L 7 Ka 189/83

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
7
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 7 Ka 189/83
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 8. Dezember 1982 wird zurückgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit einer Rückforderung der Beklagten über 34.759,18 DM.

Im Hessischen Ärzteblatt 5/76 Seite 498 wurde u.a. für W.-B. die Stelle eines Arztes für Allgemeinmedizin oder eines prakt. Arztes ausgeschrieben. Der Kläger, der bis dahin als prakt. Arzt in N. niedergelassen war, bewarb sich für diese Stelle.

Mit Genehmigungsbescheid vom 31. Januar 1977 wurde dem Kläger für die Praxis W.-B. eine Umsatzgarantie in Höhe von 90.000,– DM, verteilt auf 1 Jahr, zugesichert. In der Ausschreibung im Hessischen Ärzteblatt 5/76 wurde eine Umsatzgarantie von 120.000, DM in Aussicht gestellt. Im Genehmigungsbescheid wurde die Zusicherung der Umsatzgarantie von der Verpflichtung des Klägers zu einer mindestens fünfjährigen kassenärztlichen Tätigkeit als prakt. Arzt in W.-B. abhängig gemacht. Bei vorzeitiger Beendigung der Tätigkeit in W.-B. würden die Auffüllungsbeträge Differenzbetrag zwischen dem mit der Bezirksstelle der Beklagten abgerechneten Honorar und der Umsatzgarantie – zurückzuzahlen sein. Mit Schreiben vom 10. Februar 1977 akzeptierte der Kläger die Bedingungen des Genehmigungsbescheides vom 31. Januar 1977.

In der Zeit von September 1976 bis einschließlich August 1977 machte der Kläger einen Umsatz von 55.240,83 DM, so daß in der Zeit Auffüllungsbeträge von insgesamt 34.759,18 DM von der Beklagten geleistet wurden.

Der Kläger zeigte am 31. März 1980 der Beklagten an, daß er ab 1. April 1980 die Kassenarztpraxis einer Kollegin in E. übernehmen wolle.

Mit Bescheid vom 24. April 1980 sah sich die Beklagte außerstande, im Zusammenhang mit der vom Kläger beabsichtigten Verlegung des Kassenarztsitzes auf die Auffüllungsbeträge in Höhe von 34.759,18 DM zu verzichten.

Mit Bescheid vom 12. August 1980 forderte die Beklagte von Kläger den Auffüllungsbetrag zurück. Der Kläger hatte am 1. Juli 1980 seine Praxis in W.-B. aufgegeben und nach W. in die U.straße verlegt. Die Beklagte war in ihren Rückzahlungsbescheid der Auffassung, daß der Kläger mit der Verlegung den Bedingungen des Genehmigungsbescheides zuwider gehandelt habe und somit verpflichtet sei, den Auffüllungsbetrag zurückzuzahlen.

Gegen den mit Rechtsmittelbelehrung versehenen Bescheid legte der Kläger durch seinen Prozeßbevollmächtigten am 18. September 1980 Widerspruch ein. Mit Schreiben vom 17. November 1980 gewährte die Beklagte zunächst Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

Mit Widerspruchsbescheid vom 4. September 1981 wurde der Widerspruch dann als unbegründet zurückgewiesen. Die Beklagte stützte sich dabei auf die Ausführungsbestimmungen zum Statut der Beklagten sowie auf den Inhalt des Genehmigungsbescheides und auf § 76 Sozialgesetzbuch IV i.V.m. § 368 k RVO.

Der Kläger hat am 7. Oktober 1981 Klage vor dem Sozialgericht Frankfurt erhoben.

Dabei hat er vor allem darauf verwiesen, daß er seinerzeit aus den Praxisräumen in W.-B. vom Vermieter herausgeklagt worden sei und sich andere Praxisräume hätte suchen müssen, die er in der U.straße dann auch gefunden habe. Die Rückzahlung des Auffüllungsbetrages stelle eine besondere Härte dar, da der Kläger vermögenslos sei und bereits die Offenbarungsversicherung abgegeben habe.

