L 6 Ar 702/89

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 5 Ar 20/89
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 6 Ar 702/89
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Der mit Wirkung ab 30.12.1988 eingeführte § 10 Nr. 3 AlhiVO hält sich nicht im Rahmen der Ermächtigungsnorm des § 137 Abs. 3 AFG.
2. Eine Anrechnung des Einkommens der Eltern eines Arbeitslosen kann nach § 138 Abs. 1 AFG auch für die Zeit ab 30.12.1988 nicht erfolgen, wenn kein Unterhaltsanspruch nach dem BGB besteht (Anschluß an Urteile des BSG vom 07.09.1988 – 11 RAr 25/88, u.a.).
3. Der Arbeitslose ist auch dann i.S. des AFG verfügbar und verliert seinen Anspruch auf Alhi nicht (auch nicht teilweise), wenn er sich nicht um minderqualifizierte Beschäftigungen bemüht, die seiner durch Ausbildung erworbenen Qualifikation nicht entsprechen, solange er im Rahmen der Zumutbarkeitsanordnung nicht auf der untersten Stufe angelangt ist.
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 19. April 1989 wird zurückgewiesen.

II. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Es geht in dem Rechtsstreit um die Höhe der Arbeitslosenhilfe für die Zeit vom 30. Dezember 1988 bis 31. März 1989 hinsichtlich der Anrechnung von Einkommen der Eltern des Klägers.

Der 1956 geborene Kläger war vom 2. September 1985 bis 14. Oktober 1988 als Rechtsreferendar tätig und legte am 14. Oktober 1988 die Zweite Juristische Staatsprüfung ab. Als Beamter auf Widerruf erhielt er bis 31. Oktober 1988 ein Arbeitsentgelt von zuletzt 1.757,00 DM brutto monatlich.

Am 17. Oktober 1988 meldete sich der Kläger bei der Beklagten arbeitslos zum 1. November 1988 und beantragte Arbeitslosenhilfe. Mit Bescheid vom 6. Dezember 1988 bewilligte die Beklagte Arbeitslosenhilfe ab 1. November 1988 unter Berücksichtigung eines Bemessungsentgeltes von 50 % von 4.156,48 DM entsprechend 2.078,24 DM, rechnete als zu berücksichtigenden Unterhaltsanspruch des Klägers gegen seine Eltern wöchentlich 118,67 DM an und zahlte dem Kläger entsprechend Leistungsgruppe A 1 wöchentlich 69,12 DM aus.

Hiergegen hat der Kläger am 14. Dezember 1988 Widerspruch erhoben mit dem Ziel, Arbeitslosenhilfe ohne Anrechnung von Einkommen zu erhalten.

Mit Widerspruchsbescheid vom 20. Dezember 1988 hat die Beklagte den Widerspruch zurückgewiesen u.a. mit der Begründung, aus den bereinigten monatlichen Nettoeinkommen des Vaters des Klägers von 2.966,81 DM und der Mutter des Klägers von 2.350,11 DM ergebe sich eine wöchentliche Gesamtanrechnung von 118,67 DM. Dieser Betrag stehe dem Kläger zur Verfügung und mindere entsprechend § 138 Abs. 1 Nr. 1 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) den Anspruch des Klägers auf Arbeitslosenhilfe.

Hiergegen hat der Kläger am 9. Januar 1989 Klage erhoben und diese u.a. damit begründet, daß er keinen Unterhaltsanspruch gegen seine Eltern nach §§ 1601 ff. BGB habe. Er weigere sich zumindest für die erste Zeit der Arbeitslosigkeit, Berufstätigkeiten unter seiner Qualifikation anzunehmen. Dadurch verletze er seine Obliegenheit zur Erwerbstätigkeit, die er gegenüber den Unterhaltsverpflichteten habe. Die Weigerung schließe jedoch einen Anspruch auf Arbeitslosenhilfe gegenüber der Beklagten nicht aus. Seine Verfügbarkeit sei nicht ausgeschlossen; er halte sich im Rahmen der Verfügbarkeitsanordnung. Auch werde dadurch die Bedürftigkeit nicht berührt. § 10 Abs. 3 Arbeitslosenhilfeverordnung (AlhiVO) begründe die fiktive Anrechnung eines Unterhaltsanspruches nicht, da er nicht von der Ermächtigungsnorm in § 137 Abs. 3 AFG gedeckt werde.

