L 4 Vs 1304/82

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
4
1. Instanz
SG Fulda (HES)
Aktenzeichen
S 16 V 211/80
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 Vs 1304/82
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Die Teilnahme eines Soldaten auf Zeit (Offiziersanwärter) an einem zweitägigen Marsch in der Freizeit (hier: Diekirch-Marsch) zur Vorbereitung auf den Einzelkämpferlehrgang stellt keine Wehrdienstverrichtung dar, ist aber den dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnissen zuzuordnen.
2. Fehlt es an einem akut thromboseauslösenden Faktor während eines Marsches und lassen sich auch keine Brückensymptome feststellen, so ist der ursächliche Zusammenhang einer erst einige Tage später aufgetretenen Beckenvenenthrombose mit dem dem Wehrdienst zuzurechnenden Marsch nicht wahrscheinlich.
Bemerkung
Auf die Berufungen der Beklagten und des Beigeladenen zu 1. wird das Urteil des Sozialgerichts Fulda vom 5. November 1982 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Wehrdienstbeschädigung (WDB) im Sinne des Soldatenversorgungsgesetzes (SVG) und um die Gewährung eines Ausgleichs.

Der 1956 geborene Kläger leistete vom 1. Juli 1976 bis 30. September 1981 Dienst als Soldat auf Zeit bei der Bundeswehr.

Vom 1. Juli 1976 bis 31. Dezember 1976 war er Kanonier bei dem PzArtBtl. 145 in L ... Vom 1. Januar 1977 bis 30. September 1977 absolvierte er einen Offiziersanwärterlehrgang bei der Artillerieschule in I.-C ... Während dieser Dienstzeit wurden verschiedene Märsche und ein Lauftraining zur Vorbereitung auf den Einzelkämpflehrgang angeboten. Der Kläger nahm am 4. und 5. Juni 1977, einem dienstfreien Wochenende, an dem sogenannten Diekirch-Marsch in Luxemburg teil, der sich über 2 mal 40 km erstreckte und von der luxemburgischen Armee organisiert wurde. Teilnehmer dieses Marsches waren Soldaten verschiedener NATO-Staaten. Nach dem ersten Teilabschnitt von 40 km mußte der Kläger den Marsch wegen Blasen an den Füßen abbrechen. Zwei Tage nach dem Marsch begab er sich wegen starker Schmerzen im Rücken und im linken Oberschenkel in truppenärztliche Behandlung. Der behandelnde Arzt Dr. K. diagnostizierte eine Lumbalgie und Muskelkater, verordnete Bestrahlungen und befreite den Kläger vom Sport. Alle Innendiensttätigkeiten hielt er für zumutbar.

Am 11. Juni 1977 trat der Kläger eine Heimfahrt mit dem Auto in seinen früheren Wohnort im Landkreis F. an. Am 12. Juni 1977 wurde er stationär bis 9. Juli 1977 in die Städtischen Kliniken F. aufgenommen, wo eine Beckenvenenthrombose festgestellt wurde.

Vom 1. Oktober 1977 bis 30. September 1981 studierte der Kläger im Rahmen seiner Offiziersausbildung Pädagogik an der Hochschule der Bundeswehr in Hamburg.

Mit WDB-Blatt vom 23. November 1973 wurde das Verwaltungsverfahren zur Prüfung der Frage eingeleitet, ob der Zustand nach tiefer Beinvenenthrombose links auf die Teilnahme an dem Diekirch-Marsch zurückzuführen ist. Die Beklagte zog die den Kläger betreffenden G-Karten, einen Arztbrief des Prof. Dr. V., Chefarzt der Neurologischen Klinik F., vom 22. Juni 1977, einen Arztbrief des Prof. Dr. L., Oberarzt der Chirurgischen Universitätsklinik U., vom 6. September 1979 und die Unterlagen über spätere ärztliche Nachuntersuchungen und Behandlungen in Einrichtungen der Bundeswehr und zivilen Kliniken bei und ließ den Kläger truppenärztlich untersuchen (Gutachten der Dres. P. und B., San-Zentrum H. vom 26. November 1979 mit Prüfvermerk des Dr. M., Sanitätsamt der Bundeswehr). Ferner kam eine fachinternistische aktenmäßige Stellungnahme des Oberfeldarztes Dr. L. vom 16. November 1979 zu der Akte. Zu der Art des Marsches und dem Grund für die Teilnahme holte die Beklagte schriftliche Erklärungen des Leutnants Z. vom 2. April 1980 und des Inspektionschefs der III. Inspektion der Artillerieschule I.-O., Oberstleutnant B. vom 14. Mai 1980, der eine dienstliche Äußerung des Oberfeldwebels der Reserve Sch. mit übermittelte, ein.

