Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
12
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
S 1 An 90/84
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 12 An 1054/87
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 30. Juli 1987 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
Im übrigen sind keine Kosten zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger, der Versorgungsbezüge nach beamtenrechtlichen Vorschriften erhält, von den berufsfördernden Maßnahmen zur Rehabilitation ausgeschlossen ist.
Der 1932 geborene Kläger war von 1947 bis 1963 als Feinmechaniker und Betriebstechniker tätig. Ab Januar 1964 absolvierte er eine Ausbildung zum Polizeibeamten. Diese Tätigkeit übte er bis zu seinem Ausscheiden aus gesundheitlichen Gründen am 31. Januar 1974 aus. Aus dieser Tätigkeit erhält er Versorgung in Höhe des Mindestsatzes nach Besoldungsgruppe A 8 Bundesbesoldungsgesetz (BBesG). Danach absolvierte er eine weitere Ausbildung zum staatlich anerkannten Erzieher und war als Erzieher in einem heilpädagogischen Heim tätig.
Ein Antrag des Klägers auf Gewährung von Leistungen zur beruflichen Rehabilitation vom 26. September 1979 wurde von der Beklagten mit Bescheid vom 29. November 1979 abgelehnt, da er nach § 13 Abs. 1 a Angestellten-Versicherungsgesetz (AVG) in der ab 1. Juli 1977 geltenden Fassung nicht als Versicherter im Sinne dieser Vorschrift gelte, da er Versorgungsbezüge aus einem öffentlich rechtlichen Dienstverhältnis beziehe. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 25. Juni 1980 zurückgewiesen.
Ein erneuter Antrag des Klägers vom 9. Februar 1984 auf berufsfördernde Maßnahmen bei der Bundesanstalt für Arbeit (AA Wetzlar) wurde an die Beklagte weitergeleitet, da der Kläger mehr als 180 Versicherungsmonate Beitragszeiten nachwies. Durch Bescheid vom 28. März 1984 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Der Widerspruch vom 27. April 1984 wurde mit Widerspruchsbescheid vom 23. Juli 1984 zurückgewiesen. Ein bei dem Beigeladenen zu 1) mit Schreiben vom 4. Juni 1984 ebenfalls gestellter Antrag auf berufsfördernde Maßnahmen kam nicht zum Zuge, da weder das Hess. Beamtengesetz noch das Gesetz über die Versorgung der Beamten und Richter in Bund und Ländern Regelungen enthalten, die solche Leistungen begründen. Eine erneute Berufung in das Beamtenverhältnis scheiterte an der fehlenden gesundheitlichen bzw. persönlichen Eignung.
Gegen den ablehnenden Bescheid der Beklagten hat der Kläger am 3. August 1984 bei dem Sozialgericht Gießen Klage erhoben und insbesondere geltend gemacht, daß bei einer verfassungsgemäßen Interpretation von § 13 Abs. 1 a Satz 3 AVG Maßnahmen zur beruflichen Rehabilitation nicht ausgeschlossen seien. Durch Urteil vom 30. Juli 1987 hat das Sozialgericht Gießen die Beklagte verurteilt, dem Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts einen neuen Bescheid zu erteilen. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt: Die Beklagte habe von dem ihr eingeräumten Ermessen in einer zum Zwecke der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht. Eine verfassungsgemäße Interpretation von § 13 Abs. 1 a Satz 3 AVG und eine entsprechende restriktive Auslegung dieser Vorschrift führe dazu, daß sich der in dieser Vorschrift normierte Ausschluß nur auf medizinische Rehabilitationsmaßnahmen und nicht auch auf berufliche Rehabilitationsmaßnahmen beziehen könne. Diese Auslegung ergebe sich aus dem Sinn und Zweck der Vorschrift. Aus dem Gesetzgebungsverfahren sei klar ersichtlich, daß sich der Ausschluß von Rehabilitationsmaßnahmen auf solche Personen und solche Maßnahmen beziehen sollte, die beihilfeberechtigt bzw. beihilfefähig seien.
