L 5 SB 883/94

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
5
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 3 Vb 1349/94
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 5 SB 883/94
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 19. Juli 1994 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

II. Der Beklagte hat dem Kläger 3/4 der notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Feststellung von Behinderungen nach dem Schwerbehindertengesetz (SchwbG) und hierbei insbesondere um die Frage, ob der Grad der Behinderung (GdB) nach Ablauf der sogenannten Heilungsbewährung herabgesetzt werden durfte.

Der 1950 geborene Kläger wurde 1987 wegen eines Blasenkarzinoms operiert. Mit Bescheid vom 29. November 1990 wurde als Behinderung "Blasentumor-Operation” mit einem GdB von 50 festgestellt. Einen Hinweis auf die sogenannte Heilungsbewährung enthielt dieser Bescheid nicht.

Mit bindend gewordenem Neufeststellungsbescheid vom 3. Juni 1991 stellte der Beklagte als Behinderungen

"1. Blasentumor-Operation” (Einzel-GdB 50) und
"2. degenerative Veränderungen der Wirbelsäule und Gelenke” (Einzel-GdB 20)

mit einem Gesamt-GdB von 60 fest. Den Neufeststellungsantrag des Klägers vom 1. Juli 1991, mit dem dieser u.a. eine Verschlimmerung seiner Wirbelsäulenbeschwerden geltend machte, lehnte der Beklagte nach Einholung eines Befundberichtes von dem Orthopäden Dr. S., R., vom 25. Juni 1991 mit Bescheid vom 25. September 1991 ab. Im Widerspruchsverfahren wurden Befundberichte von Frau M. O. (Ärztin für Neurologie und Psychiatrie, R.) vom 29. Oktober 1991, von dem Urologen Dr. St., R., vom 3. Februar 1992 und von dem Chirurgen Dr. G., M., vom 25. Februar 1992 sowie ein Entlassungsbericht der Wirbelsäulenklinik, B. H., vom 27. November 1991 beigezogen. Bei deren versorgungsärztlichen Auswertung stellte der Chirurg E. fest, daß wegen der Heilungsbewährung der Gesamt-GdB auf 20 abzusenken sei. Mit Schreiben vom 11. Mai 1992 hörte daraufhin der Beklagte den Kläger gemäß § 24 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch – Verwaltungsverfahren – (SGB X) zu der beabsichtigten Herabsetzung des GdB an. Der Kläger verwies auf sein Halswirbelsäulen- und Lendenwirbelsäulenleiden (CT-Befunde der Dres. A. und G. 6. August 1991 und 21. Mai 1992) und auf die am 28. Juli 1992 durchgeführte Operation im DRK-Schmerz-Zentrum, M. Der Beklagte forderte von dort einen Entlassungsbericht (11. August 1992) an und zog erneut Befundberichte von Frau O. vom 7. Januar, 6. April, 26. Oktober 1993 und von Dr. St. vom 25. Januar 1993 bei sowie einen Entlassungsbericht der Reha-Klinik H. W., und setzte nach deren versorgungsärztlicher Auswertung mit Neufeststellungsbescheid vom 6. Dezember 1993 den Gesamt-GdB auf 30 herab, wobei als Behinderungen festgestellt wurden:

1) "Degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, Bandscheibenoperation” (Einzel GdB 30) und
2) "Reststörungen nach Blasenoperation” (Einzel-GdB 10).

Der Bescheid enthielt den Zusatz, daß er vom anhängigen Verfahren mitumfaßt werde. Der Kläger erhob die als "Widerspruch” bezeichneten Gegenvorstellungen und machte geltend, daß er bei Dr. St. bei Frau O. und (neu) bei dem Orthopäden Dr. N. in Behandlung stehe und Untersuchungen geplant seien.

