L 5 V 608/98 ZVW

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
5
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 12 V 805/96
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 5 V 608/98 ZVW
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 15. Juli 1996 wird zurückgewiesen.

II. Der Beklagte hat dem Kläger die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen aller Instanzen zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Rücknahme eines Bewilligungsbescheides.

Der 1930 geborene Kläger hat als ausländischer Staatsangehöriger seinen Wohnsitz in der Republik Kroatien. Im Juli 1944 wurde er durch liegengebliebenes Kriegsmaterial verletzt und als ziviles Kriegsopfer in seinem Heimatstaat anerkannt. Auf seinen Antrag vom 8. August 1988 hin erkannte der Beklagte mit Bescheid vom 30. Januar 1991 (abgesandt am 27. Februar 1991) als Schädigungsfolgen an:

1) "Erblindung des rechten Auges, Verlust des linken Auges,
2) Verlust des rechten Armes im Unterarm”

und bewilligte ab 1. August 1988 eine Beschädigtenrente als "Kann-Leistung” gemäß §§ 64 Abs. 2, 64 e Abs. 1 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 100 v.H. nebst Schwerbeschädigtenzulage Stufe II und Pflegezulage Stufe III.

Mit Bescheid vom 12. November 1991 bewilligte der Beklagte Zinsen für die Zeit zwischen Antragstellung und Beginn der laufenden Leistung und mit Bescheiden vom 3. Juni 1991 und 3. Juni 1992 erhöhte er die laufenden Versorgungsbezüge gemäß dem 20. KOV-Anpassungsgesetz.

Ohne vorherige Anhörung des Klägers nahm der Beklagte den Bewilligungsbescheid unter Hinweis auf § 7 Abs. 2 BVG mit Rücknahmebescheid vom 11. Januar 1993 mit Wirkung ab 1. Februar 1993 zurück. Dieser Bescheid wurde am 11. Januar 1993 abgesandt. Mit Schreiben vom 27. Februar 1993 legte der Kläger Widerspruch ein, der mit Widerspruchsbescheid vom 26. Juli 1993 zurückgewiesen wurde.

Am 15. Juli 1995 ging ein Schreiben des Klägers vom 10. Juli 1995 ein, worin er die Rücknahme des Aufhebungsbescheides begehrt. Mit Bescheid vom 7. August 1995 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Januar 1996 lehnte der Beklagte die Rücknahme der bindend gewordenen Bescheide ab.

Auf die hiergegen erhobene Klage hat das Sozialgericht Frankfurt am Main mit Gerichtsbescheid vom 15. Juli 1996 den Bescheid vom 7. August 1995 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Januar 1996 aufgehoben und den Beklagten verurteilt, den Bescheid vom 11. Januar 1993 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Juli 1993 aufzuheben. Die Berufung des Beklagten blieb erfolglos (Urteil des Hessischen Landessozialgerichts – HLSG – vom 17. Juli 1997).

Mit der vom Senat zugelassenen Revision hat der Beklagte im Revisionsverfahren eine Verletzung des § 45 Sozialgesetzbuch – Verwaltungsverfahren – (SGB X) gerügt. Mit Urteil vom 13. März 1998 hat das Bundessozialgericht das Urteil des HLSG vom 17. Juli 1997 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen mit der Maßgabe, zu prüfen, ob die Zwei-Jahres-Frist des § 45 Abs. 3 Satz 1 SGB X versäumt sei. Ferner hat es für notwendig erachtet, im Einzelfall zu prüfen, ob der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut habe und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig sei. Insoweit sei zu ermitteln, ob und welche Vermögensdisposition der Begünstigte getroffen habe, in welchen wirtschaftlichen Verhältnissen der Begünstigte nach der Rücknahme des Bewilligungsbescheides lebe und ob außenpolitische Belange der Bundesrepublik Deutschland berührt sein könnten.

In dem zurückverwiesenen Verfahren hat der Senat daraufhin weitere Ermittlungen bei dem Kläger zur Frage der Bekanntgabe des Bewilligungs- und Rücknahmebescheides sowie hinsichtlich evtl. Vermögensdispositionen und seiner wirtschaftlichen Lage durchgeführt.

