 128 Abs. 1 Nr. 4 SGB III die Dauer des Anspruchs auf Arbeitslosengeld um die Anzahl von Tagen einer Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe und in den Fällen einer Sperrzeit von 12 Wochen mindestens jedoch um ¼ der Anspruchsdauer, die dem Arbeitslosen bei erstmaliger Erfüllung der Voraussetzungen nach dem Ereignis, das die Sperrzeit begründe, zustehe. Gemäß Abs. 2 Satz 2 der genannten Vorschrift entfalle jedoch die Minderung u. a. bei Sperrzeiten wegen Arbeitsaufgabe, wenn das Ereignis, dass die Sperrzeit begründe, bei Erfüllung der Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosengeld länger als ein Jahr zurückliege. Zwar habe die Klägerin ausweislich des von ihr unterzeichneten Antragsformulars sich am 4. Januar 2000 mit Wirkung zum 1. Februar 2000 arbeitslos gemeldet, so dass die Erfüllung der Voraussetzungen im Sinne des § 128 SGB III bereits zu dem vorgenannten Zeitraum entgegen dem Vortrag der Klägerin dokumentiert seien. Auch vermöge die Klägerin diese Sachlage nach Erteilung des Sperrzeitbescheides vom 6. April 2000 nunmehr weder durch Rücknahme ihres Antrages vom 4. Januar 2000 zu gestalten, weil die Beklagte über jenen Antrag bereits entschieden habe. Ebenfalls komme eine Anfechtung wegen Irrtums nicht in Betracht, weil die von der Klägerin insoweit geltend gemachte Absicht, sich erst mit Wirkung zum 1. Februar 2001 arbeitslos melden zu wollen, lediglich als Motiv anzusehen sei. Insoweit sei zumindest offen, was die Klägerin bei Arbeitslosmeldung tatsächlich erklärt habe. Die mit dem Antragsformular dokumentierte Sachlage spreche allerdings gegen deren Vortrag. Dies könne jedoch dahingestellt bleiben, denn die Beklagte habe bei Eingang der Arbeitsbescheinigung vom 16. März 2000 nebst Anlagen, welcher freilich vor Erteilung des Sperrzeitbescheides vom 6. April 2000 erfolgt sei, sowohl Anlass als auch die Verpflichtung gehabt, die Klägerin auf die Rechtsfolgen der dokumentierten Arbeitslosmeldung und Antragstellung hinzuweisen. Dieser mit Einführung des SGB III erhöhten Beratungspflicht sei die Beklagte nicht nachgekommen, was durch die Grundsätze zum sozialrechtlichen Herstellungsanspruch zu korrigieren sei. Auf der Grundlage dieses Rechtsinstituts könne die Klägerin verlangen, so gestellt zu werden, wie wenn ihre Arbeitslosmeldung und Antragstellung mit Wirkung ab 1. Februar 2001 erfolgt wäre, so dass die Minderung der Anspruchsdauer gemäß § 128 Abs. 2 Satz 2 SGB III entfalle. Unabhängig davon, ob die Klägerin bei der Antragstellung angegeben habe, den Leistungsantrag erst zum 1. Februar 2001 stellen zu wollen, sei der Beklagten eine Kopie des Aufhebungsvertrages vom 15. Dezember 1999 sowie der "Fahrplan für den Vorruhestand" zur Leistungsakte gelangt. In Nr. 1 Abs. 3 des Vertrages heiße es indes wörtlich, dass die Klägerin Arbeitslosengeld erst für die Zeit ab 1. Februar 2001 beantragen werde. Gleiches gehe aus dem "Fahrplan hervor". Für die Antragsbearbeitung der Beklagten sei zutage getreten, dass die Arbeitslosmeldung und Antragstellung zwangsläufig zu einer erheblichen Minderung der Dauer des Leistungsanspruchs der Klägerin führen werde (§ 128 Abs. 1 Nr. 4 SGB III). Deshalb habe der Beklagten die konkrete Beratungspflicht oblegen, die Klägerin auf die Gestaltungsmöglichkeiten nach § 128 Abs. 2 Satz 2 SGB III und auf Nachteile in Ansehung ihres Leistungsanspruchs hinzuweisen, sofern sie diese nicht nütze. Dies gelte nach Einführung des SGB III umso mehr. Seither gelte für die Entstehung eines Arbeitslosengeld-Anspruches, auf die es nach § 128 Abs. 2 Satz 2 SGB III ankomme, gemäß § 117 Abs. 1 SGB III nicht mehr die Tatsache der Antragstellung, sondern es gelte nach § 323 Abs. 1 Satz 2 SGB III mit der Arbeitslosmeldung die entsprechende Leistung als beantragt. Diese im Gegensatz zu § 100 Abs. 1 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) modifizierte Struktur der Anspruchsvoraussetzungen lasse indes den Herstellungsanspruch der Klägerin unberührt. Es sei ohne Weiteres zu unterstellen, dass die Klägerin jene Gestaltungsmöglichkeit genutzt hätte, so dass der objektive Beratungsfehler auch kausal für die Minderung der Anspruchsdauer für 195 Tage gewesen sei. Dieser Nachteil sei nunmehr im Wege der Herstellung zu korrigieren, indem die Klägerin so zu stellen sei, wie wenn sie von der ihr zur Verfügung gestandenen Gestaltungsmöglichkeit Gebrauch gemacht haben würde. Folglich sei von einer Arbeitslosmeldung und Antragstellung zum 1. Februar 2001 auszugehen, so dass die Anspruchsminderung gemäß § 128 Abs. 2 Satz 2 SGB III entfalle. Zwar könnten Korrekturen von Lebenssachverhalten, die außerhalb des Sozialrechts verwirklicht würden - wie z.B. die Tatsache der Aufnahme einer Beschäftigung - nicht über den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch vorgenommen werden. Es leuchte nicht ein, weshalb eine in Unkenntnis der Rechtsfolgen erfolgte persönliche Arbeitslosmeldung, die nach § 323 Abs. 1 Satz 2 SGB III auch als Antragstellung gelte, nicht nachträglich und noch vor einer Entscheidung der Beklagten in eine "persönliche Vorsprache" etwa zu Auskunftszwecken umgedeutet werden könne. Auch umgekehrt würden nämlich schon seither persönliche Vorsprachen im Hinblick auf den Leistungsanspruch als "Arbeitslosmeldung" angesehen. So könne ein Leistungsanspruch nach einer nicht angezeigten Zwischenbeschäftigung auch auf eine (zufällige) Vorsprache des Arbeitslosen bei der Beklagten gestützt werden.

