L 2 J 827/93

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 17 J 3656/90
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 2 J 827/93
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 14. Juli 1993 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über den Anspruch des Klägers auf Gewährung von Versichertenrente.

Der 1939 geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger. Er hat keinen Beruf erlernt. In der Bundesrepublik Deutschland arbeitete er ab Juli 1971 versicherungspflichtig in verschiedenen Hilfsarbeitertätigkeiten. Den letzten Pflichtbeitrag entrichtete der Kläger im Dezember 1982. Anschließend war der Kläger arbeitslos gemeldet bis September 1983. Die Gewährung von Arbeitslosenhilfe ab Oktober 1983 wurde wegen des Einkommens der Ehefrau des Klägers abgelehnt. Den Antrag des Klägers vom Dezember 1985 auf Gewährung von Arbeitslosenhilfe lehnte das Arbeitsamt XY. mit Bescheid vom 27. Januar 1986 ab, da der Kläger innerhalb des letzten Jahres vor der Arbeitslosmeldung weder Arbeitslosengeld bezogen noch mindestens 150 Kalendertage in einer beitragspflichtigen Beschäftigung gestanden habe. Seit 5. Januar 1987 ist der Kläger beim Arbeitsamt XY. arbeitslos gemeldet ohne Leistungsbezug. Für die Zeit vom 31. Oktober 1977 bis 4. Januar 1987 ist in den Unterlagen des Arbeitsamts vermerkt: "Alo, in Arbeit, krank, o.N.”.

Am 9. April 1990 beantragte der Kläger die Gewährung von Versichertenrente wegen Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit unter Vorlage eines Befundberichts des Internisten Dr. S. vom 24. April 1990 und eines Attests der Nervenärztin Dr. B. vom 25. September 1990. Die Beklagte veranlagte daraufhin eine sozialmedizinische Begutachtung des Klägers. Dr. Z. von der Ärztlichen Untersuchungsstelle der LVA Hessen in XY. kam in seinem Gutachten vom 2. Oktober 1990 zu dem Ergebnis, bei dem Kläger bestünden ein cerebrales Anfallsleiden, ein Bluthochdruck, ein fraglicher generalisierter Gefäßprozeß, Lumboischialgien nach zweimaliger Bandscheibenoperation, wiederkehrende Magenbeschwerden bei Stumpfgastritis nach B II sowie eine chronisch wiederkehrende Prostatitis. Das Leistungsvermögen des Klägers sei ab Rentenantragstellung auf unter zweistündig herabgesunken. Mit Bescheid vom 8. November 1990 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab. Der Kläger sei zwar seit 9. April 1990 erwerbsunfähig und habe auch die Wartezeit von 60 Kalendermonaten Versicherungszeit erfüllt. Jedoch habe er im Zeitraum von April 1985 bis März 1990 keine Pflichtbeiträge geleistet. Die Zeit von Januar 1984 bis März 1990 sei auch nicht mit Beiträgen oder rechtserheblichen beitragsfreien Zeiten belegt.

Gegen den ablehnenden Rentenbescheid erhob der Kläger am 26. November 1990 Klage vor dem Sozialgericht Frankfurt am Main. Er legte den Bescheid des Arbeitsamtes XY. vom 6. Oktober 1983 vor, mit dem die Gewährung von Arbeitslosenhilfe abgelehnt worden war, außerdem Meldebescheinigungen für die Zeit der Arbeitslosigkeit ab Januar 1987, ferner einen Arztbrief der Kliniken des H. kreises B. vom 14. April 1992 und einen Neufeststellungsbescheid des Versorgungsamtes XY. vom 18. Mai 1992.

Die Beklagte reichte einen Versicherungsverlauf des Klägers vom 14. März 1991 ein, eine Auskunft des Arbeitsamtes XY. vom 8. August 1991, eine psychiatrische Stellungnahme der Medizinaldirektorin Dr. F. vom 10. April 1992 sowie Stellungnahmen ihrer beratenden Ärztin Dr. Sc. vom 28. Juli 1992 und des Medizinaloberrats Dr. Sch. vom 12. August 1992 und 23. März 1993.