Seit 1. April 1989 ist der Kläger in Arbeit.

Die Beklagte hat vorgetragen, der Kläger müsse sich vor Geltendmachung eines Unterhaltsanspruches im Rahmen seiner Eigenverantwortung auch um berufsfremde Tätigkeiten auch unterhalb der gewohnten Lebensstellung bemühen. Soweit er nicht bereit sei, sich in dem vom Unterhaltsrecht geforderten Ausmaß um Arbeit zu bemühen, müsse er nach § 10 Nr. 3 AlhiVO im Umfang der sonst erlangten Ansprüche als nicht bedürftig angesehen werden.

Die Beklagte hat im Termin am 19. April 1989 ein vom Kläger angenommenes Teilanerkenntnis dahin abgegeben, daß sie für die Zeit vom 1. November 1988 bis 29. Dezember 1988 Arbeitslosenhilfe ohne Anrechnung von Elterneinkommen gewährte.

Mit Urteil vom 19. April 1989 hat das Sozialgericht Marburg (S-5/Ar-20/89) der Klage in vollem Umfang stattgegeben, die angefochtenen Bescheide geändert und die Beklagte zur Zahlung von Arbeitslosenhilfe für die Zeit vom 30. Dezember 1988 bis 31. März 1989 ohne Anrechnung von Einkommen seiner Eltern verurteilt. In der Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, der Kläger habe gegen seine Eltern im streitigen Zeitraum keinen Unterhaltsanspruch gehabt, da er sich nur um eine Anstellung als Volljurist, aber nicht in eine berufsfremde Tätigkeit, insbesondere nicht um einfache Reinigungsarbeiten und andere Hilfsarbeiten, bemüht habe. Solche Arbeiten wären dem Kläger für die Aufrechterhaltung seines Arbeitslosenhilfe-Anspruches nach § 9 der Zumutbarkeitsanordnung auch nicht zumutbar gewesen. Nach § 10 Nr. 1 AlhiVO werde der Arbeitslose nicht verpflichtet, ihm selbst nach der Zumutbarkeitsanordnung nicht zumutbare Arbeiten anzunehmen, nur um einen Unterhaltsanspruch zu erlangen. Daran ändere auch § 10 Nr. 3 AlhiVO (in Kraft seit 30.12.1988) nichts. Die Neuregelung werde durch die Ermächtigungsnorm des § 137 Abs. 3 AFG nicht gedeckt. § 137 AFG enthalte keine Hinweise, daß bei der Prüfung der Bedürftigkeit die Zumutbarkeit anders als bei der Prüfung der Verfügbarkeit zu bewerten sei. Auch führe die genannte Regelung dazu, daß ein nur fiktiver Unterhaltsanspruch angerechnet werde. Dies sei nicht mit einer Bedürftigkeitsprüfung vereinbar. Das Sozialgericht hat im Tenor die Berufung zugelassen.

Gegen das ihr am 23. Mai 1989 zugestellte Urteil hat die Beklagte am Montag, dem 26. Juni 1989, Berufung eingelegt. Mit Beschluss vom 10. Oktober 1989 hat der erkennende Senat der Beklagten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der versäumten Berufungsfrist gewährt.