Mit Urteil vom 8. Dezember 1982 hat das Sozialgericht Frankfurt die Klage abgewiesen. In der Begründung hat das Sozialgericht ausgeführt, daß der Kläger gewußt habe, daß er die Auffüllungsbeträge zurückzuzahlen habe, wenn er innerhalb der ersten fünf Jahre die Praxis in W. B. aufgebe. Die Umsatzgarantie sei nur unter dieser Bedingung von der Beklagten gegeben worden. Andere Erwartungen des Klägers, wie eine Umsatzgarantie von 120.000,– DM oder zinslose Darlehen, wie in der Ausschreibung in Aussicht gestellt, wären – auch für den Kläger klar ersichtlich – durch den Genehmigungsbescheid vom 31. Januar 1977 auf ein bestimmtes Maß reduziert worden. Der Kläger könne auch nicht die Beklagte dafür in Anspruch nehmen, daß er in finanzielle Schwierigkeiten geraten sei. Es stelle auch keine besondere Härte dar, wenn der Kläger zur Rückzahlung aufgefordert würde, denn es sei keineswegs auszuschließen, daß er in späteren Jahren auch wieder zu Geld kommen werde.

Gegen das am 24. Januar 1983 durch Empfangsbekenntnis zugestellte Urteil legt der Kläger mit Schreiben vom 23. Februar 1983 am 25. Februar 1983 Berufung beim Hessischen Landessozialgericht ein.

Auf Antrage des Senats hat das Postamt 1, W., mitgeteilt, daß ein bis 22.00 Uhr beim Postamt W. 1 eingelieferter Brief den Empfänger in D. in der Regel am nächsten Tag erreicht.

Der Prozeßbevollmächtigte des Klägers hat am 3. März 1983 hinsichtlich seines Wiedereinsetzungsantrages eine eidesstattliche Versicherung abgegeben, daß am 23. Februar 1983 die Berufungseinlegung zum Diktat und nach Fertigstellung zum Postausgang gegeben worden sei. Ausweislich des Postausgangsbuches und der Aussage seiner Mitarbeiterin sei die Berufung noch am gleichen Tage bei der Hauptpost W. persönlich eingeworfen worden.

Der Kläger beantragt,
Ihm hinsichtlich der Wahrung der Berufungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, sowie das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt vom 8. Dezember 1982 sowie den Bescheid der Beklagten vom 12. August 1980 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 4. September 1981 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Beklagtenakte und auf den Inhalt der Gerichtsakte, die beide Inhalt und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, §§ 151, 67, 149 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Gem. § 151 Abs. 1 SGG ist die Berufung bei dem Landessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich einzulegen.

Dem Prozeßbevollmächtigten des Klägers wurde das Urteil erster Instanz am 24. Januar 1983 durch EB zugestellt. Mit Schriftsatz vom 23. Februar 1983 legte er beim Hessischen Landessozialgericht Berufung ein, die am 27. Februar 1983 dort einging. Die Berufung hätte er aber bis 24. Februar 1983 einlegen müssen, um die Frist nach § 151 Abs. 1 SGG zu wahren. Somit war die Berufungseinlegung nach § 151 Abs. 1 SGG verspätet.

Gem. § 67 SGG ist jemandem auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn er ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten. Ohne Verschulden war jemand verhindert, eine gesetzliche Verfahrensfrist für die Klagefrist einzuhalten, wenn diejenige Sorgfalt angewandt wurde, die einem gewissenhaften Prozeßführenden nach den gesamten Umständen zuzumuten ist (Meyer-Ladewig Anm. 3 zu § 67 SGG). Diese Sorgfalt bei der Aufgabe des Berufungsschriftsatzes vom 23. Februar 1983 hat der Prozeßbevollmächtigte des Klägers verwandt, wobei ohnehin die Handlungsweise seiner Angestellten zuzurechnen ist (Peters-Sautter-Wolff Anm. 7 zu § 67 SGG).

