L 3 U 590/93

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 3 U 310/91
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 590/93
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 3. Juni 1993 wird zurückgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob die Beklagte einen Unfall der Klägerin vom 1. Februar 1990 zu entschädigen, insbesondere Verletztenrente zu zahlen hat.

Die 1935 geborene Klägerin kam am 1. Februar 1990 auf dem Hinterhof ihres Hauses zu Fall. Laut Unfallanzeige hatte sie Kartoffelschalen aus ihrem Haushalt (Küche) zum Kompost gebracht und war zur Zeit des Sturzes auf dem Rückweg zum Haus. Durch den Unfall zog sie sich diverse Prellungen sowie eine Knöchelfraktur rechts zu und wurde deswegen bis zum 12. März 1990 im Kreiskrankenhaus F. stationär behandelt.

Zur Zeit des Unfalls war die Klägerin bei der Beklagten mit 0,82 ha Ackerland im Unternehmerverzeichnis eingetragen und jährlich zu Beitragszahlungen von 150,00 DM herangezogen worden. Nachträglich wurde bekannt, daß die Klägerin seit März 1987 1,02 ha Ackerland bewirtschaftet hatte und diese Flächen mit Genehmigungsbescheid vom 10. November 1988 des Amtes für Landwirtschaft und Landentwicklung bis 1993 für die Dauer von fünf Jahren durch Dauerbrache gegen Zahlung einer jährlichen Beihilfe nach den Richtlinien für die Förderung der Stillegung von Ackerflächen des Hessischen Ministeriums für Landwirtschaft, Forsten und Naturschutz stillgelegt worden waren. An der Beitragspflicht der Klägerin zur landwirtschaftlichen Unfallversicherung änderte sich dadurch laut Bescheid der Beklagten vom 2. Dezember 1991 nichts.

Durch Bescheid vom 26. Juni 1990 lehnte die Beklagte eine Entschädigung des Unfalls vom 1. Februar 1990 mit der Begründung ab, daß es sich nicht um einen landwirtschaftlichen Arbeitsunfall gehandelt habe. Der Weg vom Kompost sei der Haushaltung der Klägerin zuzurechnen, die gemäß § 777 Reichsversicherungsordnung (RVO) nur dann von der landwirtschaftlichen Unfallversicherung erfaßt werde, wenn sie einen wesentlichen Bestandteil des landwirtschaftlichen Betriebes darstelle. Das sei bei der Klägerin nach dem geringen Umfang des landwirtschaftlichen Betriebes nicht der Fall, zumal auch kein Vieh mehr gehalten werde. Den dagegen eingelegten Widerspruch der Klägerin, mit dem sie geltend machte, daß die zum Kompost getragenen Kartoffelschalen der Düngung ihres 3,3 ar großen Kleingartens gedient hätten, für den sie u.a. Beiträge zur landwirtschaftlichen Unfallversicherung zahle, wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 7. August 1990 als unbegründet zurück. Sie führte aus, daß die Tätigkeit der Klägerin zum Zeitpunkt des Unfalls als Abfallbeseitigung dem unversicherten Haushalt zuzurechnen sei. Der Umstand, daß die Abfälle später einmal als Kompost im Garten weiterverarbeitet werden sollten, stehe mit der Haushaltsabfallbeseitigung nicht mehr in einem Zusammenhang.

Der Widerspruchsbescheid wurde am 7. August 1990 per Einschreiben an die Klägerin zur Post aufgeliefert. Mit am 31. August 1990 bei der Beklagten eingegangenem Schreiben vom 30. August 1990 bat die Klägerin um Änderung der Beurteilung. Auf den Hinweis der Beklagten, daß gegen den Widerspruchsbescheid als Rechtsbehelf nur die Klage in Betracht komme, erklärt sie mit am 10. September 1990 bei der Beklagten eingegangenem Schriftsatz, daß ihre Schreiben dem Gericht zur Entscheidung vorgelegt werden sollten, was am 22. November 1990 beim Sozialgericht Kassel geschah. Nach Verweisung des Rechtsstreits an das örtlich zuständige Sozialgericht Marburg (SG) hat dieses die Klage durch Urteil vom 3. Juni 1993 aus den Gründen der angefochtenen Bescheide abgewiesen.