Die Beklagte trägt vor, im Rahmen der Bedürftigkeitsprüfung gemäß § 138 Abs. 1 Nr. 1 AFG seien als Einkommen auch Leistungen zu berücksichtigen, die der Arbeitslose von Dritten beanspruchen könne, z.B. auch Unterhaltsansprüche. Für die Zeit ab 30. Dezember 1988 werde nach § 10 Nr. 3 AlhiVO vermutet, daß der Arbeitslose, der es unterlasse, sich in der vom Unterhaltsrecht geforderten Ausmaß um Arbeit zu bemühen, im Umfang der sonst erlangten Unterhaltsansprüche nicht bedürftig sei. § 10 Nr. 3 AlhiVO stehe mit § 137 Abs. 3 AFG in Einklang und richte sich nach dem Grundsatz der Subsidiarität. Mit diesem Grundsatz sei es unvereinbar, wenn der Arbeitslose durch Handeln bzw. Unterlassen, das ausschließlich von seinem Willen abhänge, bestimmen könne, ob der Familienverband oder die nachrangige Arbeitslosenhilfe für seinen Unterhalt aufkomme. Bei § 10 Nr. 3 AlhiVO handele es sich um eine verfahrensrechtliche Regelung als Ausgestaltung des allgemeinen Mitwirkungsgrundsatzes. Der Arbeitslose sei im eigenen Interesse verpflichtet festzustellen, ob offene Arbeitsstellen am Arbeitsmarkt vorhanden seien. Eine über die §§ 137, 138 AFG hinausgehende inhaltliche Regelung zur Anrechnung von Unterhaltsansprüchen in der Arbeitslosenhilfe werde in § 10 Nr. 3 AlhiVO nicht getroffen. Es bestehe kein Widerspruch zur Zumutbarkeitsanordnung, da dort die Voraussetzungen der Verfügbarkeit geregelt würden. Bei § 10 Nr. 3 AlhiVO handele es sich um eine verfassungsrechtlich nicht zu beanstandende sachgemäße Unterscheidung zwischen Arbeitslosen mit und Arbeitslosen ohne unterhaltsfähige Verwandte.

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 19. April 1989 aufzuheben und die Klage abzuweisen,
hilfsweise,
die Revision zuzulassen.

Der im Termin am 6. Dezember 1989 nicht anwesende und nicht vertretene Kläger beantragt sinngemäß,
die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger trägt vor, der von der Beklagten zur Ablehnung ihrer Leistungspflicht herangezogene § 10 Nr. 3 AlhiVO sei rechtswidrig. Dieser verstoße gegen die Grundsätze der Verweisung auf eine zumutbare Beschäftigung gemäß § 103 AFG. Die Beklagte habe ihn nur auf Beschäftigungen verweisen dürfen, die seiner akademischen Ausbildung entsprochen hätten. Im übrigen würde eine Verweisung auf § 10 Nr. 3 AlhiVO zu einer verfassungswidrigen Ungleichbehandlung führen, wie das BSG in seinem Urteil vom 7. September 1988 (1 RAr 25/88) aufgezeigt habe. Arbeitslose, deren Eltern Einkünfte oberhalb der Anrechnungsgrenzen hätten, würden ohne sachlichen Grund gegenüber Arbeitslosen benachteiligt, deren Eltern Einkünfte unterhalb der Anrechnungsgrenzen hätten.

Hilfsweise trägt der Kläger vor, daß die Beklagte den Unterhaltsbedarf seiner Eltern unzutreffend berechnet habe. Exakte Angaben könnten jedoch nicht gemacht werden, da die Bescheide keine differenzierte Berechnung enthielten.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der beigezogenen Akten, der Verwaltungsakten der Beklagten sowie der Gerichtsakten ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist form- und durch die gewährte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand auch fristgerecht eingelegt, § 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Die als sogenannter Höhenstreit eigentlich unzulässige Berufung, § 147 SGG, ist kraft Zulassung im Tenor des angefochtenen Urteils zulässig, § 150 Nr. 1 SGG.