Gegen dieses an die Beklagte gegen Empfangsbekenntnis am 24. August 1987 zugestellte Urteil hat sie am 14. September 1987 bei dem Hessischen Landessozialgericht Berufung eingelegt.
Die im letzten Termin zur mündlichen Verhandlung nicht vertretene Beklagte bezieht sich auf den Wortlaut von § 13 Abs. 1 a AVG und beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 30. Juli 1987 aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfsweise, die Revision zuzulassen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen,
hilfsweise,
die Revision zuzulassen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beigeladenen zu 1) und 2) haben keine Anträge gestellt.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den übrigen Akteninhalt Bezug genommen sowie auf den der Akten der Beklagten und der Beigeladenen zu 2), die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte trotz Ausbleibens der Beklagten und der Beigeladenen zu 1) und 2) aufgrund mündlicher Verhandlung entscheiden, da in der ordnungsgemäß erfolgten Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist (§ 110 Sozialgerichtsgesetz SGG –).
Nachdem das Sozialgericht die Berufung im Tenor ausdrücklich zugelassen hat, ist die ansonsten form- und fristgerecht eingelegte Berufung insgesamt zulässig (§§ 143, 151, 150 Nr. 1 SGG).
Sie ist jedoch sachlich unbegründet.
Zu Recht hat das Sozialgericht die Beklagte verurteilt, dem Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts einen neuen Bescheid zu erteilen (§§ 54 Abs. 2 S. 2, 131 SGG).
Nach § 13 Abs. 1 Angestellten-Versicherungsgesetz (AVG) kann die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte Leistungen zur Rehabilitation erbringen, wenn die Erwerbsfähigkeit eines Versicherten wegen Krankheit oder körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung erheblich gefährdet oder gemindert ist und die Erwerbsfähigkeit durch diese Leistungen wesentlich gebessert oder wiederhergestellt werden kann, oder wenn bei einer bereits geminderten Erwerbsfähigkeit durch diese Leistungen der Eintritt von Berufsunfähigkeit oder Erwerbsunfähigkeit abgewendet werden kann. Nach Abs. 1 a, Satz 1 dieser Vorschrift ist Versicherter im Sinne des Abs. 1 bei berufsfördernden Maßnahmen zur Rehabilitation, wer die Voraussetzungen der Nr. 2 Buchstabe a (im Zeitpunkt der Antragstellung eine Versicherungszeit von 180 Kalendermonaten) erfüllt oder Rente wegen Berufsunfähigkeit oder Erwerbsunfähigkeit bezieht. Auf Grund des Versicherungsverlaufes sieht es der Senat als erwiesen an, daß der Kläger zum Zeitpunkt der Antragstellung am 9. Februar 1984 die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die berufliche Rehabilitation, nämlich die Zurücklegung von 180 Kalendermonaten, erfüllt hatte. Hierüber besteht zwischen den Beteiligten auch kein Streit.
Allerdings gilt nach § 13 Abs. 1 a Satz 3 dieser Vorschrift nicht als Versicherter, wer in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis oder einem Arbeitsverhältnis mit Anspruch auf Versorgung nach beamtenrechtlichen Vorschriften oder Grundsätzen steht oder Versorgungsbezüge aus einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis oder aus einem Arbeitsverhältnis mit Anspruch auf Versorgung nach beamtenrechtlichen Vorschriften oder Grundsätzen erhält. Zu diesem Personenkreis gehört der Kläger.
Grundsätzlich ist hierbei zu berücksichtigen, worauf das Urteil des Sozialgerichts Gießen zutreffend hinweist, daß es sich bei der Frage der Gewährung berufsfördernder Leistungen nach § 13 AVG um eine Ermessensleistung (§ 39 Sozialgesetzbuch Erstes Buch – SGB 1 –) handelt. Danach hat die Beklagte ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten. Auf eine pflichtgemäße Ausübung des Ermessens besteht ein Anspruch. Bei Ermessensentscheidungen ist das Gericht darauf beschränkt, zu überprüfen, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten worden sind oder von dem Ermessen in einer dem Zwecke der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist und ob der Kläger durch diesen Ermessensfehler beschwert ist (vgl. im einzelnen Meyer-Ladewig, SGG, § 54 Rz 29 ff).
