L 12 J 48/91

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
12
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
S 1 J 1114/89
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 12 J 48/91
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Hat eine Berechtigte nach dem FRG vom polnischen Träger der Sozialen Sicherheit
anstelle einer ihr an sich zustehenden Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit (hier:
Invalidenrente auf Dauer) die höhere Hinterbliebenenrente bezogen, so gilt dieser
Rentenbezug auch vor dem 1. Januar 1992 als sogenannter Aufschubtatbestand.
Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 26. November 1990 und der Bescheid der Beklagten vom 23. Mai 1989 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. September 1989 aufgehoben.

Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin eine Versichertenrente wegen
Erwerbsunfähigkeit unter Zugrundelegung eines Versicherungsfalles von Oktober 1988 ab dem 1. Dezember 1988 zu gewähren.

Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Gewährung einer Versichertenrente wegen Erwerbs- bzw. Berufsunfähigkeit.

Die 1931 geborene Klägerin beantragte am 9. November 1988 die Gewährung einer Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit bzw. Berufsunfähigkeit bei der Beklagten. Sie zog am 16. Oktober 1988 aus der Volksrepublik Polen in die Bundesrepublik Deutschland zu und ist Inhaberin des Vertriebenenausweises mit dem Merkzeichen "A”. Zwischen 1951 und 1961 war sie nach Auskunft der ZUS Hindenburg vom 30. Januar 1990 als Spülerin, Arbeiterin, Baderaumwärterin und Maschinennäherin tätig. Zwischen dem 3. März 1975 und dem 24. April 1978 ist im Versicherungsverlauf wiederum eine Zugehörigkeit zum System der allgemeinen Rentenversicherung, nachgewiesen durch Arbeitsbescheinigung und andere Unterlagen vom polnischen Träger der Sozialen Sicherheit vermerkt worden. Vom 25. April 1978 bis 21. Oktober 1978 bezog die Klägerin Krankengeld und vom 22. Oktober 1978 bis zum 28. Juli 1980 Invalidenrente. Ab 28. Juli 1980 wurde vom polnischen Träger der Sozialen Sicherheit anstelle dieser Leistung die höhere Witwenrente gewährt. Am 2. November 1982 beschloß der ärztliche Bezirksrat für Schwerbeschädigte und Beschäftigte in Gleiwitz, daß die Invalidität der Klägerin dauerhaft sei.

In einem Gutachten des Sozialärztlichen Dienstes der Beklagten in Kassel vom 19. Januar 1989 wurde die Klägerin für in der Lage gehalten, vollschichtig leichte bis mittelschwere Arbeiten, auch als Küchenhilfe oder Raumpflegerin zu verrichten. Sie verfüge über eine ausreichende Umstellungs- und Anpassungsfähigkeit und leide unter einer Adipositas permagna und einem Grenzwerthypertonus. In einem ebenfalls von der Beklagten eingeholten orthopädischen Gutachten bei Dr. E. vom 7. Februar 1989 wurde sie für in der Lage befunden, leichte körperliche Arbeiten vollschichtig in wechselnder Körperhaltung und ohne Leistungsdruck zu verrichten. Zu diesem Ergebnis kam auch Dr. T. vom Sozialärztlichen Dienst Kassel in dem Gutachten vom 2. Mai 1989. Auf der Grundlage dieser medizinischen Erkenntnisse und Beurteilungen lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 23. Mai 1989 den Antrag der Klägerin ab. Ihren Widerspruch vom 3. Juni 1989 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 1. September 1989 zurück. Hiergegen hat die Klägerin am 8. September 1989 Klage bei dem Sozialgericht Kassel erhoben. Dieses hat einen Befundbericht bei Dr. K. vom 26. Januar 1990 (Reinhardshagen) beigezogen und die Klage mit Urteil vom 26. November 1990 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, daß die Klägerin noch in der Lage sei, vollschichtig leichte Arbeiten unter gewissen Einschränkungen zu verrichten und auf dem allgemeinen Arbeitsfeld seien auch noch ihr zumutbare Erwerbstätigkeiten vorhanden.