Der Senat konnte auch in Abwesenheit von Beteiligten verhandeln und entscheiden, da alle Beteiligten rechtzeitig und ordnungsgemäß zum Termin zur mündlichen Verhandlung am 6. Dezember 1989 geladen und dabei darauf hingewiesen worden waren, daß auch im Falle der Abwesenheit verhandelt und entschieden werden könne.

Die Berufung ist jedoch unbegründet.

Das angefochtene Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 19. April 1989 ist nicht zu beanstanden.

Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 6. Dezember 1988 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Dezember 1988, auch in der Einschränkung durch das Teilanerkenntnis vom 19. April 1989, ist rechtswidrig.

Zutreffend hat das Sozialgericht die angefochtenen Bescheide geändert und die Beklagte verurteilt, dem Kläger für den noch streitigen Zeitraum Arbeitslosenhilfe ohne Anrechnung von Einkommen seiner Eltern zu gewähren.

Zwischen den Beteiligten ist nicht streitig und der erkennende Senat sieht keine Veranlassung, daran zu zweifeln, daß der Kläger die übrigen Voraussetzungen für einen Anspruch auf Arbeitslosenhilfe erfüllt hat. So hat er durch die Referendarzeit die Anwartschaftszeit zurückgelegt, hat sich bei der Beklagten arbeitslos gemeldet und Arbeitslosenhilfe beantragt, war tatsächlich arbeitslos, verfügbar und bedürftig. Dabei war die Verfügbarkeit des Klägers i.S. § 103 AFG nicht dadurch eingeschränkt, daß der Kläger sich nur für eine berufliche Tätigkeit als Volljurist bereitgehalten hat, da dies seiner zuvor durchlaufenen, langjährigen Ausbildung entsprach. Die Berechnung des Bemessungsentgeltes mit 2.078,24 DM (50 % von 4.156,48 DM) entsprach § 112 Abs. 5 Nr. 2 AFG, woraus sich ein gerundetes wöchentliches Bemessungsentgelt von 480,00 DM ergibt. Dem Kläger, der die Lohnsteuergruppe 1 in seiner Lohnsteuerkarte eingetragen und ein anrechenbares Kind hatte, stand somit die Leistungsgruppe A zu (§ 111 Abs. 2 Nr. 1 a AFG). Nach der Leistungsverordnung 1988 ergab sich daraus (Leistungsgruppe A 1) ein wöchentlicher Leistungssatz in Höhe von 187,80 DM, auf den der Kläger einen ungekürzten Anspruch hatte für die noch streitige Zeit vom 30. Dezember 1988 bis 31. März 1989. Die Beklagte durfte kein Elterneinkommen in Anrechnung bringen. Auszugehen ist von der in §§ 137, 138 AFG geregelten Voraussetzung der Bedürftigkeit. Nur derjenige Arbeitslose hat Anspruch auf Arbeitslosenhilfe, der seinen Lebensunterhalt nicht auf andere Weise als durch Arbeitslosenhilfe bestreitet oder bestreiten kann, § 137 Abs. 1 AFG. Arbeitslosenhilfe wird nur subsidiär geleistet. Dabei sind nach § 138 Nr. 1 AFG im Rahmen der Bedürftigkeitsprüfung als Einkommen u.a. zu