L 12 An 1456/87

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
12
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
S 13 An 741/86
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 12 An 1456/87
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Werden Freizigarren nicht anstelle des Gehalts oder Lohnes, also nicht – auch nur anteilig – „als Arbeitsentgelt, sondern als Annehmlichkeit” gewährt, um einer „unkontrollierten Entnahme von Tabakerzeugnissen entgegen zu wirken”, so handelt es sich nicht um Sachbezüge, die bei der Rentenbemessungsgrundlage zu berücksichtigen wären. Auf die Frage, ob Freizigarren in „wesentlichem Umfang” gewährt wurden, kommt es dann nicht mehr an.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 24. November 1987 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig die rentensteigernde Anrechnung von Sachbezugszeiten.

Mit Bescheiden vom 14. April 1980, 17. Juli 1980 und 24. August 1984 erteilte die Beklagte dem 1925 geborenen Kläger Rentenauskünfte.

Mit Schreiben vom 27. August 1985 beantragte der Kläger unter Vorlage eines Zeugnisses der Firma G. GmbH, G. vom 31. Oktober 1963 sowie weiteren Bestätigungen dieser Firma vom 27. August 1985 und 18. Oktober 1985 die Berücksichtigung von Sachbezügen während seiner Tätigkeit bei dieser Firma. Mit Bescheid vom 5. Dezember 1985 teilte die Beklagte dem Kläger unter anderem mit, daß für die Zeiten vom 20. April 1942 bis 8. Januar 1943, 1. August 1945 bis 31. Mai 1946 und vom 1. Juni 1946 bis 31. Dezember 1956 nicht ausreichend glaubhaft gemacht worden sei, daß neben Barbezügen auch Sachbezüge in wesentlichem Umfang bezogen worden seien.

Der Widerspruch des Klägers vom 23. Dezember 1985, mit dem er eine Zeugenerklärung des W. V. G., vom 18. Dezember 1985 sowie den Manteltarifvertrag für die Angestellten der Tabakindustrie für Hessen und Untermain vom 8. November 1954 vorlegte, wurde mit Widerspruchsbescheid vom 8. April 1986 zurückgewiesen. Es sei zwar nachgewiesen bzw. glaubhaft gemacht, daß der Kläger in den streitigen Zeiten Sachbezüge (Deputate) erhalten habe. Es habe sich hierbei jedoch nicht um wesentliche Sachbezüge im Sinne des Art. 2 § 54 Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetz (AnVNG) gehandelt.

Hiergegen hat der Kläger am 5. Mai 1986 bei dem Sozialgericht Gießen Klage erhoben und insbesondere geltend gemacht, daß die ihm gewährten Deputate von wesentlichem Umfang gewesen seien, da sie zwischen 32 und 48,8 % des Monatsgehaltes ausgemacht hätten.

Mit Bescheid vom 3. Februar 1987 gewährte die Beklagte dem Kläger Altersruhegeld.

Durch Urteil vom 24. November 1987 hat das Sozialgericht Gießen die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt: Es sei zwar nachgewiesen bzw. glaubhaft gemacht, daß der Kläger während der im Streit stehenden Zeiten Sachbezüge (Deputate) erhalten habe. Diese Sachbezüge stellten jedoch kein Entgelt im Sinne der Sozialversicherung dar. Die Zeit der Lehre könne nach Art. 2 § 54 Abs. 2 Satz 2 AnVNG ohnehin nicht berücksichtigt werden.

Gegen dieses an den Kläger am 2. Dezember 1987 zur Post aufgelieferte Urteil hat er am 28. Dezember 1987 bei dem Hessischen Landessozialgericht Berufung eingelegt.

Der Senat hat Auskünfte eingeholt von der Firma G. vom 15. März 1988, dem Verband der Deutschen Rauchtabakindustrie vom 8. Juni 1988, dem Bundesverband der Zigarrenindustrie e.V. vom 7. Juni 1988, der Gewerkschaft Nahrung-Genuß-Gaststätten, Landesbezirk Hessen/Rheinlandpfalz/Saar vom 21. Juni 1988 und deren Hauptverwaltung vom 5. Juli 1988. Auf den Inhalt wird verwiesen.

Der Kläger, der insbesondere der Auffassung ist, daß es lediglich um die Frage gehe, ob Deputate im wesentlichen Umfang gewährt worden sind, beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 24. November 1987 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung der Bescheide vom 5. Dezember 1985 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. April 1986 und vom 3. Februar 1987 zu verurteilen, die Zeiten vom 20. April 1942 bis 8. Januar 1943, 1. August 1945 bis 30. Mai 1946 und vom 1. Juni 1946 bis 31. Dezember 1956 als Sachbezugszeiten rentensteigernd anzurechnen.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den übrigen Akteninhalt Bezug genommen sowie auf den der Rentenakten der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, denn sie ist insbesondere form- und fristgerecht eingelegt sowie an sich statthaft (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz –SGG–).

Sie ist jedoch sachlich unbegründet. Das Sozialgericht hat zu Recht die zulässigen Klagen gegen die angefochtenen Bescheide abgewiesen. Die streitigen Zeiten können nicht als Sachbezugszeiten rentensteigernd angerechnet werden.