Der Kläger hat vorgetragen, daß er nicht mehr wisse, wann er den Rente bewilligenden Bescheid und den Rücknahmebescheid erhalten habe. Durch die Zahlung der Beschädigtenrente habe sich seine finanzielle Situation grundlegend gebessert. Seit dem Tode seiner Ehefrau lebe er allein in seinem Haushalt und bedürfe aufgrund seiner Behinderung zur Führung des Haushaltes einer Haushälterin. Nach der Bewilligung der Beschädigtenrente haben er und seine damalige Ehefrau sich entschlossen, ein kleines Haus zu bauen; dieses Haus befinde sich noch im Rohbau. Seit dem Entzug der Beschädigtenrente aus Deutschland lebe er am Rande des Existenzminimums und habe deshalb bereits sein Fahrzeug verkaufen müssen. Von September 1991 bis Februar 1992 habe er sich mit seiner Ehefrau in einem Flüchtlingslager befunden und nach Rückkehr in sein Heimatdorf dann festgestellt, daß sein Haus beschädigt worden ist.

Der Beklagte hält an seiner Entscheidung fest.

Der Beklagte beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 15. Juli 1996 aufzuheben und die Klage abzuweisen,

Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt das erstinstanzliche Urteil.

Der Senat hat hinsichtlich einer Betroffenheit der außenpolitischen Belange der Bundesrepublik Deutschland beim Auswärtigen Amt (u.a. im Verfahren L 5 V 535/98 ZVW) ermittelt und die Ergebnisse in das Verfahren eingeführt. Mit Schreiben vom 8. Dezember 1998 hat das Auswärtige Amt mitgeteilt, daß aus außenpolitischer Sicht es in den dazu vorliegenden Fällen gerechtfertigt erscheine, dem Vertrauen des Begünstigten in die Bindungswirkung einer nach mehrjährigen Verfahren zustande gekommenen Entscheidung der Versorgungsverwaltung größeren Wert beizumessen, als dem öffentlichen Interesse an der Rechtmäßigkeit der Entscheidung. Eine Entziehung der nach langjährigen Verwaltungsverfahren bewilligten Versorgung wäre nicht nur für den Betroffenen unverständlich, sondern könne die Bundesrepublik Deutschland auch im Ausland der Kritik aussetzen, zivile Opfer des 2. Weltkrieges unangemessen zu behandeln. In der beigefügten Stellungnahme der Botschaft Zagreb vom 20. November 1998 hat diese u.a. ausgeführt, daß die Zahlung von Versorgungsleistungen in Kroatien nicht als eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten empfunden werde und daß der Entzug der Rentenzahlung im Jahre 1993 zu einer Eingabe des Verbandes der zivilen Kriegsinvaliden Kroatiens an den Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland geführt habe. In einer Mitteilung vom 14. Dezember 1998 hat die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Ljubljana/Laibach (Slowenien) auch mitgeteilt, daß die Entziehung von Renten an zivile Kriegsopfer auch u.a. zu einer erheblichen Beeinträchtigung des Ansehens der Bundesrepublik Deutschland in diesem Land geführt habe und weiterhin führen könne. Die Botschaft in Mazedonien (Skopje) hat über keine detaillierten Kenntnisse berichtet. Die Botschaft in Sarajewo (Bosnien und Herzegowina) hat u.a. ausgeführt, daß für den Fall, daß in einer größeren Anzahl von Fällen an zivile Kriegsopfer gezahlte Renten wieder entzogen werden würden, eine Belastung der Beziehungen zur Bundesrepublik Deutschland zu befürchten sei. Keine der Botschaften hat darüber berichtet, daß die Zahlung von Renten an zivile Kriegsopfer als eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten dieser Staaten empfunden werde.

Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte, die Akte des Bundessozialgerichtes und die B-Akte des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte nach Lage der Akten entscheiden, da das Einverständnis beider Beteiligten vorlag (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG –).

Die Berufung des Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 15. Juli 1996 ist sachlich unbegründet.

