Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
S 6 Kn 850/92 U
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 8 Kn 92/93 U
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 8 RknU 1/94
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Wird der Reservetank eines Pkw auf der Fahrt zur Arbeitsstelle in Anspruch genommen, so darf der Versicherte von der Notwendigkeit des Auftankens auf dem Weg von der Arbeitsstelle nach Hause ausgehen. Dies gilt umso mehr, wenn er keine Möglichkeit zum Nachtanken am nächsten Tag vor oder während der Fahrt zur Arbeitsstelle hat, weil ihn der Arbeitgeber unerwarteter weise am Abend zuvor zur Frühschicht eingeteilt hat. Dieser aus der Sicht des Versicherten zum Nachtanken notwendige, objektiv aber nicht erforderliche Weg steht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung.
Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 8. Dezember 1992 und der Bescheid der Beklagten vom 18. Dezember 1991 aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger wegen der Folgen des Arbeitsunfalles vom 28.10.1991 Verletztenrente in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreites zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Anerkennung eines Verkehrsunfalles als Wegeunfall.
Der 1970 geborene Kläger war als Kraftfahrzeugschlosser unter Tage in der der beschäftigt. Am 28. Oktober 1991 nach Ende seiner Mittagsschicht verunglückte der Kläger um 22.30 Uhr auf dem Weg zur Nachttankstelle mit seinem Personenkraftwagen und zog sich eine Querschnittlähmung zu. Aufgrund der Unfallanzeige vom 11. November 1991 befragte die Beklagte den Sicherheitsingenieur, ein Betriebsratsmitglied und den Obersteiger (Vater des Klägers) zu dem Unfallereignis. Danach ergab sich, daß dem Kläger während seiner Mittagsschicht am 28. Oktober 1991 mitgeteilt worden war, daß er am nächsten Tag um 6.00 Uhr morgens Frühschicht fahren müsse. Der Kläger habe deshalb nicht mehr, wie von ihm vorgesehen, am Morgen des 29. Oktobers in seinem Heimatort tanken können. Da sein Tankanzeiger aber schon seit längerer Zeit auf rot gestanden habe, habe er versucht, noch am gleichen Abend an der Automatentankstelle in , ca. 2 Km von der Arbeitsstelle entfernt, in Gegenrichtung zu seinem Heimatort, zu tanken. Da diese nicht funktioniert habe, habe er zur Nachttankstelle nach fahren wollen. Auf dem Wege dorthin habe er bei auf der Kreisstraße 17 wegen eines Wildtieres bremsen müssen und sei dadurch ins Schleudern geraten.
Mit Bescheid vom 18. Dezember 1991 lehnte es die Beklagte ab, den Unfall als Arbeitsunfall im Sinne des § 550 Reichsversicherungsordnung (RVO) anzusehen. Das Betanken des privaten Kraftfahrzeuges sei grundsätzlich als eigenwirtschaftliches Handeln zu werten. Nur wenn unerwartet bei Antritt oder während der Fahrt von oder zum Arbeitsplatz sich die Notwendigkeit zum Tanken ergebe, könne für einen Umweg zur Tankstelle Versicherungsschutz anerkannt werden. Diese Voraussetzung läge nicht vor, weil der Kläger schon längere Zeit im roten Bereich der Tankanzeige gefahren sei. Im übrigen sei auch der Weg zur Nachttankstelle in um ein vielfaches weiter gewesen, als der Heimweg und der Anweg am nächsten Morgen.
Den Widerspruch vom 9. Januar 1992 legte die Beklagte am 10. August 1992 dem Sozialgericht Gießen als Klage vor. Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 8. Dezember 1992 die Klage mit der gleichen Begründung wie im Bescheid zurückgewiesen.
Gegen das ihm am 4. Januar 1993 zugestellte Urteil hat der Kläger am 2. Februar 1993 Berufung beim Hessischen Landessozialgericht eingelegt. Der Senat hat den Kläger persönlich und den Vater des Klägers, als Zeuge angehört. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 9. März 1994 verwiesen.