berücksichtigen, Leistungen, die der Arbeitslose von Dritten erhält oder beanspruchen kann. Unterhaltsansprüche gegen Verwandte zweiten oder entfernteren Grades sind nicht zu berücksichtigen. Tatsächliche Unterhaltsleistungen hat der Kläger in der streitigen Zeit von seinen Eltern nicht erhalten. Er konnte von seinen Eltern aber auch keine Leistungen beanspruchen. Der Kläger hatte gegen seine Eltern im streitbefangenen Zeitraum keinen Anspruch auf Unterhalt. Nach § 1601 BGB sind Verwandte in gerader Linie verpflichtet, einander Unterhalt zu gewähren. Der Kläger war jedoch nicht unterhaltsberechtigt, da er im Sinne des Unterhaltsrechts nicht außerstande war, sich selbst zu unterhalten, § 1602 Abs. 1 BGB. Die Ausbildung des Klägers für einen akademischen Beruf (Volljurist) war abgeschlossen, so daß seine Eltern keinen Ausbildungsunterhalt mehr schuldeten, § 1610 Abs. 2 BGB. Der erkennende Senat geht auch davon aus, daß 2 1/2 Monate nach Examensabschluß (14. Oktober 1988) der Kläger keinen Anspruch mehr auf verlängerten Ausbildungsunterhalt wegen angemessener Bewerbungsfrist hatte (vgl. Palandt BGB, 48. Aufl., § 1610, 4 a, dd). Zum einen bestand für den Kläger die Möglichkeit, schon vor dem letzten Tag des sich länger hinziehenden Examens Kontakte aufzunehmen bzw. Bewerbungen zu schreiben, zum anderen scheinen dem erkennenden Senat 2 1/2 Monate als ausreichende Zeit, um sich nur den Bewerbungen hinzugeben. Dabei brauchte im vorliegenden Fall nicht geklärt zu werden, ob die Pflicht der Eltern zur Gewährung des Ausbildungsunterhaltes im Falle einer juristischen Berufsausbildung nicht bereits mit dem Abschluß des ersten Examens endet, da der Unterhaltsberechtigte spätestens mit Aufnahme der Referendarausbildung Beamter auf Widerruf wird und sich aus der dort erzielten Ausbildungsvergütung selbst unterhalten kann. Für die anschließende, hier streitbefangene, Zeit mußte dem Kläger im Sinne des Unterhaltsrechts zugemutet werden, auch für eine Überbrückungszeit bis zur Aufnahme einer der Ausbildung entsprechenden Beschäftigung, eine einfache Beschäftigung des allgemeinen Arbeitsmarktes aufzunehmen und sich in ganz erheblichem Umfang um eine solche Beschäftigung zu bemühen, etwa durch intensives Auswerten von Zeitungsinseraten und auch die Aufgabe eigener Inserate (vgl. Schlegel FamRZ 1986, S. 856 ff. m.w.N.). Mangels entsprechender Bereitschaft für unterwertige Tätigkeiten und Bemühungen hierfür hatte der Kläger in der streitigen Zeit keinen Unterhaltsanspruch gegen seine Eltern. Der Kläger hat hierzu im Termin am 19. April 1989 vor dem Sozialgericht erklärt, er habe sich nach Bestehen des Zweiten Staatsexamens allein um Stellen als Volljurist beworben.