Durch Widerspruchsbescheid vom 7. April 1994 (abgesandt am 11. April 1994) wies der Beklagte den Widerspruch sodann u.a. mit der Begründung zurück, mit dem ursprünglich angefochtenen Bescheid sei zutreffend festgestellt worden, daß seit der letzten bindenden Entscheidung (Bescheid vom 3. Juni 1991) keine wesentliche Änderung derart eingetreten sei, die zu einer Höherbewertung des GdB führen könnte. Eine wesentliche Änderung nach § 48 Abs. 1 SGB X liege dann vor, wenn ein veränderter Gesundheitszustand voraussichtlich mehr als sechs Monate andauere und die Änderung des GdB mindestens 10 betrage. Abweichend von der allgemeinen Definition einer Behinderung sei bei einigen Erkrankungen für eine bestimmte Zeitdauer (Heilungsbewährungszeit) festgelegt, daß in dieser Zeit zusätzlich ein Zuschlag anzusetzen ist, da nach der herrschenden medizinischen Lehrmeinung während dieser Zeit eine erhöhte Gefahr für einen Rückfall gegeben sei. Wenn in dieser Zeit kein Rückfall erfolge, sei nach Zeitablauf nur noch die verbliebene dauernde Funktionsbeeinträchtigung zu berücksichtigen. Da seit der Blasentumoroperation im Jahr 1987 kein Rezidiv aufgetreten sei, könne davon ausgegangen werden, daß die Rückfallgefahr überstanden sei, weshalb mit dem vom Widerspruchsverfahren miterfaßten Neufeststellungsbescheid vom 6. Dezember 1993 zutreffend der Gesamt-GdB von 60 auf 30 habe herabgesetzt werden müssen. Der Nachteilsausgleich "G” könne nur bei Personen festgestellt werden, bei denen der GdB mindestens 50 betrage (und damit die Schwerbehinderteneigenschaft gegeben sei), was beim Kläger nicht der Fall sei.

Der Kläger hat am 22. April 1994 (Eingang) Klage beim Sozialgericht Frankfurt am Main erhoben und u.a. geltend gemacht, daß bei ihm im Laufe des Jahres 1992 Bandscheibenvorfälle sowohl an der Lenden- wie auch an der Halswirbelsäule aufgetreten seien, weshalb er im Juli 1992 operiert worden sei.

Mit Urteil vom 19. Juli 1994 hat das Sozialgericht die Bescheide des Beklagten vom 25. September 1991 und vom 6. Dezember 1993 sowie den Widerspruchsbescheid vom 7. April 1994 aufgehoben und zur Begründung u.a. ausgeführt, eine Herabsetzung des Gesamt-GdB könne nicht gemäß § 48 SGB X erfolgen. Im Bescheid vom 3. Juni 1991 sei als Behinderung u.a. eine Blasentumoroperation mit einem Einzel-GdB von 50 festgestellt worden. Zwar führten – auch unter Berücksichtigung der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz” (im Folgenden: AHP 1983) – die verbliebenen Reststörungen nur noch zu einem GdB von 10. Der GdB von 50 habe seinerzeit aber nicht auf diesen verbliebenen Reststörungen, sondern auf der Einräumung einer sogenannten Heilungsbewährung beruht, die fünf Jahre nach der Operation abgelaufen sei (AHP 1983, Nr. 26.12, S. 84). Der Text des Bescheides vom 3. Juni 1991 habe aber für den Kläger nicht kenntlich gemacht, daß nach Ablauf der Heilungsbewährung eine Herabstufung des GdB erfolgen solle, weshalb insoweit auch die Annahme einer wesentlichen Änderung nach Ablauf der Heilungsbewährungszeit nicht möglich sei. Nur bei Aufnahme der Heilungsbewährung in den Bescheidtext könne später von einer wesentlichen Änderung im Sinne des § 48 SGB X ausgegangen werden. Das Sozialgericht hat sich insoweit auf das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 8. März 1994 (– L-4/Vb-467/93 –) bezogen. Da dem Kläger nicht bekannt gewesen sei, weshalb im Bescheid vom 3. Juni 1991 der GdB mit insgesamt 60 festgesetzt worden sei und der Gesundheitszustand des Klägers sich (abgesehen vom Ablauf der Heilungsbewährung) im Hinblick auf die verbliebenen Reststörungen nach der Blasentumoroperation nicht geändert habe, könne auch nicht gemäß § 48 SGB X von einer wesentlichen Änderung ausgegangen werden.