Gegen das der Beklagten am 19. August 2004 zugestellte Urteil hat diese am 3. September 2004 Berufung eingelegt. Zur Begründung trägt sie vor, die Klägerin hätte auch bei einer Beratung durch die Beklagte den Eintritt der Sperrzeit nicht verhindern können. Unter dem SGB III sei der Antrag nicht mehr materielle Voraussetzung für den Arbeitslosengeldanspruch im Sinne des Stammrechts, er betreffe im Hinblick auf § 323 Abs. 1 SGB III nur den einzelnen Auszahlungsanspruch. Dagegen stelle die Arbeitslosmeldung eine Tatsachenerklärung dar, die nicht angefochten werden könne (Bundessozialgericht Urteil vom 7. September 2000 – B 7 AL 2/00 R). Sie könne auch nicht fiktiv verschoben werden. Das Stammrecht sei mit der Arbeitslosmeldung am 1. Februar 2000 erfüllt. Eine Verschiebung der Antragstellung hätte daran nichts geändert. Eine beabsichtigte Arbeitslosmeldung erst am 1. Februar 2001 sei nicht klar zutage getreten. Für die Beklagte habe mangels klar zu Tage tretender Gestaltungsmöglichkeit keine Beratungspflicht bestanden. Es sei nicht ohne Weiteres erkennbar gewesen, dass die Klägerin 12 Monate ohne Arbeitslosengeld hätte überbrücken können. Sie hätte dann auch 12 Monate Krankenversicherungs- und Pflegeversicherungs-Beiträge zahlen müssen. Die Auswirkung fehlender Rentenbeitragszahlung hätte durch eine Beratung der Rentenversicherung festgestellt werden müssen. Schließlich hätten die finanziellen Vorteile von 195 Tagen mehr Leistungsanspruch auf Arbeitslosengeld gegen die finanziellen Nachteile der Klägerin wegen der Finanzierung aller Kosten abgewogen werden müssen. Das Urteil des Bundessozialgerichts vom 5. August 1999 - B 7 AL 38/98 - sei vorliegend nicht anwendbar. Dort habe die Klägerin selbst die Antragstellung und Arbeitslosmeldung verschoben. Zudem sei im damaligen Zusammenhang noch das Arbeitsförderungsgesetz (AFG) einschlägig gewesen, wonach die Antragstellung noch konstitutiv für das Auslösen des Stammrechts auf Arbeitslosengeld gewesen sei. Nur die Antragstellung als Willenserklärung sei verschiebbar gewesen.

