L 6 Ar 979/95

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
S 11 Ar 555/94
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 6 Ar 979/95
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Beklagten werden das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 10. August 1995 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

II. Die weitergehende Klage wird abgewiesen.

III. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

IV. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Es geht in dem Rechtsstreit um die Gewährung von sog. originärer Arbeitslosenhilfe für die Zeit vom 1. April 1994 bis 30. Juni 1994 (Streitgegenstand der ersten Instanz) und in zweiter Instanz zusätzlich um die Feststellung der unbegrenzten Weitergewährung von Arbeitslosenhilfe über den 30. Juni 1994 hinaus, unter Berücksichtigung des Ersten Gesetzes zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogrammes (1. SKWPG).

Der 1941 geborene Kläger war ab Mai 1986 als Rechtsreferendar in Hessen Beamter auf Widerruf, von Januar bis August 1987 hatte er Sonderurlaub ohne Anwärterbezüge. Wegen wiederholten Nichtbestehens der zweiten juristischen Staatsprüfung endete das Beamtenverhältnis am 4. Juni 1991. Am 1. Juli 1991 meldete sich der Kläger bei der Beklagten arbeitslos und beantragte Arbeitslosenhilfe, die ihm ab 1. Juli 1991 gewährt wurde. Mit Bescheid vom 8. Juli 1993 bewilligte die Beklagte dem Kläger Arbeitslosenhilfe für die Zeit vom 1. Juli 1993 bis 30. Juni 1994 (wöchentlicher Leistungssatz 246,60 DM, Leistungsgruppe C, ein Kind, 58 %, Bemessungsentgelt 550,00 DM wöchentlich).

Mit Änderungsbescheid vom 3. Januar 1994 wurde der wöchentliche Leistungssatz auf 252,60 DM hinaufgesetzt. Mit Bescheid vom 18. Februar 1994 befristete die Beklagte die Arbeitslosenhilfe-Gewährung zum 31. März 1994. Hiergegen hat der Kläger am 23. März 1994 Widerspruch erhoben und zur Begründung u.a. vorgetragen, die zunächst geplante Begrenzung der Arbeitslosenhilfe auf zwei Jahre sei nach seiner Kenntnis nicht Gesetz geworden. Es müsse auch berücksichtigt werden, daß bei ihm ein Härtefall vorliege, da die Ehefrau krank und schwerbehindert sei und er einen 15-jährigen Sohn habe.

Mit Widerspruchsbescheid vom 7. April 1994 hat die Beklagte den Widerspruch zurückgewiesen und zur Begründung im wesentlichen ausgeführt, durch das 1. SKWPG trete § 135 a AFG mit Wirkung vom 1. Januar 1994 in Kraft. Danach betrage der Anspruch auf originäre Arbeitslosenhilfe 312 Tage. Der Kläger habe als Rechtsreferendar in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis in der Zeit vom 2. Mai 1986 bis 4. Juni 1991 einen Anspruch auf originäre Arbeitslosenhilfe erworben. Seit dem 1. Juli 1991 stehe der Kläger in Bezug von Arbeitslosenhilfe. Da er auch in der Zeit vom 1. Oktober 1993 bis 31. Dezember 1993 Arbeitslosenhilfe erhalten habe, stehe ihm nach der Übergangsregelung des § 242 q AFG Arbeitslosenhilfe bis zum 31. März 1994 zu, obwohl er seit dem 1. Juli 1991 mehr als 312 Tage Arbeitslosenhilfe erhalten habe. Der Widerspruchsbescheid wurde dem Kläger am 13. April 1994 zugestellt. Hiergegen hat der Kläger am 13. Mai 1994 Klage erhoben, mit der er die Aufhebung der Bescheide der Beklagten vom 18. Februar 1994 und vom 7. April 1994 begehrt hat.