Gegen dieses der Klägerin am 11. Dezember 1990 zugestellte Urteil hat sie am 7. Januar 1991 Berufung bei dem Sozialgericht Kassel eingelegt.

Der Senat hat einen Befundbericht bei Dr. K. (R.) vom 5. Februar 1991 angefordert sowie einen Arztbrief von Dr. Kn. vom 23. April 1991 (KM.) beigezogen. Darüber hinaus hat der Senat ein Sachverständigengutachten auf nervenfachärztlichem Gebiet bei Dr. L. (O.) in Auftrag gegeben. Dr. L. hat in seinem Gutachten vom 2. Dezember 1991 ausgeführt, daß er nach eingehender Untersuchung der Klägerin neben den bereits im Verwaltungsverfahren benannten Leiden noch eine erstarrende Rückbildungsdepression multifaktoreller Genese mit Überlagerung durch hirnorganische cerebrale Insuffizienz diagnostiziert habe. Mit diesen Behinderungen könne die Klägerin höchstens noch leichte Arbeiten unter besonders günstigen Bedingungen, höchstens unter halbschichtig auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verrichten.

Die Klägerin vertritt auch im Berufungsverfahren die Auffassung, daß sie erwerbs- bzw. berufsunfähig sei und im übrigen die ihr in der Volksrepublik Polen gewährte Witwenrente anstelle der Invalidenrente der Gewährung einer Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit bzw. Berufsunfähigkeit nicht entgegenstünde.

Die im Termin zur mündlichen Verhandlung nicht erschienene und auch nicht vertretene Klägerin hat im Berufungsverfahren keinen bestimmten Antrag gestellt.
Sinngemäß begehrt sie aber,
das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 26. November 1990 sowie den Bescheid der Beklagten vom 23. Mai 1989 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. September 1989 aufzuheben und diese zu verurteilen, ihr ab dem 1. Dezember 1988 eine Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit,
hilfsweise,
wegen Berufsunfähigkeit zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Sie vertritt die Auffassung, daß die Klägerin seit dem 29. November 1991 erwerbsunfähig im Sinne von § 1247 Reichsversicherungsordnung (RVO) sei. Die Berufung der Klägerin könne trotzdem keinen Erfolg haben, denn die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Rentengewährung seien nicht erfüllt. Da die Klägerin in der Volksrepublik Polen anstelle der Invalidenrente die günstigere, weil höhere, Witwenrente bezogen habe, läge keine Rentenbezugszeit im Sinne des § 1246 Abs. 2 a Ziffer 3 RVO vor. Es handele sich nämlich bei der Witwenrente nicht um eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit im Sinne des § 28 a Fremdrentengesetz (FRG). Unbeachtlich sei insoweit auch, daß die Klägerin eine Witwenrente nur deswegen erhalten habe, weil deren Zahlbetrag höher als die zuvor gezahlte Invalidenrente gewesen sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten sowie zum Vorbringen der Beteiligten im übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie den Inhalt der Verwaltungsakte der Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte trotz des Ausbleibens der Klägerin bzw. Nichtvertretenseins im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 24. November 1992 entscheiden, da sie in der ordnungsgemäßen Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist (§ 110 Sozialgerichtsgesetz –SGG–).

Die Berufung ist zulässig, denn sie ist insbesondere form- und fristgerecht eingelegt sowie an sich statthaft (§§ 143, 146, 151 SGG).

Die Berufung ist auch sachlich begründet.

Das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 26. November 1990 ist aufzuheben. Der Bescheid der Beklagten vom 23. Mai 1989 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. September 1989 ist rechtswidrig. Die Klägerin wird dadurch in ihren Rechten verletzt. Die Klägerin hat Anspruch auf eine Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit ab dem 1. Dezember 1988.

