L 4 VG 4/08

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
4
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 24 VG 1764/03
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 VG 4/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 3. März 2008 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Berufsschadensausgleich nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) i.V.m. dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) wegen der Gewalttat vom November 1982.

Der 1930 geborene Kläger hat die Volksschule abgeschlossen und am Ende des zweiten Weltkriegs die Notprüfung zum Pelzzurichter abgelegt. Anschließend hat er wechselnde Beschäftigungen als Pelzzurichter, Bauhelfer, Fabrikarbeiter, Packer, Fahrer und Lagerarbeiter ausgeübt. Von 1976 bis 1980 betrieb er ein selbstständiges Gewerbe (Abhol- und Transportdienst, Einzel- und Gebrauchtwarenhandel), sammelte Bauschutt, Hausrat und Gerümpel und besaß die Erlaubnis zum Handel mit Lebensmitteln und Waren aller Art. Ab März 1975 sind im Rentenversicherungskonto des Klägers überwiegend Krankheitszeiten und ab Mitte 1977 Zeiten der Arbeitslosigkeit vermerkt. Aus der 1962 geschlossenen zweiten Ehe des Klägers gingen neun Kinder hervor, darunter ein behinderter Sohn, um den sich der Kläger heute noch kümmert. Am 4. November 1982 wurde ein anderer Sohn des Klägers nach sexuellem Missbrauch ermordet. Der Täter wurde wegen Mordes sowie wegen sexueller Nötigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 12 Jahren verurteilt (Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 28. November 1983 - Az.: 75 Js 25019/82). Hierauf verschlechterte sich die psychische Erkrankung der Ehefrau, die ebenfalls Leistungen vom Beklagten wegen der zuvor genannten Tat nach dem OEG erhielt und schließlich am 8. Dezember 2006 verstarb. Der Kläger war nach Ermordung seines Sohnes weiterhin arbeitslos und bezog Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung. Seit 1. Oktober 1991 bezieht er eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Der Rentenbewilligung lag als Hauptleiden einer Emphysembronchitis sowie als wichtigste Nebenleiden Wirbelsäulen-Veränderungen und Polyarthrose zu Grunde. Ein psychischer Krankheitsbefund war beim Kläger seinerzeit nicht bekannt.

Sein Antrag auf Versorgungsleistungen nach dem OEG vom 28. Februar 1992 wurde zunächst abgelehnt. Erst mit rechtskräftigem Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 9. September 1999 (Az.: L 5 VG 691/95) wurden Versorgungsleistungen wegen eines "chronifizierten posttraumatischen Belastungssyndroms" nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 50 v.H. ab Februar 1992 bewilligt.

Mit bestandskräftigem Bescheid vom 31. Januar 2000 lehnte der Beklagte den vom Kläger gesondert geltend gemachten Berufsschadensausgleich ebenso ab wie die Gewährung von Versorgungsleistungen nach einer höheren MdE. Aufgrund des zuvor genannten rechtskräftigen Urteils des Hessischen Landessozialgerichts zahlte der Beklagte an den Kläger ab Februar 1992 rückwirkend Grund- und Ausgleichsrente sowie Ehegattenzuschlag.

Mit dem am 21. Februar 2003 beim Beklagten eingegangenen Schreiben beantragte der Kläger erneut u. a. Berufsschadensausgleich. Mit Bescheid vom 26. Februar 2003 lehnte der Beklagte diesen Antrag ab und wies den dagegen eingelegten Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 2. Mai 2003 zurück.