Mit Urteil vom 10. August 1995 hat das Sozialgericht Kassel der Klage stattgegeben und antragsgemäß die angefochtenen Bescheide aufgehoben. In der Begründung hat es ausgeführt, es komme die Bestimmung des § 45 SGB X zur Anwendung, weil sich der Arbeitslosenhilfe-Bewilligungsbescheid vom 3. Januar 1994 als rechtswidriger, begünstigender Verwaltungsakt darstelle, denn mit diesem sei dem Kläger bei verringertem Leistungssatz aber gleichbleibender Bezugsdauer (bis zum 30. Juni 1994) erneut Arbeitslosenhilfe bewilligt worden. Rechtswidrig sei der Bescheid, weil er die durch das 1. SKWPG in das AFG eingefügte und ab 1. Januar 1994 geltende Neuregelung des § 135 a AFG und damit die Begrenzung der Bezugsdauer für die sog. originäre Arbeitslosenhilfe außer Acht gelassen habe. Der Kläger habe seinen Arbeitslosenhilfeanspruch von 312 Tagen zum 1. Januar 1994 bereits voll ausgeschöpft gehabt; die Übergangsregelung des § 242 q Abs. 10 AFG sehe jedoch vor, daß die an sich ab 1. Januar 1994 geltende Neuregelung des § 135 a AFG bis 31. März 1994 nicht anzuwenden sei. Der Bewilligungsbescheid vom 3. Januar 1994 berücksichtige jedoch das tatsächliche Ende der Arbeitslosenhilfe-Bezugsdauer zum 31. März 1994 nicht. Der angefochtene Änderungsbescheid vom 18. Februar 1994 gebe zwar die neue, ab 1. Januar 1994 gültige materielle Rechtslage wieder, weise jedoch Rechtsmängel auf (ebenso wie der Widerspruchsbescheid), weshalb er aufzuheben gewesen sei. So enthalte er keinen Hinweis auf die Rechtswidrigkeit des Bescheides vom 3. Januar 1994. Er enthalte auch keine Ermessensausübung, die jedoch nach § 45 SGB X erforderlich sei; das Ermessen sei auch nicht im Vorverfahren nachgeholt worden. Ein Fall des § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X liege nicht vor. Der Kläger habe damit auf die Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 3. Januar 1994 vertrauen können.

Gegen das ihr am 24. August 1995 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 15. September 1995 Berufung eingelegt. Die Beklagte trägt vor, Änderungsbescheide, die lediglich die nach der Leistungs-Verordnung geänderten Leistungssätze beträfen, enthielten grundsätzlich keine Angaben zur Anspruchsdauer. Es werde insoweit auf die beigefügte Ablichtung aus der Arbeitsanleitung und eine weitere Ablichtung aus einer Leistungsakte des Arbeitsamtes Frankfurt am Main verwiesen. Da mit dem Änderungsbescheid vom 3. Januar 1994 keine Regelung zum Bewilligungsabschnitt getroffen worden sei, sei dieser insoweit auch nicht rechtswidrig. Die Befristung der Arbeitslosenhilfe bis zum 31. März 1994 richte sich daher ausschließlich nach § 31 SGB I i.V.m. §§ 135 a, 242 q Abs. 10 AFG, ohne daß eine Aufhebung des Änderungsbescheides vom 3. Januar 1994 erforderlich gewesen sei.

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 10. August 1995 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt (sinngemäß),
die Berufung zurückzuweisen, sowie die Beklagte zu verurteilen, ihm Arbeitslosenhilfe über den Zeitpunkt des 31. März 1994 hinaus weiter zu gewähren und zu bezahlen, sowie festzustellen, daß sein Anspruch auf Arbeitslosenhilfe auch nach dem 30. Juni 1994 weiterbestehe und gelte.

Der Kläger trägt vor, die beiden von der Beklagten vorgelegten Beispielsfälle beträfen anders gelagerte Fälle. Er vertrete die Auffassung, daß ihm der Anspruch auf Arbeitslosenhilfe weiter zustehe, weil diese Leistungsart weiterhin zeitlich unbegrenzt bleibe. Zwar sei in § 135 a AFG tatsächlich die Rede über den auf 312 Tage begrenzten Anspruch, aber im gerade oben zitierten § 242 q Abs. 10 Punkt 2 AFG stehe, daß § 135 a nicht anzuwenden sei.

Der Kläger hat die Bescheide vom 8. Juli 1993, vom 3. Januar 1994 und vom 18. Februar 1994 vorgelegt.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten sowie der Gerichtsakten ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt, § 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die Berufung ist auch zulässig und begründet.