Gegen das ihm mittels Empfangsbekenntnis am 13. September 1994 zugestellte Urteil hat der Beklagte die am 23. September 1994 beim Hessischen Landessozialgericht eingegangene Berufung eingelegt. Zur Begründung hat er u.a. ausgeführt, daß das vom Sozialgericht in der Begründung weitgehend übernommene Urteil des 4. Senates des Hessischen Landessozialgerichtes vom Bundessozialgericht (BSG) aufgehoben worden sei, nachdem im Rahmen eines Grundsatzrechtsstreites auf die vom Beklagten erhobene Nichtzulassungsbeschwerde (Az.: des HLSG: L-4/Vb-467/93) die Revision zugelassen worden war.

Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 19. Juli 1994 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das erstinstanzliche Urteil, das er für zutreffend hält und macht u.a. geltend, daß sich seine Wirbelsäulen- und Gelenkbeschwerden verschlimmert hätten und er außerdem an einer Hauterkrankung (Psoriasis) leide.

Der Senat hat zunächst Beweis erhoben durch Beiziehung von Befundberichten von Dr. W., F. vom 12. November 1995, Dr. T. (Internist, F.), vom 12. Dezember 1995, Dr. St. (Urologe, R.), vom 4. April 1996, Frau O. (Ärztin für Neurologie und Psychiatrie, R.), vom 4. April 1995 und von dem Orthopäden Dr. N. (F.), vom 12. April 1996; weiter hat der Senat die Entlassungsberichte der Klinik. H., W., vom 26. Oktober 1994 (eine stationäre Reha-Maßnahme vom 20. September bis 25. Oktober 1994 betreffend) sowie einen Entlassungsbericht des DRK-Schmerz-Zentrums, M., vom 3. Februar 1993 und schließlich Befundberichte von Dr. G. mit einer Magnetresonanztomografie der Halswirbelsäule vom 2. Oktober 1993 (Berichte vom 3. und 15. Mai 1996) beigezogen. Nach versorgungsärztlicher Auswertung dieser Unterlagen hat sich der Beklagte mit Teilanerkenntnis vom 21. Juni 1996 bereit erklärt, die Behinderungen nunmehr wie folgt zu bezeichnen:

1) "Degenerative Lendenwirbelsäulenveränderungen mit Nervenwurzelreizerscheinungen, initiale Coxarthrose beidseits;
2) Degenerative Veränderungen der Halswirbelsäule und Brustwirbelsäule mit Nervenwurzelreizerscheinungen;
3) Reststörungen nach Blasenoperation”

und einen Gesamt-GdB ab November 1995 von 40 festzustellen.

Der Kläger machte darüber hinaus geltend, daß unter Berücksichtigung des bei ihm vorliegenden Hautleidens weiterhin ein GdB von 50 angemessen sei. Der Senat hat daraufhin zum Ausmaß der Psoriasiserkrankung einen Bericht des Arztes für Innere Medizin Dr. T. M. vom 5. September 1996 und einen Befundbericht von Prof. Dr. D., (Hautarzt, R) vom 21. März 1997 angefordert, sowie erneut einen Befundbericht des Orthopäden Dr. N. vom 12. März 1997 beigezogen.

In einem zweiten Teilanerkenntnis vom 23. April 1997 erklärte sich der Beklagte daraufhin bereit, als weitere Behinderung: "4. Psoriasis” (Einzel-GdB 10) festzustellen, ohne den Gesamt-GdB über 40 hinaus zu erhöhen.

Auf Antrag des Klägers gemäß § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) hat sodann der Senat Beweis erhoben durch ein orthopädisches Sachverständigengutachten von Dr. A. F. In seinem Gutachten vom 15. September 1997 kommt der Sachverständige u.a. zu dem Ergebnis, daß beim Kläger als Behinderungen festzustellen seien:

1) "Degenerative Lendenwirbelsäulenveränderungen mit Nervenwurzelreizerscheinungen, geringe Bewegungseinschränkung beider Hüftgelenke” (Einzel-GdB 30),
2) "degenerative Veränderungen der Halswirbelsäule und Brustwirbelsäule mit Nervenwurzelreizerscheinungen” (Einzel-GdB 20),
3) "Reststörungen nach Blasenoperation” (Einzel-GdB 10) und
4) "Psoriasis vulgaris” (Einzel-GdB 10).