Mit Bescheid vom 24. Juli 1980 lehnte sie die Gewährung eines Ausgleichs nach § 85 SVG mit der Begründung ab, das postthrombotische Syndrom im linken Bein nach tiefer Ober- und Unterschenkel- sowie Beckenvenenthrombose sei durch wehrdienstliche Einflüsse weder hervorgerufen noch verschlimmert worden. Die während der Freizeit am Wochenende durchgeführte, dienstlich nicht angeordnete sportliche Betätigung, sei selbst dann keine WDB, wenn diese dienstlich erwünscht oder gefördert worden sei.

Gegen diesen Bescheid hat der Kläger am 1. September 1980 Klage vor dem Sozialgericht Fulda SG erhoben.

Für die Zeit nach seinem Ausscheiden aus der Bundeswehr hat der Kläger bei dem Versorgungsamt F. am 20. Juli 1981 Antrag auf Gewährung von Beschädigtenversorgung nach dem SVG gestellt, der noch nicht beschieden ist.

Das SG hat Beweis erhoben über die Frage, ob Gesundheitsstörungen auf den Marsch zurückzuführen sind, durch Einholung eines schriftlichen medizinischen Sachverständigengutachtens auf chirurgischem Fachgebiet. Wegen des Ergebnisses wird auf das Gutachten des Prof. Dr. R., Chefarzt der Chirurgischen Klinik der Städtischen Kliniken in F. vom 12. Januar 1982 Bezug genommen.

Durch Beschluss vom 20. September 1982 hat das SG das Land Hessen, vertreten durch das Landesversorgungsamt, beigeladen.

Mit Urteil vom 5. November 1982 hat es den Bescheid vom 24. Juli 1980 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger das postthrombotische Syndrom des linken Beines als Schädigungsfolge anzuerkennen und Beschädigtenrente nach einem Grad der MdE um 30 v.H. ab 1. Juli 1981 zu gewähren.

In den Entscheidungsgründen hat es im wesentlichen ausgeführt, bei der erlittenen Gesundheitsstörung handele es sich um eine WDB, denn der Kläger habe nur im Rahmen seines Wehrdienstes an dem Diekircher-Marsch teilnehmen können. Die Teilnahme sei von der zuständigen Einheit gefördert worden, der Kläger habe in der Kaserne von D. übernachtet und neben ihm hätten noch andere Soldaten der Bundeswehr in Uniform teilgenommen, die der besonderen Disziplin einer Militärformation unterworfen gewesen seien. Nach dem vorliegenden Gutachten sei es im übrigen wahrscheinlich, daß das postthrombotische Syndrom Folge des Marsches sei.

Gegen dieses der Beklagten durch Empfangsbekenntnis am 1. Dezember 1982 und dem Beigeladenen zu 1) am 2. Dezember 1982 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 20. Dezember 1982 und der Beigeladene zu 1. am 28. Dezember 1982 bei dem Hessischen Landessozialgericht Berufung eingelegt!

Durch Beschluss vom 18. September 1986 ist der Freistaat Bayern nach einem Wohnsitzwechsel des Klägers beigeladen worden.