Das angefochtene Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 10. August 1995 ist rechtswidrig und war deshalb aufzuheben, sowie die Klage abzuweisen. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 18. Februar 1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. April 1994 ist zu Recht ergangen.

Die Beklagte hat zu Recht die bis zum 30. Juni 1994 reichende Bewilligung von Arbeitslosenhilfe (Bescheid vom 8. Juli 1993) mit den angefochtenen Bescheiden nachträglich befristet zum 31. März 1994. Darin liegt ein Eingriff in den Bestand des Bescheides vom 8. Juli 1993, der entsprechend § 139 a Arbeitsförderungsgesetz (AFG) Arbeitslosenhilfe für ein Jahr bewilligt hatte (1. Juli 1993 bis 30. Juni 1994). Streitgegenstand des anhängigen Verfahrens in 1. Instanz war damit nur der vom Kläger geltend gemachte Anspruch auf Arbeitslosenhilfe für die Zeit vom 1. April 1994 bis 30. Juni 1994 (vgl. Urteil des Bundessozialgerichts vom 14. November 1985 – 7 RAr 123/84), weshalb im Ergebnis eine reine Anfechtungsklage vorlag und dem zusätzlichen Begehren des Klägers in zweiter Instanz, die Beklagte zu verurteilen, Arbeitslosenhilfe über den 31. März 1994 hinaus zu gewähren und zu bezahlen, keine eigene prozessuale Bedeutung zukommt. Auch wenn die Beklagte sich weder im Bescheid vom 18. Februar 1994 noch im Widerspruchsbescheid vom 7. April 1994 ausdrücklich auf § 48 Sozialgesetzbuch X (SGB X) bezogen hat, hat sie doch ausreichend deutlich zum Ausdruck gebracht, daß die bisherige Bewilligung über den 31. März 1994 hinaus keinen Bestand haben sollte, da der Gesetzgeber durch das 1. SKWPG den Anspruch auf originäre Arbeitslosenhilfe auf 312 Tage begrenzt und der Kläger diese Anspruchsdauer ausgeschöpft habe und ein Anspruch auf Arbeitslosenhilfe nach dem 31. März 1994 nicht mehr bestehe. Damit ist nach Auffassung des erkennenden Senats inhaltlich eine Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosenhilfe für die Zukunft ab 1. April 1994 entsprechend § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X erfolgt (vgl. Beschluss des LSG Nordrhein-Westfalen vom 29. Juni 1995 – L-12/S-Ar 32/95). § 48 SGB X findet auch Anwendung, da eine wesentliche Änderung in den rechtlichen Verhältnissen eingetreten ist und die ursprünglich rechtmäßige Bewilligung von Arbeitslosenhilfe für die Zeit ab 1. April 1994 nach dem Willen des Gesetzgebers rechtswidrig geworden ist. Dabei kommt dem Änderungsbescheid vom 3. Januar 1994 keine weitergehende Bedeutung zu. Die darin enthaltene Regelung betrifft lediglich die Höhe der Leistung dergestalt, daß unter Anwendung der Leistungsverordnung 1994 die wöchentliche Leistung ab 1. Januar 1994 auf DM 252,60 hinaufgesetzt wurde. Zur Frage der Dauer der Leistung enthält der Bescheid weder einen Hinweis noch eine eigenständige Regelung. Es kann deshalb unter keinem Gesichtspunkt der Bescheid vom 3. Januar 1994 hinsichtlich der Bewilligungsdauer als anfänglich rechtswidrig angesehen werden, so daß die vorzeitige Befristung der zunächst bis 30. Juni 1994 bewilligten Arbeitslosenhilfe durch die angefochtenen Bescheide nicht der Vorschrift des § 45 SGB X unterliegt, und die Beklagte damit auch kein Ermessen auszuüben hatte.