Die hiergegen am 15. Mai 2003 erhobene Klage hat das Sozialgericht Frankfurt am Main mit Urteil vom 3. März 2008 als unbegründet abgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat es im Wesentlichen ausgeführt, beim Kläger fehle es an dem notwendigen durch die schädigungsbedingte Minderung der Arbeitskraft hervorgerufenen Einkommensverlust. Zwar sei beim Kläger ein "chronifiziertes posttraumatisches Belastungssyndrom" als Schädigungsfolge mit einer MdE um 50 v.H. anerkannt. Dass er nach der Gewalttat keine weitere Erwerbstätigkeit ausgeübt habe, beruhe aber nach seiner eigenen Einlassung darauf, dass er sich dann um seine schwer erkrankte Ehefrau und sechs noch schulpflichtige Kinder, darunter einen behinderten Sohn, habe kümmern müssen. Dies sei aber nicht auf die beim Kläger selbst eingetretenen Schädigungsfolgen zurückzuführen sondern beruhe auf der schweren psychischen Erkrankung der Ehefrau, die damit für die Familienarbeit ausgefallen sei. Dieser Umstand habe sich zwar auch auf das Renteneinkommen des Klägers mindernd ausgewirkt, was aber ebenfalls nicht auf die bei ihm selbst eingetretenen Schädigungsfolgen zurückzuführen sei. Auch seine vorzeitige Berentung stehe in keinerlei Zusammenhang mit dem schädigenden Ereignis, weil die hierfür wesentlichen Gesundheitsstörungen nicht in Zusammenhang mit der Ermordung des Sohnes gebracht werden könnten. Ein psychisches Leiden habe bei der Rentenbewilligung keine Rolle gespielt.

Gegen das ihm am 14. April 2008 zugestellte Urteil hat der Kläger bereits am 25. März 2008 Berufung zum Hessischen Landessozialgericht eingelegt mit der er weiterhin geltend macht, auch die schwere Erkrankung seiner zwischenzeitlich verstorbenen Ehefrau sei auf die Gewalttat zurückzuführen. Aus diesem Grund habe er sich um Haushalt und Versorgung der gesamten Familie kümmern müssen und seit der Gewalttat keine Erwerbstätigkeit mehr ausüben können. Durch die Gewalttat sei ihm daher ein erheblicher Einkommensverlust entstandenen, der nunmehr auszugleichen sei. Zwischen 1975 und 1982 habe er nach seiner Erinnerung noch zweimal einer Erwerbstätigkeit ausgeübt. Er habe für etwa vier Monate Zeitschriften eines Verlags zum Verkauf an Kioske ausgeliefert. An Inhalt und Umfang der zweiten Tätigkeit könne er sich nicht mehr erinnern.

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 3. März 2008 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 26. Februar 2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. Mai 2003 zu verurteilen, ihm unter Rücknahme des Bescheids vom 31. Januar 2000 Berufsschadensausgleich zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter anstelle des Senats aufgrund mündlicher Verhandlung einverstanden erklärt. Wegen weiterer Einzelheiten und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Eine Entscheidung konnte durch Urteil aufgrund mündlicher Verhandlung durch den Berichterstatter anstelle des Senats ergehen, weil sich die Beteiligten mit dieser Verfahrensweise einverstanden erklärt haben (§ 155 Abs. 3 und 4 Sozialgerichtsgesetz - SGG). Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung waren im vorliegenden Rechtsstreit nicht klärungsbedürftig.

