Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Wiesbaden (HES)
Aktenzeichen
S 11 Ar 712/91
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 6 Ar 1150/92
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden vom 1. Oktober 1992 wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten nur noch um die Erstattung von Beiträgen, die ab dem 1. Januar 1985 gezahlt wurden.
Der Kläger ist Konkursverwalter der Firma E.-T. Gesellschaft für E.-, H.-, S. mit beschränkter Haftung (E.), vormals S.straße, W., über deren Vermögen durch Beschluss des Amtsgerichts W. vom 3. August 1988 ( ) der Konkurs eröffnet wurde.
Für den Geschäftsführer der E., Herrn M. F., waren in der Zeit vom 1. März 1983 bis zum 31. Januar 1988 Beiträge zur Beklagten über die Barmer Ersatzkasse als Einzugsstelle in Höhe von 3.748,43 DM entrichtet worden, obwohl er am Kapital der E. immer mit mindestens zur Hälfte beteiligt war. Nachdem der Kläger die Barmer Ersatzkasse darauf hingewiesen hatte, daß nach seiner Ansicht eine Beitragspflicht für Herrn F. nicht bestanden habe, stellte diese nach weiteren Prüfungen dem Kläger gegenüber die Versicherungsfreiheit des Herrn F. fest.
Mit am 8. Mai 1990 bei der Barmer Ersatzkasse eingegangenen Anträgen begehrte der Kläger die Erstattung der geleisteten Beiträge für Herrn F. für die Zeit vom 1. März 1983 bis zum 31. Januar 1988.
Mit Bescheid vom 28. Januar 1991 lehnte die Beklagte die Erstattung der Beiträge ab. Hinsichtlich der vor dem 1. Januar 1985 entrichteten Beiträge wurde die Einrede der Verjährung erhoben, wegen des Erstattungsanspruch für den restlichen Zeitraum in Höhe von 2.877,81 DM wurde mit Ansprüchen auf Rückzahlung von Konkursausfallgeld gemäß § 154 Abs. 2 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) aufgerechnet. Dieser Aufrechnung lag eine Bestätigung des Amtsgerichts W. über eine am 21. September 1988 angemeldete Forderung der Beklagten im Konkursverfahren der E. wegen Konkursausfallgeld zugrunde, die in Höhe von 9.281,02 DM vom Kläger anerkannt worden war.
Der am 14. Februar 1991 eingelegte Widerspruch wurde u.a. damit begründet, daß die Aufrechnung gemäß § 55 Abs. 2 Konkursordnung (KO) unzulässig sei und im übrigen § 55 Abs. 3 KO "greife”. Mit Bescheid vom 16. Juli 1991 änderte die Beklagte ihren Bescheid vom 28. Januar 1991 insofern ab, als die Aufrechnung nicht mehr auf § 154 Abs. 2 AFG, sondern auf § 28 Nr. 1 Sozialgesetzbuch – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung – (SGB IV) gestützt wurde. In seinem auch hiergegen eingelegten Widerspruch meinte der Kläger, daß auf die Bundesanstalt für Arbeit übergegangene Ansprüche wegen Konkursausfallgeldes nach § 59 Abs. 2 KO eindeutig als Konkursforderungen mit dem Rang des § 61 Abs. 1 Nr. 1 KO anzusehen seien, was eine Aufrechnung ausschließe. Mit Widerspruchsbescheid vom 28. August 1991 wurde der Widerspruch zurückgewiesen und hinsichtlich der Aufrechnung ausgeführt, daß § 55 KO nicht einschlägig sei, da die Forderung von der Beklagten schon vor Konkurseröffnung durch gesetzlichen Forderungsübergang erworben worden sei.
Mit der am 26. September 1991 vor dem Sozialgericht Wiesbaden erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt.