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 9. Juli 2004 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Am 1. September 2006 fand ein Erörterungstermin statt. Auf den rechtlichen Hinweis des Berichterstatters vom 2. März 2007 (Bl. 91 der Gerichtsakte) haben die Beteiligten ihr Einverständnis mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung erteilt. Die Beklagte hat ergänzend mitgeteilt, die tatsächlich erfolgte Arbeitslosmeldung könne nicht auf einen späteren Zeitpunkt verschoben werden. Eine Spontanberatungspflicht sei bei einer Zeitspanne von einem Jahr zu verneinen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf einen Band Gerichtsakten und zwei Bände Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Mit dem Einverständnis der Beteiligten konnte der Senat gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden.

Das Begehren der Klägerin richtet sich nach ihrem Vortrag erkennbar gegen den Ruhenszeitraum, wie er Gegenstand des Bescheides vom 7. April 2000 ist, und nicht gegen die Sperrzeit vom 1. Februar 2000 bis zum 24. April 2000 als Gegenstand des Bescheides vom 6. April 2000, in dem auf die Ruhensentscheidung - allerdings mit der fehlerhaften Datumsangabe 6. April 2000 - nur Bezug genommen wird. Der Ruhenszeitraum und damit die Verkürzung der Leistungsdauer von 780 Tagen um ein Viertel, also um 195 Tage auf 585 Tage, ist auch Streitgegenstand des Urteils des SG vom 9. Juli 2004 und damit auch des Berufungsverfahrens. Die in diesem Zusammenhang augenscheinlich fehlerhafte Benennung des Bescheides vom 6. April 2000 im Tenor des Urteils des SG vom 9. Juli 2004 ist im Rahmen der Berufungsentscheidung zu korrigieren gewesen. Der Bescheid der Beklagten vom 7. April 2000 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Mai 2000 ist aufzuheben und nicht nur abzuändern gewesen, da der Ruhenszeitraum einziger Regelungsgegenstand war.

Die zulässige Berufung der Beklagten selbst ist allerdings unbegründet.

Gemäß § 128 Abs. 1 Nr. 4 SGB III mindert sich die Dauer des Anspruchs auf Arbeitslosengeld um die Anzahl von Tagen einer Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe; in Fällen einer Sperrzeit von zwölf Wochen mindestens jedoch um ein Viertel der Anspruchsdauer, die dem Arbeitslosen bei erstmaliger Erfüllung der Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosengeld nach dem Ereignis, das die Sperrzeit begründet, zusteht. Nach § 128 Abs. 2 Satz 2 SGB III entfällt in den Fällen des Absatzes 1 Nrn. 3 und 4 die Minderung für Sperrzeiten bei Abbruch einer beruflichen Eingliederungsmaßnahme oder Arbeitsaufgabe, wenn das Ereignis, das die Sperrzeit begründet, bei Erfüllung der Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosengeld länger als ein Jahr zurückliegt. Diese Regelung greift vorliegend ein.