Das Sozialgericht hat im Ergebnis zu Recht den Bescheid vom 15. Juli 1995 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Januar 1996 sowie den Rücknahmebescheid vom 11. Januar 1993 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Juli 1993 aufgehoben, denn die Rücknahme des Bewilligungsbescheides vom 30. Januar 1991 war rechtswidrig.

Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, daß bei seinem Erlaß das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Diese Vorschrift ist auf den Bescheid vom 11. Januar 1993 anzuwenden, obwohl er Sozialleistungen nicht rechtskräftig – abgelehnt, sondern zuvor bewilligte und bis dahin gezahlten Versorgungsleistungen für die Zukunft wieder entzogen hat. Aus dem Regelungszweck des § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X folgt, daß diese Vorschrift nicht nur Fälle erfaßt, in denen dem Betroffenen ein rechtlicher Nachteil durch unrechtmäßige Ablehnung einer beantragten Sozialleistung entstanden ist, sondern auch solche, in denen Leistungen zunächst bewilligt worden sind, die Leistungsbewilligung nachträglich jedoch zurückgenommen worden ist. Bei einem Überprüfungsverfahren nach § 44 Abs. 1 SGB X kommt es für die Frage, ob der Rücknahmebescheid rechtmäßig oder rechtswidrig ist, nicht allein darauf an, ob der Kläger von Anfang an keinen Anspruch auf die Leistungen hatte, sondern es ist auch zu prüfen, ob eine rechtswidrige Leistungsbewilligung deshalb nicht mehr aufgehoben werden durfte, weil der Betroffene Vertrauensschutz genießt.

Rechtsgrundlage für die – im Rahmen des § 44 Abs. 1 SGB X – vorzunehmende Prüfung des Rücknahmebescheides vom 11. Januar 1993 ist deshalb auch § 45 SGB X, wie das Bundessozialgericht (vgl. Urteil vom 11. März 1998 – B 9 V 37/97 R und mittlerweile in einer Vielzahl von vergleichbaren Fällen, u.a. Urteile vom 5. November 1997 – 9 RV 2/97 und 9 RV 20/96), entschieden hat. Nach dieser Vorschrift darf ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt) – auch soweit es sich wie vorliegend um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung handelt –, wenn er rechtswidrig ist, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Abs. 2–5 von § 45 SGB X ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit oder nur bis zum Ablauf von zwei Jahren nach seiner Bekanntgabe zurückgenommen werden (§ 45 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 1 SGB X).

Der angefochtene Bescheid ist nicht schon nach § 45 Abs. 3 Satz 1 SGB X aufzuheben, weil die 2-Jahres-Frist eingehalten wurde. Das Bundessozialgericht hatte diese Prüfung noch offen gelassen. Die Einhaltung der 2-Jahres-Frist ergibt sich daraus, daß der Bewilligungsbescheid vom 30. Januar 1991 am 27. Februar 1991 abgesandt wurde und der Kläger gegen den Rücknahmebescheid vom 11. Januar 1993 mit Schreiben vom 27. Februar 1993 Widerspruch eingelegt hat.

Nach § 45 Abs. 2 Satz SGB X darf ein rechtswidrig begünstigender Verwaltungsakt auch nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist.

Die nach § 45 SGB X zugelassene Durchbrechung der Bindungswirkung von Verwaltungsakten (vgl. § 77 SGG) geht von dem Gedanken der Recht- und Gesetzmäßigkeit jeden Verwaltungshandelns aus, die grundsätzlich verlangt, rechtswidrige Verwaltungsakte zu beseitigen. Dem steht allerdings gegenüber, daß der für die Rechtswidrigkeit nicht verantwortliche Betroffene grundsätzlich auf die Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns vertrauen darf und vor der Rücknahme geschützt sein soll. Um den Widerstreit zwischen den beiden Grundsätzen zu lösen, muß im Einzelfall abgewogen werden zwischen gesetzmäßigem Zustand und schutzwürdigem Vertrauen des Begünstigten. Bei Verwaltungsakten mit Dauerwirkung ist das öffentliche Interesse an der Beseitigung des rechtswidrigen Zustandes in der Regel höher einzuschätzen (BSG, Urteil vom 5. November 1997 – 9 RV 20/96 – S. 6, m.w.N.). Für die Abwägung ist dann von Bedeutung, daß es mit den anerkannten Grundsätzen einer sparsamen Verwendung von Haushaltsmitteln unvereinbar ist – entgegen § 7 Abs. 2 BVG – Leistungen für einen längeren Zeitraum in die Zukunft hinein zu erbringen.