Das Sozialgericht holte Befundberichte ein von der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. B. vom 24. Juni 1991 und 21. Dezember 1992, dem Internisten Dr. M. vom 20. Juni 1991 und dem Orthopäden Dr. R. vom 12. August 1991, außerdem Auskünfte des Arbeitsamts XY. vom 1. August 1991 einschließlich einem Übersichtsbogen über die Daten des Klägers beim Arbeitsamt XY., weiter eine Auskunft vom 29. Dezember 1992. Schließlich erhob das Sozialgericht Beweis durch die Einholung eines nervenfachärztlichen Gutachtens des Dr. L. vom 1. Februar 1992 mit ergänzender Stellungnahme vom 15. Dezember 1992. Dieser diagnostizierte bei dem Kläger einen frühkindlichen Cerebralschaden mit Grenzoligophrenie und hirnorganischen Komponenten, überlagert durch ein Anfallsleiden und eine Hypertonie, weiter ein Postdiscektomiesyndrom. Diese Behinderung sei zur Zeit derart, daß auch leichte Arbeiten praktisch nicht mehr verrichtet werden könnten, bestenfalls unter halbschichtig. Unter günstigen Bedingungen sei auch zu beachten, daß die Tätigkeiten körperlich leicht und geistig einfach, ohne besondere Anforderungen an die Umstellungs- und Anpassungsfähigkeit sein müßten und nur in wechselnder Körperhaltung ausgeführt werden könnten. Dieses Leistungsvermögen sei zweifellos seit Rentenantragstellung vorhanden. Das jetzige Krankheitsbild lasse nur sehr grob den Krankheitsverlauf der letzten Jahre, insbesondere ab 1984 rekonstruieren. Man müsse sich hier weitgehend an den früheren Befundberichten orientieren; diese seien leider unzureichend. Es sei kaum möglich, sich ein ausreichendes Bild von dem damaligen Zustand zu machen. Gesagt werden könne aber, daß mit ziemlicher Sicherheit doch schon im Jahre 1984 eine stärkere gesundheitliche Beeinträchtigung vorgelegen haben müsse, vor allem abzuleiten aus den persistierenden postoperativen Beschwerden nach der Bandscheibenoperation, die dann mit Bandscheibenvorfallrezidiv zu einer erneuten Operation geführt hätten. Wie weit der Kläger wirklich leistungsbeeinträchtigt gewesen sei, sei aber nicht aussagbar. Es bleibe hier ein non liquet.

Mit Urteil vom 14. Juli 1993 hob das Sozialgericht den Bescheid der Beklagten vom 8. November 1990 auf und verurteilte die Beklagte, dem Kläger Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit unter Zugrundelegung eines Versicherungsfalles vom 30. Juni 1984 ab 1. April 1990 zu gewähren. Zur Begründung seiner Entscheidung führte das Sozialgericht im wesentlichen aus, der Kläger erfülle spätestens seit 30. Juni 1984 die Voraussetzungen der Erwerbsunfähigkeit. Hierbei folge die Kammer der Beurteilung des Sachverständigen Dr. L., wonach wegen der persistierenden postoperativen Beschwerden nach Bandscheibenoperation ein vollschichtiges Leistungsvermögen des Klägers zum Zeitpunkt des 30. Juni 1984 nicht mehr vorgelegen habe. Wegen des bereits am 30. Juni 1984 eingetretenen Versicherungsfalles genüge die Erfüllung der Wartezeit von 60 Kalendermonaten Versicherungszeit. Unter Berücksichtigung der Rentenantragstellung im April 1990 habe der Kläger demzufolge Anspruch auf Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit ab 1. April 1990.