Der Senat hat zu den Kriterien der dienstlichen Veranstaltung im Falle des Diekirch-Marsches eine Auskunft des Bundesministers der Verteidigung vom 6. Februar 1984 eingeholt. Ferner hat der Senat die Krankenblätter der Neurologischen und Chirurgischen Klinik der Städtischen Kliniken F. beigezogen und Beweis erhoben über die streitigen Kausalitätsfragen durch Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens des Prof. Dr. W., Deutsche Klinik für Diagnostik, W., vom 1. April 1985 auf internistisch-angiologischem Fachgebiet und eines gefäßchirurgischen Sachverständigengutachtens des Prof. Dr. M., Vorstand der Abteilung für Gefäßchirurgie der Chirurgischen Klinik und Poliklinik der Technischen Universität M., Klinikum rechts der I. vom 3. Dezember 1987 nebst ergänzender Stellungnahme vom 25. März 1988. Schließlich kamen eine ärztliche Bescheinigung des Prof. Dr. R. vom 12. Januar 1982 und eine fachchirurgische gutachtliche Stellungnahme dieses Arztes zu dem Gutachten des Prof. Dr. W. zu den Akten.

Die Beklagte geht davon aus, daß es an der erforderlichen haftungsbegründenden Kausalität fehlt. Darüber hinaus vertritt sie, unabhängig davon, die Auffassung, daß die Teilnahme an dem sogenannten Diekirch-Marsch nicht wesentliche Ursache für das Auftreten der Beckenvenenthrombose gewesen sei. Auch die Familienheimfahrt komme als Ursache für die Gesundheitsstörung nicht in Betracht. Dieser Auffassung schließen sich die Beigeladenen an.

Die Beklagte und die Beigeladenen beantragen,
das Urteil des Sozialgerichts Fulda vom 5. November 1982 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,
die Berufungen zurückzuweisen.

Er hält das sozialgerichtliche Urteil für zutreffend.

Wegen des Vorbringens der Beteiligten im einzelnen und des weiteren Akteninhalts wird auf die Streitakten, die WDB-Akte, die Beschädigtenakte und die Krankenakte der Städtischen Kliniken F., alle auszugsweise Gegenstand der mündlichen Verhandlung, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufungen sind form- und fristgerecht eingelegt (§ 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz – SGG –) und statthaft (§ 143 SGG).

Die Berufungen sind begründet. Das auf die zulässige Klage ergangene sozialgerichtliche Urteil konnte nach weiterer Aufklärung des Sachverhalts nicht aufrecht erhalten werden. Der Bescheid der Beklagten ist im Ergebnis zu Recht ergangen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung eines Ausgleichs nach § 85 SVG und Anerkennung von Gesundheitsstörungen als WDB im Sinne des § 81 SVG, denn eine WDB liegt nicht vor.

Zwar fehlt es nicht bereits an der haftungsbegründenden Kausalität, wie die Beklagte meint. Die Teilnahme des Klägers an dem Diekirch-Marsch stellt keine Wehrdienstverrichtung (§ 81 Abs. 1, erste Variante SVG) dar, jedoch ist sie den dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnissen (dritte Variante) zuzurechnen. Der Kläger hat keinen Wehrdienst verrichtet, sondern der Marsch fand, was unter den Beteiligten unstreitig ist, am Wochenende in der Freizeit statt und war nicht durch einen Dienstvorgesetzten angeordnet worden. Der Marsch ist auch nicht als Teilnahme an einer dienstlichen Veranstaltung zu werten (vgl. § 81 Abs. 3 Nr. 3 SVG), die zu dem Wehrdienst im Sinne des § 81 Abs. 1 SVG zählt. Die Annahme einer dienstlichen Veranstaltung setzt nämlich voraus, daß sie der soldatischen Verbundenheit von Vorgesetzten und Untergebenen oder der Untergebenen untereinander dient und daß sie von einem Vorgesetzten geleitet, gebilligt oder zumindest gefördert wird (vgl. Wilke/Sailer, Soziales Entschädigungsrecht, Kommentar 1987, § 81 SVG Randnr. 10 m.w.N.).