Diese gewichtigen öffentlichen Interessen schließen es im Einzelfall aber nicht aus, das Individualinteresse des rechtswidrig Begünstigten als bedeutsamer anzusehen und einen Ausschluß der Rücknahme zu bejahen, wenn der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes – tatsächlich – vertraut hat.

Der Kläger hat auch auf den Bestand des Leistungsbewilligungsbescheides vertraut und deshalb im guten Glauben Vermögensdispositionen getroffen. Denn bei den weiteren Ermittlungen haben sich keine gegenteiligen Gesichtspunkte ergeben. Für das Vorliegen von Vertrauen spricht eine Vermutung. Im Zweifel hat die Behörde zu beweisen, daß der Begünstigte nicht auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und nicht umgekehrt der Begünstigte, daß er darauf vertraut hat (vgl. Pickel, SGB X, Stand: Juli 1997, § 45 SGB X, Rdnr. 24 m.w.N.).

Das Vertrauen des Klägers ist auch dadurch gestärkt worden, daß der Beklagte nach Erlaß des Bewilligungsbescheides noch einen Zins- und zwei Anpassungsbescheide erlassen hat (vgl. BSG, Urteil vom 14. Juni 1984, in: SozR 2-1300 § 45 Nr. 9 und Urteil vom 5. November 1997, in: SozR 2-1300 § 45 Nr. 37).

Nach den weiteren Ermittlungen des Senates ist unter Abwägung des Vertrauensschutzes des Klägers mit dem öffentlichen Interesse eine Rücknahme rechtswidrig. Der Vertrauensschutz des Klägers auf den Bestand gemäß § 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X hindert eine Rücknahme. Diese notwendige Abwägung der Versorgungsverwaltung vor der Rücknahme eines rechtswidrig begünstigenden Verwaltungsaktes ist gerichtlich voll nachprüfbar (vgl. Steinwedel, in: Kasseler Kommentar, Stand: Dezember 1998, § 45 SGB X, Rdnr. 46). § 45 Abs. 2 Satz 2 SGB X nennt auch Regeltatbestände, bei deren Vorliegen das Vertrauen in der Regel schutzwürdig ist. Danach ist das Vertrauen in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. In beiden Fällen soll das öffentliche Interesse zurückstehen, weil die Rücknahme des Verwaltungsaktes im Falle des Verbrauchs zu einer Rückabwicklung, im Falle der Vermögensdisposition zu einer übermäßigen Belastung des Begünstigten durch die Rückgängigmachung führen würde. Da der Verwaltungsakt nicht mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen wird, spielt die Frage des Verbrauches der empfangenen Leistung hier (beim Regelfall des schutzwürdigen Vertrauens) keine Rolle mehr. Vermögensdisposition kann nur eine nach Erlaß des Verwaltungsaktes vorgenommene Disposition sein (vgl. Pickel, a.a.O, § 45 SGB X, Rdnr. 26 m.w.N.). Bei der Rücknahme für die Zukunft geht es zunächst nur noch um die Frage, ob eine Vermögensdisposition getroffen wurde, deren Rücknahme unzumutbar wäre. Hier ist die Vermögensdisposition nach dem Bewilligungsbescheid getroffen und damit besteht kraft gesetzlicher Regelvermutung vorrangig ein Vertrauensschutz. Eine Rücknahme wäre eine Härte – also unzumutbar –, das hat der Kläger hier überzeugend geltend gemacht (vgl. auch Wiesner, in: Schroeder – Printzen u.a.; SGB X, 3. Aufl., § 45 Rdnrn. 1 und 20).