Seit Oktober 1988 ist die Klägerin erwerbsunfähig im Sinne von §§ 300 Abs. 2 Sozialgesetzbuch 6. Buch (SGB 6) i.V.m. 1247 Abs. 2 Reichsversicherungsordnung (RVO). Dies folgt zur Überzeugung des Senats aus den eingeholten Befundberichten und medizinischen Gutachten. Die Klägerin leidet danach unter einer Dreh- und Kantungsbeeinträchtigung der Halswirbelsäule bei Blockwirbelbildung C 5/6 mit Druckempfindlichkeit der Nackennerven und Schulterkämme, Verschleißerscheinungen der Lendenwirbelsäule mit Gefühlsminderung im Hautsegment S 1, beginnender Verschleißerscheinungen des rechten Kniegelenkes mit innerer Gelenkspaltverschmälerung und innerem Knorpelscheibenverschleiß, Verschleißerscheinungen der Fingerendgelenke 3 bis 4 beidseits, Knick-Senk-Füßen, Nabelbruch, Krampfadern, Adipositas und grenzwertigem Bluthochdruck sowie erstarrender Rückbildungsdepression multifaktorieller Genese mit Überlagerung durch eine hirnorganische cerebrale Insuffizienz. Mit diesen gesundheitlichen Einschränkungen ist die Klägerin nicht mehr in der Lage, vollschichtig einer Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nachzugehen. Auch die Erkrankung der Klägerin auf psychiatrischem Fachgebiet führt nach den überzeugenden Ausführungen von Dr. L. dazu, daß die Klägerin nur noch unter halbschichtig erwerbstätig sein kann. Dies nimmt nunmehr für den Zeitraum ab 29. November 1991 auch die Beklagte an, wie sich aus ihrem Schriftsatz vom 18. März 1992 ergibt.

Der Senat geht davon aus, daß ein derart reduziertes Leistungsvermögen bereits bei Einreise in die Bundesrepublik Deutschland im Oktober 1988 bestand. Er stützt sich insoweit auf die fachkompetente Aussage von Dr. L. in seinem Sachverständigengutachten vom 2. Dezember 1991. Zwar gibt auch dieser zu bedenken, daß es an Vergleichsbefunden mangele, doch kommt er nach ausführlicher Anamnese zu dem Ergebnis, daß das von ihm festgestellte eingeschränkte Leistungsvermögen bereits im Oktober 1988 bestand. Zu Recht weist er in diesem Zusammenhang darauf hin, daß das Erkennen einer psychischen Erkrankung nervenärztlicher Kenntnisse bedürfe. Über diese, was auch den Rückschluß auf das Leistungsvermögen nach eingehender Anamnese durch Dr. L. zuläßt, verfügt der gerichtliche Sachverständige als Neurologe und Psychiater nach Kenntnis des Senates aus zahlreichen vorangegangenen Streitverfahren. Soweit in den beiden Gutachten des Sozialärztlichen Dienstes vom 19. Januar 1989 und 2. Mai 1989 zur psychischen Verfassung der Klägerin keine bzw. die Aussage gemacht wird, daß die Psyche unauffällig sei, kann dies nicht als ein Hinweis auf das "Nichtbestehen” einer psychischen Erkrankung und entsprechender Leistungseinschränkung angesehen werden. Zum Zeitpunkt der gutachtlichen Untersuchung durch Dr. T. am 16. Januar 1989 in der Sozialärztlichen Dienststelle in Kassel befand sich die Klägerin ausweislich des vom Sozialgericht Kassel eingeholten Befundberichtes vom 2. Januar 1990 bei Dr. K. bereits in dessen Behandlung. Dieser hat in diesem Befundbericht angegeben, daß die Klägerin über Angstzustände, gedrückte Stimmung und Schlafstörungen geklagt habe. Er diagnostizierte ein depressives Syndrom mit Erschöpfungszustand. Zudem hat er ausgeführt, daß die Befunde unverändert gewesen seien. Die psychisehe Erkrankung ist von ihm nicht als ein neu hinzugekommenes Leiden (Frage 7 im Befundberichtsvordruck) bei seiner letzten Untersuchung am 21. Dezember 1989 vor der Befundberichterstattung ausgeführt worden.