Durch Urteil vom 1. Oktober 1992 hat das Sozialgericht die Klage hinsichtlich der vor dem 1. Januar 1985 gezahlten Beiträge abgewiesen und im übrigen die Beklagte verurteilt, dem Kläger zur Konkursmasse die in der Zeit vom 1. Januar 1985 bis zum 31. Januar 1988 für Herrn F. geleisteten Beiträge in Höhe von 2.877,81 DM zu zahlen, und zur Begründung ausgeführt: Die Beklagte könne gegen den für die Zeit ab 1. Januar 1985 unstreitig bestehenden Anspruch des Klägers auf Beitragserstattung nicht mit ihrer Erstattungsforderung wegen der Zahlung von Konkursausfallgeld verrechnen bzw. aufrechnen. Ein derartiges Recht der Beklagten ergebe sich nicht aus § 28 Nr. 1 SGB IV, da dort eindeutig nur die Verrechnung, nicht aber die Aufrechnung geregelt sei. Auch die Voraussetzungen des § 28 Nr. 2 SGB IV (Aufrechnung mit künftigen Beitragsforderungen), des § 154 Abs. 2 AFG (Aufrechnung bei einem Anspruch auf Rückzahlung von Leistungen) und des § 51 Abs. 1 Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil (SGB I) (Aufrechnung gegen Ansprüche auf Geldleistungen) seien nicht erfüllt. Der Anspruch auf Erstattung von vor dem 1. Januar 1985 gezahlten Beiträgen sei verjährt, weil der Erstattungsanspruch erst in 1989 angemeldet worden sei und Ermessensfehler der Beklagten hinsichtlich der Geltendmachung der Verjährung nicht ersichtlich seien.
Gegen dieses der Beklagten am 19. November 1992 zugestellte Urteil richtet sich deren am 17. Dezember 1992 eingelegte Berufung, die sie auf § 28 Nr. 1 SGB IV stützt und zu deren Begründung sie ausführt: Nach dem eindeutigen Wortlaut sei zwar nur die Verrechnung geregelt, es bestände aber hinsichtlich der Aufrechnung eine Lücke, die dahingehend zu schließen sei, daß der erstattungspflichtige Leistungsträger auch mit eigenen Ansprüchen gegen den Erstattungsberechtigten aufrechnen könne.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden vom 1. Oktober 1992 abzuändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen,
hilfsweise,
die Revision zuzulassen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen,
hilfsweise,
die Revision zuzulassen.
Er erklärt, die Frage der Verjährung und damit die vor dem 1. Januar 1985 gezahlten Beiträge ständen nicht mehr im Streit.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist zulässig (§§ 151, 143 Sozialgerichtsgesetz – SGG), aber nicht begründet. Das Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden vom 1. Oktober 1992 ist nicht abzuändern, denn die Bescheide der Beklagten sind dahingehend abzuändern, daß der Kläger einen Anspruch auf die für Herrn F. in der Zeit vom 1. Januar 1985 bis zum 31. Januar 1988 geleisteten Beiträge in Höhe von 2.877,81 DM hat.
Daß der Kläger einen entsprechenden Anspruch auf Beitragserstattung gemäß § 185 AFG gegen die Beklagte hat, steht zur Überzeugung des Senats aufgrund der vorliegenden Akten fest und ist auch zwischen den Beteiligten nicht umstritten. Die Beklagte ist jedoch nicht berechtigt, gegen diesen Erstattungsanspruch des Klägers mit Forderungen ihrerseits auf Rückzahlung von Konkursausfallgeld aufzurechnen.
Daß die Beklagte kein derartiges Aufrechnungsrecht aus § 154 Abs. 2 AFG oder § 51 Abs. 1 SGB I hat, ist zwischen den Beteiligten nicht mehr umstritten und ergibt sich schon aus dem Wortlaut der Normen. Insofern wird ergänzend gemäß § 153 Abs. 2 SGG auf das sozialgerichtliche Urteil, S. 10 Bezug genommen.
