L 11 J 18/93

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 16 J 2151/91
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 11 J 18/93
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 21. September 1992 wird zurückgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist der Beginn eines Zinsanspruchs im Streit.

Der Kläger beantragte am 14. November 1989 Leistungen der medizinischen Rehabilitation bei der Beklagten.

Am 18. Januar 1990 stellte der Kläger bei der Stadt H. einen verkürzten Antrag auf Versichertenrente aus der Arbeiterrentenversicherung. Dieser Antrag wurde von dort an die Beklagte weitergeleitet und ging der Beklagten am 12. März 1990 zu. Mit Bescheid vom 21. September 1990 bewilligte die Beklagte dem Kläger Rente wegen Erwerbsunfähigkeit auf seinen Antrag von November 1989. Die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit begann am 14. Dezember 1989; dem Kläger wurden monatlich ab 1. November 1990 2.085,41 DM gezahlt. In dem Bescheid legte die Beklagte einen Versicherungsfall vom 5. Dezember 1988 zugrunde.

Der Kläger erhob gegen diesen Bescheid Widerspruch und zwar mit dem Hinweis, daß der angenommene Eintritt der Erwerbsunfähigkeit am 5. Dezember 1988 insofern nicht korrekt sei, als dadurch die Zeit der Arbeitsunfähigkeit seit diesem Zeitpunkt nicht mehr berücksichtigt werden könne. Vielmehr sei in Anwendung des § 1247 Abs. 2 Satz 1 der Versicherungsfall mit dem 6. Dezember 1989 anzunehmen (gemeint war der 6. November 1989). Mit Bescheid vom 26. Oktober 1990 kündigte die Beklagte an, daß sie ihren Bescheid vom 21. September 1990 zurücknehmen werde und sicherte dem Kläger zu, daß in einem neuen Bescheid der Versicherungsfall 6. November 1989 zugrunde gelegt werde. Dies geschah mit Bescheid vom 28. Dezember 1990.

Mit Bescheid vom 25. März 1991 berechnete die Beklagte die Zinsen für die Nachzahlung von 15.468,04 DM. Die Beklagte berechnete Zinsen von 248,51 DM insgesamt für den Zeitraum von Oktober 1990 bis Februar 1991. Hiergegen richtete sich der Widerspruch des Klägers, der darauf hinwies, daß er seinen Antrag auf Erwerbsunfähigkeitsrente am 18. Januar 1990 gestellt habe. Nach einem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) sei auf den Zeitpunkt abzustellen, in welchem der vollständige Leistungsantrag beim zuständigen Leistungsträger eingegangen sei.

Mit Widerspruchsbescheid vom 15. August 1991 wurde der Widerspruch des Klägers von der Beklagten zurückgewiesen. Nach dem Wortlaut des § 44 Abs. 2 Sozialgesetzbuch – 1. Buch – (SGB I) komme es auf die Antragstellung beim zuständigen Leistungsträger an. Die Fiktion des § 16 Abs. 2 Satz 2 SGB I beziehe sich nicht auf die Verzinsungspflicht, sondern bezwecke in Fällen, in denen die Sozialleistung von einem Antrag abhängig sei, lediglich die Ablehnung der Sozialleistung oder den verspäteten Beginn dieser Leistung zu verhindern. Da der Rentenantrag erst am 12. März 1990 beim zuständigen Leistungsträger eingegangen sei, könne die Verzinsung gemäß § 44 SGB I erst am 1. Oktober 1990 beginnen.

Gegen diesen Bescheid hat der Kläger am 27. August 1991 vor dem Sozialgericht (SG) Frankfurt am Main Klage erhoben.

Mit Urteil vom 21. September 1992 hat das SG die Klage abgewiesen und die Berufung zugelassen. Das SG hat sich der Auffassung der Beklagten angeschlossen, wonach § 16 Abs. 2 SGB I keine Regelung über die Verzinsung treffe, sondern lediglich § 44 Abs. 2 SGB I. Dem vom Kläger zitierten Urteil des BSG vom 28. Februar 1990 – 2 RU 41/89 – hat sich das SG nicht angeschlossen.

Gegen das ihm am 29. Dezember 1992 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung des Klägers vom 11. Januar 1993 beim Hessischen Landessozialgericht. In der Berufungsinstanz verfolgt der Kläger das Ziel weiter, den Beginn der Verzinsung auf den 1. August 1990 vorzuverlegen. Für den Beginn der Verzinsung sei der Eingang des Antrages am 18. Januar 1990 bei der Stadt H. zugrunde zu legen. Dies ergebe sich aus der Anwendung des § 16 Abs. 2 Satz 2 SGB I im Rahmen des § 44 Abs. 2 Halbsatz 1 Satz 1. Das SG habe in Abweichung von dem bereits zitierten BSG-Urteil entschieden.

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 21. September 1992 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 25. März 1991 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. August 1991 zu verurteilen, Zinsen auf die Rentennachzahlung ab 1. August 1990 zu gewähren,
hilfsweise,
die Revision zuzulassen.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, daß es gemäß § 44 Abs. 2 SGB I beim Beginn der Verzinsung auf den Eingang des vollständigen Leistungsantrages beim zuständigen Leistungsträger ankomme und nicht auf den Zeitpunkt der Antragstellung.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakte sowie auf den Inhalt der Gerichtsakte Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig und statthaft. Sie ist jedoch unbegründet.

