L 13 J 381/92

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
S 1 J 326/89
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 13 J 381/92
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 13. März 1992 geändert. Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 15. Februar 1989 und Abweisung der weitergehenden Klage verurteilt, dem Kläger für die Zeit vom 1. November 1988 bis zum 30. November 1992 Rente wegen Berufsunfähigkeit zu gewähren. Insoweit wird die Berufung zurückgewiesen.

II. Die Beklagte hat dem Kläger die ihm zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstandenen notwendigen außergerichtlichen Kosten beider Instanzen zu zwei Dritteln zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist (noch), ob der Kläger gegen die Beklagte für die Zeit vom 1. November 1988 bis zum 30. November 1992 einen Anspruch auf Gewährung von Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit hat.

Der 1928 geborene Kläger erlernte in den Jahren 1942 bis 1945 das Metzgerhandwerk und legte im März 1945 die Gesellenprüfung ab. Anschließend arbeitete er bis ins Jahr 1956 im väterlichen Betrieb als Metzger, bevor er sich aus familiären Gründen (Krankheit der Ehefrau) einer Tätigkeit als Betriebsarbeiter (Heizer) bei der Deutschen Bundesbahn zuwandte. Von 1962 bis 1988 war der Kläger sodann als Landwirt und Pferdezüchter erwerbstätig. Es wurden zuletzt in der Zeit vom 12. Februar 1979 bis zum 31. Dezember 1979 Pflichtbeiträge und sodann für die Jahre 1981 bis 1987 freiwillige Beiträge zur gesetzlichen Arbeiterrentenversicherung entrichtet. Der Kläger beendete seine Tätigkeit als landwirtschaftlicher Unternehmer zum 31. August 1988 und war nachfolgend nicht mehr erwerbstätig.

Am 10. Oktober 1988 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung von Versichertenrente wegen Berufsunfähigkeit bzw. Erwerbsunfähigkeit und legte einen Befundbericht des prakt. Arztes Dr. med. K. vom 28. Dezember 1988 vor. Auf Veranlassung der Beklagten wurde er daraufhin am 6. Februar 1989 in der Sozialärztlichen Dienststelle D. untersucht. In seinem Gutachten vom 8. Februar 1989 diagnostizierte der Arzt für Innere Medizin – Sozialmedizin – Dr. med. O. bei dem Kläger unregelmäßig auftretende Kreislaufstörungen im Zusammenhang mit der Harnblasenentleerung, unregelmäßig vorhandene Herzrhythmusstörungen ohne erkennbare Grunderkrankung des Herzens, degenerative Veränderungen der Halswirbelsäule und des rechten Schulterbereiches sowie des linken Kniegelenkes und massiv hypertrophische Tonsillen, besonders rechts. Zum Leistungsvermögen führte er aus, daß der Kläger unter Berücksichtigung dieser Gesundheitsbeeinträchtigungen noch leichte, teils auch mittelschwere körperliche Tätigkeiten mit Einschränkungen (ohne Wechselschicht, ohne Nachtschicht, ohne besonderen Zeitdruck, ohne Über-Kopf-Arbeiten sowie ohne Absturzgefahr) vollschichtig verrichten könne.

Die Beklagte lehnte den Rentenantrag des Klägers daraufhin durch Bescheid vom 15. Februar 1989 ab und führte zur Begründung aus, der Kläger könne unter Berücksichtigung der festgestellten Gesundheitsbeeinträchtigungen mit Einschränkungen noch leichte, zeitweise mittelschwere körperliche Arbeiten, z.B. wie bisher als Landwirt, vollschichtig verrichten, so daß keine Berufsunfähigkeit und erst recht keine Erwerbsunfähigkeit vorliege.

Der Kläger erhob am 15. März 1989 Klage bei dem Sozialgericht Darmstadt und machte geltend, daß seine Gesundheitsstörungen seitens der Beklagten nicht ausreichend gewürdigt worden seien. Er legte Atteste des Orthopäden Dr. med. Kr. vom 21. Dezember 1989 sowie des prakt. Arztes Dr. med. K. vom 25. Februar 1991 vor.

Die Beklagte berief sich demgegenüber auf das Ergebnis der über das (Rest-) Leistungsvermögen des Klägers eingeholten Gutachten. Sie vertrat die Auffassung, daß der Kläger sich unter Berücksichtigung des noch vorhandenen Restleistungsvermögens sozial zumutbar auf eine Tätigkeit als landwirtschaftlicher Verwalter verweisen lassen müsse.

Das Sozialgericht hat zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts einen Befundbericht des Orthopäden Dr. med. Kr. vom 27. November 1989 eingeholt. Sodann ist Beweis erhoben worden durch Einholung eines fachärztlichen Sachverständigengutachtens bei dem Orthopäden Dr. med. H. der in seinem Gutachten vom 16. Januar 1991 im Anschluß an eine ambulante Untersuchung vom 22. Dezember 1990 bei dem Kläger druckschmerzhafte Muskelverspannungen im Wirbelsäulenbereich mit Bewegungsbehinderung der einzelnen Wirbelsäulenabschnitte bei anlagebedingten und umformenden Veränderungen derselben ohne Nervenwurzelreizerscheinungen, weiterhin eine geringe schmerzhafte Bewegungseinschränkung des rechten Schultergelenkes, teilweise auch des rechten Handgelenkes, ohne nennenswerte Beeinträchtigung der Gesamtfunktion der beiden Arme, eine mäßige Bewegungseinschränkung beider Hüftgelenke und Beugebehinderung im rechten Kniegelenk bei radiologisch nur geringen bis noch altersüblichen Veränderungen der Gelenke sowie eine Spreizfußbildung beidseits diagnostizierte. Der Sachverständige mutete dem Kläger unter Berücksichtigung der festgestellten Gesundheitsbeeinträchtigungen noch leichte, zeitweise mittelschwere körperliche Tätigkeiten mit Einschränkungen (ohne Wechselschicht, ohne Nachtschicht, ohne besonderen Zeitdruck, in wechselnder Körperhaltung, ohne Über-Kopf-Arbeiten sowie ohne Absturzgefahr) vollschichtig zu.