Der Beklagten ist zuzugeben, daß bei reiner Betrachtung des Wortlautes der Vorschrift der Kläger von den Leistungen zur beruflichen Rehabilitation ausgeschlossen scheint. In Abs. 1 a von § 13 AVG ist im Satz 1 definiert, wer Versicherter im Sinne des Abs. 1 bei medizinischen bzw. berufsfördernden Maßnahmen zur Rehabilitation ist. In Satz 3 von Abs. 1 a wird dann allgemein ausgeführt, wer nicht als Versicherter gilt. Nachdem in Satz 1 sowohl die Versicherteneigenschaft bei medizinischen und bei berufsfördernden Maßnahmen definiert ist, kann dies im Hinblick auf Satz 3 des Abs. 1 a, ausgehend von Wortlaut und Systematik nur bedeuten, daß sich die Formulierung "als Versicherter gilt nicht” sowohl auf medizinische als auch auf berufsfördernde Maßnahmen zur Rehabilitation bezieht.
Die von der Beklagten eingeräumte sozialpolitisch unbefriedigende Situation ist in der Vergangenheit durch die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts erkennbar nicht gelöst worden. Das Bundessozialgericht hat sich in seinen Urteilen durchgängig lediglich mit der Frage des Ausschlusses bei einer medizinischen Rehabilitationsmaßnahme beschäftigt (BSG Urteile vom 12. Dezember 1979 – 1 RA 5/79; 31. Januar 1980 – 11 RA 6/79; 10. Juni 1980 – 11 RA 110/79; 11. August 1983 – 1 RA 5/83, jeweils m.w.N.).
Soweit die Rechtsprechung in diesen Urteilen auch mit der verfassungsrechtlichen Frage befaßt war, und eine Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift angenommen hat, hat sich konkret das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 9. Februar 1983 (1 BvL 8/80 u.a. in: SGb 83, 534 ff = BVerfGE 63, 152 ff) damit auseinandergesetzt. Das Bundesverfassungsgericht hat in dieser Entscheidung die Bestimmung von § 13 Abs. 1 a Satz 3 AVG als mit dem Grundgesetz (GG) vereinbar angesehen. Es hat den dort normierten Leistungsausschluß für gerechtfertigt gehalten, da dem betroffenen Personenkreis Dienst- und Versorgungsbezüge gewährt werden, die nach dem Alimentationsprinzip bemessen sind. Diese Bezüge, verfassungsrechtlich zugesichert, einschließlich zusätzlicher Leistungen seien dazu bestimmt, im Prinzip den gesamten Lebensbedarf zu decken, damit auch Aufwendungen für medizinische Hilfen einschließlich Kuren. Anders als Sachleistungen der Sozialversicherung seien die Beihilfeleistungen als eine zusätzliche zu Dienstbezügen zustehende Hilfe zur Selbstvorsorge ausgestaltet. Diese nicht unbeträchtliche Grundsicherung gehe soweit, daß für den dadurch begünstigten Personenkreis gegenüber anderen Versicherten Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, die eine ungleiche Behandlung rechtfertigen würde. Dem Vertrauensinteresse der Beamten seien Belange des allgemeinen Wohls gegenübergestellt und ergäben sich aus dem Ziel des 20. Rentenanpassungsgesetzes (RAG). In den damit beabsichtigten Gesamteinsparungen läge ein derart gewichtiges Anliegen der Allgemeinheit, daß das Vertrauen der betroffenen Beamten dahinter zurückstehen müsse. Einer der tragenden Gründe dieser Entscheidung ist somit, daß der von § 13 Abs. 1 a Satz 3 AVG ausgeschlossene Personenkreis nicht schlechter gestellt ist, ihm jedenfalls Beihilfeansprüche und – sofern er Ruhegehalt bezieht, Leistungen zukommen, die nach dem Alimentationsprinzip bemessen sind. Weiter ist bei der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu berücksichtigen, daß es nach dem amtlichen Leitsatz mit dem Grundgesetz vereinbar ist, "daß Beamte von den Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung zur medizinischen Rehabilitation ausgeschlossen sind (§ 13 Abs. 1 a Satz 3 AVG).”