Es kann dahingestellt bleiben, ob die Klägerin gegenüber Mitarbeitern der Beklagten bei der Arbeitslosmeldung tatsächlich erklärte, sie beantrage Arbeitslosengeld erst ab dem 1. Februar 2001, womit sie eine andere Erklärung im Sinne des § 323 Abs. 1 Satz 1 SGB III abgegeben hätte. Nach Kenntnis der Erklärung der Klägerin zur Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses vom 16. März 2000 unter Beifügung der Aufhebungsvereinbarung vom 15. Dezember 1999 sowie des "Fahrplans für den Vorruhestand" hätte die Beklagte auf die konkrete und naheliegende Möglichkeit der Arbeitslosmeldung erst ab dem 1. Februar 2001 hinweisen müssen. Demgegenüber erließ die Beklagte den Sperrzeitbescheid vom 6. April 2000.

Hier greift der sozialrechtliche Herstellungsanspruch ein und es sind die rechtlichen Wirkungen der Arbeitslosmeldung auf den 1. Februar 2001 zu verschieben mit der Folge, dass die Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosengeld erst zu diesem Zeitpunkt eintraten. Die Minderung der Anspruchsdauer entfällt, da das Sperrzeitereignis in Gestalt der Aufhebungsvereinbarung vom 15. Dezember 1999 im Sinne von § 128 Abs. 2 Satz 2 SGB III am 1. Februar 2001 länger als ein Jahr zurücklag.

Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch setzt voraus, dass der Sozialleistungsträger eine ihm auf Grund Gesetzes oder eines Sozialrechtsverhältnisses obliegende Pflicht (a), insbesondere zur Auskunft und Beratung (§§ 15, 14 SGB I), verletzt hat (b). Ferner ist erforderlich, dass zwischen der Pflichtverletzung des Sozialleistungsträgers und dem Nachteil des Betroffenen ein ursächlicher Zusammenhang (c) besteht. Schließlich muss der durch das pflichtwidrige Verwaltungshandeln eingetretene Nachteil durch eine zulässige Amtshandlung beseitigt werden können (d). Die Korrektur durch den Herstellungsanspruch darf dem jeweiligen Gesetzeszweck nicht widersprechen (e).

Der Senat geht angesichts der der Beklagten vor der Sperrzeitverhängung vorliegenden Aufhebungsvereinbarung und des "Fahrplans für den Vorruhestand" davon aus, dass sich ihr aufgrund des eindeutig dokumentierten Interesses der Klägerin an einem Arbeitslosengeldbezug ab dem 1. Februar 2001 eine Spontanberatung hätte aufdrängen müssen. Soweit demgegenüber die Beklagte die lange Zeitspanne der Verschiebung der Wirkung der Arbeitslosmeldung von einem Jahr rügt, vermag dies auch unter Bezugnahme auf das Urteil des Landessozialgerichts - LSG - Nordrhein-Westfalen vom 5. November 2003 - L 12 AL 46/03 - nicht zu überzeugen. Im dortigen Zusammenhang ging es um eine Beratung zur Regelung der Anspruchsdauer in Stufen nach § 127 SGB III und hat das Gericht die Offensichtlichkeit einer Beratungspflicht aus den Gesamtumständen, die nicht nur den Zeitfaktor umfassten, im konkreten Einzelfall verneint. Im streitgegenständlichen Zusammenhang geht es um die beschriebene Regelung nach § 128 Abs. 2 Satz 2 SGB III. Entscheidend kommen die weiteren objektiven Umstände hinzu, nach denen sich der Beklagten ein Beratungsinteresse der Klägerin gerade für einen um ein Jahr verschobenen Arbeitslosengeldbezug hätte aufdrängen müssen. Angesichts des von der Klägerin mit ihrem damaligen Arbeitgeber vereinbarten Zeitplans verbunden mit den detaillierten Regelungen der Aufhebungsvereinbarung ist auch davon auszugehen, dass die Klägerin die Arbeitslosmeldung bei einer Beratung auf den 1. Februar 2001-Zeitpunkt verschoben hätte. Die von der Beklagten aufgeworfenen Fragen zu den Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen sowie der Rentenversicherung vermögen an dieser eindeutig dokumentierten Planung der Klägerin nichts zu ändern.