Den GdB in seiner Gesamtheit schätzte der Sachverständige Dr. A. auf 40. Das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Anerkennung des Merkzeichens "G” wegen einer erheblichen Gehbehinderung liege nicht vor; auch seien keine Untersuchungen und Begutachtungen auf anderen Fachgebieten mehr erforderlich.

Für den Sach- und Streitstand im übrigen wird Bezug genommen auf die Gerichtsakten (2 Bände) und auf die Verwaltungsakte (Schwerbehindertenakte des Versorgungsamtes XY., Geschäftszeichen: XXXXX), die dem Senat vorgelegen haben und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Beratung des Senats am 12. Februar 1998 gemacht worden sind.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist auch sachlich begründet. Das beklagte Land hat im Ergebnis zu Recht den Gesamt-GdB beim Kläger von 60 auf unter 40 herabgesetzt, was das Sozialgericht verkannt hat. Das Urteil des Sozialgerichts mußte deshalb aufgehoben werden.

Nach dem Ergebnis der weiteren vom Senat durchgeführten Beweiserhebungen steht zur Überzeugung des Senats fest, daß der Gesamt-GdB beim Kläger, wie mit den Teilanerkenntnissen vom 21. Juni 1996 und 23. April 1997 geschehen, nunmehr mit 40 zutreffend festgestellt worden ist und daß die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Nachteilsausgleiches "G” nicht vorliegen.

Nach § 48 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung – und d.h. auch ein Bescheid der Behinderungen und den darauf beruhenden GdB feststellt – mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlaß dieses Verwaltungsaktes vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse soll der Verwaltungsakt (u.a.) aufgehoben werden, soweit die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt (§ 48 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 1 SGB X).

Als wesentliche Änderung – sowohl im Sinne der Besserung wie auch der Verschlechterung – des Gesundheitszustandes gilt dabei jedenfalls eine Veränderung, die es erforderlich macht, den Gesamt-GdB um mindestens 10 anzuheben oder aber abzusenken. Nach § 48 SGB X ist demnach dann eine Neufeststellung zu treffen, wenn – verglichen mit den tatsächlichen Verhältnissen bei Erlaß des letzten bindenden Bescheides – eine wesentliche Besserung eingetreten ist. Auszugehen war von dem letzten bindenden Bescheid (Neufeststellungsbescheid vom 3. Juni 1991), mit dem beim Kläger wegen der Folgen der Blasentumoroperation und der degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule und Gelenke ein GdB von insgesamt 60 festgestellt worden war. In den Verhältnissen, die für die Erteilung dieses Bescheides maßgeblich waren, ist insoweit eine wesentliche Änderung eingetreten, als die Heilungsbewährungszeit, die üblicherweise nach Erkrankungen an bösartigen Neubildungen eingeräumt wird, nach fünf Jahren abgelaufen war. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts und des 4. Senates des Hessischen Landessozialgerichtes hat das BSG in mehreren Entscheidungen festgestellt, daß nach Ablauf der Heilungsbewährungszeit eine Änderung der tatsächlichen Verhältnisse im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X vorliegen kann. Dem steht nicht entgegen, daß bei der Behinderung zu Ziffer 1.) im Neufeststellungsbescheid vom 3. Juni 1991 (wie auch schon im Erstbescheid vom 29. November 1990) auf die Heilungsbewährung nicht hingewiesen worden war. Die Verhältnisse im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X sind nicht die im Erstbescheid oder bindenden Neufeststellungsbescheid genannten, nicht einmal die, welche für die Entscheidung der Verwaltung maßgeblich gewesen sind, sondern die Verhältnisse, die beim Erlaß dieses Bescheides tatsächlich vorlagen und eine in ihm enthaltene Regelung rechtfertigten (BSG SozR 2-3870 § 4 Nr. 3; BSGE 65, 301, 302 = SozR 2-2100 § 48 Nr. 60; BSG, Urteil vom 11. Oktober 1994 – 9 RVs 2/93 – und 9 RVs 1/93 sowie BSG, Urteil vom 13. Oktober 1994 – 9 RVs 2/95 –). Dies folgt schon aus dem Wortlaut des § 48 SGB X, der von Verhältnissen spricht, die "beim Erlaß des Verwaltungsaktes ” vorgelegen haben (BSG a.a.O.). Dabei muß im Erstbescheid keine detaillierte Begründung für die Feststellung der Behinderung oder aber der Annahme einer Heilungsbewährungszeit getroffen werden. Eine Verletzung der gesetzlichen Begründungspflicht durch unzureichende Beschreibung der Behinderung mag im Einzelfall dazu führen, daß für die Verwaltung der Beweis der Änderung der Verhältnisse erschwert wird. Steht aber eine Änderung fest, so hindert der Begründungsmangel die Herabsetzung des GdB nicht.