Unter Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Streitfall bedeutet dies zunächst, daß sich das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung, ebenso wie die Urteile des Bundessozialgerichts, nur mit der Frage des Ausschlusses von Beamten von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation beschäftigt hat. Dies ergibt sich auch klar aus den Gründen. Aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts wird weiter klar, daß die Verfassungsmäßigkeit des Ausschlusses mit der "Gleichwertigkeit durch den Beihilfeanspruch” begründet wird. Unter Zugrundelegung der vorgenannten Grundsätze zeigt sich hier bei den Leistungen zur beruflichen Rehabilitation ein gravierender Unterschied, auf den der Kläger nach Überzeugung des Senats zutreffend hinweist. Nach beamtenrechtlichen und beamtenversorgungsrechtlichen Vorschriften sind Leistungen zur beruflichen Rehabilitation nicht vorgesehen. Damit verfügen die rentenversicherungsrechtlichen Rehabilitationsmaßnahmen insoweit nicht über ein beihilferechtlich strukturiertes Pendant. Es fehlt die rechtliche Qualität des Ersatzcharakters der rentenversicherungsrechtlichen Maßnahmen gegenüber den Beihilfemaßnahmen des Dienstherrn (siehe Wagner, Zur beruflichen Rehabilitation beamtenrechtlicher Versorgungsempfänger mit zusätzlichen sozialrechtlichen Ansprüchen in ZBR 3/88, 88 ff; in SGb, 1987, 107 ff, jeweils m.w.N.). Dies rechtfertigt es unter Beachtung der vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Grundsätze zu differenzieren zwischen Leistungen zur medizinischen und Leistungen zur beruflichen Rehabilitation, je nach dem, ob ihnen ein beihilferechtliches "Pendant” gegenübersteht. Es ist daher dem Sozialgericht in der angefochtenen Entscheidung zuzustimmen, daß § 13 Abs. 1 a Satz 3 AVG verfassungsgemäß dahingehend auszulegen ist, daß durch diese Vorschrift berufsfördernde Maßnahmen nicht ausgeschlossen sind. Entscheidend ist damit die Frage, ob ein Versicherter von einem öffentlichen Dienstherrn eine entsprechende Rehabilitationsleistung erhält (so auch Eicher-Haase-Rauschenbach, Die Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten, 1988, § 13 AVG, Anm. 5 A c; vgl. auch die Kritik von Koch/Hartmann, AVG, § 13, Anm. 5, Seite V 148/20).
Ein Anspruch des Klägers gegen den öffentlichen Dienstherrn ergibt sich auch nicht aus besonderen Fürsorgegesichtspunkten, nachdem der Kläger nach seinen Angaben wegen der Folgen eines Dienstunfalles ausgeschieden ist. Richtig ist, daß der Kläger am 27. November 1971 einen Dienstunfall erlitten hat. Die Verletzungen sind jedoch folgenlos ausgeheilt. Das Ausscheiden des Klägers wegen Dienstunfähigkeit beruht auf einer Herzerkrankung, die nach medizinischer Feststellung mit dem Dienstunfall in keinem Zusammenhang steht (Bescheid des Regierungspräsidenten Darmstadt vom 8. Januar 1973, Widerspruchsbescheid des Hessischen Ministers des Innern vom 26. März 1973, Urteil des Verwaltungsgerichts Wiesbaden vom 21. November 1974 und des Hessischen Verwaltungsgerichtshofes vom 15. November 1978).
Diese Erwägungen führen zwingend zu einer unterschiedlichen Betrachtung der Leistungen der medizinischen Rehabilitation einerseits und beruflichen Rehabilitation andererseits mit der Folge, daß die gebotene verfassungsgemäße Auslegung von § 13 Abs. 1 a Satz 3 AVG den Kläger nicht von vornherein von den Leistungen zu berufsfördernden Maßnahmen ausschließt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Senat hat die Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen.
Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
Im übrigen sind keine Kosten zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger, der Versorgungsbezüge nach beamtenrechtlichen Vorschriften erhält, von den berufsfördernden Maßnahmen zur Rehabilitation ausgeschlossen ist.
Der 1932 geborene Kläger war von 1947 bis 1963 als Feinmechaniker und Betriebstechniker tätig. Ab Januar 1964 absolvierte er eine Ausbildung zum Polizeibeamten. Diese Tätigkeit übte er bis zu seinem Ausscheiden aus gesundheitlichen Gründen am 31. Januar 1974 aus. Aus dieser Tätigkeit erhält er Versorgung in Höhe des Mindestsatzes nach Besoldungsgruppe A 8 Bundesbesoldungsgesetz (BBesG). Danach absolvierte er eine weitere Ausbildung zum staatlich anerkannten Erzieher und war als Erzieher in einem heilpädagogischen Heim tätig.
Ein Antrag des Klägers auf Gewährung von Leistungen zur beruflichen Rehabilitation vom 26. September 1979 wurde von der Beklagten mit Bescheid vom 29. November 1979 abgelehnt, da er nach § 13 Abs. 1 a Angestellten-Versicherungsgesetz (AVG) in der ab 1. Juli 1977 geltenden Fassung nicht als Versicherter im Sinne dieser Vorschrift gelte, da er Versorgungsbezüge aus einem öffentlich rechtlichen Dienstverhältnis beziehe. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 25. Juni 1980 zurückgewiesen.
Ein erneuter Antrag des Klägers vom 9. Februar 1984 auf berufsfördernde Maßnahmen bei der Bundesanstalt für Arbeit (AA Wetzlar) wurde an die Beklagte weitergeleitet, da der Kläger mehr als 180 Versicherungsmonate Beitragszeiten nachwies. Durch Bescheid vom 28. März 1984 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Der Widerspruch vom 27. April 1984 wurde mit Widerspruchsbescheid vom 23. Juli 1984 zurückgewiesen. Ein bei dem Beigeladenen zu 1) mit Schreiben vom 4. Juni 1984 ebenfalls gestellter Antrag auf berufsfördernde Maßnahmen kam nicht zum Zuge, da weder das Hess. Beamtengesetz noch das Gesetz über die Versorgung der Beamten und Richter in Bund und Ländern Regelungen enthalten, die solche Leistungen begründen. Eine erneute Berufung in das Beamtenverhältnis scheiterte an der fehlenden gesundheitlichen bzw. persönlichen Eignung.
Gegen den ablehnenden Bescheid der Beklagten hat der Kläger am 3. August 1984 bei dem Sozialgericht Gießen Klage erhoben und insbesondere geltend gemacht, daß bei einer verfassungsgemäßen Interpretation von § 13 Abs. 1 a Satz 3 AVG Maßnahmen zur beruflichen Rehabilitation nicht ausgeschlossen seien. Durch Urteil vom 30. Juli 1987 hat das Sozialgericht Gießen die Beklagte verurteilt, dem Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts einen neuen Bescheid zu erteilen. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt: Die Beklagte habe von dem ihr eingeräumten Ermessen in einer zum Zwecke der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht. Eine verfassungsgemäße Interpretation von § 13 Abs. 1 a Satz 3 AVG und eine entsprechende restriktive Auslegung dieser Vorschrift führe dazu, daß sich der in dieser Vorschrift normierte Ausschluß nur auf medizinische Rehabilitationsmaßnahmen und nicht auch auf berufliche Rehabilitationsmaßnahmen beziehen könne. Diese Auslegung ergebe sich aus dem Sinn und Zweck der Vorschrift. Aus dem Gesetzgebungsverfahren sei klar ersichtlich, daß sich der Ausschluß von Rehabilitationsmaßnahmen auf solche Personen und solche Maßnahmen beziehen sollte, die beihilfeberechtigt bzw. beihilfefähig seien.