Ein Aufrechnungsrecht der Beklagten ergibt sich aber auch nicht aus § 185 a Abs. 1 Satz 2 AFG i.V.m. § 28 Nr. 1 SGB IV. § 28 Nr. 2 SGB IV scheidet schon aufgrund der völlig anderen Fallgestaltung aus.
Nach § 28 Nr. 1 SGB IV kann der für die Erstattung zuständige Leistungsträger mit Ermächtigung eines anderen Leistungsträgers dessen Ansprüche gegen den Berechtigten mit dem ihm obliegenden Erstattungsbetrag verrechnen. Der schon aus dem BGB (§§ 397 ff.) stammende Begriff der Aufrechnung betrifft das Verhältnis zwischen zwei Personen: Der Aufrechnende muß Gläubiger der Aufrechnungs- oder Gegenforderung und Schuldner der Hauptforderung sein, der Aufrechnungsgegner (in der Terminologie des SGB der Berechtigte) muß Schuldner der Aufrechnungs- oder Gegenforderung und Gläubiger der Hauptforderung sein. Dies wurde auch von § 51 SGB I so übernommen. Die Verrechnung betrifft hingegen den Fall, daß der Gläubiger der Gegenforderung und der Schuldner der Hauptforderung unterschiedliche Leistungsträger sind (vgl. § 52 SGB I). Rein begrifflich ist also klar zwischen einer Aufrechnung zwischen zwei Personen bzw. einem Leistungsträger und dem Berechtigten sowie einer Verrechnung (einem Dreiecksverhältnis mit einem Berechtigten und zwei Leistungsträgern) zu unterscheiden. Eine Verrechnung mit einem eigenen Anspruch ist folglich begrifflich unmöglich. Nach einer am Wortlaut orientierten Auslegung ist demzufolge eine "Verrechnung” der Beklagten mit einer eigenen Forderung gegenüber dem Kläger nicht zulässig.
Eine über diesen Wortlaut hinausgehende Aufrechnungsmöglichkeit bedarf der Rechtfertigung, weil jede Auf- oder Verrechnungsmöglichkeit die Position des Berechtigten bzw. Schuldners der Hauptforderung schwächt. Denn sie setzt seine bestehende und möglicherweise wie im vorliegenden Fall unstrittige Forderung einem Gegenrecht aus, das die Gegenseite im Zweifel zunächst nur behaupten muß.
Nicht überzeugend ist demgegenüber der von der Beklagten angeführte Gesichtspunkt, einer Gesetzeslücke, die, um die den Sozialversicherungsträgern durch § 28 SGB IV eingeräumte Möglichkeit, Ansprüche des Berechtigten auf Erstattung zu Unrecht entrichteter Beiträge mit Ansprüchen der Sozialversicherungsträger gegen den Berechtigten aufzurechnen, zu sichern, nur so geschlossen werden könne, daß nicht nur mit Ermächtigung eines anderen Leistungsträgers dessen Ansprüche gegen den Erstattungsberechtigten mit dem ihm obliegenden Erstattungsbetrag verrechnet werden kann, sondern daß es auch zulässig sein muß, mit Eigenansprüchen gegen den Erstattungsberechtigten mit dessen Erstattungsanspruch entsprechend aufzurechnen. Diese Argumentation zielt neben dem darin steckenden Argument "a maiore ad minus” (wobei die Verrechnung für einen anderen Leistungsträger als "mehr” angesehen wird) auf eine teleologische, am Zweck der Norm ausgerichtete Auslegung ab. Es ist entgegen der Ansicht der Beklagten (Berufungsbegründung S. 5) aber sehr wohl nachvollziehbar, daß der Gesetzgeber nur für andere Leistungsträger die Möglichkeit geschaffen hat, den für die Beitragserstattung zuständigen Leistungsträger zu ermächtigen, Ansprüche gegen den Berechtigten mit dem Erstattungsanspruch zu verrechnen. Dies zeigen folgende Überlegungen:
Bei einer Aufrechnung genügt, daß der Leistungsträger, gegen den ein Anspruch gestellt wird, einen Gegenanspruch geltend macht. Bei einer Verrechnung kann der Leistungsträger, der für die Geldleistung zuständig ist, verrechnen, er muß es nicht. Das heißt, der Schutz des Berechtigten ist größer, weil ein zweiter Leistungsträger, der keinen unmittelbaren Anspruch gegen ihn hat, im Rahmen seines Ermessens unter Einbeziehung weiterer Gesichtspunkte prüft und nicht nur derjenige, der eine Forderung gegen den Berechtigten hat bzw. eine solche behauptet. Bezüglich des "Behaupten LS” sei nur auf die insbesondere im Zivilprozeß häufige Eventualaufrechnung hingewiesen. Diese Überlegung zeigt auch, daß das Argument a maiore ad minus ebenfalls nicht weiterhilft, weil es ganz auf den jeweiligen Standpunkt ankommt, um das "mehr” oder das "weniger” oder deren Binnenlogik zu bestimmen: Aus der Sicht des Berechtigten, gegen den ver- bzw. aufgerechnet werden soll, folgt nicht "logisch”, daß dann, wenn nach der Ermessensprüfung eines weiteren Leistungsträgers verrechnet werden darf, auch ein Leistungsträger beide "Rollen” gleichzeitig wahrnehmen darf, weil dieses "weniger” die Position des Berechtigten schwächt und die des Leistungsträgers stärkt und somit für diesen – aus Sicht des Betroffenen – ein "mehr” ist.
Gegen eine Gesetzeslücke sprechen auch die Befunde der systematischen und historischen Auslegung. Nach diesen ist § 28 Nr. 1 SGB IV eindeutig auf Verrechnungen beschränkt und wenn überhaupt ein Wille des Gesetzgebers feststellbar ist, so ist es dieser. Im Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Entwurf des SGB IV (Bundestagsdrucksache 7/4122) ist in der Begründung auf S. 34 ausgeführt: "§§ 28 und 29 Nr. 1 erstrecken die in Art. I §§ 44, 45 und 52 des Entwurfs eines Sozialgesetzbuches – Allgemeiner Teil – für Sozialleistungen enthaltenen Regelungen auf die Erstattungsansprüche.” Es wird also nur auf § 52 (Verrechnung) (vgl. insofern Bundestagsdrucksache 7/868), nicht aber auf § 51 (Aufrechnung) Bezug genommen. Die Änderung des § 28 SGB IV durch das Gesetz zur Einordnung der Vorschriften über die Meldepflichten des Arbeitgebers vom 20. Dezember 1988, Bundesgesetzblatt I S. 2330 dahingehend, daß nur noch in Nr. 1 von Verrechnung und in Nr. 2 von Aufrechnung die Rede ist, wird wie folgt begründet: "Es handelt sich um eine begriffliche Klarstellung. Die bisherige Fassung faßte unter der Überschrift "Verrechnung des Erstattungsanspruchs” in der Gesetzesbestimmung zu Nr. 2 auch Aufrechnungsfälle. Diese Unklarheit wird beseitigt.” (Gesetzesbegründung in Bundestagsdrucksache 11/2221, S. 19). Angesichts der eindeutigen Beschäftigung des Gesetzgebers mit der Vorschrift und der Problematik der Auf- und Verrechnung und dem Ziel den Regelungsinhalt der Vorschrift klarzustellen, muß davon ausgegangen werden, daß der Gesetzgeber auch die Nr. 1 entsprechend geändert hätte, wenn Aufrechnungsfälle mit erfaßt sein sollten. Da dies nicht der Fall ist, muß davon ausgegangen werden, daß dies auch nicht gewollt wurde, zumal es hierfür, wie oben aufgezeigt, gute Gründe gibt.
Mangels fehlender Ermächtigungsgrundlage seitens der Beklagten für die Aufrechnung an sich, kommt es auf die übrigen Rechtsfragen zu §§ 55, 59 Abs. 2 KO usw. nicht mehr an.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision ist zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG erfüllt sind.
II. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten nur noch um die Erstattung von Beiträgen, die ab dem 1. Januar 1985 gezahlt wurden.
Der Kläger ist Konkursverwalter der Firma E.-T. Gesellschaft für E.-, H.-, S. mit beschränkter Haftung (E.), vormals S.straße, W., über deren Vermögen durch Beschluss des Amtsgerichts W. vom 3. August 1988 ( ) der Konkurs eröffnet wurde.
Für den Geschäftsführer der E., Herrn M. F., waren in der Zeit vom 1. März 1983 bis zum 31. Januar 1988 Beiträge zur Beklagten über die Barmer Ersatzkasse als Einzugsstelle in Höhe von 3.748,43 DM entrichtet worden, obwohl er am Kapital der E. immer mit mindestens zur Hälfte beteiligt war. Nachdem der Kläger die Barmer Ersatzkasse darauf hingewiesen hatte, daß nach seiner Ansicht eine Beitragspflicht für Herrn F. nicht bestanden habe, stellte diese nach weiteren Prüfungen dem Kläger gegenüber die Versicherungsfreiheit des Herrn F. fest.
Mit am 8. Mai 1990 bei der Barmer Ersatzkasse eingegangenen Anträgen begehrte der Kläger die Erstattung der geleisteten Beiträge für Herrn F. für die Zeit vom 1. März 1983 bis zum 31. Januar 1988.
Mit Bescheid vom 28. Januar 1991 lehnte die Beklagte die Erstattung der Beiträge ab. Hinsichtlich der vor dem 1. Januar 1985 entrichteten Beiträge wurde die Einrede der Verjährung erhoben, wegen des Erstattungsanspruch für den restlichen Zeitraum in Höhe von 2.877,81 DM wurde mit Ansprüchen auf Rückzahlung von Konkursausfallgeld gemäß § 154 Abs. 2 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) aufgerechnet. Dieser Aufrechnung lag eine Bestätigung des Amtsgerichts W. über eine am 21. September 1988 angemeldete Forderung der Beklagten im Konkursverfahren der E. wegen Konkursausfallgeld zugrunde, die in Höhe von 9.281,02 DM vom Kläger anerkannt worden war.
Der am 14. Februar 1991 eingelegte Widerspruch wurde u.a. damit begründet, daß die Aufrechnung gemäß § 55 Abs. 2 Konkursordnung (KO) unzulässig sei und im übrigen § 55 Abs. 3 KO "greife”. Mit Bescheid vom 16. Juli 1991 änderte die Beklagte ihren Bescheid vom 28. Januar 1991 insofern ab, als die Aufrechnung nicht mehr auf § 154 Abs. 2 AFG, sondern auf § 28 Nr. 1 Sozialgesetzbuch – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung – (SGB IV) gestützt wurde. In seinem auch hiergegen eingelegten Widerspruch meinte der Kläger, daß auf die Bundesanstalt für Arbeit übergegangene Ansprüche wegen Konkursausfallgeldes nach § 59 Abs. 2 KO eindeutig als Konkursforderungen mit dem Rang des § 61 Abs. 1 Nr. 1 KO anzusehen seien, was eine Aufrechnung ausschließe. Mit Widerspruchsbescheid vom 28. August 1991 wurde der Widerspruch zurückgewiesen und hinsichtlich der Aufrechnung ausgeführt, daß § 55 KO nicht einschlägig sei, da die Forderung von der Beklagten schon vor Konkurseröffnung durch gesetzlichen Forderungsübergang erworben worden sei.
Mit der am 26. September 1991 vor dem Sozialgericht Wiesbaden erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt.