Die Teilnahme an dem Marsch wurde nicht von einem Vorgesetzten geleitet, da gar kein höherrangiger Soldat als der Kläger in seiner Eigenschaft als Vorgesetzter teilnahm. Einer Billigung bedurfte es nicht, denn der Marsch fand in der Freizeit statt. Auch ist eine ausdrückliche oder konkludente Billigung nicht ersichtlich. Eine Förderung kann zwar darin gesehen werden, daß dem Kläger bereits am Freitagnachmittag Dienstbefreiung zur Anreise gewährt wurde. Eine Förderung alleine reicht aber noch nicht aus, um eine Teilnahme an einer dienstlichen Veranstaltung im Sinne des Gesetzes bejahen zu können. Im Einzelfall muß nämlich zwischen der Art der Freizeitbeschäftigung und dem Wehrdienst eine besondere Verknüpfung bestehen, z.B. vorliegen (vgl. BSG, Urteil vom 17. November 1981 – 9 RV 20/81 in Breithaupt 82, 610). Im vorliegenden Falle wurde durch den Marsch nicht die dienstliche Verbundenheit gefördert, weil der Teilnehmerkreis aus der Einheit des Klägers zu klein war. Auch lag die Zielsetzung im wesentlichen nicht darin, die Verbundenheit der Soldaten verschiedener Armeen der NATO-Mitgliedsstaaten zu fördern. Hierzu hätte es einer gezielteren Auswahl der teilnehmenden Soldaten bedurft.

Diese Voraussetzungen, die im wesentlichen zu Veranstaltungen gesellschaftlicher Art aufgestellt wurden, gelten zumindest in ähnlicher Weise auch für nicht dienstlich angeordnete Sportveranstaltungen, zu denen im weiteren Sinne auch die Teilnahme an dem Marsch gehört. Zusätzlich sind nach der Rechtsprechung des BSG, der der Senat folgt, die Grundsätze zu beachten, die in der gesetzlichen Unfallversicherung und im Beamtenversorgungsrecht zur Teilnahme an Sportveranstaltungen des Betriebes oder der Behörde entwickelt wurden (BSG, Urteil vom 28. November 1961 – 2 RU 130/59 und Bundesverwaltungsgericht in E 44, 36, Urteil von 13. August 1973 VI C 26.70, auf die von dem BSG, Urteil vom 17. November 1981 a.a.O. verwiesen wird). In der Regel ist während der Freizeit keine Wehrdienstverrichtung anzunehmen, was selbst dann gilt, wenn sich eine eigenverantwortlich gewählte Freizeitbeschäftigung im Rahmen des dienstlich Erwünschten hält (z.B. körperliche Ertüchtigung, § 17 Abs. 4 Soldatengesetz, BSG, Urteil vom 15. November 1977 – 10 RV 97/76 in SozR 3200 § 81 SVG Nr. 11). Hiermit steht auch die Auskunft des Bundesministers der Verteidigung vom 6. Februar 1984 unter Hinweis auf die SVG VwV 81.3.3 (ZDv 20/30 S. 19 ff.) in Einklang. Die vom BSG in Anlehnung an das Recht der gesetzlichen Unfallversicherung geforderten weiteren Voraussetzungen sind ebenfalls nicht erfüllt. Danach muß es sich um einen Ausgleichssport handeln, der nicht in reinem sportlichen Wettkampf unter Erzielung von Spitzenleistungen bestehen darf. Davon kann in Anbetracht der außergewöhnlichen körperlichen Anstrengungen eines 80 km Marsches in zwei Etappen, in Uniform und mit leichtem Gepäck, der auch im Rahmen der Vorbereitung und Prüfung als Einzelkämpfer nicht gefordert wird, keine Rede sein. Da es bereits an der ersten Voraussetzung fehlt, kann dahinstehen, ob die weiteren Voraussetzungen im Sinne der höchstrichterlichen Rechtsprechung erfüllt sind.