Der Kläger hat im Vertrauen auf die Bewilligung von Versorgungsleistungen ein kleines Haus zu bauen begonnen. Infolge der Kriegsereignisse 1991/92 befand sich der Kläger dann mit seiner Frau in einem Flüchtlingslager und nach Rückkehr in sein Heimatdorf fand er sein bewohntes Haus beschädigt vor. Nachdem seine Ehefrau verstorben ist und er seinen Haushalt allein führen muß, ist er aufgrund seiner Behinderung auf eine Haushälterin angewiesen. Seit dem Entzug der Beschädigtenrente aus Deutschland lebt er deshalb am Rande des Existenzminimums. Er mußte sein Fahrzeug verkaufen und sein angefangenes Haus steht weiterhin im Rohbau. Eine Rückabwicklung ist in Anbetracht dieser Umstände nicht möglich und der Kläger ist durch die Rücknahme des Bewilligungsbescheides in unzumutbarer Härte betroffen.

Auch wenn nach § 45 Abs. 2 Satz 2 SGB X das Vertrauen in der Regel schutzwürdig ist, wenn eine Vermögensdisposition getroffen wurde, die nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig zu machen ist, kann ausnahmsweise im Einzelfall das öffentliche Interesse an der Rücknahme des Verwaltungsaktes überwiegen (vgl. Pickel, a.a.O., § 45 SGB X, Rdnr. 28). Der Beklagte hat insoweit überragende fiskalische Interessen geltend gemacht; im vorliegenden Fall aber steht dem Vertrauen des Klägers ein besonderes öffentliches Interesse nicht entgegen. Denn je stärker der Fehler von der Verwaltung zu verantworten ist, desto geringer wiegt das öffentliche Interesse an der Aufhebung des unrichtigen Verwaltungsaktes (vgl. BSG, SozR 1300 § 45 Nr. 20). Der Beklagte hat selbst eingeräumt, daß er allein verantwortlich gegen Gesetz und Rechtsprechung unrichtig entschieden hat. Die weiteren Ermittlungen des Senates haben darüber hinaus ergeben, daß vielmehr gerade – wie die Ermittlungen beim Auswärtigen Amt in Bonn und bei der Botschaft in Zagreb (Kroatien) ergeben haben – öffentliche Belange der Bundesrepublik Deutschland tangiert sind. Eine Entziehung der bewilligten Versorgung wäre nicht nur für die Betroffenen unverständlich, sondern würde die Bundesrepublik. Deutschland auch im Ausland der Kritik aussetzen, zivile Opfer des 2. Weltkrieges unangemessen zu behandeln. Diese Bewertung wird durch die Äußerungen der Botschaft in der Bundesrepublik Deutschland in Sarajewo (für Bosnien-Herzegowina) und vor allem aus Laibach/Ljubljana (für Slowenien) bestätigt.

Nach diesen Auskünften, die von besonders sachkundiger Stelle erfolgten, kann der Beklagte nicht mit fiskalischen Interessen gehört werden. Entscheidend ist, daß eine Beschädigung des Ansehens der Bundesrepublik Deutschland im Ausland – insbesondere im Hinblick auf die Folgen des 2. Weltkrieges auf dem Balkan – vermieden wird. Die entstehenden Aufwendungen sind angesichts der begrenzten Anzahl von Zivilkriegsopferfällen sowie des Lebensalters der Berechtigten auch unter Berücksichtigung einer rechtmäßigen ordentlichen Haushaltsführung hinzunehmen.

Die Zahlung von Versorgungsleistungen stellt auch in Kroatien keine Einmischung in die inneren Angelegenheiten dar, so daß das öffentliche Interesse insoweit der Rücknahme der unrichtigen Verwaltungsentscheidung nicht entgegensteht. Die Versorgungsverwaltung hat bei der Interessenabwägung die näheren Umstände des Vertrauensschutzes weder ermittelt noch die öffentlichen Belange berücksichtigt; somit war der Rücknahmebescheid von vornherein rechtswidrig und deshalb aufzuheben.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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