Hinweise dafür, daß der Versicherungsfall der Erwerbsunfähigkeit bereits früher, insbesondere bereits am 22. Oktober 1978 eingetreten ist, sind nicht vorhanden. Ein Rückschluß von der Invalidenrentengewährung in Polen hierauf ist nach Auffassung des Senats nicht möglich. Zum einen heißt es auch in dem Bescheid vom 2. November 1982, daß die Klägerin dauerhaft am bisherigen Arbeitsplatz arbeitsunfähig sei. Hierbei handelt es sich um eine Tätigkeit als Putzfrau. Zum zweiten ist die Einstellungsgegenanzeige in diesem Bescheid beschränkt auf "schwere Arbeiten”. Diese Feststellungen stehen der Annahme eines bereits 1982/1978 bestehenden unter halbschichtigen Leistungsvermögens der Klägerin auch für leichte Arbeiten entgegen.

Im vorliegenden Fall sind sowohl die Wartezeit, als auch die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung einer Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit erfüllt.

Nach § 1247 Abs. 3 RVO ist die Wartezeit für eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit erfüllt, wenn vor Eintritt der Erwerbsunfähigkeit eine Versicherungszeit von 60 Kalendermonaten zurückgelegt worden ist. Die Klägerin war ausweislich der sich in der Gerichtsakte befindlichen Auskunft des polnischen Trägers der Sozialen Sicherheit ZUS Hindenburg vom 30. Januar 1990, von Februar bis April 1951, Mai 1951 bis Dezember 1952, April 1953 bis November 1954, Januar 1955 bis Mai 1961 und März 1975 bis April 1978, also 145 Kalendermonate, erwerbstätig sowie dem System der allgemeinen Rentenversicherung in Polen zugehörig. Da die Klägerin die polnische Staatsbürgerschaft besaß und nach Auskunft der ZUS Hindenburg diese Beschäftigungszeiten durch Arbeitsbescheinigungen belegt sind, sind diese Zeiten nach Art. 4 Abs. 2 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen über Renten- und Unfallversicherung –DPSVA– (BGBl. II 76, 396), so zu behandeln, als seien sie im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland zurückgelegt worden und nachgewiesene (§ 21 der polnischen Verordnung vom 7. Februar 1983) "Versicherungszeiten”.

Gemäß § 1247 Abs. 2 a i.V.m. § 1246 Abs. 2 a RVO sind die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Rentengewährung dann erfüllt, wenn zuletzt vor Eintritt der Berufsunfähigkeit eine Versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit ausgeübt worden ist, wenn von den letzten 60 Kalendermonaten vor Eintritt der Berufsunfähigkeit mindestens 36 Kalendermonate mit Beiträgen für eine Versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit belegt sind. Aus den Angaben der ZUS läßt sich die Ausübung der letzten "versicherungspflichtigen Beschäftigung” – Versicherungszeit im Sinne einer Beitragszeit nach dem DPSVA – am 24. April 1978 entnehmen. Damit hat die Klägerin innerhalb von 60 Kalendermonaten vor Eintritt des Versicherungsfalles im Oktober 1988 keine Beiträge für eine versicherungspflichtige Beschäftigung entrichtet. Allerdings hat sie zwischen dem 22. Oktober 1978 und dem Tag der Ausreise in die Bundesrepublik Deutschland eine Invalidenrente und später Hinterbliebenenrente sowie vom 25. April 1978 bis 21. Oktober 1978 Krankengeld bezogen, war also arbeitsunfähig. Diese Zeit der Arbeitsunfähigkeit und die Zeit des Rentenbezuges stellen bei der Ermittlung des 60 Kalendermonatszeitraumes nicht mitzuzählende Zeiten im Sinne des § 1247 Abs. 2 a i.V.m. § 1246 Abs. 2 a Ziff. 2 und 3 RVO dar.

Die Zeit des Krankengeldbezuges ist eine die letzte "Versicherungspflichtige” Beschäftigung unterbrechende Zeit der Arbeitsunfähigkeit im Sinne des § 1259 Abs. 1 Nr. 1 a RVO. Die Zeit des Invalidenrentenbezuges – als auch des Hinterbliebenenrentenbezuges – ist eine Rentenbezugszeit im Sinne des § 1247 Abs. 2 a, § 1246 Abs. 2 a Satz 2 Ziff. 3 RVO i.V.m. § 28 a FRG.