Der Senat rechnet die Teilnahme an dem Diekirch-Marsch aber den dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnissen zu. Hierzu zählen alle besonderen Gegebenheiten, alle mit dem Dienst verknüpften Lebensbedingungen, die sich deutlich von denen des Zivillebens abheben (BSG a.a.O., Urteil vom 17. November 1981 und vom 8. August 1984 – 9 a RV 37/83 in SozR 3200 § 81 SVG Nr. 19). Zum Vergleich sind die normalen Umstände und Verhaltensweisen sowie die durchschnittlichen Gefährdungen im Zivilleben maßgebend, aus denen der Soldat durch die Ableistung des Wehrdienstes herausgerissen worden ist, es sei denn, der Einzelfall legt der Natur der Sache nach den Vergleich mit gruppenspezifischen Merkmalen nahe (BSG a.a.O. und Urteil vom 11. Juni 1974 – 9 RV 122/73 in SozR 3200 § 81 SVG Nr. 7). Als Zivilist hätte der Kläger nicht an dem Militärmarsch teilnehmen können und er hätte aller Wahrscheinlichkeit nach einen 80 km Marsch in Uniform nicht absolviert. Der Senat hält es für bewiesen, daß der Kläger sich auf den Einzelkämpferlehrgang verbreitete und aus diesem Grunde an dem Marsch teilnahm. Unerheblich ist, daß er an diesem Lehrgang selbst, der vom 5. Juli 1977 bis 29. Juli 1977 stattfand, wie der Auskunft des Oberstleutnants B. zu entnehmen ist, aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr teilnehmen konnte. Ab März 1977 fanden Vorbereitungen für diesen Lehrgang statt, was aus der Auskunft gleichfalls folgt. Die Einheit kann nicht mehr feststellen, ob der Kläger daran teilnahm, wie er selbst vorträgt. Sein Vorbringen ist aber während des gesamten Verwaltungsverfahrens und des Rechtsstreits widerspruchsfrei und schlüssig erfolgt. Der Kläger war gesundheitlich bis zu dem Auftreten der Thrombose zur Teilnahme an der Vorbereitung auch in der Lage. Auch von der zugrundeliegenden Motivation ist der Senat überzeugt, da sich der Kläger auf lange Zeit bei der Bundeswehr verpflichtet hatte und in einer kämpfenden Einheit seinen Dienst versah. Hinzu kommt, daß der Diekirch-Marsch einen Monat vor dem Beginn des Einzelkämpferlehrganges stattfand und es sich geradezu anbot, diese Gelegenheit zur Übung wahrzunehmen. Die EAnwAusaTr Nr. 47 (Lehrgang für Einzelkämpferausbildung) Anlg 3/3 empfiehlt, "sich in einem selbständigen Training außerhalb der regulären Dienstzeit zu verbessern”, wie aus dem Schreiben des Oberstleutnants B. vom 4. April 1979 hervorgeht. Der Senat ist davon überzeugt, daß der Kläger dieser Empfehlung gefolgt ist.

Der Soldat steht in einem Wehrdienstverhältnis (§ 1 Abs. 1 Soldatengesetz), einem besonderen Gewaltverhältnis, daß sich u.a. dadurch auszeichnet, daß eine Vielzahl von Dienstvorschriften und Empfehlungen bestehen, die während des Dienstes und in der Freizeit zu beachten sind. Vergleichbare Regelungen finden sich für Zivilisten, etwa für Beamte, die ebenfalls in einem besonderen Gewaltverhältnis stehen, in dieser Ausprägung nicht. Wenn sich ein Soldat an Empfehlungen für das Freizeitverhalten hält, die unmittelbar dienstlichen Belangen zugute kommen sollen, so handelt er zwar nach seinem eigenen Entschluß, aber dieser ist entscheidend durch Verantwortung gegenüber seinen soldatischen Pflichten geprägt. Dies muß bei jedem Soldaten, ganz besonders aber bei einem angehenden Offizier angenommen werden, der für Führungsaufgaben qualifiziert wird. Der gewissenhafte Soldat wird daher eine solche Empfehlung wie eine Verpflichtung auffassen. Die Dienstpflicht erstreckt sich faktisch in die Freizeit hinein. Zwar ist es auch in zivilen Berufen erwünscht, sich in der Freizeit weiterzubilden. Einen soweit gezogenen gesetzlich geregelten Pflichtenkreis gibt es jedoch nicht. Nach § 7 Abs. 1 Soldatengesetz besteht die Grundpflicht des Soldaten darin, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen. Hierüber müssen Berufssoldaten und Soldaten auf Zeit einen Eid ablegen (§ 9 Abs. 1 Soldatengesetz). Die Teilnahme an dem konkreten Marsch war dienstlich durchaus erwünscht, wie Oberstleutnant B. mitteilte. Die Erbringung einer solchen körperlichen Höchstleistung ist mit Gefahren verbunden, die im zivilen Bereich in den weitaus meisten Berufen nicht bestehen. Sie sind insgesamt nur dem Wehrdienst eigentümlich.