Das angefochtene Urteil des Sozialgerichts hat zu Recht einen Zinsanspruch des Klägers bereits ab 1. August 1990 verneint. Vielmehr ergibt sich der Zinsanspruch des Klägers gemäß § 44 Abs. 2 SGB I erst ab 1. Oktober 1990. Nach dieser Vorschrift beginnt die Verzinsung frühestens nach Ablauf von sechs Kalendermonaten nach Eingang des vollständigen Leistungsantrages beim zuständigen Leistungsträger. Der Wortlaut des § 44 Abs. 2 SGB I stellt eindeutig auf den Zugang beim zuständigen Leistungsträger ab und nicht auf den Eingang des Antrages beim unzuständigen Leistungsträger, bei einer Gemeinde oder bei einer Vertretung der Bundesrepublik Deutschland im Ausland, wie dies § 16 Abs. 2 SGB I tut. Nach § 16 Abs. 1 SGB I sind Anträge auf Sozialleistungen beim zuständigen Leistungsträger zu stellen; sie können auch bei anderen Leistungsträgern, also bei an sich unzuständigen Leistungsträgern, bei allen Gemeinden und bei den amtlichen Vertretungen der Bundesrepublik Deutschland im Ausland gestellt werden. Anträge, die bei einem unzuständigen Leistungsträger, bei einer Gemeinde oder bei der amtlichen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland im Ausland gestellt werden, sind gemäß § 16 Abs. 2 SGB I unverzüglich an den zuständigen Leistungsträger weiterzuleiten. Das Gesetz unterscheidet also zwischen dem zuständigen Leistungsträger, dem unzuständigen Leistungsträger, der Gemeinde und der Auslandsvertretung der Bundesrepublik Deutschland. Die Gemeinde und die Auslandsvertretung der Bundesrepublik Deutschland sind weder unzuständige noch zuständige Leistungsträger, sondern überhaupt keine Leistungsträger. § 44 Abs. 2 SGB I spricht aber ausschließlich vom zuständigen Leistungsträger. Dies ist im Gegensatz zu der Auffassung des Urteils des Bundessozialgerichts vom 28. Februar 1990 – 2 RU 41/89 – keineswegs ein Normwiderspruch im Verhältnis zu § 16 SGB I. § 16 SGB I enthält lediglich den Grundsatz, daß der Einzelne mit seinem Begehren nach Sozialleistungen nicht an Zuständigkeitsabgrenzungen innerhalb der gegliederten Sozialverwaltung scheitern darf, d.h., der Antragsteller kann im Grunde genommen bei einem dieser genannten Stellen oder bei einem unzuständigen Leistungsträger, der wie im vorliegenden Fall überhaupt nicht in der Lage ist, eine Rente zu gewähren, einen Rentenantrag stellen. Dies macht jedoch noch keine Aussage über den Verzinsungsanspruch, der im § 44 Abs. 1 und Abs. 2 SGB I abschließend geregelt ist. Wenn das BSG a.a.O. hierzu ausführt, daß § 16 nicht nur für den Hauptanspruch auf Sozialleistungen Gültigkeit besitze, sondern auch für die Nebenleistung, die Zinsen, so ergibt sich dies nicht aus dem Sinn und Zweck des § 16 SGB I, der lediglich eine Antragstellung nicht an der Unzuständigkeit der Behörde, bei der ein Antrag gestellt wird, scheitern lassen will. Der Zinsanspruch ergibt sich ohnehin aus dem Gesetz, nämlich aus § 44 SGB I und braucht nicht gesondert vom Antragsteller der Sozialleistung beantragt zu werden. § 16 SGB I betrifft nur die Antragstellung von Sozialleistungen, wozu der akzessorische Zinsanspruch nicht gehört.

Die Regelung des § 44 Abs. 2 SGB I mit der 6-monatigen Frist hat ihren Sinn darin, daß der zuständige Leistungsträger die Bearbeitungszeit von sechs Monaten benötigt, um über die Antragstellung entscheiden zu können, was einem unzuständigen Leistungsträger, einer Gemeinde oder einer Vertretung der Bundesrepublik Deutschland im Ausland sicherlich nicht möglich ist. Deshalb ist der Zinsanspruch an die sechsmonatige Frist gekoppelt.

Wenn der Kläger einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch aus der Tatsache ableiten will, daß die Beklagte ihn nicht auf den Umstand aufmerksam gemacht habe, daß erst mit Eingang des Antrags bei der Beklagten eine Bearbeitung erfolgt (mit der Konsequenz eines möglichen Zinsanspruchs), so scheitert ein solcher Anspruch bereits daran, daß aus § 13 SGB I für die Beklagte keine Verpflichtung enthält, den Kläger über diesen Umstand aufzuklären, ohne vom Kläger zuvor angesprochen worden zu sein.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.

Der Senat hat die Revision zugelassen, weil er von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts abweicht (§ 160 Sozialgerichtsgesetz).
Rechtskraft
Aus
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