Durch Urteil vom 1. Oktober 1992 hat das Sozialgericht die Klage hinsichtlich der vor dem 1. Januar 1985 gezahlten Beiträge abgewiesen und im übrigen die Beklagte verurteilt, dem Kläger zur Konkursmasse die in der Zeit vom 1. Januar 1985 bis zum 31. Januar 1988 für Herrn F. geleisteten Beiträge in Höhe von 2.877,81 DM zu zahlen, und zur Begründung ausgeführt: Die Beklagte könne gegen den für die Zeit ab 1. Januar 1985 unstreitig bestehenden Anspruch des Klägers auf Beitragserstattung nicht mit ihrer Erstattungsforderung wegen der Zahlung von Konkursausfallgeld verrechnen bzw. aufrechnen. Ein derartiges Recht der Beklagten ergebe sich nicht aus § 28 Nr. 1 SGB IV, da dort eindeutig nur die Verrechnung, nicht aber die Aufrechnung geregelt sei. Auch die Voraussetzungen des § 28 Nr. 2 SGB IV (Aufrechnung mit künftigen Beitragsforderungen), des § 154 Abs. 2 AFG (Aufrechnung bei einem Anspruch auf Rückzahlung von Leistungen) und des § 51 Abs. 1 Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil (SGB I) (Aufrechnung gegen Ansprüche auf Geldleistungen) seien nicht erfüllt. Der Anspruch auf Erstattung von vor dem 1. Januar 1985 gezahlten Beiträgen sei verjährt, weil der Erstattungsanspruch erst in 1989 angemeldet worden sei und Ermessensfehler der Beklagten hinsichtlich der Geltendmachung der Verjährung nicht ersichtlich seien.
Gegen dieses der Beklagten am 19. November 1992 zugestellte Urteil richtet sich deren am 17. Dezember 1992 eingelegte Berufung, die sie auf § 28 Nr. 1 SGB IV stützt und zu deren Begründung sie ausführt: Nach dem eindeutigen Wortlaut sei zwar nur die Verrechnung geregelt, es bestände aber hinsichtlich der Aufrechnung eine Lücke, die dahingehend zu schließen sei, daß der erstattungspflichtige Leistungsträger auch mit eigenen Ansprüchen gegen den Erstattungsberechtigten aufrechnen könne.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden vom 1. Oktober 1992 abzuändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen,
hilfsweise,
die Revision zuzulassen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen,
hilfsweise,
die Revision zuzulassen.
Er erklärt, die Frage der Verjährung und damit die vor dem 1. Januar 1985 gezahlten Beiträge ständen nicht mehr im Streit.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist zulässig (§§ 151, 143 Sozialgerichtsgesetz – SGG), aber nicht begründet. Das Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden vom 1. Oktober 1992 ist nicht abzuändern, denn die Bescheide der Beklagten sind dahingehend abzuändern, daß der Kläger einen Anspruch auf die für Herrn F. in der Zeit vom 1. Januar 1985 bis zum 31. Januar 1988 geleisteten Beiträge in Höhe von 2.877,81 DM hat.
Daß der Kläger einen entsprechenden Anspruch auf Beitragserstattung gemäß § 185 AFG gegen die Beklagte hat, steht zur Überzeugung des Senats aufgrund der vorliegenden Akten fest und ist auch zwischen den Beteiligten nicht umstritten. Die Beklagte ist jedoch nicht berechtigt, gegen diesen Erstattungsanspruch des Klägers mit Forderungen ihrerseits auf Rückzahlung von Konkursausfallgeld aufzurechnen.
Daß die Beklagte kein derartiges Aufrechnungsrecht aus § 154 Abs. 2 AFG oder § 51 Abs. 1 SGB I hat, ist zwischen den Beteiligten nicht mehr umstritten und ergibt sich schon aus dem Wortlaut der Normen. Insofern wird ergänzend gemäß § 153 Abs. 2 SGG auf das sozialgerichtliche Urteil, S. 10 Bezug genommen.
Ein Aufrechnungsrecht der Beklagten ergibt sich aber auch nicht aus § 185 a Abs. 1 Satz 2 AFG i.V.m. § 28 Nr. 1 SGB IV. § 28 Nr. 2 SGB IV scheidet schon aufgrund der völlig anderen Fallgestaltung aus.