Dagegen hat die Klägerin am 16. Juni 1993 Berufung eingelegt. Sie macht geltend, daß sie seit Jahren Beiträge zur landwirtschaftlichen Unfallversicherung zahle, als Ausgleich dafür jedoch niemals Leistungen bekommen habe, obgleich sie durch die schwere Arbeit in der Landwirtschaft seit dem 14. Lebensjahr erheblich gesundheitlich geschädigt worden sei, u.a. einen Nierenschaden erlitten habe.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 3. Juni 1993 sowie den Bescheid der Beklagten vom 26. Juni 1990 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. August 1990 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr aus Anlaß des Arbeitsunfalls vom 1. Februar 1990 Entschädigungsleistungen, insbesondere Verletztenrente zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig (§§ 143, 144 Abs. 1, 151 Sozialgerichtsgesetz –SGG– in der ab 1. März 1993 geltenden Fassung des Gesetzes zur Entlastung der Rechtspflege vom 11. Januar 1993 – BGBl. I S. 50), jedoch unbegründet. Das SG hat zu Recht die zulässige, insbesondere fristgerecht erhobene Klage (§§ 87 Abs. 2, 85 Abs. 3, 63 SGG, § 4 Verwaltungszustellungsgesetz –VwZG– i.V.m. § 91 SGG) abgewiesen. Denn bei dem Unfall der Klägerin vom 1. Februar 1990 hat es sich nicht um einen bei der Beklagten versicherten landwirtschaftlichen Arbeitsunfall gehandelt. Infolgedessen besteht auch kein Anspruch auf Leistungen der landwirtschaftlichen Unfallversicherung, u.a. nicht auf die von der Klägerin in erster Linie erstrebte Verletztenrente (§§ 547, 560 ff., 580 ff., 779 b ff.).

Der Unfall ereignete sich nach eigenem Vortrag der Klägerin auf dem Rückweg von einer auf dem Hinterhof ihres Hauses befindlichen Kompoststelle "Dungstätte”, "Miste”), zu der sie Kartoffelschalen aus ihrem eigenen Haushalt von der Küche aus hingetragen hatte. Für die Beurteilung des Versicherungsschutzes bei dieser Verrichtung kann dahinstehen, unter welchem rechtlichem Gesichtspunkt die Klägerin im Zeitpunkt des Unfalls mit ihren seit Ende 1988 für die Dauer von fünf Jahren gegen Zahlung einer jährlichen Beihilfe durch Dauerbrache stillgelegten Ackerlandflächen von 1,02 ha bei der Beklagten unter Versicherungsschutz stand (§§ 776 Abs. 1 Nr. 1, 539 Abs. 1 Nr. 5 RVO). Ebenso kann offenbleiben, ob der am Haus befindliche Kleingarten von 3,3 ar, zu dessen Düngung die an der Kompoststelle gesammelten Abfälle nach dem Vortrag der Klägerin verwendet werden sollten, abweichend von § 778 RVO aufgrund des Zusammenhangs mit einem landwirtschaftlichen Unternehmen von diesem mitumfaßt wurde (s. dazu Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 11. Aufl., S. 495; Lauterbach-Watermann, Unfallversicherung, 3. Aufl., Anm. 4 zu § 778; Baumer/Fischer/Salzmann, Unfallversicherung, Anm. 5 zu § 778). Denn der von der Klägerin im Unfallzeitpunkt zurückgelegte Weg diente nicht den Zwecken eines landwirtschaftlichen Unternehmens einschließlich des gegebenenfalls dazugehörigen Gartens, sondern der Haushaltung der Klägerin, nämlich der Beseitigung der im Haushalt aus Anlaß der Vor- oder Zubereitung einer Mahlzeit beim Kartoffelschälen angefallenen Abfällen. Daß die Kartoffelschalen mit anderen auf der "Dungstätte” im Hof gesammelten Abfällen nach Kompostierung zu einem späteren Zeitpunkt zur Düngung des Gartens Verwendung finden sollten, macht das Sammeln von Abfällen aus dem Haushalt an dieser Stelle und die im Zusammenhang damit zurückgelegten Wege nicht zu einer landwirtschaftlichen Tätigkeit. Eine solche Tätigkeit ist grundsätzlich nur anzunehmen, wenn sie der ordnungsgemäßen Ausübung des landwirtschaftlichen Betriebes dient. Bei Gärten fallen hierunter Arbeiten, die mit dem Haushalt nichts zu tun haben (Bundessozialgericht –BSG– SozR 2200 § 776 Nr. 2). Dazu gehört zwar auch das Düngen des Gartens. Dieser Tätigkeit ist die von der Klägerin im Unfallzeitpunkt ausgeübte Verrichtung jedoch noch nicht zuzurechnen, u.a. insbesondere auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer Vorbereitungshandlung zur Ermöglichung der eigentlichen Betriebsarbeit. Alleiniger oder jedenfalls überwiegender Zweck des von der Klägerin zurückgelegten Weges war vielmehr das Beseitigen und Wegtragen der im Haushalt angefallenen – kompostierfähigen – Abfälle, das auch unabhängig von einem landwirtschaftlichen Unternehmen vorgenommen werden muß und je nach den individuellen Gegebenheiten in der von der Klägerin gewählten oder in anderer Art und Weise erfolgt.