Mit ihrer am 24. August 1993 eingelegten Berufung wendet sich die Beklagte gegen das ihr am 26. Juli 1993 zugestellte Urteil. Nach ihrer Auffassung ist der Nachweis, daß Erwerbsunfähigkeit bereits vor Juli 1984 vorlag, nicht erbracht, weiterhin nicht der Nachweis, daß der Kläger ab 1983 durchgehend arbeitslos gemeldet gewesen sei. Die Beklagte bezieht sich auf eine nervenärztliche Stellungnahme des Dr. W. vom 18. August 1993 sowie einen Bescheid des Arbeitsamtes XY. vom 20. Dezember 1995 und einen Widerspruchsbescheid des Arbeitsamtes vom 10. Januar 1996.

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 14. Juli 1993 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend und legt weitere Kopien von Unterlagen des Arbeitsamts XY. vor, ferner den Bescheid des Arbeitsamts XY. vom 20. Dezember 1995, sowie eine Bescheinigung des Kreiskrankenhauses B., betreffend eine stationäre Behandlung im April 1983, und einen Befundbericht des Dr. Ri. vom 19. Dezember 1984.

Unter Bezugnahme auf das Urteil des Bundessozialgerichts vom 8. November 1995 (Az.: 13/4 RA 93/94) vertritt er die Auffassung, der Arbeitsmarkt sei ihm wegen seines Anfallsleidens verschlossen gewesen. Hierzu seien noch weitere Auskünfte des Landesarbeitsamtes sowie der Tarifvertragsparteien einzuholen. Außerdem bedürfe es zur Feststellung, ob er die vom Landesarbeitsamt benannten Tätigkeiten habe ausführen können und ob er sich hierauf habe umstellen können, ergänzender gutachterlicher Stellungnahmen des Prof. Dr. V. und der Einholung eines psychologischen Gutachtens.

Der Senat hat die über den Kläger beim Arbeitsamt XY. vorliegenden EDV-Ausdrucke beigezogen und Beweis erhoben durch die Einholung eines neurochirurgischen Gutachtens des Prof. Dr. V. vom 16. November 1994 mit ergänzender Stellungnahme vom 22. Juni 1995. Danach besteht bei dem Kläger ein cerebrales Anfallsleiden, wahrscheinlich als Folge einer frühkindlichen Hirnschädigung, ein Zustand nach zweimaliger Bandscheibenoperation in den Segmenten L 4/L 5 links, sowie L 5/S 1 rechts ohne eindeutige neurologische Ausfälle mit subjektiver Beschwerdesymptomatik, ein Zustand nach Magenresektion nach Billroth II (1964) und Gastrektomie wegen Stumpfkarzinom (1992), eine arterielle Hypertension, ein Zustand nach Appendektomie und eine chronische Prostatitis und Ependymitis. Mit der Erkrankung im Bereich der Lendenwirbelsäule, die 1981 zur Operation geführt habe, sei ein erster Einbruch in die körperliche Belastbarkeit des Klägers eingetreten. Ab 1981 sei der Kläger nur noch in der Lage gewesen, körperlich leichte Tätigkeiten in geschlossenen Räumen, unter klimatisierten Bedingungen, im Wechsel zwischen Sitzen, Gehen und Stehen auszuführen, wobei Heben von Lasten, Über-Kopf-Arbeiten und zahlreiche andere Tätigkeitsmerkmale auszuscheiden gewesen seien. Das erneute Aufflammen der Lumboischialgie und die Operation eines Bandscheibenvorfalls im Jahre 1990 im Segment L 4/L 5 bedeuteten, daß von diesem Zeitpunkt an (März 1990) keine vollschichtige Tätigkeit mehr habe geleistet werden können. Von diesem Zeitpunkt an sei nur noch eine halbschichtige Beschäftigung theoretisch möglich gewesen, wobei Schicht- und Nachtarbeit ohnehin entfielen und nur körperlich leichte Tätigkeiten in Betracht kämen. Alle Tätigkeiten, die ein besonderes Einstellungsvermögen oder intellektuelle Leistungen erforderten, kämen ohnehin nicht in Betracht. In seiner Stellungnahme vom 22. Juni 1995 hat der Sachverständige Prof. Dr. V. ergänzend ausgeführt, unter dem Begriff "zahlreiche andere Tätigkeitsmerkmale” habe er folgendes verstanden: Tätigkeit im Wechsel zwischen Sitzen und Stehen und Gehen unter den vorweg genannten Bedingungen, ohne das Heben von Lasten und Arbeiten über Kopf und ohne Tätigkeiten, die ein stetes konstantes Drehen etwa im Bereich der Wirbelsäule mit Weiterreichen von Gegenständen von rechts nach links oder umgekehrt erforderten. Nicht zumutbar seien auch Tätigkeiten gewesen, die zu Längsstauchungen der Wirbelsäule Anlaß geben könnten. Das Erfordernis von betriebsunüblichen Pausen sei bis zum Jahre 1990 nicht gegeben gewesen. Schließlich hat der Senat medizinische Unterlagen über den Kläger beigezogen von Dr. Ri. aus dem Jahr 1995 sowie vom Kreiskrankenhaus GH. vom 6. Mai 1983, außerdem eine Auskunft des Landesarbeitsamtes Hessen vom 9. Mai 1996.