Nach § 28 Nr. 1 SGB IV kann der für die Erstattung zuständige Leistungsträger mit Ermächtigung eines anderen Leistungsträgers dessen Ansprüche gegen den Berechtigten mit dem ihm obliegenden Erstattungsbetrag verrechnen. Der schon aus dem BGB (§§ 397 ff.) stammende Begriff der Aufrechnung betrifft das Verhältnis zwischen zwei Personen: Der Aufrechnende muß Gläubiger der Aufrechnungs- oder Gegenforderung und Schuldner der Hauptforderung sein, der Aufrechnungsgegner (in der Terminologie des SGB der Berechtigte) muß Schuldner der Aufrechnungs- oder Gegenforderung und Gläubiger der Hauptforderung sein. Dies wurde auch von § 51 SGB I so übernommen. Die Verrechnung betrifft hingegen den Fall, daß der Gläubiger der Gegenforderung und der Schuldner der Hauptforderung unterschiedliche Leistungsträger sind (vgl. § 52 SGB I). Rein begrifflich ist also klar zwischen einer Aufrechnung zwischen zwei Personen bzw. einem Leistungsträger und dem Berechtigten sowie einer Verrechnung (einem Dreiecksverhältnis mit einem Berechtigten und zwei Leistungsträgern) zu unterscheiden. Eine Verrechnung mit einem eigenen Anspruch ist folglich begrifflich unmöglich. Nach einer am Wortlaut orientierten Auslegung ist demzufolge eine "Verrechnung” der Beklagten mit einer eigenen Forderung gegenüber dem Kläger nicht zulässig.
Eine über diesen Wortlaut hinausgehende Aufrechnungsmöglichkeit bedarf der Rechtfertigung, weil jede Auf- oder Verrechnungsmöglichkeit die Position des Berechtigten bzw. Schuldners der Hauptforderung schwächt. Denn sie setzt seine bestehende und möglicherweise wie im vorliegenden Fall unstrittige Forderung einem Gegenrecht aus, das die Gegenseite im Zweifel zunächst nur behaupten muß.
Nicht überzeugend ist demgegenüber der von der Beklagten angeführte Gesichtspunkt, einer Gesetzeslücke, die, um die den Sozialversicherungsträgern durch § 28 SGB IV eingeräumte Möglichkeit, Ansprüche des Berechtigten auf Erstattung zu Unrecht entrichteter Beiträge mit Ansprüchen der Sozialversicherungsträger gegen den Berechtigten aufzurechnen, zu sichern, nur so geschlossen werden könne, daß nicht nur mit Ermächtigung eines anderen Leistungsträgers dessen Ansprüche gegen den Erstattungsberechtigten mit dem ihm obliegenden Erstattungsbetrag verrechnet werden kann, sondern daß es auch zulässig sein muß, mit Eigenansprüchen gegen den Erstattungsberechtigten mit dessen Erstattungsanspruch entsprechend aufzurechnen. Diese Argumentation zielt neben dem darin steckenden Argument "a maiore ad minus” (wobei die Verrechnung für einen anderen Leistungsträger als "mehr” angesehen wird) auf eine teleologische, am Zweck der Norm ausgerichtete Auslegung ab. Es ist entgegen der Ansicht der Beklagten (Berufungsbegründung S. 5) aber sehr wohl nachvollziehbar, daß der Gesetzgeber nur für andere Leistungsträger die Möglichkeit geschaffen hat, den für die Beitragserstattung zuständigen Leistungsträger zu ermächtigen, Ansprüche gegen den Berechtigten mit dem Erstattungsanspruch zu verrechnen. Dies zeigen folgende Überlegungen:
Bei einer Aufrechnung genügt, daß der Leistungsträger, gegen den ein Anspruch gestellt wird, einen Gegenanspruch geltend macht. Bei einer Verrechnung kann der Leistungsträger, der für die Geldleistung zuständig ist, verrechnen, er muß es nicht. Das heißt, der Schutz des Berechtigten ist größer, weil ein zweiter Leistungsträger, der keinen unmittelbaren Anspruch gegen ihn hat, im Rahmen seines Ermessens unter Einbeziehung weiterer Gesichtspunkte prüft und nicht nur derjenige, der eine Forderung gegen den Berechtigten hat bzw. eine solche behauptet. Bezüglich des "Behaupten LS” sei nur auf die insbesondere im Zivilprozeß häufige Eventualaufrechnung hingewiesen. Diese Überlegung zeigt auch, daß das Argument a maiore ad minus ebenfalls nicht weiterhilft, weil es ganz auf den jeweiligen Standpunkt ankommt, um das "mehr” oder das "weniger” oder deren Binnenlogik zu bestimmen: Aus der Sicht des Berechtigten, gegen den ver- bzw. aufgerechnet werden soll, folgt nicht "logisch”, daß dann, wenn nach der Ermessensprüfung eines weiteren Leistungsträgers verrechnet werden darf, auch ein Leistungsträger beide "Rollen” gleichzeitig wahrnehmen darf, weil dieses "weniger” die Position des Berechtigten schwächt und die des Leistungsträgers stärkt und somit für diesen – aus Sicht des Betroffenen – ein "mehr” ist.
Gegen eine Gesetzeslücke sprechen auch die Befunde der systematischen und historischen Auslegung. Nach diesen ist § 28 Nr. 1 SGB IV eindeutig auf Verrechnungen beschränkt und wenn überhaupt ein Wille des Gesetzgebers feststellbar ist, so ist es dieser. Im Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Entwurf des SGB IV (Bundestagsdrucksache 7/4122) ist in der Begründung auf S. 34 ausgeführt: "§§ 28 und 29 Nr. 1 erstrecken die in Art. I §§ 44, 45 und 52 des Entwurfs eines Sozialgesetzbuches – Allgemeiner Teil – für Sozialleistungen enthaltenen Regelungen auf die Erstattungsansprüche.” Es wird also nur auf § 52 (Verrechnung) (vgl. insofern Bundestagsdrucksache 7/868), nicht aber auf § 51 (Aufrechnung) Bezug genommen. Die Änderung des § 28 SGB IV durch das Gesetz zur Einordnung der Vorschriften über die Meldepflichten des Arbeitgebers vom 20. Dezember 1988, Bundesgesetzblatt I S. 2330 dahingehend, daß nur noch in Nr. 1 von Verrechnung und in Nr. 2 von Aufrechnung die Rede ist, wird wie folgt begründet: "Es handelt sich um eine begriffliche Klarstellung. Die bisherige Fassung faßte unter der Überschrift "Verrechnung des Erstattungsanspruchs” in der Gesetzesbestimmung zu Nr. 2 auch Aufrechnungsfälle. Diese Unklarheit wird beseitigt.” (Gesetzesbegründung in Bundestagsdrucksache 11/2221, S. 19). Angesichts der eindeutigen Beschäftigung des Gesetzgebers mit der Vorschrift und der Problematik der Auf- und Verrechnung und dem Ziel den Regelungsinhalt der Vorschrift klarzustellen, muß davon ausgegangen werden, daß der Gesetzgeber auch die Nr. 1 entsprechend geändert hätte, wenn Aufrechnungsfälle mit erfaßt sein sollten. Da dies nicht der Fall ist, muß davon ausgegangen werden, daß dies auch nicht gewollt wurde, zumal es hierfür, wie oben aufgezeigt, gute Gründe gibt.
Mangels fehlender Ermächtigungsgrundlage seitens der Beklagten für die Aufrechnung an sich, kommt es auf die übrigen Rechtsfragen zu §§ 55, 59 Abs. 2 KO usw. nicht mehr an.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision ist zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG erfüllt sind.
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