Die gesundheitliche Schädigung des Klägers ist aber nicht mit Wahrscheinlichkeit (§ 81 Abs. 5 Satz 1 SVG) auf die dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnisse, insbesondere den Marsch, zurückzuführen. Es fehlt an der Voraussetzung der haftungsausfüllenden Kausalität. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sprechen unter sorgfältiger Abwägung des Für und Wider nach herrschender medizinischer Lehrmeinung nicht mehr Gründe für als gegen den ursächlichen Zusammenhang (vgl. Abschnitt 38, S. 140 der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz, herausgegeben vom Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, 1983). Der Senat folgt nach eigener Überprüfung und Meinungsbildung den Sachverständigengutachten des Prof. Dr. W. und des Prof. Dr. M ... Nach dem Gutachten des Prof. W. kann die Beckenvenenthrombose nicht mit Wahrscheinlichkeit auf den Marsch zurückgeführt werden, da weder ein akut thromboseauslösender Faktor während des Marsches, noch Brückensymptome vorhanden waren, die auf eine Thromboseentwicklung zwischen dem 4. Juni 1977 und dem 10. Juni 1977 hinweisen. Die für eine ausgedehnte Becken-Beinvenenthrombose typische Schwellung bestand erst seit dem 11. Juni 1977. Die zutreffende Diagnose wurde am 13. Juni 1977 gestellt. Die Thrombose kann daher mangels anderer Anhaltspunkte zu diesem Zeitpunkt, wie Prof. Dr. W. darlegt, nicht länger als 43 Stunden bestanden haben. Nach dem vorliegenden Sachverhalt kann nicht ausgeschlossen, aber auch nicht mit der notwendigen Wahrscheinlichkeit bejaht werden, daß die ersten Anfänge der Thrombose während des Marsches in Erscheinung traten. Störungen der Blutgerinnung oder der Hämodynamik sind nicht bewiesen, da stärkere Gewebsverletzungen, Herzkreislauferkrankungen und eine Ruhigstellung nicht vorlagen. Auch eine Störung der Gefäßwände ist nicht ersichtlich, da hierfür geeignete Verletzungen und Kompressionsdefekte nicht bekannt sind. Durch die Marschblasen wird keine vermehrte Gerinnbarkeit des Blutes bedingt. Nach der Anamneseerhebung durch Prof. Dr. W. trug der Kläger sogenannte Knobelbecher, die nicht als zu eng empfunden wurden, so daß der Sachverständige keine sogenannte Stiefelthrombose in Betracht zog. Eine durch ein akutes Ereignis ausgelöste Venenthrombose sollte sich, so der Sachverständige weiter, innerhalb von 24 bis 43 Stunden bemerkbar machen. Die vom Kläger bei dem Truppenarzt am 10. Juni 1977 geklagten Schmerzen im Rücken und am linken Oberschenkel mit Druckschmerz am 5. Lendenwirbel und am linken Oberschenkel (vgl. die Aufzeichnungen auf dem Einlegeblatt zur G-Karte) geben keinen Hinweis auf eine im Entstehen begriffene Becken- oder Beinvenenthrombose, denn diese verursacht keine Rückenschmerzen. Aus diesem Grunde verneint der Sachverständige auch einen Verstoß des Truppenarztes gegen die anerkannten Regeln der ärztlichen Kunst. Als erstes Thrombosezeichen trat am 11. Juni 1977 eins Beinschwellung auf.