Wegen der Einzelheiten im übrigen wird auf die Gerichts- und Rentenakten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig und auch sachlich begründet. Entgegen der Entscheidung des Sozialgerichts hat der Kläger keinen Anspruch auf Versichertenrente.

Über den geltend gemachten Anspruch des Klägers ist unter Anwendung der Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO) zu entscheiden. Diese Vorschriften sind zwar zum 1. Januar 1992 aufgehoben und durch das Sozialgesetzbuch (SGB) VI ersetzt worden. Über Ansprüche, die vor dem 1. Januar 1992 entstanden und geltend gemacht worden sind, ist aber noch nach den Vorschriften der RVO zu entscheiden (§ 300 Abs. 2 SGB VI). Nach den §§ 1246 Abs. 1, 1247 Abs. 1 RVO erhält Rente wegen Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit der Versicherte, der berufs- bzw. erwerbsunfähig ist und zuletzt vor Eintritt der Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit eine Versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit ausgeübt hat, wenn die Wartezeit erfüllt ist. Zuletzt vor Eintritt der Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit ist eine Versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit ausgeübt worden, wenn von den letzten 60 Kalendermonaten vor Eintritt der Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit mindestens 36 Kalendermonate mit Beiträgen für eine Versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit belegt sind oder die Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit aufgrund eines der in § 1252 RVO genannten Tatbestände eingetreten ist (§§ 1246 Abs. 2 a, 1247 Abs. 2 a RVO). Berufsunfähig ist nach § 1246 Abs. 2 RVO ein Versicherter, dessen Erwerbsfähigkeit infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte auf weniger als die Hälfte derjenigen eines körperlich und geistig gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten herabgesunken ist. Dabei umfaßt der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit eines Versicherten zu beurteilen ist, alle Tätigkeiten, die seinen Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihm unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs seiner Ausbildung sowie seines bisherigen Berufes und der besonderen Anforderungen seiner bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Erwerbsunfähig ist nach § 1247 Abs. 2 RVO der Versicherte, der infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte auf nicht absehbare Zeit eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit nicht mehr ausüben oder nicht mehr als nur geringfügige Einkünfte durch Erwerbstätigkeit erzielen kann.

Zur Überzeugung des Senats steht fest, daß der Kläger seit Rentenantragstellung krankheitsbedingt auf unabsehbare Zeit nicht mehr im Erwerbsleben einsetzbar ist und damit die Voraussetzungen der Erwerbsunfähigkeit erfüllt. Der Senat stützt sich hierbei auf das nervenfachärztliche Gutachten des Dr. L. vom 1. Februar 1992. Danach leidet der Kläger an einem frühkindlichen Cerebralschaden mit Grenzoligophrenie und hirnorganischen Komponenten, überlagert durch ein Anfallsleiden und eine Hypertonie und durch ein Postdiscektomiesyndrom. Hierdurch wird das Leistungsvermögen des Klägers nach der Einschätzung des Sachverständigen seit Rentenantragstellung ohne Zweifel eingeschränkt auf die Verrichtung leichter Arbeiten in wechselnder Körperhaltung, die außerdem geistig einfach und ohne besondere Anforderungen an Umstellungs- und Anpassungsfähigkeit sein müssen, bestenfalls unter halbschichtig. Auch nach dem medizinischen Gutachten des Dr. Z. aus dem Verwaltungsverfahren ist der Kläger ab Rentenantragstellung nur noch unter zweistündig im Erwerbsleben einsetzbar. Der Senat sieht keine Veranlassung, diese medizinischen Feststellungen anzuzweifeln.