Der hier anzuwendende Art. 2 § 54 Abs. 2 AnVNG lautet: Wird glaubhaft gemacht, daß der Versicherte während mindestens fünf Jahren für eine Versicherungspflichtige Beschäftigung neben Barbezügen in wesentlichem Umfang Sachbezüge erhalten hat, so sind bei Renten aus Versicherungsfällen nach dem 31. Dezember 1956 für Zeiten vor dem 1. Januar 1957 zur Ermittlung der für den Versicherten maßgebenden Rentenbemessungsgrundlage für jeden Monat einer solchen Beschäftigung nach Maßgabe der Anlage 1

a) für Zeiten bis zum 28. Juni 1942 für jede Woche die Lohn- oder Beitragsklassen der Tabellen der Anlage 2 und

b) für Zeiten vom 29. Juni 1942 an die Bruttojahresarbeitsentgelte der Tabellen der Anlage 2

zugrunde zu legen, wenn es für den Versicherten günstiger ist. Für Zeiten der Ausbildung als Lehrling oder Anlernling finden die Tabellen keine Anwendung.

Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind nicht zugunsten des Klägers erfüllt.

Dies gilt zunächst für die Zeiten vom 20. April 1942 bis 8. Januar 1943 und 1. August 1945 bis 30. Mai 1946. In diesen Zeiträumen hat der Kläger nach dem vorläufigen Zeugnis der Firma G.-P. G. AG, G., vom 22. November 1947 seine kaufmännische Lehre absolviert. Nach der eindeutigen Vorschrift von Art. 2 § 54 Abs. 2 Satz 2 AnVNG sind jedoch Zeiten der Ausbildung als Lehrling nicht zu berücksichtigen, worauf bereits die Beklagte und das angefochtene Urteil zutreffend hingewiesen haben.

Eine Anrechnung kann jedoch auch für den Zeitraum vom 1. Juni 1946 bis 31. Dezember 1956 nicht erfolgen. Eine rentensteigernde Anrechnung von Sachbezugszeiten setzt voraus, daß die Sachbezüge dem Versicherten vom Arbeitgeber als Bezahlung für geleistete Arbeit neben den Barbezügen gewährt worden sind. Dies ist dann der Fall, wenn die Sachbezüge bei der Beitragsbemessung berücksichtigt wurden, also zum Arbeitsentgelt gehörten und neben dem Barlohn Entgelt für die Beschäftigung waren, für die die Beiträge entrichtet worden sind. Dies ergibt sich aus den Worten "für eine Versicherungspflichtige Beschäftigung” (Urteil des BSG vom 5. November 1974 – 4 RJ 233/73 in SozR 5750 Art. 2 § 55 ArVNG Nr. 1; vgl. auch Mitteilungen der LVA Oberfranken und Mittelfranken Nr. 9/1977, Seite 433 f; Beier in: Die Sozialversicherung April 1953, Seite 93 f; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1987 Bd. I/2 Seite 312 h II ff. sowie bereits das Reichsversicherungsamt am 28. April 1937 in AN 1937, 225). Entscheidend ist also die Frage, ob die dem Kläger von seinem Arbeitgeber gewährten Freizigarren statt des Gehaltes als Entgelt für die Ausübung einer Beschäftigung gewährt worden sind. Diese Frage ist nach der eindeutigen Antwort des Bundesverbandes der Zigarrenindustrie e.V. vom 7. Juni 1988, an deren Richtigkeit und Vollständigkeit der Senat keinerlei Zweifel hat, zu verneinen. Dieser Auffassung hat sich die Gewerkschaft Nahrung-Genuß-Gaststätten in ihrer Auskunft vom 5. Juli 1988 angeschlossen. Nach der demnach übereinstimmenden Auskunft der Tarifvertragsparteien stellen die tariflich zugesicherten Deputate keine Vergütung für geleistete Arbeit dar. Weiter wird ausgeführt, daß zwischen den Tarifvertragsparteien immer Übereinstimmung darüber bestanden habe, daß die gewährten Freizigarren keine Bezahlung für geleistete Arbeit darstellen, sondern sie unter dem Gesichtspunkt der "Annehmlichkeit” beurteilt wurden, um einer "unkontrollierten Entnahme von Erzeugnissen” entgegen zu wirken. Ergänzt wird dies durch die klare Aussage, daß die Freizigarren bzw. Deputatzigarren nicht der Lohnsteuerpflicht und auch nicht der Sozialversicherungspflicht unterlegen haben. Sie waren keine Gegenleistung für eine Arbeitsleistung. Die Freizigarren hatten und haben damit keinen "geldwerten Vorteil”. Diese Auskunft läßt keinerlei Zweifel oder Fragen offen. Sie bezieht sich eindeutig auf den gesamten hier streitigen Zeitraum. Die gegenteilige Behauptung des Klägers vermag daher nicht zu überzeugen. Soweit er in diesem Zusammenhang noch auf eine Auskunft der Zeitschrift "Capital” vom 21. Juli 1986 hinweist, ist anzumerken, daß deren Inhalt im wesentlichen lediglich den Gesetzeswortlaut wiederholt. Auch aus dem von dem Kläger zitierten Schreiben der Beklagten an ihn läßt sich ein Anspruch nicht ableiten. Es kommt daher auf die weitere Frage, ob Sachbezüge auch in "wesentlichem Umfang” gewährt worden sind, nicht an.

Da es sich danach bei den dem Kläger gewährten Deputaten um Vergünstigungen handelt, die kein Arbeitsentgelt darstellen, haben sie keinen Einfluß auf die Rentenberechnung. Denn Art. 2 § 54 Abs. 2 AnVNG will allgemein den Nachteil ausgleichen, den versicherte Beschäftigte erleiden müssen, die neben Barentlohnung auch Sachbezüge als Entgelt erhielten. Diese sollen durch die Höherbewertung ihrer Beiträge entschädigt werden (BSG a.a.O.).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen von § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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