Der Kläger trägt zusätzlich zum bisherigen Vorbringen noch vor, daß er als Führerscheinneuling nicht habe einschätzen können, wie lange er mit dem erst drei Monate alten Pkw noch habe fahren können. Subjektiv sei er der Ansicht gewesen, das abendliche Tanken sei notwendig gewesen, um am nächsten Tag seine Arbeitsstelle zu erreichen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 8. Dezember 1992 sowie den Bescheid der Beklagten vom 18. Dezember 1991 aufzuheben und diese zu verurteilen, ihm wegen der Folgen des Unfalles vom 28. Oktober 1991 Verletztenrente in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Die Beklagte, die das erstinstanzliche Urteil für zutreffend hält, beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird Bezug genommen auf den übrigen Akteninhalt, insbesondere den Inhalt der beigezogenen Akten der Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung (§§ 143, 145, 151 des Sozialgerichtsgesetzes –SGG– i.V.m. Art. 14 Abs. 1 Satz 1 Gesetz zur Entlastung der Rechtspflege vom 19. Januar 1993, BGBl. I 1993, S. 50, 56) ist sachlich begründet. Der angefochtene Bescheid vom 18. Dezember 1991 und das Urteil des Sozialgerichts sind aufzuheben. Der Unfall, den der Kläger am 28. Oktober 1991 erlitten hat, ist ein Arbeitsunfall, für den die Beklagte Versicherungsleistungen zu gewähren hat.
Nach § 550 RVO i.V.m. § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO gilt als Arbeitsunfall auch der Unfall auf dem Weg nach und von dem Ort einer Tätigkeit, die auf einem Arbeitsverhältnis beruht. Findet der Unfall anläßlich einer bestimmten Tätigkeit auf dem Arbeitswege statt, so ist für den Versicherungsschutz entscheidend, ob diese Tätigkeit dem Unternehmen dienlich ist. Dabei kommt es nicht auf objektive Gesichtspunkte an, sondern es ist ausreichend, daß ein Versicherter von seinem Standpunkt aus der Auffassung sein kann, im Interesse des Unternehmens zu handeln. Dies gilt auch für die Beurteilung der Frage, ob das Auftanken eines Kraftfahrzeuges während des Weges von oder zum Arbeitsort zum unversicherten persönlichen Lebensbereich gehört oder den Schutz des § 550 RVO genießt. Einen brauchbaren Anhaltspunkt für die Betriebsbezogenheit sieht die Rechtsprechung in der unvorhergesehenen Notwendigkeit bei Antritt oder während der Fahrt zum Arbeitsort zu Tanken. Ein Versicherter kann von dieser Notwendigkeit dann ausgehen, wenn während oder bei Antritt der Fahrt der Zeiger der Benzinuhr im roten Bereich steht (ständige Rechtsprechung des BSG, vgl. Urteil vom 24. Mai 1984 – 2 RU 3/83 und Urteil vom 14. Dezember 1978 in SozR 2200 § 550 RVO Nr. 39 m.w.N.).
Diese von der Rechtsprechung erarbeiteten Voraussetzungen sind im vorliegenden Falle gegeben. Als der Kläger am Abend des 28. Oktober 1991 die Anweisung bekam, am nächsten Morgen um 6.00 Uhr zur Frühschicht zu kommen, befand sich nach seinen glaubhaften und von der Beklagten nicht bestrittenen Angaben die Tankanzeige im roten Bereich. Seit wann dies der Fall war, weiß der Kläger nicht mehr. Darauf kommt es hier jedoch auch nicht an, denn die unvorhersehbare Notwendigkeit zu Tanken ergab sich für den Kläger nicht unmittelbar daraus, daß er mit der Tankreserve fuhr. Er war davon ausgegangen, daß der Tankinhalt jedenfalls noch für die Rückfahrt ausreichen würde, neu Auftanken wollte er am nächsten Morgen. Dieses Vorhaben war jedoch wegen des geänderten Arbeitsbeginnes am nächsten Tag nicht mehr durchzuführen. Das noch vorhandene Benzin im Reservetank mußte deshalb nicht nur für die Heimfahrt am Abend des 28. Oktobers 1991, sondern auch für den Weg zu und von der Arbeitsstelle am nächsten Tag reichen. Da die Verlegung der Schicht für den Kläger unerwartet kam und er nun befürchten mußte, für den nächsten Tag nicht mehr genügend Benzin zu haben, konnte er davon ausgehen, daß das Nachtanken am gleichen Abend unternehmensdienlich war. Der Weg zur nächsten Tankstelle nach war somit versichert.