Der Kläger kann jedoch trotz Vorliegens von Erwerbsunfähigkeit die Gewährung einer Versichertenrente nicht verlangen, da es – bezogen auf den Eintritt des Versicherungsfalles im April 1990 – an den versicherungsrechtlichen Voraussetzungen fehlt. In den letzten 60 Kalendermonaten vor Eintritt der Erwerbsunfähigkeit hat der Kläger keine 36 Pflichtbeiträge geleistet, denn Pflichtbeiträge wurden zuletzt im Dezember 1982 entrichtet. Auch unter zusätzlicher Berücksichtigung von Zeiten der Arbeitslosigkeit von März 1985 bis März 1990 würden die erforderlichen 36 Kalendermonate nicht erreicht werden. Ein Tatbestand des § 1252 RVO liegt nicht vor.

Auch auf der Grundlage von Art. 2 § 6 Abs. 2 Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetz (ArVNG) kann der Kläger einen Rentenanspruch nicht geltend machen. Danach gelten die §§ 1246 Abs. 1, 1247 Abs. 1 RVO in der am 31. Dezember 1983 geltenden Fassung, wonach die Voraussetzungen der §§ 1246 Abs. 2 a, 1247 Abs. 2 a RVO nicht zu erfüllen waren, auch für Versicherungsfälle nach dem 31. Dezember 1983, wenn der Versicherte vor dem 1. Januar 1984 eine Versicherungszeit von 60 Kalendermonaten zurückgelegt hat und jeden Kalendermonat in der Zeit vom 1. Januar 1984 bis zum Ende des Kalenderjahres vor Eintritt des Versicherungsfalles mit Beiträgen oder den bei der Ermittlung der 60 Kalendermonate nach § 1246 Abs. 2 a RVO nicht mitzuzählenden Zeiten belegt hat. Diese Vorschrift greift zugunsten des Klägers nicht ein. Der Kläger hat weder freiwillige Beiträge geleistet noch nachweislich in der Zeit von Januar bis Dezember 1986 Zeiten i.S. des § 1246 Abs. 2 a RVO zurückgelegt. Nach dem Ergebnis der Ermittlungen konnte nicht festgestellt werden, daß der Kläger auch im Jahre 1986 arbeitslos gemeldet war. Nach den Unterlagen des Arbeitsamtes XY. ist nicht erkennbar, daß sich der Kläger auch im Jahre 1986 arbeitslos gemeldet hatte. Nach den vorhandenen Unterlagen wurde im Januar 1986 ein Antrag des Klägers vom 6. Dezember 1985 auf Arbeitslosenhilfe abgelehnt, weil die Voraussetzungen für die Leistungsgewährung nicht gegeben waren. Eine Arbeitslosmeldung ist sodann erst wieder im Januar 1987 in den Arbeitsamtsakten enthalten. Dies wird auch bestätigt durch den Bescheid des Arbeitsamtes XY. vom 20. Dezember 1995. Der Kläger kann auch über den sog. sozialrechtlichen Herstellungsanspruch nicht so gestellt werden, als sei er durchgehend ab 1983 bis zur Rentenantragstellung arbeitslos gemeldet gewesen. Denn der Kläger war vom Arbeitsamt XY. ausweislich des Bescheides vom 6. Oktober 1983 darauf hingewiesen worden, daß er im Hinblick auf die Vorschriften der Rentenversicherung für die Dauer der Arbeitslosigkeit sein Arbeitsgesuch aufrechtzuerhalten habe. Eine fehlende oder mangelhafte Beratung durch das Arbeitsamt, die sich die Beklagte zurechnen lassen müßte, liegt demzufolge nicht vor.