Da das Wegbringen der Kartoffelschalen aus der Küche zur "Dungstätte” im Hof dem Haushalt der Klägerin diente, hätte es nur dann versichert sein können, wenn der Haushalt seinerseits im Sinne des § 777 Nr. 1 RVO dem landwirtschaftlichen Unternehmen wesentlich diente und aus diesem Grund als Teil des landwirtschaftlichen Unternehmens "gilt”. Das ist von der Beklagten und dem SG jedoch zu Recht verneint worden. Denn eine Haushaltung kann dem landwirtschaftlichen Unternehmen nur dann wesentlich dienen, wenn die Landwirtschaft nicht so klein und der Umfang der landwirtschaftlichen Betätigung durch Haushaltsangehörige nicht so gering ist, daß der Haushalt der Landwirtschaft gleichwertig oder gar an Bedeutung überlegen ist (s. Lauterbach-Watermann, a.a.O., Anm. 7 zu § 777; LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 14. April 1988 – L-5/U-192/87). Letzteres war bei der Klägerin aber der Fall. Ihr Haushalt unterschied sich im Zeitpunkt des Unfalls nicht von einem Haushalt, wie er auch sonst – unabhängig von einem landwirtschaftlichen Betrieb – besteht. Die landwirtschaftlichen Flächen der Klägerin von 1,02 ha Ackerland waren seit Ende 1988 durch Dauerbrache im Rahmen der Teilnahme am Stillegungsprogramm der Bundesrepublik Deutschland für Ackerflächen für fünf Jahre stillgelegt worden. Nach den aufgrund des § 9 Abs. 1 des Gesetzes über die Gemeinschaftsaufgabe "Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes” i.d.F. vom 21. Juli 1988 (BGBl. I S. 1053) erlassenen Richtlinien für die Förderung der Stillegung von Ackerflächen des Hessischen Ministeriums für Landwirtschaft, Forsten und Naturschutz vom 1. August 1988 (StAnz 34/1988 S. 1919) konnte auf den stillgelegten Flächen allenfalls noch ein Mindestmaß an Tätigkeit zB in Form der Begrünung der Fläche entwickelt werden (siehe Nr. 4.5 der Richtlinien). "Erträgnisse” aus ihrem Ackerland flossen der Klägerin nur noch in Form der ihr bewilligten jährlichen Beihilfe, nicht aber durch landwirtschaftliche Bewirtschaftung der Flächen zu, die im übrigen auch schon Jahre vor der Stillegung nicht mehr durch die gesundheitlich dazu nicht mehr befähigte Klägerin oder sonstige Haushaltsangehörige, sondern im Lohnverfahren erfolgt war. Von einer Ausrichtung der Haushaltung der Klägerin auf einen landwirtschaftlichen Betrieb, einer Prägung durch diesen bzw. von einer unmittelbaren engen funktionellen Verbindung zwischen beiden Bereichen kann danach im Zeitpunkt des Unfalls vom 1. Februar 1990 nicht gesprochen werden.

Ob die Klägerin durch ihre frühere Tätigkeit in der Landwirtschaft in ihrer Gesundheit geschädigt wurde, hatte der Senat nicht zu prüfen. Gegenstand des Verfahrens ist nach dem Regelungsinhalt der angefochtenen Bescheide allein ein Anspruch auf Entschädigung aus Anlaß des Unfallereignisses vom 1. Februar 1990. Dieser ist aus den dargelegten Gründen aber nicht gegeben und kann der Klägerin abweichend vom Gesetz auch nicht allein aus Billigkeitsgründen bzw. deshalb zugesprochen werden, weil sie entsprechend ihren Angaben bislang – trotz Beitragszahlung – noch niemals Leistungen von der Beklagten erhalten hat.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG, diejenige über die Nichtzulassung der Revision auf § 160 Abs. 2 SGG.
Rechtskraft
Aus
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