Das Sozialgericht hat ferner eine berufs- und wirtschaftskundliche Auskunft des Landesarbeitsamtes Hessen vom 27. Dezember 1991 eingeholt. Darin wurde die Auffassung vertreten, daß der Kläger unter Berücksichtigung seines beruflichen Werdegangs sowie seines eingeschränkten (Rest-) Leistungsvermögens noch für eine Tätigkeit als Warenaufmacher/Versandfertigmacher oder als Warensortierer in Betracht komme. Da der Kläger jedoch seit 1962 nicht mehr in einer unselbständigen Erwerbstätigkeit gestanden habe, müsse davon ausgegangen werden, daß er eine längere als dreimonatige Einarbeitungs- bzw. Einweisungszeit benötige, um die genannten Tätigkeiten unter arbeitsmarkt- und betriebsüblichen Bedingungen wettbewerbsfähig verrichten zu können.

Das Sozialgericht hat die Beklagte durch Urteil vom 13. März 1992 unter Aufhebung des Bescheides vom 15. Februar 1989 verpflichtet, dem Kläger unter Zugrundelegung eines im Oktober 1988 eingetretenen Versicherungsfalls für die Zeit ab 1. November 1988 Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit zu gewähren. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, daß der Kläger unter Berücksichtigung der festgestellten umfangreichen Leistungseinschränkungen vom Arbeitsmarkt schlechthin ausgeschlossen sei.

Die Beklagte hat gegen das ihr am 26. März 1992 zugestellte Urteil des Sozialgerichts am 23. April 1992 Berufung eingelegt. Sie hat dem Kläger im Verlaufe des Rechtsstreits aufgrund eines angenommenen Teilanerkenntnisses vom 29. März 1994 durch Ausführungsbescheid vom 18. Mai 1994 für die Zeit vom 1. Dezember 1992 bis zum 31. Juli 1993 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit sowie auf entsprechenden Antrag durch weiteren Bescheid vom 20. Oktober 1993 für die Zeit ab 1. August 1993 die Regelaltersrente bewilligt.

Die Beklagte vertritt die Auffassung, daß der Kläger in der streitigen Zeit vor dem 1. Dezember 1992 zum einen noch nicht erwerbsunfähig gewesen sei.

Daß der Kläger nicht vom Arbeitsmarkt schlechthin ausgeschlossen gewesen sei, ergebe sich bereits daraus, daß in der Auskunft des Landesarbeitsamtes Hessen vom 27. Dezember 1991 noch für ihn geeignete Verweisungstätigkeiten benannt worden seien. Soweit das Landesarbeitsamt die Auffassung vertreten habe, daß der Kläger diese Verweisungstätigkeiten erst nach einer mehr als drei Monate dauernden Einarbeitungs- bzw. Einweisungszeit vollwertig werde verrichten können, fehle es an einer überzeugenden Begründung. Allein die Tatsache, daß der Kläger über viele Jahre hinweg selbständig erwerbstätig gewesen sei, rechtfertige diese Annahme noch nicht.

Die Beklagte vertritt überdies die Auffassung, daß der Kläger im noch streitigen Zeitraum auch nicht berufsunfähig gewesen sei.

Für die Beurteilung der Verweisbarkeit des Klägers müsse die von ihm in den Jahren 1956 bis 1962 verrichtete Tätigkeit als Heizer bei der Deutschen Bundesbahn als sog. Hauptberuf zugrunde gelegt werden. Hierbei handele es sich um eine allenfalls angelernte Tätigkeit, so daß dem Kläger kein besonderer Berufsschutz zugebilligt werden könne. Entgegen der Auffassung des Klägers könne die von ihm verrichtete Tätigkeit in der Landwirtschaft nicht als sog. Hauptberuf angesehen werden, weil insoweit lediglich für 11 Kalendermonate Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung entrichtet worden seien, so daß diese Tätigkeit dem Versicherungspflichtigen Abschnitt des Erwerbslebens des Klägers nicht das Gepräge gegeben habe. Im übrigen sei auch nicht erwiesen, daß der Kläger in voller Breite über die praktischen Fertigkeiten und theoretischen Kenntnisse eines voll ausgebildeten Landwirts mit abgeschlossener Berufsausbildung verfügt habe, und versicherungspflichtig auch tatsächlich als Landwirt tätig gewesen sei. Da der Kläger für die Dauer seiner rentenversicherungspflichtigen Tätigkeit in der Landwirtschaft überdies auch nur wie ein Hilfsarbeiter entlohnt worden sei, könne aus dieser Tätigkeit ohnehin unter keinem Gesichtspunkt ein besonderer Berufsschutz abgeleitet werden.

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 13. März 1992 aufzuheben und die Klage abzuweisen,
hilfsweise,
die Revision zuzulassen.

Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Er sieht sich in seiner Auffassung durch das erstinstanzliche Urteil bestätigt. Der Kläger vertritt die Auffassung, daß er mit dem ihm verbliebenen Restleistungsvermögen auf dem Arbeitsmarkt nicht mehr vermittelbar sei. Er verweist darauf, daß es sich bei dem von ihm geführten Hof (M.) um einen der größten Höfe im D. Bezirk mit zum Teil 40 Milchkühen und mehreren Angestellten gehandelt habe. Sowohl aufgrund des von ihm erlernten Berufes (Metzger) als auch aufgrund seiner letzten – auch Versicherungspflichtigen – Tätigkeit als Landwirt könne er nunmehr nicht auf ungelernte Tätigkeiten verwiesen werden.