Der Annahme der "Heilungsbewährung” liegt die Erfahrung zugrunde, daß nach der operativen Behandlung eines Krebsleidens mit Ablauf der Zeit in aller Regel eine objektive Besserung des Gesundheitszustandes eintritt. Dies rechtfertigt es, wie dies in den sogenannten "Anhaltspunkten” regelmäßig erfolgt, nach Ablauf dieser Bewährungszeit bei rezidivfreien Krebserkrankungen lediglich die verbliebenen Funktionsbeeinträchtigungen zu bewerten (BSG a.a.O.).

Der Senat, der diese Auffassung auch schon früher vertreten hat, folgt insoweit der Rechtsprechung des BSG. Bei der Bewertung der im Bescheid vom 3. Juni 1991 noch mit einem Einzel-GdB von 50 berücksichtigten Reststörungen nach der Blasentumoroperation durften im Widerspruchsverfahren nur noch die verbliebenen geringeren Funktionsstörungen Berücksichtigung finden.

Bei der nach § 4 Abs. 1 vom Beklagten zu treffenden Feststellung des Vorliegens einer Behinderung und des Grades der Behinderung konnte der Beklagte auf die sogenannten "Anhaltspunkte” (Hg.: Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung, Bonn 1983 und 1996 – AHP –) Bezug nehmen. Bei diesen handelt es sich zwar um verwaltungsinterne Richtlinien, welche die Gerichte nicht abschließend binden können, gleichwohl aber hält der Senat in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 18. Dezember 1996 – 9 RV 17/95 –) und des Bundesverfassungsgerichtes (Beschluss vom 6. März 1995, SozR 3-3078 § 3 Nr. 6) die Anwendung der AHP grundsätzlich für gerechtfertigt, weil sie sicherstellen, daß eine dem Gleichheitssatz des Grundgesetzes (Artikel 3) genügende Verwaltungspraxis und Gesetzesanwendung stattfinden kann. Im Einzelfall kann, soweit dies begründbar ist, davon abgewichen werden (Wiegand, Hg., Kommentar zum SchwbG, § 4 Rdnrn. 7, 8).

Unter Berücksichtigung der AHP und dem nunmehr durch das Gutachten von Dr. A. geklärten Gesundheitszustandes des Klägers kann – bei Berücksichtigung der Heilungsbewährung – nicht mehr davon ausgegangen werden, daß die Blasentumorerkrankung die schwerwiegendste beim Kläger bestehende Behinderung ist. Der den Kläger betreuende Urologe Dr. St. hat bereits in seinem Befundbericht vom 25. Januar 1993 berichtet, daß der Kläger nur noch in größeren Abständen (letzte Untersuchung: 5. Februar 1992) bei ihm zur Nachsorge in Behandlung gewesen ist. Die verbliebenen Reststörungen sind mit einem Einzel-GdB von 10 angemessen bewertet. Demnach ist insoweit eine wesentliche Besserung im Vergleich zu der letzten bindenden Feststellung im Neufeststellungsbescheid vom 3. Juni 1991 eingetreten, die vom Beklagten zu berücksichtigen war. Der Beklagte hat auch gemäß § 24 SGB X vor der beabsichtigten Herabsetzung des Gesamt-GdB den Kläger angehört und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.