Durch § 135 a AFG wurde der Anspruch auf sog. originäre Arbeitslosenhilfe, § 134 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 b AFG, auf 312 Tage begrenzt. Bei dem Kläger handelte es sich um einen Anspruch auf sog. originäre Arbeitslosenhilfe, da er ohne vorhergehenden Anspruch auf Arbeitslosengeld durch ein öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis von mindestens 150 Kalendertagen die Anwartschaftszeit erfüllt hat. Damit wurde der Anspruch des Klägers auf Arbeitslosenhilfe durch das 1. SKWPG auf 312 Tage begrenzt. § 135 a AFG macht auch keinen Unterschied zwischen bestehenden und erst künftigen Ansprüchen auf originäre Arbeitslosenhilfe. Nach § 110 Abs. 1 Nr. 1 i.V. § 134 Abs. 4 Satz 1 AFG mindert sich die Dauer des Anspruchs auf Arbeitslosenhilfe um Tage, für die der Anspruch auf Arbeitslosenhilfe erfüllt worden ist. Dabei ist zu berücksichtigen, daß § 110 Abs. 1 Nr. 1 AFG vor dem 1. Januar 1994 für die Arbeitslosenhilfe keine Bedeutung hatte, da der Anspruch auf Arbeitslosenhilfe dem Grunde nach hinsichtlich der Dauer nicht begrenzt war und eine Minderung der Dauer des Anspruchs auf Arbeitslosenhilfe damit nicht eintreten konnte. Mit dem Inkrafttreten des 1. SKWPG und der Begrenzung des Anspruchs auf originäre Arbeitslosenhilfe auf 312 Tage findet § 110 AFG insoweit über § 134 Abs. 4 Satz 1 AFG entsprechende Anwendung. Nach § 110 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 1 AFG mindert sich der Anspruch um Tage, für die der Anspruch erfüllt worden ist. Dies ergibt aus der Sicht des 1. Januar 1994, daß der Anspruch des Klägers auf Arbeitslosenhilfe (in der Vergangenheit ab Juli 1991) für mehr als 312 Tage erfüllt worden ist. Der Kläger hatte am 1. Juli 1991 einen Anspruch auf Arbeitslosenhilfe erworben, der bis 31. Dezember 1993 fortbestand und am 1. Januar 1994 darauf zu untersuchen war, inwieweit der nunmehr auf 312 Tage begrenzte Anspruch erfüllt worden ist. Nach Wortlaut und Sinn der Vorschrift hat § 110 AFG die entscheidende Bedeutung bei rückschauender Betrachtung, etwa bei der Frage, ob ein (zeitlich begrenzter) Anspruch durch vollständige Erfüllung erloschen ist. Bei rückschauender Betrachtung am 1. Januar 1994 kann entsprechend § 110 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 1 AFG im vorliegenden Fall nur eine mögliche Feststellung getroffen werden, nämlich, daß der Anspruch des Klägers auf Arbeitslosenhilfe für mehr als 312 Tage erfüllt worden ist. Zu berücksichtigen ist, daß § 110 AFG durch das 1. SKWPG nicht geändert wurde. Damit hätte ein Anspruch des Klägers auf Arbeitslosenhilfe ab 1. Januar 1994 nicht mehr bestanden, wenn nicht der Gesetzgeber durch § 242 q Abs. 10 Nr. 2 AFG eine Übergangsvorschrift geschaffen hätte. Da bei dem Kläger zwischen dem 1. Oktober 1993 und 31. Dezember 1993 die Voraussetzungen des Anspruchs auf Arbeitslosenhilfe vorgelegen haben, sind im vorliegenden Fall bis zum 31. März 1994 § 135 a i.V. mit § 134 Abs. 4 Satz 1, § 110 AFG nicht anzuwenden. Durch Anwendung am 1. April 1994 ergibt sich bei rückschauender Betrachtung, daß die auf 312 Tage begrenzte Dauer des Anspruchs des Klägers auf Arbeitslosenhilfe um 312 Tage gemindert ist, da in der Vergangenheit der Anspruch des Klägers auf Arbeitslosenhilfe bereits im Zeitraum von Juli 1991 bis Dezember 1993 für mehr als 312 Tage erfüllt worden ist. Es kommt im vorliegenden Fall deshalb nicht darauf an, ob die durch § 110 Abs. 1 Nr. 1 AFG normierte Erfüllungswirkung (jeder Leistungstag mindert den Anspruch) durch § 242 q Abs. 10 AFG für die Zeit vom 1. Januar bis 31. März 1994 nur vorübergehend nicht angewendet werden sollte, wofür sowohl Wortlaut als auch Sinn sprechen, oder ob eine Verbrauchswirkung in dieser Zeit (1. Januar bis 31. März 1994) überhaupt nicht eintreten sollte, da jedenfalls der Arbeitslosenhilfe-Anspruch des Klägers auch in der Zeit vor dem 1. Januar 1994 für mehr als 312 Tage erfüllt wurde. Soweit Niesei (Komm. zum AFG, 1995, § 135 a Rdnr. 6) unter Hinweis auf ein Urteil des SG Berlin (30. November 1994 – S-62/Ar-1662/94, vgl. auch Urteil des SG Berlin vom 26. Januar 1995 – S-1/Ar-1605/94 = info also 1995, S. 85) die Auffassung vertritt, daß die Verbrauchswirkung erst ab 1. April 1994 einsetzt, vermochte der erkennende Senat dem nicht zu folgen. Neben der oben aufgezeigten systematischen Auslegung des Gesetzes, insbesondere der Bedeutung des § 110 AFG (mit dessen rückschauender Bewertung) spricht auch der im Gesetzgebungsverfahren erkennbare Wille des Gesetzgebers gegen die von Niesei und SG Berlin vertretene Ansicht.