Der Senat hat zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts ein psychologisches Sachverständigengutachten bei dem Dipl.-Psychologen W. eingeholt. In seinem Gutachten vom 13. März 1993 gelangt der Sachverständige W. aufgrund einer ambulanten Untersuchung vom 30. November 1992 zu dem Ergebnis, daß der Kläger vor dem Hintergrund des zunehmenden Involutionsprozesses und in Erlebnisverarbeitung seiner körperlich-gesundheitlichen Einschränkungen ein drastisch reduziertes Antriebsverhalten und eine deutlich verminderte emotionale Belastbarkeit zeige, so daß körperlich-gesundheitliche Restleistungsfähigkeiten, wie sie nach medizinischem Fachgebiet noch erkannt, und intellektuelle Voraussetzungen, wie sie als eine Bedingung von Möglichkeiten nach psychologischen Befunden noch in Betracht gezogen werden könnten, für eine berufliche Nutzung nicht mehr verfügbar seien. Der Kläger verfüge nicht mehr über die erforderliche Umstellungs- und Anpassungsfähigkeit, sich auf die Verrichtung einer anderen als der zuletzt ausgeübten Tätigkeit umzustellen. Es werde für ihn mit einer unzumutbaren psychischen Belastung verbunden sein, in eine andere als die zuletzt ausgeübte Tätigkeit, insbesondere in eine Tätigkeit als Warenaufmacher/Versandfertigmacher oder Warensortierer eingewiesen zu werden. Die Dauer der Einweisungszeit sei für eine etwaige berufliche Wiedereingliederung unerheblich, da der Versuch jeglicher beruflicher Wiedereingliederung wegen vorhersehbarer Überforderung eine unzumutbare psychische Belastung bedeute. Der Sachverständige führt in seinem Gutachten sowie in einer vom Senat eingeholten ergänzenden Stellungnahme vom 4. September 1993 weiter aus, daß er den genauen Zeitpunkt, ab wann diese Beurteilung gelte, nicht zu präzisieren vermöge. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit aber gelte sie bereits seit dem 13. Oktober 1988 (Zeitpunkt der Rentenantragstellung).

Es ist ferner ein berufskundliches Sachverständigengutachten bei Dr. agr. V. vom Hessischen Landesamt für Regionalentwicklung und Landwirtschaft eingeholt worden. In seinem Gutachten vom 16. Februar 1995 kommt der Sachverständige Dr. agr. V. zu dem Ergebnis, daß der Kläger die landwirtschaftliche Gehilfenprüfung im Jahre 1979 sowohl im praktischen als auch im theoretischen Teil ohne Schwierigkeiten bestanden haben würde. Daß der Kläger über die insoweit erforderlichen theoretischen Kenntnisse und praktischen Fähigkeiten verfüge, habe er durch den Aufbau und die langjährige Führung seines Betriebes unter Beweis gestellt.

Der Senat hat außerdem berufs- und wirtschaftskundliche Auskünfte des Landesarbeitsamts Hessen vom 20. August 1992, vom 4. September 1995 sowie vom 27. Oktober 1995 eingeholt und bezüglich der Arbeitsinhalte der letzten versicherungspflichtigen Tätigkeit des Klägers in der Landwirtschaft Beweis erhoben durch uneidliche Vernehmung der Frau M. S. und des Herrn M. H. als Zeugen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird Bezug genommen auf die Sitzungsniederschrift vom 10. Mai 1996.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten sowie zur Ergänzung des Sach- und Streitstands im übrigen wird Bezug genommen auf die gewechselten Schriftsätze sowie auf den Inhalt der den Kläger betreffenden Rentenakten der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, aber nur zum Teil begründet.

Das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 13. Oktober 1992 kann auch unter Berücksichtigung der im Berufungsverfahren nachgeholten Sachaufklärung nicht in vollem Umfang aufrechterhalten werden. Es ist aufzuheben, soweit dem Kläger für die allein noch streitige Zeit vom 1. November 1988 bis zum 30. November 1992 anstelle der ihm zustehenden Berufsunfähigkeitsrente eine Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit zugesprochen worden ist. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 15. Februar 1989 ist nur rechtswidrig, soweit dem Kläger außer der ihm nicht zustehenden Rente wegen Erwerbsunfähigkeit auch die zu gewährende Rente wegen Berufsunfähigkeit versagt worden ist.

Der Kläger hat für die Zeit vom 1. November 1988 bis zum 30. November 1992 keinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit gegen die Beklagte.

Da der Kläger bereits für die Zeit vor dem 1. Januar 1992 einen Anspruch auf Rentengewährung erhebt und den entsprechenden Rentenantrag vor dem 31. März 1992 gestellt hat, sind gemäß § 300 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) im vorliegenden Fall zunächst noch die Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO) in der vor Inkrafttreten des Rentenreformgesetzes 1992 (RRG 1992) vom 18. Dezember 1989 (BGBl. I, S. 2261) maßgeblichen Fassung anzuwenden.

Rente wegen Erwerbsunfähigkeit erhält gemäß § 1247 Abs. 1 RVO, wer erwerbsunfähig ist und die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung einer solchen Rente erfüllt. Nach § 1247 Abs. 2 Satz 1 RVO ist erwerbsunfähig ein Versicherter, der infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte auf nicht absehbare Zeit eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit nicht mehr ausüben oder nicht mehr als nur geringfügige Einkünfte durch Erwerbstätigkeit erzielen kann. Nicht erwerbsunfähig ist gemäß § 1247 Abs. 2 Satz 3 RVO, wer eine selbständige Erwerbstätigkeit ausübt.

Der Kläger hat für den streitigen Zeitraum keinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, weil er nicht erwerbsunfähig im Sinne dieser gesetzlichen Bestimmungen gewesen ist. Er konnte ohne Schaden für seine Restgesundheit noch bis Ende November 1992 einer geregelten Erwerbstätigkeit nachgehen und auf diese Weise mehr als nur geringfügige Erwerbseinkünfte erzielen.

Die Fähigkeit des Klägers, durch erlaubte Erwerbstätigkeit ein Arbeitsentgelt in nicht ganz unerheblichem Umfang zu erzielen (Erwerbsfähigkeit) war zwar auch im streitigen Zeitraum bereits durch verschiedene Gesundheitsbeeinträchtigungen herabgemindert. Zur Überzeugung des Senats steht fest, daß der Kläger jedoch noch leichte, zeitweise mittelschwere körperliche Tätigkeiten mit Einschränkungen (in wechselnder Körperhaltung, ohne Über-Kopf-Arbeiten, ohne Absturzgefahr, ohne Wechselschicht, ohne Nachtschicht sowie ohne besonderen Zeitdruck) vollschichtig verrichten konnte. Diese Beurteilung des Leistungsvermögens ergibt sich unter Berücksichtigung aller Einzelumstände des vorliegenden Falles aus einer Gesamtschau der über den Gesundheitszustand des Klägers vorliegenden ärztlichen Stellungnahmen und medizinischen Gutachten.