Hingegen haben sich, was der Beklagte bereits im Neufeststellungsbescheid vom 6. Dezember 1993 zutreffend festgestellt hat, das Wirbelsäulenleiden und die Beeinträchtigung an den Gelenken bei dem Kläger verschlimmert; dem ist durch die im Teilanerkenntnis vom 21. Juni 1996 enthaltene Beschreibung der Behinderungen zu Ziffer 1.) und 2.) angemessen Rechnung getragen worden. Zur Überzeugung des Senat ergibt sich dies insbesondere aus dem gemäß § 109 SGG bei dem Orthopäden Dr. A. eingeholten Sachverständigengutachten vom 15. Dezember 1996. Dieses Gutachten ist aufgrund einer eingehenden körperlichen und röntgenologischen Untersuchung des Klägers erstellt worden. Die gestellten Diagnosen sind sorgfältig erarbeitet und von diesen her sind einleuchtend und nachvollziehbar die als Behinderungen festzustellenden dauerhaften Erkrankungen sowie der darauf beruhende GdB bewertet worden.

Auch die aufgrund der Untersuchungen bei Dr. T. M. und Prof. Dr. D. nunmehr objektivierte Psoriasiserkrankung ist vom Beklagten im Teilanerkenntnis vom 23. April 1997 zutreffend festgestellt worden. Auch insoweit hat der Sachverständige Dr. A. die fremdanamnestisch erhobenen Befunde zutreffend beschrieben und gewürdigt.

Liegen mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vor, so ist der GdB nach den Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festzustellen (§ 4 Abs. 3 SchwbG). Dabei verbietet sich jegliche Rechenmethode. Unter Berücksichtigung dieser im Gesetz festgelegten Grundsätze hat der Beklagte zunächst sowohl im Neufeststellungsbescheid vom 6. Dezember 1993 und – nach der Verschlechterung des Gesundheitszustandes – im Teilanerkenntnis vom 21. Juni 1996 zutreffend einen Gesamt-GdB von 40 gebildet. Die neu hinzugetretene Gesundheitsstörung "Psoriasis vulgaris” (Einzel-GdB 10) führt nicht automatisch zu einer Erhöhung des Gesamt-GdB. Die Bewertungen an der Lendenwirbelsäule und an der Hals- sowie Brustwirbelsäule überlagern sich teilweise, so daß die Bildung eines Gesamt-GdB von 40, wie dies auch der Sachverständige Dr. A. vorgeschlagen hat, angemessen und zutreffend erscheint.

Die Zuerkennung des vom Kläger begehrten Nachteilsausgleichs "G” scheitere bereits daran, daß der Kläger nicht schwerbehindert (Mindest-GdB: 50) ist (§§ 59 ff. SchwbG und AHP 1996, S. 164 ff.; 166). Nach alledem konnte das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main keinen Bestand haben. Unter Berücksichtigung der vom Beklagten im Berufungsverfahren abgegebenen Teilanerkenntnisse mußte auf die Berufung des Beklagten das Urteil aufgehoben werden. Die Klage mußte, soweit sie über die – angenommenen – Teilanerkenntnisse hinaus weiter aufrechterhalten wurde, abgewiesen werden.

Bei der Kostenentscheidung gemäß § 193 SGG war zu berücksichtigen, daß die Rechtsprechung des Sozialgerichts zur sogenannten "Heilungsbewährung” zunächst auch vom 4. Senat des Hessischen Landessozialgerichts geteilt worden ist. Weiter war zu berücksichtigen, daß es im Laufe des Berufungsverfahrens zur Feststellung und Anerkennung weiterer Gesundheitsbeeinträchtigungen gekommen ist.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil Zulassungsgründe im Sinne des § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG nicht zu erkennen sind.
Rechtskraft
Aus
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