Nachdem die dortige Automatentankstelle nach dem glaubhaften und von der Beklagten nicht widersprochenen Vorbringen des Klägers versagte, entschloß er sich, zur dann nächsten Nachttankstelle an der Autobahnausfahrt in zu fahren. Er wählte dazu die Kreisstraße 17, auf der es mit 20 Km genauso weit ist, wie auf der Bundesstraße 62. Dieser Weg war objektiv nicht notwendig, er war jedoch nach Auffassung des Senats ebenfalls versichert. Der Kläger hätte am gleichen Abend noch 7 Km bis zu seinem Heimatort zurücklegen müssen. Am nächsten Tag hätte er für den Hin- und Rückweg zur Schachtanlage nochmals 10 Km benötigt, insgesamt also 17 Km. Wenn er auf dem Rückweg die Möglichkeit gehabt hätte, dann in tanken, wäre von 14 noch zurückzulegenden Km auszugehen. Der Weg zur Tankstelle in war also länger als der, den er am nächsten Tag bis zur Tankmöglichkeit nach Arbeitsende zurückzulegen hatte. Diese mit Hilfe einer Straßenkarte angestellten Überlegungen mußten sich jedoch in der konkreten Situation am Abend des 28. Oktober 1991 dem Kläger nicht aufdrängen. Die unerwartete und plötzliche Verlegung der Schicht, die ihm gerade acht Stunden Ruhezeit gewährte, und die Befürchtung, am nächsten Tag liegen zu bleiben, lassen seinen Entschluß, die Tankstelle in aufzusuchen, nachvollziehbar erscheinen, auch wenn dies objektiv nicht notwendig war. Die Entfernungsunterschiede weichen nicht so gravierend voneinander ab, als daß das Verhalten des Klägers als schlechterdings unverständlich zu beurteilen wäre. Eine weitgehende Anknüpfung an die nur subjektiv empfundene Betriebsbezogenheit dient, wie das Bundessozialgericht im Urteil vom 14. Dezember 1978 (a.a.O.) entschieden hat, der Rechtssicherheit, weil es die Unübersichtlichkeit einer Vielzahl von Einzelfallentscheidungen verhindert. In dem dort entschiedenen Fall glaubte ein Versicherter, nur wenige Kilometer nicht mehr zurücklegen zu können, obwohl objektiv der Tankinhalt noch für eine Strecke von 70 Km ausreichte. In diesem wie im hier entschiedenen Fall ging der Versicherte entgegen den objektiven Tatsachen von einer betriebsdienlichen Notwendigkeit des Nachtankens aus. In beiden Fällen war der Irrtum nicht unvermeidlich. Der Senat hält deshalb eine gleiche rechtliche Bewertung für angezeigt.
Der Umweg, den der Kläger zum Tanken in Kauf nahm, war auch nicht unverhältnismäßig weit. Auch wenn es sich um eine beträchtliche Strecke handelte, entsprach sie doch in der Vorstellung des Klägers mindestens der Entfernung, die auch bis zur nächsten Tankmöglichkeit am folgenden Tag zurückzulegen gewesen wäre. Bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit ist zudem die Gesamtsituation zu würdigen. Dabei ist vor allem zu berücksichtigen, daß der Arbeitgeber durch den unvorhergesehenen Wechsel der Schicht den Anlaß zum Nachtanken gegeben hatte.
Unerheblich ist, ob der Kläger sich bei Kollegen oder Verwandten hätte Benzin zum Nachfüllen des Tankes besorgen können. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts hängt die Bejahung der Notwendigkeit, ein Kraftfahrzeug an einer Tankstelle aufzutanken nicht von dem Nachweis ab, ob sich der Versicherte den Kraftstoff zumutbar an anderer Stelle hätte besorgen können (vgl. BSG, Urteil vom 24. Mai 1984 – a.a.O.).
Schließlich bestand für den Kläger auch keine zumutbare Möglichkeit, auf andere Weise als mit seinem eigenen Kraftfahrzeug zur Arbeit zu kommen. Er konnte nach seiner glaubhaften, von dem Zeugen bestätigten Darstellung weder damit rechnen, daß sein Vater zur gleichen Zeit mit der Arbeit beginnen würde, noch, daß ihm von der Familie ein anderes Fahrzeug zur Verfügung gestellt werden würde. Ein Fahrrad besaß er nicht. Allein schon wegen der knapp bemessenen Ruhezeit zwischen den beiden Schichten konnte von ihm auch nicht verlangt werden, einen langen Fußweg zur Arbeitsstelle in Kauf zu nehmen, zumal Ende Oktober jederzeit mit schlechtem Wetter gerechnet werden muß.