Ein anzurechnender Unterhaltsanspruch kann aber auch nicht über § 10 Nr. 3 AlhiVO (mit Wirkung ab 30. Dezember 1988) fingiert werden. Nach dieser Vorschrift ist anzunehmen, daß der Arbeitslose seinen Lebensunterhalt auf andere Weise als durch Arbeitslosenhilfe bestreitet oder bestreiten kann, wenn der Arbeitslose auf einen Anspruch, der nach § 138 Abs. 1 Nr. 1 AFG zu berücksichtigen wäre, verzichtet oder Handlungen unterläßt, die Voraussetzung für das Entstehen oder Fortbestehen eines derartigen Anspruchs sind.

Ein Verzicht des Klägers auf einen bestehenden Unterhaltsanspruch liegt nicht vor, da kein Unterhaltsanspruch bestand, wie oben gezeigt wurde.

Soweit die Unterlassung von Handlungen angesprochen ist, die Voraussetzung für das Entstehen oder Fortbestehen eines derartigen Anspruchs ist, könnte damit die fehlende Bereitschaft zur Ausübung auch ganz einfacher Tätigkeiten und die fehlenden intensiven Bemühungen zum Erhalt einer solchen Tätigkeit gemeint sein. Eine Anrechnung hat gleichwohl nach Auffassung des erkennenden Senats zu unterbleiben. § 10 Nr. 3 AlhiVO hält sich nicht im Rahmen der Ermächtigungsnorm des § 137 Abs. 3 AFG. Danach kann der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung im Einvernehmen mit dem Bundesminister der Finanzen durch Rechtsverordnung bestimmen, inwieweit Vermögen zu berücksichtigen und unter welchen Voraussetzungen anzunehmen ist, daß der Arbeitslose seinen Lebensunterhalt auf andere Weise bestreitet oder bestreiten kann. Dabei regelt § 10 Nr. 1 AlhiVO in Übereinstimmung mit der Ermächtigungsnorm, daß anzunehmen sei, daß der Arbeitslose seinen Lebensunterhalt auf andere Weise als durch Arbeitslosenhilfe bestreiten könne, wenn er durch Wahrnehmung einer sonstigen zumutbaren Möglichkeit Einkommen erzielen könnte, das zur Minderung oder Versagung der Arbeitslosenhilfe führen würde. Insoweit hätte es keiner Neurelgelung bedurft, wenn es um die Möglichkeit der Aufnahme einer zumutbaren Arbeit durch den Kläger gegangen wäre. Vor allem wäre insoweit das zu erzielende Einkommen des Arbeitslosen unmittelbar anrechenbar. Nachdem das Bundessozialgericht in seinen Urteilen vom 7. September 1988 (11 RAr 25/88 u.a.) die langjährige Praxis der Beklagten, Einkommen der Eltern von Arbeitslosen auch dann zu berücksichtigen, wenn kein Unterhaltsanspruch bestand, als rechtswidrig bezeichnet hat, sollte die Änderung der AhliVO offenbar eine Rechtsgrundlage für die Fortsetzung der bisherigen Praxis jedenfalls für die Zeit ab 30. Dezember 1988 schaffen (vgl. Rombach in SGb 1989, S. 291 ff., Anm. zum Urt. des BSG vom 7. September 1988 – s.o. – in ZfSH/SGB 1989, S. 482 ff., Winkler in info also 1989, S. 18 ff., S. 118 ff.). Der Verordnungsgeber hat dabei nicht berücksichtigt, daß es für den Bereich des Arbeitslosengeldes und der Arbeitslosenhilfe nur einen einheitlichen Begriff der Verfügbarkeit gibt, der in § 103 AFG geregelt ist und über § 134 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 4 AFG auch im Bereich der Arbeitslosenhilfe Anwendung findet (mit der Ausnahme bei Einschränkung hinsichtlich der Dauer der Arbeitszeit, die im vorliegenden Fall jedoch nicht von Bedeutung ist). Danach ist u.a. derjenige Arbeitslose verfügbar, der bereit ist, jede zumutbare Beschäftigung anzunehmen, die er ausüben kann und darf. Nur zur Aufnahme einer zumutbaren Beschäftigung ist der Arbeitslose bei Meldung des Verlustes seines Leistungsanspruches verpflichtet. Nach § 103 Abs. 2 AFG sind bei der Beurteilung der Zumutbarkeit die Interessen des Arbeitslosen und die der Gesamtheit der Beitragszahler gegeneinander abzuwägen. Entsprechend der Ermächtigung des § 103 Abs. 3 Satz 2 AFG hat der Verwaltungsrat der Beklagten die Zumutbarkeits-Anordnung vom 16. März 1982 erlassen. Dort wurden in § 12 folgende fünf Qualifikationsstufen festgelegt:

1) Hochschul- und Fachhochschulausbildung,
2) Aufstiegsfortbildung auf einer Fachschule oder in einer vergleichbaren Einrichtung,
3) Ausbildung in einem Ausbildungsberuf,
4) Anlernausbildung,
5) alle übrigen Beschäftigungen.