Gegen dieses an die Beklagte gegen Empfangsbekenntnis am 24. August 1987 zugestellte Urteil hat sie am 14. September 1987 bei dem Hessischen Landessozialgericht Berufung eingelegt.
Die im letzten Termin zur mündlichen Verhandlung nicht vertretene Beklagte bezieht sich auf den Wortlaut von § 13 Abs. 1 a AVG und beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 30. Juli 1987 aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfsweise, die Revision zuzulassen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen,
hilfsweise,
die Revision zuzulassen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beigeladenen zu 1) und 2) haben keine Anträge gestellt.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den übrigen Akteninhalt Bezug genommen sowie auf den der Akten der Beklagten und der Beigeladenen zu 2), die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte trotz Ausbleibens der Beklagten und der Beigeladenen zu 1) und 2) aufgrund mündlicher Verhandlung entscheiden, da in der ordnungsgemäß erfolgten Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist (§ 110 Sozialgerichtsgesetz SGG –).
Nachdem das Sozialgericht die Berufung im Tenor ausdrücklich zugelassen hat, ist die ansonsten form- und fristgerecht eingelegte Berufung insgesamt zulässig (§§ 143, 151, 150 Nr. 1 SGG).
Sie ist jedoch sachlich unbegründet.
Zu Recht hat das Sozialgericht die Beklagte verurteilt, dem Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts einen neuen Bescheid zu erteilen (§§ 54 Abs. 2 S. 2, 131 SGG).
Nach § 13 Abs. 1 Angestellten-Versicherungsgesetz (AVG) kann die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte Leistungen zur Rehabilitation erbringen, wenn die Erwerbsfähigkeit eines Versicherten wegen Krankheit oder körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung erheblich gefährdet oder gemindert ist und die Erwerbsfähigkeit durch diese Leistungen wesentlich gebessert oder wiederhergestellt werden kann, oder wenn bei einer bereits geminderten Erwerbsfähigkeit durch diese Leistungen der Eintritt von Berufsunfähigkeit oder Erwerbsunfähigkeit abgewendet werden kann. Nach Abs. 1 a, Satz 1 dieser Vorschrift ist Versicherter im Sinne des Abs. 1 bei berufsfördernden Maßnahmen zur Rehabilitation, wer die Voraussetzungen der Nr. 2 Buchstabe a (im Zeitpunkt der Antragstellung eine Versicherungszeit von 180 Kalendermonaten) erfüllt oder Rente wegen Berufsunfähigkeit oder Erwerbsunfähigkeit bezieht. Auf Grund des Versicherungsverlaufes sieht es der Senat als erwiesen an, daß der Kläger zum Zeitpunkt der Antragstellung am 9. Februar 1984 die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die berufliche Rehabilitation, nämlich die Zurücklegung von 180 Kalendermonaten, erfüllt hatte. Hierüber besteht zwischen den Beteiligten auch kein Streit.
Allerdings gilt nach § 13 Abs. 1 a Satz 3 dieser Vorschrift nicht als Versicherter, wer in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis oder einem Arbeitsverhältnis mit Anspruch auf Versorgung nach beamtenrechtlichen Vorschriften oder Grundsätzen steht oder Versorgungsbezüge aus einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis oder aus einem Arbeitsverhältnis mit Anspruch auf Versorgung nach beamtenrechtlichen Vorschriften oder Grundsätzen erhält. Zu diesem Personenkreis gehört der Kläger.
Grundsätzlich ist hierbei zu berücksichtigen, worauf das Urteil des Sozialgerichts Gießen zutreffend hinweist, daß es sich bei der Frage der Gewährung berufsfördernder Leistungen nach § 13 AVG um eine Ermessensleistung (§ 39 Sozialgesetzbuch Erstes Buch – SGB 1 –) handelt. Danach hat die Beklagte ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten. Auf eine pflichtgemäße Ausübung des Ermessens besteht ein Anspruch. Bei Ermessensentscheidungen ist das Gericht darauf beschränkt, zu überprüfen, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten worden sind oder von dem Ermessen in einer dem Zwecke der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist und ob der Kläger durch diesen Ermessensfehler beschwert ist (vgl. im einzelnen Meyer-Ladewig, SGG, § 54 Rz 29 ff).