Der Eintritt des Versicherungsfalles der Erwerbs- oder Berufsunfähigkeit vor April 1990 ist nicht nachgewiesen.

Ausgangspunkt für die Beurteilung der Berufsunfähigkeit ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts der bisherige Beruf des Versicherten, von dessen qualitativem Wert es abhängt, auf welche anderen Tätigkeiten er zumutbar noch verwiesen werden kann (vgl. BSG in SozR 2200 § 1246 Nr. 75, 85 und 86). Der Kläger ist als ungelernter Arbeiter im Sinne des vom Bundessozialgericht entwickelten Mehrstufenschemas anzusehen (BSG in SozR 2200 § 1246 Nr. 69, 86), denn er war in der Bundesrepublik Deutschland nur in ungelernten Tätigkeiten versicherungspflichtig beschäftigt. Als ungelernter Arbeiter konnte der Kläger zumutbar verwiesen werden auf alle ungelernten Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes, die er nach seinem Gesundheitszustand und seinen beruflichen Fähigkeiten noch verrichten konnte (BSG in SozR 2200 § 1246 Nr. 16, 21, 107).

Wie der Senat festgestellt hat, war der Kläger vor April 1990 noch in der Lage, regelmäßig ganztags körperlich leichte und geistig einfache Arbeiten in geschlossenen, warmen Räumen, im Wechsel von Sitzen, Gehen und Stehen, ohne Heben und Über-Kopf-Arbeiten, ohne Zwangshaltungen sowie ohne die Gefahr der Einwirkung auf die Längsachse der Wirbelsäule (etwa durch Fahren von Fahrzeugen mit schlechter Federung) zu verrichten. Schichtarbeit und Nachtdienst sowie Arbeiten mit besonderen Anforderungen an die Umstellungs- und Anpassungsfähigkeit schieden aus. Der Senat stützt seine Überzeugung zum Leistungsvermögen des Klägers insoweit auf das neurochirurgische Gutachten des Prof. Dr. V. vom 16. November 1994 und dessen ergänzende Stellungnahme vom 22. Juli 1995. Der Sachverständige hat bei dem Kläger ein cerebrales Anfallsleiden, einen Zustand nach zweimaliger Bandscheibenoperation in den Segmenten L 4/L 5 links sowie L 5/S 1 rechts ohne eindeutige neurologische Ausfälle mit subjektiver Beschwerdesymptomatik diagnostiziert, außerdem einen Zustand nach Magenresektion nach Billroth II (1964) und Gastrektomie wegen Stumpfkarzinom (1992), eine arterielle Hypertension, einen Zustand nach Appendektomie, eine chronische Prostatitis und eine Ependymitis. Nach der Beurteilung des Sachverständigen hat die zweite Bandscheibenoperation im Jahre 1990 zu einer Reduzierung der Belastbarkeit des Klägers auf unter vollschichtig geführt. Dagegen war der Kläger ab 1981 noch in der Lage, körperlich leichte Arbeiten unter den o.a. qualitativen Leistungseinschränkungen zu verrichten. Für den Senat bestehen keine Bedenken, dem neurochirurgischen Gutachten zu folgen. Das Gutachten ist in sich schlüssig und berücksichtigt die Befundberichte der behandelnden Ärzte, die früheren medizinischen Gutachten und die Beschwerden des Klägers. Widersprüche zwischen Befunderhebung und der Beurteilung des Leistungsvermögens sind nicht ersichtlich. Das Gutachten beruht auf einer umfassenden Untersuchung des Klägers und begründet ausführlich das gewonnene Ergebnis. Eine andere Beurteilung des Leistungsvermögens für die Zeit vor Rentenantragstellung ergibt sich nicht aus dem nervenfachärztlichen Gutachten des Dr. L ... Wie der Sachverständige Dr. L. ausdrücklich dargelegt hat, konnte er nicht mit Sicherheit angeben, daß bei dem Kläger vor Rentenantragstellung bereits ein unter vollschichtiges Leistungsvermögen bestand. Soweit er dies für möglich hielt, begründete er die Einschränkung des Leistungsvermögens mit Gesundheitsstörungen von Seiten des Bewegungsapparates. Die Beurteilung des Dr. L. wird allerdings widerlegt durch das fachspezifischere neurochirurgische Gutachten des Prof. Dr. V. Der Behandlungsbericht des Kreiskrankenhauses B. vom 6. Mai 1983 beschreibt als Krankheitsbild den Verdacht auf einen cerebralen Krampfanfall. Diese Gesundheitsstörung bestand bei dem Kläger bereits seit 1962 und war auch dem Sachverständigen Prof. Dr. V. wie sich aus seinem Gutachten ergibt, bekannt. Einer erneuten Stellungnahme der Sachverständigen zum Leistungsvermögen des Klägers unter Auswertung des Behandlungsberichtes vom 6. Mai 1983 bedurfte es daher nicht. Da im übrigen keine wesentlichen Befunde im Bericht des Kreiskrankenhauses beschrieben wurden, hält der Senat das Leistungsvermögen auch für die Zeit bis März 1990 bzw. bis 1984 für ausreichend geklärt.