Die zulässige Berufung ist sachlich unbegründet. Dem Kläger steht kein Berufsschadensausgleich wegen der Folgen der Gewalttat vom November 1982 nach § 1 Abs. 1 OEG i.V.m. § 30 Abs. 3,4 BVG zu. Der bestandskräftige Ablehnungsbescheid des Beklagten vom 31. Januar 2000 ist daher nicht zurückzunehmen (§ 44 Abs. 1 Sozialgesetzbuch, Zehntes Buch - SGB X). Das Sozialgericht hat in den Entscheidungsgründen des angegriffenen Urteils bereits zutreffend ausgeführt, dass weder der Eintritt der Erwerbsunfähigkeit beim Kläger noch seine Entscheidung, sich nach der Gewalttat nur noch um seine Familie und seine schwer erkrankte Ehefrau zu kümmern, auf die bei ihm selbst eingetretene Schädigungsfolge, nämlich das "chronifizierte posttraumatische Belastungssyndrom", zurückgeführt werden können. Zwar mag die Erkrankung der Ehefrau durch die Gewalttat mit verursacht oder verschlimmert worden sein, ein derartiger mittelbarer Zusammenhang reicht aber für die Bewilligung von Berufsschadensausgleich schon nach dem eindeutigen Wortlaut von § 30 Abs. 3 BVG nicht aus, denn danach ist Berufsschadensausgleich nur dem unmittelbar durch bei ihm selbst eingetretene Schädigungsfolgen Betroffenen zu gewähren. Berufsschadensausgleich hätte daher für die Erkrankung der Ehefrau allenfalls - bei Erfüllung der weiteren Voraussetzungen - der Ehefrau selbst zugestanden. Insoweit wird ergänzend auf die Entscheidungsgründe des angegriffenen Urteils des Sozialgerichts Bezug genommen (§ 153 Abs. 2 SGG). Darüber hinaus ist darauf hinzuweisen, dass beim Kläger auch schon aufgrund seines beruflichen Werdeganges bis zum schädigenden Ereignis ein konkreter Einkommensverlust, der durch den Berufsschadensausgleich auszugleichen wäre, nicht festgestellt werden kann. Der nach § 30 Abs. 4 S. 1 BVG zu ermittelnde Einkommensverlust ist nicht nur für die Höhe des Berufsschadensausgleichs, sondern schon für die Voraussetzungen im Sinne des § 30 Abs. 3 BVG maßgebend (so: Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 5. März 1980, Az.: 9 RV 81/78, Juris Rdnr. 12). Der Kläger war aber schon seit 1975 im Wesentlichen arbeitsunfähig erkrankt bzw. arbeitslos und bezog Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung. An dieser beruflichen Lebenssituation hat sich durch die Gewalttat zunächst nichts wesentliches geändert, denn auch danach war der Kläger noch weiterhin arbeitslos und bestritt seinen Lebensunterhalt im Wesentlichen aus Leistungen der Arbeitslosenversicherung bis zum Beginn seiner Rente wegen Erwerbsunfähigkeit am 1. Oktober 1991. Erwerbstätigkeiten hat der Kläger nach seiner eigenen Einlassung allenfalls noch kurzzeitig ausgeübt, wobei diese auf seine Einkommenssituation keinen wesentlichen Einfluss gehabt haben können, denn seit Dezember 1979 bezog der Kläger ausschließlich Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung oder war krank. Wie das Sozialgericht bereits richtig ausgeführt hat, beruhte die Bewilligung der Erwerbsunfähigkeitsrente ebenfalls nicht auf den beim Kläger anerkannten gesundheitlichen Schädigungsfolgen. Außerdem kann im jetzigen Überprüfungsverfahren nach § 44 SGB X die Bewilligung von Berufsschadensausgleich ohnehin nur für die letzten vier Jahre vor Beginn des Jahres, in dem der Antrag nach § 44 SGB X gestellt wurde (nämlich am 21. März 2003), und damit frühestens ab 1. Januar 1999 erfolgen (§ 44 Abs. 4 SGB X). Zu diesem Zeitpunkt war der Kläger aber bereits mindestens 68 Jahre alt und somit schon aufgrund seines Alters aus dem Erwerbsleben ausgeschieden. In der Regel lässt sich schon bei einem Beschädigten, der seinen Beruf etwa bis zum 60. Lebensjahr ausgeübt hat, nicht mehr nachweisen, dass das Ausscheiden aus dem Beruf auf Schädigungsfolgen beruht (so: BSG, Urteil vom 12. Dezember 1995 - Az.: 9 RV 9/95, Juris Rdnr. 12). Der Kläger aber hat sein 60. Lebensjahr bereits im Jahre 1990 vollendet, weshalb schon unter Zugrundelegung der zuvor dargestellten Grundsätze sein Ausscheiden aus dem Berufsleben ab diesem Zeitpunkt im allgemeinen nicht mehr auf Schädigungsfolgen zurückgeführt werden kann. Dass dies im vorliegenden Fall auch nicht aufgrund ausnahmsweiser Umstände des Einzelfalles möglich ist, ist bereits eingangs ausgeführt worden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war mangels grundsätzlicher Bedeutung des Rechtsstreits nicht zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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