Der Beklagten ist zuzugeben, daß bei reiner Betrachtung des Wortlautes der Vorschrift der Kläger von den Leistungen zur beruflichen Rehabilitation ausgeschlossen scheint. In Abs. 1 a von § 13 AVG ist im Satz 1 definiert, wer Versicherter im Sinne des Abs. 1 bei medizinischen bzw. berufsfördernden Maßnahmen zur Rehabilitation ist. In Satz 3 von Abs. 1 a wird dann allgemein ausgeführt, wer nicht als Versicherter gilt. Nachdem in Satz 1 sowohl die Versicherteneigenschaft bei medizinischen und bei berufsfördernden Maßnahmen definiert ist, kann dies im Hinblick auf Satz 3 des Abs. 1 a, ausgehend von Wortlaut und Systematik nur bedeuten, daß sich die Formulierung "als Versicherter gilt nicht” sowohl auf medizinische als auch auf berufsfördernde Maßnahmen zur Rehabilitation bezieht.
Die von der Beklagten eingeräumte sozialpolitisch unbefriedigende Situation ist in der Vergangenheit durch die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts erkennbar nicht gelöst worden. Das Bundessozialgericht hat sich in seinen Urteilen durchgängig lediglich mit der Frage des Ausschlusses bei einer medizinischen Rehabilitationsmaßnahme beschäftigt (BSG Urteile vom 12. Dezember 1979 – 1 RA 5/79; 31. Januar 1980 – 11 RA 6/79; 10. Juni 1980 – 11 RA 110/79; 11. August 1983 – 1 RA 5/83, jeweils m.w.N.).
Soweit die Rechtsprechung in diesen Urteilen auch mit der verfassungsrechtlichen Frage befaßt war, und eine Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift angenommen hat, hat sich konkret das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 9. Februar 1983 (1 BvL 8/80 u.a. in: SGb 83, 534 ff = BVerfGE 63, 152 ff) damit auseinandergesetzt. Das Bundesverfassungsgericht hat in dieser Entscheidung die Bestimmung von § 13 Abs. 1 a Satz 3 AVG als mit dem Grundgesetz (GG) vereinbar angesehen. Es hat den dort normierten Leistungsausschluß für gerechtfertigt gehalten, da dem betroffenen Personenkreis Dienst- und Versorgungsbezüge gewährt werden, die nach dem Alimentationsprinzip bemessen sind. Diese Bezüge, verfassungsrechtlich zugesichert, einschließlich zusätzlicher Leistungen seien dazu bestimmt, im Prinzip den gesamten Lebensbedarf zu decken, damit auch Aufwendungen für medizinische Hilfen einschließlich Kuren. Anders als Sachleistungen der Sozialversicherung seien die Beihilfeleistungen als eine zusätzliche zu Dienstbezügen zustehende Hilfe zur Selbstvorsorge ausgestaltet. Diese nicht unbeträchtliche Grundsicherung gehe soweit, daß für den dadurch begünstigten Personenkreis gegenüber anderen Versicherten Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, die eine ungleiche Behandlung rechtfertigen würde. Dem Vertrauensinteresse der Beamten seien Belange des allgemeinen Wohls gegenübergestellt und ergäben sich aus dem Ziel des 20. Rentenanpassungsgesetzes (RAG). In den damit beabsichtigten Gesamteinsparungen läge ein derart gewichtiges Anliegen der Allgemeinheit, daß das Vertrauen der betroffenen Beamten dahinter zurückstehen müsse. Einer der tragenden Gründe dieser Entscheidung ist somit, daß der von § 13 Abs. 1 a Satz 3 AVG ausgeschlossene Personenkreis nicht schlechter gestellt ist, ihm jedenfalls Beihilfeansprüche und – sofern er Ruhegehalt bezieht, Leistungen zukommen, die nach dem Alimentationsprinzip bemessen sind. Weiter ist bei der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu berücksichtigen, daß es nach dem amtlichen Leitsatz mit dem Grundgesetz vereinbar ist, "daß Beamte von den Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung zur medizinischen Rehabilitation ausgeschlossen sind (§ 13 Abs. 1 a Satz 3 AVG).”