Im Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 4. September 1993 (BT-Drucksache 12/5502) für das 1. SKWPG war ein Haushaltsentlastungsvolumen für 1994 in Höhe von 21 Milliarden DM (davon seitens der Beklagten von 9,35 Milliarden DM) vorgesehen, wobei eine Mehrbelastung der Gemeinden durch Sozialhilfe in Höhe von 4 Milliarden DM prognostiziert wurde. Dabei sollte § 134 AFG so geändert werden (Nr. 33), daß die sog. originäre Arbeitslosenhilfe ersatzlos wegfallen sollte, während durch § 135 a (Nr. 35) die Dauer des Anspruchs auf (die dann nur noch mögliche) Anschluß-Arbeitslosenhilfe auf 624 Tage begrenzt werden sollte. Nach der Übergangsvorschrift des § 242 q Abs. 10 (Nr. 61) sollten die alten Vorschriften noch drei Monate nach dem Inkrafttreten weiter gelten. In der Begründung wurde zum einen auf die dramatische Haushaltslage hingewiesen (ohne Eingriffe Anstieg der Nettokreditaufnahme von 67 Milliarden 1993 auf über 90 Milliarden 1994) und zum anderen, daß die Begrenzung der Arbeitslosenhilfe-Bezugsdauer und Streichung der originären Arbeitslosenhilfe 1994 zu einer Entlastung von 3,52 Milliarden DM und 1995 von 5,02 Milliarden DM führen werde. Zu Nr. 61 wurde ausgeführt, daß die Rechtsänderungen bei der Arbeitslosenhilfe mit einer nur dreimonatigen Übergangsfrist erfolge, da der Lebensunterhalt der betroffenen arbeitslosen Arbeitnehmer auch zukünftig, wenn auch nicht durch Leistungen nach dem AFG, so doch durch Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz gesichert seien. Zu Abs. 10 (Nr. 61) wurde begründet, daß diese Leistung (u.a. originäre Arbeitslosenhilfe) aus Gründen des Vertrauensschutzes für eine dreimonatige Übergangszeit weitergezahlt oder wieder bewilligt werden könne. Die Regelung solle es dem Betroffenen ermöglichen, sich auf die neue Rechtslage einzustellen und den Sozialhilfeträgern die erforderliche Zeit für die Bearbeitung von Anträgen geben. Der vom Bundestag am 22. Oktober 1993 angenommene und dem Bundesrat zugeleitete Entwurf (BR-Drucksache 786/93) enthielt als Übergangsvorschrift bereits § 242 q Abs. 10 Nr. 2 in der später Gesetz gewordenen Fassung, während der Wegfall der originären Arbeitslosenhilfe (§ 134 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4) und die Begrenzung der verbliebenen Anschluß-Arbeitslosenhilfe auf 624 Tage (§ 135 a) noch enthalten waren.