Der Kläger war im streitigen Zeitraum zwischen 60 und 64 Jahre alt und in seinem Leistungsvermögen deutlich beeinträchtigt. Wie der Internist Dr. med. O. bereits im sozialärztlichen Gutachten vom 8. Februar 1989 hervorgehoben hat, kam dabei den Leiden des orthopädischen Fachgebiets eine besondere Bedeutung zu. Der Kläger konnte wegen seiner Wirbelsäulenbeschwerden aus einleuchtenden Gründen keine schweren körperlichen Tätigkeiten mehr verrichten und war im übrigen auch nur noch für Tätigkeiten in wechselnder Körperhaltung, ohne Über-Kopf-Arbeiten und ohne Absturzgefahr geeignet. Dies ergibt sich aus dem überzeugenden Sachverständigengutachten des in der Begutachtung von Rentenbewerbern langjährig erfahrenen Orthopäden Dr. med. H. vom 16. Januar 1991. Jenseits des orthopädischen Fachgebiets lagen bei dem Kläger demgegenüber nur Gesundheitsbeeinträchtigungen von untergeordneter Bedeutung vor. Sowohl aus dem anläßlich der Rentenantragstellung vorgelegten Befundbericht des prakt. Arztes Dr. med. K. vom 28. Dezember 1987 als auch aus dem sozialärztlichen Gutachten des Internisten Dr. med. O. vom 8. Februar 1989 ergeben sich nur diskrete Hinweise für eine weitergehende Leistungsbeeinträchtigung von Seiten der durch den Kläger geschilderten Herz-Kreislauf-Störungen für die weder anläßlich der gutachtlichen Untersuchung in der sozialärztlichen Dienststelle D. am 6. Februar 1989 noch anläßlich der vom Kläger in den Jahren 1982 (Sanatorium Dr. M. und K. Klinik, B.) und 1988 (S. Klinik, B.) absolvierten Kuren eine bedeutsame Grunderkrankung gefunden werden konnte. Der Senat hat zugunsten des Klägers gleichwohl unterstellt, daß Tätigkeiten in Wechselschicht oder Nachtschicht sowie jene Arbeiten, die typischerweise unter besonderem Zeitdruck verrichtet werden müssen, bezogen auf den streitigen Zeitraum aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr zumutbar waren.

Abgesehen von den organisch faßbaren Gesundheitsbeeinträchtigungen des Klägers ergeben sich bezogen auf den streitigen Zeitraum zur Überzeugung des Senats keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine weitergehende Leistungsminderung. Aufgrund des vom Senat bei dem Dipl.-Psychologen W. eingeholten Sachverständigengutachtens vom 13. März 1993 steht zwar – unstreitig – fest, daß abgesehen von den Leiden des internistischen und des orthopädischen Fachgebiets auch die für jedwede Erwerbstätigkeit erforderliche Umstellungs-, Anpassungs- und Eingliederungsfähigkeit des Klägers nachhaltig beeinträchtigt ist. Diese Einschränkung des Leistungsvermögens, die – anders als die im übrigen gegebenen bloßen qualitativen Leistungseinschränkungen – den vom Kläger erhobenen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit erstmals im gesamten Verfahren zu stützen geeignet ist und folgerichtig zum Teilanerkenntnis der Beklagten vom 29. März 1994 geführt hat, kann indes nur für die Zeit ab der gutachtlichen Untersuchung bei dem Sachverständigen Dipl.-Psychologen W. am 30. November 1992 als nachgewiesen angesehen werden. Denn der Dipl.-Psychologe W. vermochte auch in der vom Senat eingeholten ergänzenden Stellungnahme vom 4. September 1993 nicht mit überzeugender Begründung darzulegen, weshalb die von ihm ermittelte Leistungsbeeinträchtigung auch bereits annähernd vier Jahre vor der gutachtlichen Untersuchung in gleicher Weise bestanden haben soll. Der Sachverständige hat zwar hervorgehoben, daß seine Beurteilung "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit (!)” auch rückwirkend bis zum Zeitpunkt der Rentenantragstellung angenommen werden könne. Die wortwörtliche Wiedergabe dieser im Rahmen richterlicher Beweiswürdigung gängigen Formulierung durch den Sachverständigen vermag indes die von ihm zur Begründung seiner Beurteilung herangezogenen Erwägungen weder zu verstärken noch gar zu ersetzen. Der Senat vermag der vom Sachverständigen vertretenen Auffassung betreffend die Überzeugungskraft seiner für eine Rückwirkung der gutachtlichen Beurteilung angeführten Gesichtspunkte insbesondere deshalb nicht zu folgen, weil im Gutachten und auch in der ergänzenden Stellungnahme ausdrücklich hervorgehoben wird, daß sich weder das frühere intellektuelle quantitative oder qualitative Funktionsniveau noch der Grad früherer emotionaler Stabilität exakt messen lasse. Eine präzise rückwirkende Wertung ist nach des Sachverständigen eigenen Ausführungen im vorliegenden Fall gerade nicht möglich; wie er selbst eingeräumt hat, handelt es sich insoweit vielmehr um Wahrscheinlichkeitsaussagen. Die Beklagte beanstandet angesichts dessen nicht zu Unrecht, daß der Sachverständige Dipl.-Psychologe W. seine Rückdatierung ausschließlich in Form eines Negativbeweises zu begründen versuche. Allein der Umstand, daß keine Anhaltspunkte für eine gegenüber dem Zeitpunkt der gutachtlichen Untersuchung abweichende Umstellungs-, Anpassungs- und Eingliederungsfähigkeit erkennbar sind, kann freilich noch nicht als hinreichender positiver Beweis für das Vorliegen einer von Seiten des psychologischen Fachgebiets gegebenen Erwerbsunfähigkeit in der vorangegangenen Zeit seit der Rentenantragstellung angesehen werden. Die von fachfremder Seite in der Auskunft des Landesarbeitsamts Hessen vom 27. Dezember 1991 geäußerte Vermutung, daß der Kläger wegen der langjährig als Selbständiger ausgeübten Erwerbstätigkeit eine längere Einarbeitungs- und Einweisungszeit benötigen werde, um als unselbständig, beschäftigter Arbeitnehmer wettbewerbsfähig tätig sein zu können, vermag keine über das gerade zur fachkundigen Überprüfung dieser Annahme eingeholte psychologische Sachverständigengutachten hinausreichende Beweiswirkung zu entfalten. Es kann im übrigen auch nicht übersehen werden, daß der – anwaltlich vertretene – Kläger noch im September 1992 (Schriftsatz seines Prozeßbevollmächtigten vom 14. September 1992, Bl. 123 GA) selbst vorgetragen hat, es sei von einer Störung oder Erkrankung auf psychologischem Gebiet bisher nicht die Rede gewesen, und es liege hierzu keinerlei Veranlassung vor.