Unter Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Streitfall bedeutet dies zunächst, daß sich das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung, ebenso wie die Urteile des Bundessozialgerichts, nur mit der Frage des Ausschlusses von Beamten von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation beschäftigt hat. Dies ergibt sich auch klar aus den Gründen. Aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts wird weiter klar, daß die Verfassungsmäßigkeit des Ausschlusses mit der "Gleichwertigkeit durch den Beihilfeanspruch” begründet wird. Unter Zugrundelegung der vorgenannten Grundsätze zeigt sich hier bei den Leistungen zur beruflichen Rehabilitation ein gravierender Unterschied, auf den der Kläger nach Überzeugung des Senats zutreffend hinweist. Nach beamtenrechtlichen und beamtenversorgungsrechtlichen Vorschriften sind Leistungen zur beruflichen Rehabilitation nicht vorgesehen. Damit verfügen die rentenversicherungsrechtlichen Rehabilitationsmaßnahmen insoweit nicht über ein beihilferechtlich strukturiertes Pendant. Es fehlt die rechtliche Qualität des Ersatzcharakters der rentenversicherungsrechtlichen Maßnahmen gegenüber den Beihilfemaßnahmen des Dienstherrn (siehe Wagner, Zur beruflichen Rehabilitation beamtenrechtlicher Versorgungsempfänger mit zusätzlichen sozialrechtlichen Ansprüchen in ZBR 3/88, 88 ff; in SGb, 1987, 107 ff, jeweils m.w.N.). Dies rechtfertigt es unter Beachtung der vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Grundsätze zu differenzieren zwischen Leistungen zur medizinischen und Leistungen zur beruflichen Rehabilitation, je nach dem, ob ihnen ein beihilferechtliches "Pendant” gegenübersteht. Es ist daher dem Sozialgericht in der angefochtenen Entscheidung zuzustimmen, daß § 13 Abs. 1 a Satz 3 AVG verfassungsgemäß dahingehend auszulegen ist, daß durch diese Vorschrift berufsfördernde Maßnahmen nicht ausgeschlossen sind. Entscheidend ist damit die Frage, ob ein Versicherter von einem öffentlichen Dienstherrn eine entsprechende Rehabilitationsleistung erhält (so auch Eicher-Haase-Rauschenbach, Die Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten, 1988, § 13 AVG, Anm. 5 A c; vgl. auch die Kritik von Koch/Hartmann, AVG, § 13, Anm. 5, Seite V 148/20).
Ein Anspruch des Klägers gegen den öffentlichen Dienstherrn ergibt sich auch nicht aus besonderen Fürsorgegesichtspunkten, nachdem der Kläger nach seinen Angaben wegen der Folgen eines Dienstunfalles ausgeschieden ist. Richtig ist, daß der Kläger am 27. November 1971 einen Dienstunfall erlitten hat. Die Verletzungen sind jedoch folgenlos ausgeheilt. Das Ausscheiden des Klägers wegen Dienstunfähigkeit beruht auf einer Herzerkrankung, die nach medizinischer Feststellung mit dem Dienstunfall in keinem Zusammenhang steht (Bescheid des Regierungspräsidenten Darmstadt vom 8. Januar 1973, Widerspruchsbescheid des Hessischen Ministers des Innern vom 26. März 1973, Urteil des Verwaltungsgerichts Wiesbaden vom 21. November 1974 und des Hessischen Verwaltungsgerichtshofes vom 15. November 1978).
Diese Erwägungen führen zwingend zu einer unterschiedlichen Betrachtung der Leistungen der medizinischen Rehabilitation einerseits und beruflichen Rehabilitation andererseits mit der Folge, daß die gebotene verfassungsgemäße Auslegung von § 13 Abs. 1 a Satz 3 AVG den Kläger nicht von vornherein von den Leistungen zu berufsfördernden Maßnahmen ausschließt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Senat hat die Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen.
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