Bei der Schwere der Verletzung des Klägers sind Mindestleistungen zu erwarten, so daß der Senat ein Grundurteil (§ 130 SGG) erlassen konnte.
Die Kostenentscheidung ergeht gemäß § 193 SGG.
Die Revision war nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zuzulassen.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreites zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Anerkennung eines Verkehrsunfalles als Wegeunfall.
Der 1970 geborene Kläger war als Kraftfahrzeugschlosser unter Tage in der der beschäftigt. Am 28. Oktober 1991 nach Ende seiner Mittagsschicht verunglückte der Kläger um 22.30 Uhr auf dem Weg zur Nachttankstelle mit seinem Personenkraftwagen und zog sich eine Querschnittlähmung zu. Aufgrund der Unfallanzeige vom 11. November 1991 befragte die Beklagte den Sicherheitsingenieur, ein Betriebsratsmitglied und den Obersteiger (Vater des Klägers) zu dem Unfallereignis. Danach ergab sich, daß dem Kläger während seiner Mittagsschicht am 28. Oktober 1991 mitgeteilt worden war, daß er am nächsten Tag um 6.00 Uhr morgens Frühschicht fahren müsse. Der Kläger habe deshalb nicht mehr, wie von ihm vorgesehen, am Morgen des 29. Oktobers in seinem Heimatort tanken können. Da sein Tankanzeiger aber schon seit längerer Zeit auf rot gestanden habe, habe er versucht, noch am gleichen Abend an der Automatentankstelle in , ca. 2 Km von der Arbeitsstelle entfernt, in Gegenrichtung zu seinem Heimatort, zu tanken. Da diese nicht funktioniert habe, habe er zur Nachttankstelle nach fahren wollen. Auf dem Wege dorthin habe er bei auf der Kreisstraße 17 wegen eines Wildtieres bremsen müssen und sei dadurch ins Schleudern geraten.
Mit Bescheid vom 18. Dezember 1991 lehnte es die Beklagte ab, den Unfall als Arbeitsunfall im Sinne des § 550 Reichsversicherungsordnung (RVO) anzusehen. Das Betanken des privaten Kraftfahrzeuges sei grundsätzlich als eigenwirtschaftliches Handeln zu werten. Nur wenn unerwartet bei Antritt oder während der Fahrt von oder zum Arbeitsplatz sich die Notwendigkeit zum Tanken ergebe, könne für einen Umweg zur Tankstelle Versicherungsschutz anerkannt werden. Diese Voraussetzung läge nicht vor, weil der Kläger schon längere Zeit im roten Bereich der Tankanzeige gefahren sei. Im übrigen sei auch der Weg zur Nachttankstelle in um ein vielfaches weiter gewesen, als der Heimweg und der Anweg am nächsten Morgen.
Den Widerspruch vom 9. Januar 1992 legte die Beklagte am 10. August 1992 dem Sozialgericht Gießen als Klage vor. Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 8. Dezember 1992 die Klage mit der gleichen Begründung wie im Bescheid zurückgewiesen.
Gegen das ihm am 4. Januar 1993 zugestellte Urteil hat der Kläger am 2. Februar 1993 Berufung beim Hessischen Landessozialgericht eingelegt. Der Senat hat den Kläger persönlich und den Vater des Klägers, als Zeuge angehört. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 9. März 1994 verwiesen.
Der Kläger trägt zusätzlich zum bisherigen Vorbringen noch vor, daß er als Führerscheinneuling nicht habe einschätzen können, wie lange er mit dem erst drei Monate alten Pkw noch habe fahren können. Subjektiv sei er der Ansicht gewesen, das abendliche Tanken sei notwendig gewesen, um am nächsten Tag seine Arbeitsstelle zu erreichen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 8. Dezember 1992 sowie den Bescheid der Beklagten vom 18. Dezember 1991 aufzuheben und diese zu verurteilen, ihm wegen der Folgen des Unfalles vom 28. Oktober 1991 Verletztenrente in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Die Beklagte, die das erstinstanzliche Urteil für zutreffend hält, beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird Bezug genommen auf den übrigen Akteninhalt, insbesondere den Inhalt der beigezogenen Akten der Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung (§§ 143, 145, 151 des Sozialgerichtsgesetzes –SGG– i.V.m. Art. 14 Abs. 1 Satz 1 Gesetz zur Entlastung der Rechtspflege vom 19. Januar 1993, BGBl. I 1993, S. 50, 56) ist sachlich begründet. Der angefochtene Bescheid vom 18. Dezember 1991 und das Urteil des Sozialgerichts sind aufzuheben. Der Unfall, den der Kläger am 28. Oktober 1991 erlitten hat, ist ein Arbeitsunfall, für den die Beklagte Versicherungsleistungen zu gewähren hat.