Bei dieser Sachlage hält der Senat das Leistungsvermögen des Klägers mit den von medizinischer und psychologischer Seite insgesamt getroffenen Feststellungen für ausreichend aufgeklärt und weitere Begutachtungen insoweit für nicht mehr geboten. Zweifel an der Richtigkeit der vorliegenden Gutachten ergeben sich für den Senat nicht. Die Ausführungen insbesondere der medizinischen Sachverständigen Dr. med. H. und Dipl.-Psychologe W. sind in sich schlüssig, widerspruchsfrei und überzeugend. Die jeweilige Leistungsbeurteilung wird in den von Ihnen vorgelegten Gutachten nach eingehender Befunderhebung mit nachvollziehbarer und für den Senat einleuchtender Begründung aus den gestellten Diagnosen abgeleitet und steht im Einklang mit den übrigen Befundunterlagen der den Kläger behandelnden Ärzte. Anhaltspunkte für das Vorliegen weitergehender Gesundheitsbeeinträchtigungen mit zusätzlicher leistungsmindernder Bedeutung sind weder vom Kläger aufgezeigt worden noch sonst ersichtlich.

Unter Berücksichtigung des im streitigen Zeitraum noch vorhandenen vollschichtigen Leistungsvermögens war der Kläger in der Zeit vor dem 1. Dezember 1992 noch nicht erwerbsunfähig. Er hat insoweit aber gegen die Beklagte einen Anspruch auf Gewährung von Rente wegen Berufsunfähigkeit.

Rente wegen Berufsunfähigkeit erhält gemäß § 1246 Abs. 1 RVO, wer berufsunfähig ist und die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung einer solchen Rente erfüllt. Nach § 1246 Abs. 2 Satz 1 RVO ist berufsunfähig ein Versicherter, dessen Erwerbsfähigkeit infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte auf weniger als die Hälfte derjenigen eines körperlich und geistig gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten herabgesunken ist. Der Kläger war in der Zeit vom 1. November 1988 bis zum 30. November 1992 berufsunfähig im Sinne dieser gesetzlichen Bestimmung, weil er seiner bisher hauptsächlich ausgeübten oder einer anderen ihm unter Berücksichtigung seiner Gesundheitsbeeinträchtigung und seines beruflichen Werdegangs noch zumutbaren Tätigkeit nicht mehr nachgehen und deshalb nur noch weniger als die Hälfte der Einkünfte eines mit ihm vergleichbaren Versichern (sog. gesetzliche Lohnhälfte) erzielen konnte.

Ausgangspunkt für das Vorliegen von Berufsunfähigkeit ist im jeweiligen Einzelfall der bisherige Beruf (sog. Hauptberuf) des Versicherten. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) kann als "bisheriger Beruf” grundsätzlich nur eine pflichtversicherte Beschäftigung oder Tätigkeit angesehen werden, weil nur der pflichtversicherte Beruf das Versicherungsrisiko bestimmt. Nicht Versicherungspflichtige Beschäftigungen oder Tätigkeiten scheiden hingegen als "bisheriger Beruf” selbst dann aus, wenn während ihrer Dauer eine freiwillige Versicherung bestanden hat oder eine bestehende Versicherung freiwillig fortgesetzt worden ist (vgl. BSGE 41, 129, 130 = SozR 2200 § 1246 Nr. 11 m.w.N.; zur Verfassungsmäßigkeit dieser Rechtsprechung vgl. BVerfGE 47, 168, 176 ff. = SozR 2200 § 1246 Nr. 28). Im übrigen ist unter der Voraussetzung, daß er nicht nur vorübergehend vollwertig ausgeübt worden ist, bisheriger Beruf grundsätzlich die zuletzt ausgeübte versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit (vgl. BSGE 41, 129, 130 = SozR 2200 § 1246 Nr. 11; BSGE 43, 243, 244 = SozR 2200 § 1246 Nr. 16; BSG SozR 2200 § 11246 Nr. 29). Sie hat lediglich dann außer Betracht zu bleiben, wenn Versicherte sie aus gesundheitlichen und damit gerade aus jenen Gründen, für die die gesetzliche Rentenversicherung einzustehen hat, ergriffen und deswegen eine frühere rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit aufgegeben hat. In diesem Falle liegt im rentenrechtlichen Sinne eine Lösung von dem früher ausgeübten Beruf nicht vor; er bleibt der bisherige Beruf (vgl. BSGE 2, 182, 187; 15, 212, 214; 38, 14, 15; BSG SozR Nr. 33 zu § 1246 RVO; BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 29; BSG vom 14. März 1979 – 1 RJ 84/78; BSG vom 28. Juni 1979 – 1 RA 63/78).

Ausgehend von diesen Grundsätzen muß im Falle des Klägers die Tätigkeit eines angestellten Landwirtschaftsgehilfen als sog. Hauptberuf angesehen werden.

Die Beklagte weist zwar zu Recht darauf hin, daß die Bestimmung des Hauptberufs ungeachtet der von dem Kläger als Landwirt in der Zeit seiner Selbständigkeit verrichteten Tätigkeiten zu erfolgen habe. Es wird andererseits jedoch auch von der Beklagten nicht in Zweifel gezogen, daß der Kläger in der Zeit vom 12. Februar 1979 bis zum 31. Dezember 1979 arbeiterrentenversicherungspflichtig erwerbstätig gewesen ist. Die entsprechenden Pflichtbeiträge sind von der Beklagten vereinnahmt und bei der Berechnung der im Laufe des Berufungsverfahrens bewilligten Renten auch berücksichtigt worden. Unter welcher Betriebsnummer die betreffenden Pflichtbeiträge entrichtet worden sind, mag dahinstehen. Selbst wenn man davon ausgeht, daß infolge eines wie auch immer gearteten Versehens die Rentenversicherungsbeiträge für den Kläger möglicherweise nicht unter der "richtigen” Betriebsnummer entrichtet sein sollten, so steht jedenfalls nach der im Termin vom 10. Mai 1996 durchgeführten Beweisaufnahme zur Überzeugung des Senats fest, daß der Kläger während des oben genannten Zeitraums tatsächlich und ausschließlich im landwirtschaftlichen Betrieb seiner Ehefrau Margarete Schmidt tätig gewesen ist und dabei im Rahmen der sog. Tierproduktion (Pferdezucht) alle zu den Aufgaben eines landwirtschaftlichen Gehilfen gehörenden Tätigkeiten verrichtet hat. Aus welchen Gründen der Kläger diese Tätigkeit im streitigen Zeitraum nicht als Selbständiger, sondern als abhängig beschäftigter Arbeitnehmer verrichtet hat, ist für die (bloße) Bestimmung des Hauptberufs entgegen der Auffassung der Beklagten ebenso unbeachtlich wie die Frage, ob der Kläger für die von ihm erbrachten Leistungen eine angemessene Entlohnung erhalten hat oder nicht.