Mit dem ihm verbliebenen gesundheitlichen Leistungsvermögen war der Kläger bis März 1990 noch in der Lage, Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes zu verrichten. Nach der Auskunft des Landesarbeitsamtes Hessen vom 9. Mai 1996 hätte der Kläger noch als Warenaufmacher/Versandfertigmacher oder als Warensortierer eingesetzt werden können. Da das Landesarbeitsamt seine Auskunft in Kenntnis des von Prof. Dr. V. festgestellten Leistungsvermögens des Klägers erteilt hat, bedurfte es keiner Rückfrage bei dem Sachverständigen dahingehend, ob die benannten Tätigkeiten auch dem Leistungsvermögen des Klägers entsprechen. Das Landesarbeitsamt konnte beurteilen, welche Tätigkeiten der Kläger mit seinem Leistungsvermögen noch zu verrichten vermochte. Nachdem in dem relativ zeitnahen Gutachten des Dr. L. und auch in dem Gutachten von Prof. Dr. V. noch eine gewisse Umstellungsfähigkeit des Klägers für Tätigkeiten, die dem körperlichen Leistungsvermögen des Klägers entsprachen, bejaht wurde, brauchte der Senat ein psychologisches Gutachten zur Umstellungsfähigkeit des Klägers, das für die Zeit bis 1990 ohnehin nur aufgrund der Aktenlage eine Aussage hätten treffen können, nicht einzuholen.

Da der Kläger zudem noch in der Lage war, vollschichtig zu arbeiten, war ihm der Arbeitsmarkt auch nicht praktisch verschlossen. Dies hätte nur dann der Fall sein können, wenn er nicht in der Lage gewesen wäre, Vollzeittätigkeiten unter den in Betrieben in der Regel üblichen Arbeitsbedingungen zu verrichten oder wenn er aus gesundheitlichen Gründen außer stände gewesen wäre, Arbeitsplätze dieser Art von seiner Wohnung aus aufzusuchen. Diese Tatbestände waren vorliegend ebenfalls nicht erfüllt. Insbesondere benötigte der Kläger keine betriebsunüblichen Pausen, wie der Sachverständige Prof. Dr. V. in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 22. Juni 1995 überzeugend dargelegt hat. Der Senat hat auch keine Zweifel, daß das Anfallsleiden des Klägers ihm nicht den Arbeitsmarkt verschlossen hat, etwa weil Arbeitgeber Vorbehalte gegen die Einstellung von Anfallskranken haben können. Das für die Beurteilung des Arbeitsmarktes zuständige Landesarbeitsamt hat hier ein Einstellungshindernis durch das Anfallsleiden des Klägers gerade nicht angegeben. Eine weitere Sachverhaltsermittlung durch die Einholung von Auskünften des Landesarbeitsamtes oder der Tarifvertragsparteien war daher nicht erforderlich.

Nach alledem mußte die Berufung erfolglos bleiben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, da es an den Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG fehlt.
Rechtskraft
Aus
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