Während der ersten vier Monate der Arbeitslosigkeit waren nach §§ 8, 9 der Anordnung dem Kläger nur dem Berufsabschluß oder vergleichbaren beruflichen Werdegang entsprechende Beschäftigungen zumutbar. Während der folgenden vier Monate auch Beschäftigungen auf der nächstniedrigeren Stufe, jedoch nur dann, wenn zuvor ein Beratungsgespräch hinsichtlich der Abstufung stattgefunden hat. Dem Kläger wären also während der insgesamt nur fünf Monate dauernden Arbeitslosigkeit jedenfalls keine Tätigkeiten der untersten Stufe zumutbar gewesen, unter denen sich dann auch die im Sinne des Unterhaltsrechts zumutbaren ganz einfachen Beschäftigungen befinden. Die Weigerung eines Arbeitslosen, eine im Sinne der Zumutbarkeitsanordnung unzumutbare Beschäftigung auszuführen, schließt seine Verfügbarkeit und damit seinen Leistungsanspruch jedoch nicht aus. Mit diesem Grundsatz darf sich die AlhiVO nicht in Widerspruch setzen (vgl. Urteil des BSG vom 7. September 1988 s.o.). Im Sinne des AFG gibt es auch nicht zwei verschiedene Zumutbarkeits- bzw. Verfügbarkeitsbegriffe. Das AFG macht die Gewährung von Arbeitslosenhilfe auch nicht davon abhängig, daß leistungsfähige Verwandte ersten Grades nicht vorhanden sind (vgl. Urteil des BSG vom 7. September 1988 s.o.).

Ob die Neuregelung durch § 10 Nr. 3 AlhiVO gegen Verfassungsgrundsätze verstößt, wie der Kläger vorträgt, bedurfte im vorliegenden Fall keiner näheren Prüfung. Eine Anwendung des § 10 Nr. 3 AlhiVO kam bereits deshalb nicht in Betracht – wie oben gezeigt wurde –, da er gegen das höherrangige Recht, nämlich die Ermächtigungsnorm des.§ 137 Abs. 3 AFG verstößt.

Entgegen der Auffassung der Beklagten bestimmt auch nicht ausschließlich der Arbeitslose durch sein Handeln bzw. Unterlassen, ob der Familienverband oder die Bundesanstalt für den Unterhalt bzw. die Arbeitslosenhilfe aufkommt. Vielmehr wird dem Arbeitslosen durch das AFG und die Zumutbarkeits-Anordnung vorgegeben, für welche Beschäftigungen er sich bereithalten muß. Ein Unterhaltsanspruch ist dann ausgeschlossen, wenn sich die nach dem AFG zumutbaren Tätigkeiten oberhalb der nach Unterhaltsrecht zumutbaren Beschäftigungen befinden. Es liegt dann an der Beklagten, im Laufe der Arbeitslosigkeit entsprechend § 12 Abs. 4 der Zumutbarkeits-Anordnung, die Herabstufung durchzuführen. Erst dann, wenn der Arbeitslose auf der fünften Stufe angelangt ist, wäre der Zumutbarkeitsbegriff des AFG mit dem des Unterhaltsrechts deckungsgleich.

Es kann auch nicht festgestellt werden, daß § 10 Nr. 3 AlhiVO lediglich eine verfahrensrechtliche Regelung ist, die den allgemeinen Mitwirkungsgrundsatz näher bestimmt. Es geht nicht darum, daß der Arbeitslose gleichsam nur ermittelt, ob offene Arbeitsstellen des allgemeinen Arbeitsmarktes vorhanden sind, wie die Beklagte meint. Vielmehr würde § 10 Nr. 3 AlhiVO immer dazu führen, daß die Beklagte in keinem Fall insoweit leisten müßte, als leistungsfähige Verwandte ersten Grades vorhanden sind. Wenn der Arbeitslose sich im Sinne des Unterhaltsrechts erfolglos intensiv auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt um eine Beschäftigung bemüht, hätte er einen Unterhaltsanspruch. Hätte er aber Erfolg auf dem Arbeitsmarkt, wäre er nicht mehr arbeitslos.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision ist vom Senat wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen worden, § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG.
Rechtskraft
Aus
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