Daß der Kläger seinen bisherigen Beruf als landwirtschaftlicher Gehilfe im streitigen Zeitraum aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr verrichten konnte, ergibt sich sowohl aus dem sozialärztlichen Gutachten des Internisten Dr. med. O. vom 8. Februar 1989 als auch aus dem vom Sozialgericht eingeholten fachorthopädischen Sachverständigengutachten des Orthopäden Dr. med. H. vom 16. Januar 1989. Insoweit besteht zwischen den Beteiligten auch kein Streit.

Dies allein führt freilich noch nicht zum Vorliegen von Berufsunfähigkeit im Sinne des Gesetzes. Denn der Kreis der Tätigkeiten, nach dem die Erwerbstätigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfaßt gemäß § 1246 Abs. 2 Satz 2 RVO alle Tätigkeiten, die (objektiv) ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechend und ihnen (subjektiv) unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs unter besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Das Gesetz räumt den Versicherten einen Anspruch auf Gewährung von Versichertenrente wegen Berufsunfähigkeit also nicht bereits dann ein, wenn sie ihren – versicherungspflichtig ausgeübten – "bisherigen Beruf” bzw. ihre "bisherige Berufstätigkeit” aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausüben können. Vielmehr wird von den Versicherten verlangt, daß sie – immer bezogen auf ihren "bisherigen Beruf” – einen "zumutbaren” beruflichen Abstieg in Kauf nehmen und sich vor Inanspruchnahme der Rente mit einer geringerwertigen Erwerbstätigkeit zufrieden geben (vgl. BSGE 41, 129, 131 = SozR 2200 § 1246 Nr. 11). Nur wer sich nicht in dieser Weise auf einen anderen Beruf "verweisen” lassen muß, ist berufsunfähig im Sinne des Gesetzes.

"Zugemutet werden” im Sinne des § 1246 Abs. 2 Satz 2 RVO können den Versicherten alle von ihnen – nach ihren gesundheitlichen Kräften und ihren beruflichen Kenntnissen und Fähigkeiten – ausführbaren, auch "berufsfremden” Tätigkeiten, die nach der im Gesetz angeführten positiven Kennzeichnung – Ausbildung und deren Dauer, besondere Anforderungen, Bedeutung des Berufs im Betrieb –, d.h. nach ihrer Qualität dem bisherigen Beruf nicht zu fern stehen (vgl. z.B. BSG SozR Nr. 22 zu § 45 RKG; BSGE 38, 153 = SozR 2200 § 1246 Nr. 4; BSGE 41, 129, 132 = SozR 2200 § 1246 Nr. 11; BSG SozR 2200 § 1246 Nrn. 27, 29 – ständige Rechtsprechung).

Zur praktischen Ausfüllung dieser Rechtssätze ist das Bundessozialgericht aufgrund einer Beobachtung der tatsächlichen Gegebenheiten der Arbeits- und Berufswelt, wie sie unter anderem auch in Tarifverträgen Ausdruck finden, zu der generellen Feststellung gelangt, daß sich die Arbeiterberufe in vier nach ihrer Leistungsqualität – nicht nach der Entlohnung oder nach dem Prestige – hierarchisch geordnete Gruppen aufgliedern: Die unterste Gruppe mit dem Leitberuf der Ungelernten, die Gruppe mit dem Leitberuf der Angelernten (mit "sonstiger”, d.h. nicht den Facharbeitern entsprechender Ausbildung), die Gruppe mit dem Leitberuf der Facharbeiter (mit einer Regelausbildung von mehr – nicht: mindestens – als zwei, regelmäßig von drei Jahren) sowie die – zahlenmäßig kleine – Gruppe mit dem Leitberuf der Vorarbeiter mit Vorgesetztenfunktion, denen die besonders qualifizierten Facharbeiter gleich zu behandeln sind ("Mehr-Stufen-Schema”, vgl. z.B. BSG SozR 200 § 1246 Nrn. 16, 27, 29, 51, 85, 86, 95, 126 und 132 – ständige Rechtsprechung). Als im Sinne von § 1246 Abs. 2 Satz 2 RVO zumutbaren beruflichen Abstieg hat die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts jeweils den Abstieg zur nächstniedrigeren Gruppe angenommen. Hiernach können z.B. Versicherte, die nach ihrem bisherigen Beruf in die Gruppe mit dem Leitberuf der Facharbeiter fallen, auf Tätigkeiten aus der Gruppe mit dem Leitberuf der Angelernten (sonstigen Ausbildungsberufe), verwiesen werden, nicht jedoch auf Tätigkeiten aus der Gruppe mit dem Leitberuf der Ungelernten (vgl. BSGE 43, 243, 246 = SozR 2200 § 1246 Nr. 16; BSGE 55, 45 = SozR 2200 § 1246 Nr. 107 m.w.N. – ständige Rechtsprechung).

Ausgehend von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zum sog. Mehr-Stufen-Schema, der sich der Senat angeschlossen hat, kann der Kläger im vorliegenden Fall unter Berücksichtigung der von ihm versicherungspflichtig ausgeübten Tätigkeiten den sog. Berufsschutz als Facharbeiter für sich beanspruchen. Denn nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Senats fest, daß der Kläger während der für die Bestimmung des sog. Hauptberufs maßgeblichen letzten Pflichtbeitragszeit in dem Betrieb seiner Ehefrau als landwirtschaftlicher Verwalter bzw. Inspektor, zumindest aber als landwirtschaftlicher Gehilfe auf der Ebene eines Facharbeiters tätig gewesen ist.