Prof. Dr. H. kommt in seinen Gutachten zu keinem anderen Ergebnis, wenngleich er auch eine andere Begründung gibt. Wie er ausführt, spricht der zeitliche Abstand nicht gegen eine Verursachung der Thrombose durch schädigende Einwirkungen des Marsches, denn eine Thrombose wird meist ein bis zwei Wochen nach dem betreffenden Ereignis manifest. Allerdings sieht auch er sich nicht in der Lage, ein konkretes Ereignis als auslösendes Moment für die Thrombose anzusehen. In Übereinstimmung mit Prof. W. führt er die wichtigsten Faktoren bei Venenthrombosen auf und sieht nach dem bekannten Sachverhalt keine dieser Faktoren als erfüllt an. Auch er bestätigt, daß die dokumentierten Marschblasen nicht als Ursache für eine vermehrte Gerinnbarkeit des Blutes angesehen werden können. Eine Venenkompression durch zu enge Stiefel verneint er aus denselben Gründen wie Prof. W ... Zusätzlich diskutiert der Sachverständige eine sogenannte Thrombose par effort, die auch bei völlig Gesunden durch ungewohnte Anstrengungen entstehen kann. Diese Erkrankung ist allerdings sehr selten. Deshalb hält er es nicht für ausgeschlossen, aber nicht für wahrscheinlich, daß durch Intimaeinrisse während des Marsches eine Noxe gesetzt wurde.

Der Senat schließt sich diesen Gutachten an, denn sie sind in sich schlüssig und nachvollziehbar. Offen bleiben kann, welche Ausführungen der beiden Sachverständigen zu dem zeitlichen Abstand zwischen auslösendem Faktor und ersten Anzeichen der Thrombose tatsächlich zutreffen. Hierauf kommt es nicht an, da beide bereits die Wahrscheinlichkeit verneinen, daß durch den Marsch überhaupt eine Kausalkette ausgelöst wurde. Dahingestellt bleiben kann darüber hinaus, ob der Kläger Knobelbecher oder Fallschirmspringerstiefel (Schnürstiefel) trug. Für ersteres spricht, daß ihm der Truppenarzt nach den Aufzeichnungen auf dem Einlegeblatt zur G-Karte Fallschirmspringerstiefel verschrieb, da der Kläger über Schwierigkeiten mit den Knobelbechern klagte. Zudem hat er anläßlich der anamnestischen Erhebungen durch Prof. W. angegeben, in Knobelbechern marschiert zu sein. Wie Dr. H. in der gefäßchirurgischen versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 25. Februar 1988 plausibel erläutert, hätte es selbst bei einer unterstellten Gefäßinnenwandschädigung am Venensystem nicht zu einer Beckenvenenthrombose kommen können, denn die Thrombose wäre dann allenfalls im Bereich der Wadenmitte entstanden. Die Entwicklung des Gerinnsels endet in einem solchen Falle in Höhe der sogenannten Boyd’schen Perforansvene. Anders als bei einem arteriellen Verschluß, der nach oben wächst, wachsen Gerinnsel im Gefäßsystem von der Verschlußstelle aus nur nach unten. Zwar bezieht Dr. H. diese Ausführungen auf Knobelbecher. Sie gelten aber auch für den Fall, daß der Kläger Fallschirmspringerstiefel getragen haben sollte, da auch diese deutlich unterhalb des Knies enden. Soweit Prof. M. eine Intimaläsion anspricht, hätte eine durch Stiefel verursachte Thrombose im Bereich der Unterschenkelvenen auftreten müssen und nicht im Bereich des Beckens.