In den Empfehlungen der Ausschüsse des Bundesrates vom 15. November 1993 (BR-Drucksache 786/1/93) wurde die Streichung der originären Arbeitslosenhilfe sowie die Begrenzung der Arbeitslosenhilfe auf 2 Jahre abgelehnt. Der eingeschaltete Vermittlungsausschuß hat als Veränderung u.a. vorgeschlagen (BT-Drucksache vom 9. Dezember 1993 – 12/6375), §§ 134 und 135 in der bisherigen Gesetzesfassung zu belassen, während §§ 135 a und 242 q Abs. 10 die später Gesetz gewordenen Formulierungen erhielten. Das 1. SKWPG wurde sodann am 21. Dezember 1993 vom Bundestag beschlossen (BGBl. I, S. 2353).

Danach steht zur Überzeugung des erkennenden Senats fest, daß der Wille des Gesetzgebers dahin ging, die allein noch verbliebene Begrenzung der originären Arbeitslosenhilfe mit einer Übergangsfrist von 3 Monaten wirksam werden zu lassen und noch 1994 dadurch Einsparungen zu erzielen. Dieser Absicht würde die Auslegung der Übergangsvorschrift des § 242 q Abs. 10 AFG durch Niesei nicht gerecht.

§§ 135 a, 242 q Abs. 10 AFG (i.d.F. des 1. SKWPG) verstoßen nicht gegen das Rückwirkungsverbot. Außer in Art. 103 Abs. 2 GG gibt es kein allgemeines Verbot der Rückwirkung von Gesetzen (vgl. Herzog in Maunz-Dürig GG Art. 20 Rdnr. 65). Nur die echte Rückwirkung führt zur Nichtigkeit eines Gesetzes (Maunz-Dürig Art. 20 Rdnr. 69).

Entgegen der Auffassung des SG Berlin (Urteil vom 26.01.1995 s.o.) liegt keine echte Rückwirkung des 1. SKWPG vor, da es nicht in einen bereits abgeschlossenen Sachverhalt eingreift, sondern sich erst in einem Zeitraum auswirkt, der nach Erlaß und Wirksamwerden des Gesetzes liegt. Nach Art. 14 Abs. 1 des 1. SKWPG traten die hier einschlägigen Änderungen am 01.01.1994 in Kraft, der Wegfall des streitbefangenen Arbeitslosenhilfe-Anspruchs erfolgte mit dem 1. April 1994. Da es jedoch in durch Leistungsbescheide bereits zugebilligte Ansprüche eingriff, liegt eine sog. unechte Rückwirkung vor, indem in einen Sachverhalt eingegriffen wird, der in der Vergangenheit liegt (hier Leistungsbewilligung), sich aber erst in der Zukunft auswirkt. Bei dieser sog. unechten Rückwirkung ist auf den verfassungsrechtlich herleitbaren Vertrauensschutz des Betroffenen Rücksicht zu nehmen. Dabei ist der Zeitpunkt zu bestimmen, ab dem kein Vertrauen (etwa hier auf unbegrenzten Fortbezug der originären Arbeitslosenhilfe) mehr bestehen kann. Spätestens mit Erlaß des 1. SKWPG konnte ein Vertrauen nicht mehr fortbestehen. Bei Arbeitslosenhilfe-Bescheiden kann sich Vertrauen höchstens auf den Bewilligungszeitraum erstrecken, hier also höchstens bis 30. Juni 1994. Wenn überwiegende Gründe des Gemeinwohls gegen eine Fortgeltung stehen, führt dies zu einer Einschränkung des Vertrauensschutzes. Grundlage des 1. SKWPG sind die dramatischen Verschlechterungen des Bundeshaushaltes und ein sich daraus ergebender Zwang, eine alsbald greifende Verminderung der Ausgaben zu erreichen. Unter Berücksichtigung der 3-monatigen Übergangsfrist ist davon auszugehen, daß die Abwägung zwischen Vertrauensschutz und Gemeinwohl stattgefunden und nicht zur Verfassungswidrigkeit des Gesetzes geführt hat, zumal der Gesetzgeber in der Begründung ausdrücklich darauf hinweist, daß die Arbeitslosenhilfe nur bei Bedürftigkeit gewährt wird und bei deren Wegfall Ansprüche auf Sozialhilfe eintreten, die die Existenz der Betroffenen sichern.