Daß der Kläger nicht über den insoweit üblicherweise erforderlichen förmlichen Ausbildungsabschluß verfügt, steht einer Zuordnung seiner Tätigkeit zur Gruppe mit dem Leitberuf des Facharbeiters nicht entgegen. Denn der Kläger hat nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme tatsächlich die zum Berufsbild eines landwirtschaftlichen Gehilfen gehörenden Facharbeitertätigkeiten verrichtet und er besaß trotz des fehlenden förmlichen Ausbildungsabschlusses auch "in voller Breite” die theoretischen Kenntnisse und praktischen Fertigkeiten, die von voll ausgebildeten landwirtschaftlichen Gehilfen im allgemeinen erwartet werden.

Daß der Kläger über jene "Wettbewerbsfähigkeit” verfügte, die nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts erforderlich ist, um unausgebildete Versicherte bezüglich des durch das Mehr-Stufen-Schema gewährleisteten sozialen Schutzes mit jenen Versicherten gleichzustellen, die nach mehr als zweijähriger Ausbildungsdauer einen förmlichen Lehrabschluß erworben haben, ergibt sich aus dem vom Senat eingeholten berufskundlichen Sachverständigengutachten des bei dem Hessischen Landesamt für Regionalentwicklung und Landwirtschaft tätigen Dr. agr. V. vom 16. Februar 1995. Der Sachverständige hat in seinem ausführlichen Gutachten dargelegt, daß die Entwicklung des vom Kläger – teils als Selbständiger, teils als Versicherungspflichtiger Arbeitnehmer – geführten Betriebes einen deutlichen Hinweis auf dessen Kenntnisstand gebe. Der Kläger sei im Hinblick auf seine langjährigen fachpraktischen Erfahrungen mit allen in einem landwirtschaftlichen Betrieb anfallenden Arbeiten vertraut, und er verfüge auch über die theoretischen Kenntnisse, die in der Berufsgruppe des Landwirts gemeinhin erwartet werden. Das ergebe sich in anschaulicher Weise aus der Entwicklung des vom Kläger geführten Betriebes von kleinsten Anfängen mit minimaler Grundausstattung bis hin zu einem großen Aussiedlerhof mit Milchviehhaltung und Pferdezucht. Der Kläger habe sich dem Wettbewerb innerhalb der Berufsgruppe insofern gestellt, als er alle Möglichkeiten der Expansion mit Erfolg ergriffen und unter anderem auch die im landwirtschaftlichen Betrieb erzeugten Produkte selbst vermarktet habe. So habe der Kläger zum Beispiel sämtliches Mastvieh selbst geschlachtet und vermarktet, wobei ihm der erlernte Metzgerberuf zugute gekommen sei. Der Sachverständige Dr. agr. V. kommt angesichts dessen zu dem nach Überzeugung des Senats einleuchtenden Ergebnis, daß der Kläger – wie durch den Aufbau und die Führung des landwirtschaftlichen Betriebes unter Beweis gestellt – im Jahre 1979 in voller Breite über die einem vergleichbaren landwirtschaftlichen Gehilfen entsprechenden Kenntnisse und Fähigkeiten verfügte.

Einer Zuordnung der vom Kläger versicherungspflichtig verrichteten Tätigkeit zur Gruppe mit dem Leitberuf des Facharbeiters steht zur Überzeugung des Senats auch nicht entgegen, daß der Kläger für die von ihm verrichtete Tätigkeit lediglich ein Bruttoentgelt in Höhe von etwa 900,00 DM monatlich erhalten hat. Zwar hat das Bundessozialgericht verschiedentlich (vgl. insbesondere BSG vom 20. Januar 1983 – 11 RA 4/82 = 2200 § 1246 Nr. 105 sowie BSG vom 25. August 1987 – 11 a RA 22/86; jeweils m.w.N.) hervorgehoben, daß (ganz im Sinne der im privaten Versicherungsgewerbe zur Grundlage der Beitragskalkulation gemachten sog. versicherungsmathematischen Äquivalenz) eine gewisse Kongruenz zwischen der Höhe der Beitragsleistung und dem Umfang des bei Bestimmung der Verweisungsbreite zu beachtenden Berufsschutzes gewährleistet sein müsse. Wie die Beklagte selbst einräumt, bezieht sich die betreffende Rechtsprechung des Bundessozialgerichts jedoch ausnahmslos auf den hier nicht vorliegenden Fall der freiwilligen Beitragsentrichtung von Selbständigen, der seiner Ausgangskonstellation nach vielfältige Gemeinsamkeiten mit den Gegebenheiten im privaten Versicherungsgewerbe aufweist, wo der Umfang des Versicherungsschutzes grundsätzlich der Höhe der zuvor entrichteten Beiträge folgt. Diese streng versicherungsmathematische Betrachtungsweise ist der ihrem besonderen Schutzzweck nach vorrangig auf den Kreis der beitragspflichtig Erwerbstätigen zugeschnittenen sozialen Rentenversicherung indes gerade nicht eigentümlich. Zwar gilt auch für die gesetzliche Rentenversicherung der Grundsatz der Beitragsbezogenheit der verschiedenen Versicherungsleistungen. Bei Bestimmung der sozialen Schutzbreite scheitert die Zuordnung eines Versicherten zur Gruppe mit dem Leitberuf des Facharbeiters andererseits aber nicht ohne weiteres bereits daran, daß er für die zuletzt versicherungspflichtig von ihm verrichtete Tätigkeit nicht den an sich geschuldeten Tariflohn oder den ortsüblichen Lohn eines Facharbeiters erhalten hat. Dies gilt nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. BSG vom 17. November 1987 – 4 a RJ 29/87 = SozR 2200 § 1246 Nr. 150 m.w.N.) zumindest dann, wenn der Versicherte – wie im vorliegenden Fall – tatsächlich Facharbeitertätigkeiten verrichtet hat und die geringe Entlohnung nachweislich auf qualitätsfremden Erwägungen (in dem vom Bundessozialgericht entschiedenen Fall auf der hohen Arbeitslosigkeit und auf Gründen des Betriebsfriedens) beruhten.