Nach § 28 a FRG in der bis zum 30. Juni 1990 geltenden Fassung stehen Zeiten, in denen der Berechtigte aus einem System der Sozialen Sicherheit eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit bezogen hat, Rentenbezugszeiten nach § 1246 Abs. 2 a Satz 2 RVO gleich, wenn der Rente Zeiten zugrunde liegen, die nach dem FRG anrechenbar sind. Die Klägerin ist als Inhaberin des Vertriebenenausweises mit dem Merkzeichen "A” FRG-Berechtigte nach § 1 FRG und § 28 a FRG. Dem Rentenbezug in der Volksrepublik Polen lagen auch nach dem FRG anrechenbare Zeiten, zumindest soweit es die Invalidenrente betrifft, zugrunde. Es handelt sich um nachgewiesene Beschäftigungs-/Beitragszeiten im Sinne der §§ 15, 16 FRG. Vom 22. Oktober 1978 bis 28. Juli 1980 hat die Klägerin auch eindeutig eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit aus dem System der Sozialen Sicherheit in Polen bezogen. Entscheidend hierfür ist lediglich, daß die Ursache der Rentengewährung in einer Minderung geistiger oder körperlicher Kräfte besteht. Der Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit ist unerheblich (vgl. nur Herold, Amtl. Mitteilung der LVA Oberfranken/Mittelfranken, 1988, S. 60, 62 unter Hinweis auf die Verwaltungspraxis der Rentenversicherungsträger). Ausweislich des Bescheides des ärztlichen Bezirksrates für Schwerbeschädigte und Beschäftigte in Gleiwitz vom 2. November 1982 lag der Rentengewährung ab 1982 eine dauerhafte Invalidität nach dem polnischen Recht zugrunde. Die Klägerin hätte also, sofern sie nicht Anspruch auf eine höhere Hinterbliebenenrente ab dem 28. Juli 1980 gehabt hätte (Art. 69 des polnischen Gesetzes vom 14. Dezember 1982), auch über den 28. Juli 1980 hinaus eine dem § 28 a FRG entsprechende Rente bezogen.

Im Gegensatz zu der Beklagten vertritt der Senat die Auffassung, daß der Bezug einer Hinterbliebenenrente unter der Bedingung, daß ein dauerhafter Anspruch auf eine Rente wegen Invalidität in Polen bestand, auch in der vor dem 1. Januar 1992/1. Juli 1990 geltenden Fassung als Rentenbezugszeit im Sinne des § 1246 Abs. 2 a Satz 2 Ziff. 3 i.V.m. § 1247 Abs. 2 a RVO i.V.m. § 28 a FRG anzusehen ist.

Ab dem 1. Juli 1990 ist die Rente wegen Alters und ab dem 1. Januar 1992 auch die anstelle der Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit gezahlte Leistung einer solchen rechtlich gleichgestellt. Nach Art. 69 des polnischen Gesetzes vom 14. Dezember 1982 wird beim Zusammentreffen mehrerer Rentenansprüche nur eine Rente gewährt. Trifft eine Rente aus eigener Versicherung mit einer Hinterbliebenenrente zusammen, so schließt die evtl. höhere Hinterbliebenenrente die Gewährung der Rente aus eigener Versicherung aus, obwohl grundsätzlich die Voraussetzungen einer Versichertenrente gegeben sind oder sein können. Da es durchaus einem sozialadäquaten Verhalten eines Rentenbeziehers entspricht, die ihm zustehende höhere Leistung zur Sicherung seines Lebensstandards zu wählen, muß § 28 a FRG auch in der bis zum 30. Juni 1990 geltenden Fassung dahingehend ausgelegt werden, daß dann, wenn ein dauerhafter Rentenanspruch aus eigener Versicherung in Polen bestand, dieser jedoch von einer höheren Leistung verdrängt wurde, die eigene Rentenleistung, als die "bezogene” Rente angesehen wird.