Nach Auffassung des erkennenden Senats liegt auch keine Verletzung der Eigentumsgarantie nach Art. 14 GG vor. Voraussetzung für einen Eigentumsschutz sozialversicherungsrechtlicher Positionen ist eine Vermögenswerte Rechtsposition, die nach Art eines Ausschließlichkeitsrechts dem Rechtsträger als privatnützig zugeordnet ist; diese genießt den Schutz der Eigentumsgarantie dann, wenn sie auf nicht unerheblichen Eigenleistungen des Versicherten beruht und zudem der Sicherung seiner Existenz dient (vgl. Bundesverfassungsgericht, 15. Juli 1987 – 1 BvR 488/86 u.a. in BVerfGE 76, S. 220 ff.). Bei der bewilligten originären Arbeitslosenhilfe handelt es sich um eine Vermögenswerte Rechtsposition, die dem Anspruchsberechtigten zumindest nach der Bewilligung ausschließlich privatnützig zugeordnet ist. Sie dient auch der Existenzsicherung. Sie beruht allerdings nicht auf nicht unerheblichen Eigenleistungen. Zum einen wird die Arbeitslosenhilfe nicht aus Beitragsmitteln der Bundesanstalt, sondern aus Bundesmitteln finanziert, zum anderen standen die Bezieher von originärer Arbeitslosenhilfe entweder überhaupt nicht (Beamte, Richter, Soldaten) oder nur kurze Zeit in einer die Beitragspflicht zur Bundesanstalt begründenden Beschäftigung. Nicht unerhebliche Eigenleistungen der originären Arbeitslosenhilfe-Bezieher liegen deshalb weder im Sinne einer individuellen noch globalen Äquivalenz vor (vgl. Bundesverfassungsgericht s.o. S. 236). Da der Kläger im Rahmen des öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnisses überhaupt keine Beiträge zur Beklagten gezahlt hat, liegt keine Eigenleistung vor.

Eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes nach Art. 3 GG ist nicht gegeben. In der Gesetzesbegründung (BT-Drucksache 12/5502 S. 34) wird ausgeführt, daß die Bezieher originärer Arbeitslosenhilfe in Zukunft keine Arbeitslosenhilfe mehr erhalten sollen, da sie keinen oder einen nur geringen Bezug zum Arbeitsmarkt hätten. Damit ist ein hinreichendes Unterscheidungsmerkmal zu den Beziehern von Anschluß-Arbeitslosenhilfe aufgezeigt, die immerhin eine Anwartschaftszeit von mindestens 360 Tagen zurückgelegt haben müssen. Diese Unterscheidung ist auch nicht willkürlich, da sie an eine Mindestdauer der Zugehörigkeit zu dem versicherten Personenkreis (Solidargemeinschaft) anknüpft. Ob dies die beste, sinnvollste oder gerechteste Lösung ist, oder die gleichmäßige Verkürzung sowohl der Anschluß-Arbeitslosenhilfe als auch der originären Arbeitslosenhilfe nach objektiven Gesichtspunkten hätte vorgezogen werden müssen, reicht für die Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Regelung nicht aus, da nach Auffassung des erkennenden Senats jedenfalls keine Willkür des Gesetzgebers vorliegt. Eine Vorlage des Rechtsstreits an das Bundesverfassungsgericht kam deshalb nicht in Frage.

Soweit der Kläger im Berufungsverfahren erstmals die Feststellung begehrt, daß ein Anspruch auf Arbeitslosenhilfe auch nach dem 30. Juni 1994 weiterbestehe, ist dieser als weitergehende Klage zu verstehende Antrag unzulässig. Es fehlt bereits an einem berechtigten Interesse des Klägers an der baldigen Feststellung, § 55 Abs. 1 SGG, da es in Wirklichkeit um einen Leistungsanspruch auf weitere Arbeitslosenhilfe geht, der im Wege eines Leistungsantrages zu verfolgen wäre.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision ist vom Senat wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen worden, § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG.
Rechtskraft
Aus
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