Im vorliegenden Fall muß zur Überzeugung des Senats davon ausgegangen werden, daß die unterwertige Entlohnung des Klägers nicht etwa im Hinblick auf eine entsprechend unterwertige Arbeitsleistung, sondern vielmehr allein aus betrieblichen Gründen erfolgte. Dies ergibt sich aus den vom Kläger anläßlich seiner Anhörung vor dem Senat im Termin vom 10. Mai 1996 gemachten glaubhaften Angaben, er habe aus familiärer Rücksichtnahme lediglich ein der finanziellen Leistungsfähigkeit des landwirtschaftlichen Betriebes der Ehefrau entsprechendes Arbeitsentgelt bezogen. Die Vermutung, daß der Kläger entsprechend seiner geringen Entlohnung auch nur Arbeiten von geringem Wert verrichtet haben könne, muß bei dieser einleuchtenden Konstellation zur Überzeugung des Senats als widerlegt angesehen werden.

Ausgehend von dem ihm zuzubilligenden sog. Berufsschutz als Facharbeiter kann der Kläger innerhalb des vom Bundessozialgericht entwickelten Mehr-Stufen-Schemas sozial zumutbar auf andere Facharbeitertätigkeiten, auf Tätigkeiten aus der nächstniedrigeren Gruppe mit dem Leitberuf des sonstigen Ausbildungsberufs (die sog. angelernten Tätigkeiten) oder aber auf solche ungelernten Tätigkeiten verwiesen werden, die sich innerhalb des Betriebes und im Ansehen aus dem Kreis der übrigen ungelernten Tätigkeiten deutlich herausheben und wegen ihrer Qualität tariflich etwa gleich hoch wie die sonstigen Ausbildungsberufe eingestuft sind (vgl. BSG vom 1. Februar 1984 – 5 b RJ 80/83 = SozR 2200 § 1246 Nr. 116; BSG vom 30. September 1987 – 5 b RJ 20/86 = SozR 2200 § 1246 Nr. 147 sowie BSG vom 22. Juli 1992 – 13 RJ 21/91).

Sozial zumutbare Verweisungstätigkeiten von dieser Qualität, die der Kläger objektiv zumutbar, d.h. unter Berücksichtigung seines eingeschränkten gesundheitlichen Leistungsvermögens und seiner vorhandenen beruflichen Kenntnisse und Fähigkeiten spätestens nach Ablauf der allein noch zumutbaren Einarbeitungszeit von längstens drei Monaten (vgl. BSG vom 9. Dezember 1981 1 RJ 124/80 = SozR 2200 § 1246 Nr. 86 sowie BSG vom 8. September 1982 – 5 b RJ 16/81 = SozR 2200 § 1246 Nr. 101) vollwertig im streitigen Zeitraum hätte verrichten können, sind im vorliegenden Fall nicht ersichtlich. Der Senat kann dem Kläger keine Tätigkeiten konkret bezeichnen, die er unter Berücksichtigung seines Leistungsvermögens in der Zeit vom 1. November 1988 bis zum 30. November 1992 noch zumutbar hätte verrichten können.

Das Landesarbeitsamt Hessen konnte in seiner berufs- und wirtschaftskundlichen Auskunft vom 27. Dezember 1991 als für den Kläger noch in Betracht kommende Verweisungstätigkeiten lediglich die ihm aus sozialen Gründen nicht zumutbaren (ungelernten) Tätigkeiten eines Warenaufmachers/Versandfertigmachers bzw. eines Warensortierers benennen. Die von der Beklagten diskutierten Tätigkeiten als Bürobote bzw. Museumsaufseher hat das Landesarbeitsamt in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 20. August 1992 bereits aus berufskundlicher Sicht nicht für zumutbar bezeichnet, so daß es nicht darauf ankommt, ob diese Tätigkeiten dem Kläger im Hinblick auf den ihm als Facharbeiter zuzubilligenden Berufsschutz (überhaupt) aus sozialen Gründen zumutbar gewesen wären. Wie sich aus der vom Senat eingeholten abschließenden Auskunft des Landesarbeitsamts Hessen vom 27. Oktober 1995 ergibt, kommt der Kläger im übrigen auch nicht für eine Tätigkeit als landwirtschaftlicher Verwalter für Tätigkeiten im Bereich der Vermarktung landwirtschaftlicher Güter oder aber für eine Tätigkeit als Reitpferdezüchter in Betracht. Den vom Landesarbeitsamt erteilten berufs- und wirtschaftskundlichen Auskünften muß zur Überzeugung des Senats ein besonders hoher Beweiswert zugemessen werden. Denn die Arbeitsmarktforschung gehört zu den besonderen gesetzlichen Aufgaben der Bundesanstalt für Arbeit, und sie verfügt zur Erfüllung dieses Auftrages über entsprechende personelle und sachliche Einrichtungen. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. BSG vom 5. Juni 1984 – 4 a RJ 19/85) ist angesichts dessen grundsätzlich davon auszugehen, daß Aussagen der Bundesanstalt für Arbeit und ihrer Behörden zu Fragen des Arbeitsmarktes von besonderer Sachkunde gestützt werden. Die Beklagte vermochte auch keine Gesichtspunkte aufzuzeigen, unter denen der Beweiswert der vorliegenden berufs- und wirtschaftskundlichen Auskünfte in Zweifel gezogen werden könnte.

Weitere Verweisungstätigkeiten, die für den Kläger als objektiv und subjektiv zumutbar erscheinen könnten, sind weder von den Beteiligten oder von dem mit besonderer Sachkunde versehenen Landesarbeitsamt Hessen aufgezeigt worden noch sonst ersichtlich. Der Senat ist deshalb nicht in der Lage, dem Kläger auch nur eine Verweisungstätigkeit zu nennen, auf die er unter Berücksichtigung seiner gesundheitlichen Einschränkungen und seiner vorhandenen beruflichen Kenntnisse sowohl objektiv als auch subjektiv zumutbar verwiesen werden könnte. Bei dieser Sachlage kommt es im Ergebnis nicht darauf an, daß der Kläger nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme in der streitigen Zeit noch über die erforderliche Umstellungs-, Anpassung- und Eingliederungsfähigkeit verfügt hätte, um eine ihm zumutbare Verweisungstätigkeit auszuüben.

Da der Kläger im streitigen Zeitraum zwar keinen Anspruch auf die vom Sozialgericht zugesprochene Erwerbsunfähigkeitsrente, wohl aber einen Anspruch auf Gewährung von Rente wegen Berufsunfähigkeit hatte, konnte die Berufung der Beklagten nur zum Teil Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind.
Rechtskraft
Aus
Saved