Nach § 550 RVO i.V.m. § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO gilt als Arbeitsunfall auch der Unfall auf dem Weg nach und von dem Ort einer Tätigkeit, die auf einem Arbeitsverhältnis beruht. Findet der Unfall anläßlich einer bestimmten Tätigkeit auf dem Arbeitswege statt, so ist für den Versicherungsschutz entscheidend, ob diese Tätigkeit dem Unternehmen dienlich ist. Dabei kommt es nicht auf objektive Gesichtspunkte an, sondern es ist ausreichend, daß ein Versicherter von seinem Standpunkt aus der Auffassung sein kann, im Interesse des Unternehmens zu handeln. Dies gilt auch für die Beurteilung der Frage, ob das Auftanken eines Kraftfahrzeuges während des Weges von oder zum Arbeitsort zum unversicherten persönlichen Lebensbereich gehört oder den Schutz des § 550 RVO genießt. Einen brauchbaren Anhaltspunkt für die Betriebsbezogenheit sieht die Rechtsprechung in der unvorhergesehenen Notwendigkeit bei Antritt oder während der Fahrt zum Arbeitsort zu Tanken. Ein Versicherter kann von dieser Notwendigkeit dann ausgehen, wenn während oder bei Antritt der Fahrt der Zeiger der Benzinuhr im roten Bereich steht (ständige Rechtsprechung des BSG, vgl. Urteil vom 24. Mai 1984 – 2 RU 3/83 und Urteil vom 14. Dezember 1978 in SozR 2200 § 550 RVO Nr. 39 m.w.N.).
Diese von der Rechtsprechung erarbeiteten Voraussetzungen sind im vorliegenden Falle gegeben. Als der Kläger am Abend des 28. Oktober 1991 die Anweisung bekam, am nächsten Morgen um 6.00 Uhr zur Frühschicht zu kommen, befand sich nach seinen glaubhaften und von der Beklagten nicht bestrittenen Angaben die Tankanzeige im roten Bereich. Seit wann dies der Fall war, weiß der Kläger nicht mehr. Darauf kommt es hier jedoch auch nicht an, denn die unvorhersehbare Notwendigkeit zu Tanken ergab sich für den Kläger nicht unmittelbar daraus, daß er mit der Tankreserve fuhr. Er war davon ausgegangen, daß der Tankinhalt jedenfalls noch für die Rückfahrt ausreichen würde, neu Auftanken wollte er am nächsten Morgen. Dieses Vorhaben war jedoch wegen des geänderten Arbeitsbeginnes am nächsten Tag nicht mehr durchzuführen. Das noch vorhandene Benzin im Reservetank mußte deshalb nicht nur für die Heimfahrt am Abend des 28. Oktobers 1991, sondern auch für den Weg zu und von der Arbeitsstelle am nächsten Tag reichen. Da die Verlegung der Schicht für den Kläger unerwartet kam und er nun befürchten mußte, für den nächsten Tag nicht mehr genügend Benzin zu haben, konnte er davon ausgehen, daß das Nachtanken am gleichen Abend unternehmensdienlich war. Der Weg zur nächsten Tankstelle nach war somit versichert.