Die medizinischen Sachverständigengutachten beruhen auf einer ausführlichen Untersuchung des Klägers. Die Sachverständigen haben die vorliegenden Akten gründlich ausgewertet und auch das Vorbringen des Klägers berücksichtigt. Sie haben schließlich die Ursachen für eine Thrombosebildung klar herausgearbeitet und die anerkannten medizinischen Grundsätze auf den Einzelfall übertragen. In den Anhaltspunkten finden sich keine den Gutachten widersprechende Ausführungen zu der vorliegenden Kausalitätsproblematik. Dem Gutachten des Prof. Dr. R. aus dem erstinstanzlichen Verfahren ist nicht zu folgen, da der Sachverständige keine hinreichende Begründung abgegeben hat. Er hat in diesem Gutachten nicht einmal die Ursachen für eine Thrombose herausgestellt. Auch seiner gutachtlichen Stellungnahme im Berufungsverfahren vom 8. August 1986 vermag der Senat nicht zu folgen. In dieser Stellungnahme geht Prof. R. nämlich davon aus, daß es zu einer lokalen Schädigung des Beines und seiner Venen durch andauernde Kompression gekommen ist. Eine solche Kompression kann aber, wie die anderen Sachverständigen herausgearbeitet haben, nicht als bewiesen angesehen werden. Insbesondere hat der Kläger bei der truppenärztlichen Untersuchung und auch im Verwaltungsverfahren nicht darüber berichtet, daß das Bein durch vermehrte anstrengungsbedingte Blutfülle anschwoll. Weiterhin legt Prof. R. selbst ausführlich dar, daß eine sogenannte Überlastungsthrombose (Thrombose d’effort) sehr schwierig zu erkennen sei. Zu dieser Frage hat auch Prof. M. Stellung bezogen und ausgeführt, diese Form der Thrombose trete nur in sehr seltenen Fällen auf. Unter Abwägung dieser Gesichtspunkte ist Prof. M. nicht zur Wahrscheinlichkeit, sondern nur zur Möglichkeit der Verursachung der Erkrankung durch die Teilnahme an dem Marsch gekommen. Mit dieser Abgrenzung hat sich Prof. R. nicht im erforderlichen Umfange auseinandergesetzt. Im übrigen gelten auch insoweit die Ausführungen des Dr. H. Die versorgungsärztliche Stellungnahme ist gemäß §§ 118 SGG, 128 SGG, 415 ff. Zivilprozeßordnung (ZPO) vom Senat zu berücksichtigen (vgl. BSG, Urteil vom 15. März 1979 – RU 100/78 und Beschluss vom 24. Mai 1979 – BU 89/89 sowie HLSG, Urteil vom 8. Februar 1982 – L-3/U-1122/80).

Auf die Teilnahme an früheren Leistungsmärschen und sportlichen Veranstaltungen zur Vorbereitung auf den Einzelkämpferlehrgang kann die gesundheitliche Störung ebenfalls nicht mit Wahrscheinlichkeit zurückgeführt werden, denn es steht nicht fest, ob und in welchem Umfange der Kläger insoweit beteiligt war. Im übrigen lagen diese Veranstaltungen schon länger zurück und es finden sich keine Aufzeichnungen darüber, daß der Kläger zu früherer Zeit über thromboseverdächtige gesundheitliche Beschwerden geklagt hätte.

Auf die Heimfahrt am 11. Juni 1977, die als Wehrdienst gilt (§ 81 Abs. 4 Ziffer 2 SVG), ist die Gesundheitsstörung ebenfalls nicht mit Wahrscheinlichkeit zurückzuführen. Prof. Dr. W. äußert zwar eine entsprechende Vermutung, die Wahrscheinlichkeit des Ursachenzusammenhanges kann er aber aus medizinischer Sicht nicht bestätigen. Insbesondere hat er nicht herausgestellt, welcher Faktor der von ihm selbst genannten pathophysiologischen Faktoren für eine Thromboseentstehung konkret anzunehmen ist, wie Medizinaldirektorin Sailer in ihrer Stellungnahme vom 13. Juni 1985 zutreffend darlegt. Es ist weder zu einer Traumatisierung noch zu einer längeren Immobilisierung der unteren Extremitäten gekommen, die mit einer längeren Ruhigstellung im Sinne z.B. einer postoperativen Bettruhe vergleichbar wäre. Das Vorbringen des Klägers und der gesamte Akteninhalt lassen dafür keine Anhaltspunkte erkennen. Wie die Ärztin ferner ausführt, wäre in diesem Zusammenhang eher der Nachtschlaf wegen der intensiveren Ruhigstellung als Faktor zu diskutieren.

Die Kostenentscheidung ergeht gemäß § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind.
Rechtskraft
Aus
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