Schließlich kann der eingetretene Nachteil auch durch eine zulässige Amtshandlung beseitigt werden, die nicht dem Gesetzeszweck entgegensteht. Die Arbeitslosmeldung als Tatsachenerklärung ist nach § 118 Abs. 1 Nr. 2 SGB III Voraussetzung für den Anspruch auf Arbeitslosengeld als Stammrecht. Mit ihr gilt nach § 323 Abs. 1 SGB III Arbeitslosengeld als beantragt, wenn der Arbeitslose keine andere Erklärung abgibt. Nach § 100 Abs. 1 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) war als zusätzliche Anspruchsvoraussetzung der Antrag auf Arbeitslosengeld, also eine Willenserklärung, vorgesehen. Auf der Grundlage der letztgenannten alten Rechtslage konnte die Wirksamkeit dieses Antrages, der bis zum Wirksamwerden der Entscheidung über die Bewilligung widerrufen werden konnte, im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs auf einen späteren Zeitpunkt verschoben werden (BSG, Urteil vom 5. August 1999 – B 7 AL 38/98 R). Es liege jedoch in der Natur der Sache, dass eine Willenserklärung nicht "mit Wirkung für die Vergangenheit" angefochten, widerrufen oder zurückgenommen werden könne. Auch die Arbeitslosmeldung könne nicht mit Wirkung für die Vergangenheit erfolgen (BSG, Urteil vom 7. September 2000 – B 7 AL 2/00; vgl. auch BSG, Urteil vom 17. Juli 1997 – 7 Rar 12/96).

Im Hinblick auf die streitgegenständlich relevante aktuelle Rechtslage gemäß § 118 Abs. 1 Nr. 2 SGB III ist der Senat mit dem BSG der Auffassung, dass die Arbeitslosmeldung nicht auf einen früheren Zeitpunkt vorverlegt werden kann, zu dem der Arbeitslose noch nicht der Arbeitsvermittlung zur Verfügung stand und damit der Zweck der Arbeitslosmeldung nicht greifen konnte. Mit diesem Zweck vereinbar ist es jedoch, die rechtlichen Wirkungen der Arbeitslosmeldung als Anspruchsvoraussetzung für die Bewilligung von Arbeitslosengeld im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben. Es besteht kein im Gesetzeszweck verankerter Grund, der dem entgegenstehen würde (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 5. November 2003 – L 12 AL 46/03; Steinmeyer in Gagel, SGB III, § 122 Rdnr. 29e). Dem Vorbringen der Beklagten ist im Übrigen entgegenzuhalten, dass es bezogen auf die Arbeitslosmeldung als Tatsachenerklärung hierzu gerade keiner Anfechtung bedarf.

Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch ist zusammenfassend erfüllt. Die Beklagte erlangte vor der Sperrzeitverhängung am 6. April 2000 Kenntnis von der Aufhebungsvereinbarung und des "Zeitplans für den Vorruhestand." Vor der Sperrzeitverhängung hätte sie die Klägerin deshalb auf die bis zur Bescheidung bestehende Möglichkeit der Verlegung der Arbeitslosmeldung auf einen späteren Zeitpunkt hinweisen müssen, mit der Folge einer Verschiebung der Arbeitslosmeldung auf den 1. Februar 2001. Da die Beklagte dies nicht getan hat, sind die rechtlichen Wirkungen der am 4. Januar 2000 erfolgten Arbeitslosmeldung auf den 1. Februar 2001 zu verschieben und trat gemäß § 128 Abs. 2 Satz 2 SGB III kein Ruhenszeitraum ein.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Grund für die Zulassung der Revision besteht nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG. Die streitrelevante Frage der Verschiebung der rechtlichen Wirkungen der Arbeitslosmeldung auf einen späteren Zeitpunkt ist von grundsätzlicher Bedeutung.
Rechtskraft
Aus
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