Dieser Auslegung hat der Gesetzgeber, wie zuvor bereits erwähnt, ab dem 1. Januar 1992 im übrigen auch Rechnung getragen. Zur Begründung dieser Änderung, wobei zunächst im Entwurf der Bundesregierung den bezogenen Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nur Renten wegen Alters gleichgestellt worden waren (Bundestagsdrucksache 11/4124, Art. 10 zu Nr. 15), dann aber auf Empfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung (11. Ausschuß – Bundestagsdrucksache 11/5490, Art. 10 zu Nr. 14) auch die anstelle einer solchen Leistung bezogenen anderen Leistung einbezogen wurden, heißt es, daß es sich um redaktionelle Folgenänderung handele (Bundestagsdrucksache 11/4124, Art. 10 zu Nr. 14). Weiter wird dort ausgeführt, die Ausdehnung der Gleichstellung auch von Renten wegen Alters berücksichtige, daß in den Herkunftsgebieten eine Altersrente zum Teil wesentlich früher als im Bundesgebiet bezogen werden könne und stelle sicher, daß der Invaliditätsschutz dieser Personen erhalten bleibe. Die Bezugszeit einer Rente wegen Alters vor dem 60. Lebensjahr sei dabei wie die einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit zu behandeln. In der Begründung des Ausschusses ist von "Klarstellung” die Rede (a.a.O.).

Wenn demnach sogar Renten wegen Alters einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit gleichgestellt werden sollten, muß dies erst Recht für Hinterbliebenenrenten gelten, die anstelle einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nur wegen der Höhe der Leistung gewährt werden. Aus den Begründungen wird aber auch deutlich, daß die ab dem 1. Januar 1992 geltende Regelung keine grundlegende Neuerung im Fremdrentengesetz und Ausdehnung des Kreises der Anspruchsberechtigten bezwecken, sondern nur ausdrücklich normiert werden sollte, was auch zuvor bereits Geltung hatte.

Inwieweit dies auch dann gilt, wenn es sich um eine in Polen nur befristet gewährte Invalidenrente handelt – hierauf hat das Sozialgericht Trier in der von der Beklagten eingereichten Entscheidung in erster Linie abgestellt (Urteil vom 12. Dezember 1988, Az.: 4/A-41/88, S. 7/8) –, kann dahingestellt bleiben. Wie bereits ausgeführt stand der Klägerin ab dem 2. November 1982 einen Dauerrente zu.

Mit diesen Rentenbezugszeiten, als Zeiten zur Verlängerung des 60-Kalendermonatszeitraumes hat die Klägerin jedoch mindestens 36 Kalendermonate Versicherungszeiten – hier polnische Beschäftigungszeiten – innerhalb des 60-Kalendermonatszeitraumes zurückgelegt. Ausgangspunkt der Berechnung ist der Monat vor der Rentenantragsstellung im November 1988. Bis November 1983 hat die Klägerin keine Versicherungszeiten zurückgelegt, aber ununterbrochen Hinterbliebenenrente anstelle einer Invalidenrente bezogen. Bei Verlängerung dieses Zeitraumes um die Rentenbezugszeiten ist weiterer Ausgangspunkt der Berechnung der November 1978. Auch zwischen Oktober 1983 und November 1978 liegen nur Rentenbezugszeiten. Bei nochmaliger Erweiterung des 60-Kalendermonatszeitraumes um fünf Jahre des Rentenbezuges, ist der November 1973 der maßgebliche Stichmonat. Zwischen November 1973 und Oktober 1988 hat die Klägerin 38 Kalendermonate mit Beschäftigungszeiten belegt.

Rentenbeginn ist im vorliegenden Fall der 1. Dezember 1988, denn ausweislich der Auskunft des polnischen Trägers der Sozialen Sicherheit ist die Rentenzahlung erst mit Ablauf des Monats November 1988 eingestellt worden. Somit hat die Klägerin unter Berücksichtigung des Art. 5 Abs. 2 des DPSVA erst nach Wohnsitzverlegung und Rentenantragstellung im November 1988 ab dem 1. Dezember 1988 Anspruch auf die Versichertenrente.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision wird zugelassen, denn der Rechtsstreit hat grundsätzliche Bedeutung (§ 160 Abs. 2 Ziff. 1 SGG).
Rechtskraft
Aus
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