Nachdem die dortige Automatentankstelle nach dem glaubhaften und von der Beklagten nicht widersprochenen Vorbringen des Klägers versagte, entschloß er sich, zur dann nächsten Nachttankstelle an der Autobahnausfahrt in zu fahren. Er wählte dazu die Kreisstraße 17, auf der es mit 20 Km genauso weit ist, wie auf der Bundesstraße 62. Dieser Weg war objektiv nicht notwendig, er war jedoch nach Auffassung des Senats ebenfalls versichert. Der Kläger hätte am gleichen Abend noch 7 Km bis zu seinem Heimatort zurücklegen müssen. Am nächsten Tag hätte er für den Hin- und Rückweg zur Schachtanlage nochmals 10 Km benötigt, insgesamt also 17 Km. Wenn er auf dem Rückweg die Möglichkeit gehabt hätte, dann in tanken, wäre von 14 noch zurückzulegenden Km auszugehen. Der Weg zur Tankstelle in war also länger als der, den er am nächsten Tag bis zur Tankmöglichkeit nach Arbeitsende zurückzulegen hatte. Diese mit Hilfe einer Straßenkarte angestellten Überlegungen mußten sich jedoch in der konkreten Situation am Abend des 28. Oktober 1991 dem Kläger nicht aufdrängen. Die unerwartete und plötzliche Verlegung der Schicht, die ihm gerade acht Stunden Ruhezeit gewährte, und die Befürchtung, am nächsten Tag liegen zu bleiben, lassen seinen Entschluß, die Tankstelle in aufzusuchen, nachvollziehbar erscheinen, auch wenn dies objektiv nicht notwendig war. Die Entfernungsunterschiede weichen nicht so gravierend voneinander ab, als daß das Verhalten des Klägers als schlechterdings unverständlich zu beurteilen wäre. Eine weitgehende Anknüpfung an die nur subjektiv empfundene Betriebsbezogenheit dient, wie das Bundessozialgericht im Urteil vom 14. Dezember 1978 (a.a.O.) entschieden hat, der Rechtssicherheit, weil es die Unübersichtlichkeit einer Vielzahl von Einzelfallentscheidungen verhindert. In dem dort entschiedenen Fall glaubte ein Versicherter, nur wenige Kilometer nicht mehr zurücklegen zu können, obwohl objektiv der Tankinhalt noch für eine Strecke von 70 Km ausreichte. In diesem wie im hier entschiedenen Fall ging der Versicherte entgegen den objektiven Tatsachen von einer betriebsdienlichen Notwendigkeit des Nachtankens aus. In beiden Fällen war der Irrtum nicht unvermeidlich. Der Senat hält deshalb eine gleiche rechtliche Bewertung für angezeigt.
Der Umweg, den der Kläger zum Tanken in Kauf nahm, war auch nicht unverhältnismäßig weit. Auch wenn es sich um eine beträchtliche Strecke handelte, entsprach sie doch in der Vorstellung des Klägers mindestens der Entfernung, die auch bis zur nächsten Tankmöglichkeit am folgenden Tag zurückzulegen gewesen wäre. Bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit ist zudem die Gesamtsituation zu würdigen. Dabei ist vor allem zu berücksichtigen, daß der Arbeitgeber durch den unvorhergesehenen Wechsel der Schicht den Anlaß zum Nachtanken gegeben hatte.
Unerheblich ist, ob der Kläger sich bei Kollegen oder Verwandten hätte Benzin zum Nachfüllen des Tankes besorgen können. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts hängt die Bejahung der Notwendigkeit, ein Kraftfahrzeug an einer Tankstelle aufzutanken nicht von dem Nachweis ab, ob sich der Versicherte den Kraftstoff zumutbar an anderer Stelle hätte besorgen können (vgl. BSG, Urteil vom 24. Mai 1984 – a.a.O.).
Schließlich bestand für den Kläger auch keine zumutbare Möglichkeit, auf andere Weise als mit seinem eigenen Kraftfahrzeug zur Arbeit zu kommen. Er konnte nach seiner glaubhaften, von dem Zeugen bestätigten Darstellung weder damit rechnen, daß sein Vater zur gleichen Zeit mit der Arbeit beginnen würde, noch, daß ihm von der Familie ein anderes Fahrzeug zur Verfügung gestellt werden würde. Ein Fahrrad besaß er nicht. Allein schon wegen der knapp bemessenen Ruhezeit zwischen den beiden Schichten konnte von ihm auch nicht verlangt werden, einen langen Fußweg zur Arbeitsstelle in Kauf zu nehmen, zumal Ende Oktober jederzeit mit schlechtem Wetter gerechnet werden muß.
Bei der Schwere der Verletzung des Klägers sind Mindestleistungen zu erwarten, so daß der Senat ein Grundurteil (§ 130 SGG) erlassen konnte.
Die Kostenentscheidung ergeht gemäß § 193 SGG.
Die Revision war nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zuzulassen.
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