Der Prozeßbevollmächtigte des Klägers hat ausweislich seiner eidesstattlichen Erklärung vom 3. März 1983 und der Kopie des Postausgangsbuches vom 23. Februar 1983 den Brief mit der Berufungsschrift rechtzeitig zur Post gegeben. Nach Auskunft des Postamtes 1 in W. vom 19. Mai 1983 erreicht in der Regel ein bis 22.00 Uhr beim Postamt 1 in W. eingeworfener Brief am nächsten Tag D. Bei einer Regelbeförderung hätte demnach der Brief vom 23. Februar 1983 am 24. Februar 1983 beim Hessischen Landessozialgericht eingehen müssen, wobei davon auszugehen ist, daß laut Postausgangsbuch die Berufungsschrift bis 22.00 Uhr am 23. Februar 1983 zur Post gegeben wurde. Ergibt sich aber aus den von der Post mitgeteilten Laufzeiten, daß bei Aufgabe bis zu einer bestimmten Stunde die Sendung den Zielort am nächsten Tage so rechtzeitig erreicht, daß sie den Empfänger bei normalem Ablauf des Zustelldienstes erreichen muß, wird durch die Ausnutzung dieser Möglichkeit die Sorgfaltspflicht nicht verletzt (Bundesverfassungsgericht in NJW 77, 1233). Andererseits konnte der Prozeßbevollmächtigte des Klägers sich auch darauf verlassen, daß in Zeiten ordnungsgemäßen Postverkehrs ein einfacher Brief in normaler Beförderungszeit eingeht; er braucht keine Sicherungsspanne für eine außergewöhnliche Verzögerung des Postablaufes zuzurechnen (BSGE 1, 232 sowie Peters-Sautter-Wolff Anm. 7 zu § 67 m.w.N.). Verzögerungen in der Beförderung durch die Deutsche Bundespost können demjenigen, der seine Rechtsmittelfrist der Post anvertraut, nicht angelastet werden (Bundesverfassungsgericht E 40, 42). Die Rechtsmittelfrist wurde vom Anwalt des Klägers daher nicht schuldhaft verletzt, wenn er im Vertrauen auf eine von der Post herausgegebene "Übersicht wichtiger Brieflaufzeiten” die Berufungsschrift so rechtzeitig zur Post gibt, daß sie nach der Übersicht noch am nächsten Tage den Bestimmungsort D. erreichen mußte, auch wenn sie dann wider Erwarten erst nach Fristablauf bei Gericht einging (hierzu auch BSG in Breith. 1964, 256 sowie Peters-Sautter-Wolff a.a.O.).

Im übrigen ist die Berufung auch nach § 149 Sozialgerichtsgesetz zulässig, da der im Streit stehende Erstattungsanspruch der Beklagten den Wert von 1.000,– DM überschreitet.

Die Berufung ist jedoch unbegründet.

Das angefochtene Urteil des Sozialgerichts Frankfurt vom 8. Dezember 1982 sowie der Bescheid der Beklagten vom 12. August 1980 i.d.F. des Widerspruchsbescheides vom 4. September 1981 sind zu Recht ergangen und waren daher nicht aufzuheben.

Das Sozialgericht Frankfurt hat zu Recht festgestellt, daß die Beklagte gegen den Kläger einen Anspruch auf Rückzahlung des Auffüllungsbetrages zur Umsatzgarantie in Höhe von 34.759,18 DM besitzt. Der Kläger hat die Bedingungen im Genehmigungsbescheid der Beklagten vom 31. Januar 1977 mit Schreiben vom 10. Februar 1977 anerkannt. Die in der Ausschreibung im Hessischen Ärzteblatt 5/76 S. 498 genannten Erleichterungen für den Aufbau dieses Praxis hatten ohnehin keinen verbindlichen Charakter waren spätestens dann obsolet, als der Kläger die Bedingungen der Beklagten laut Bescheid vom 31. Januar 1977 akzeptierte. Der Kläger hatte in diesem Moment lediglich Anspruch auf die zwischen ihm und der Beklagten vereinbarte Umsatzgarantie von 90.000,– DM, allerdings mit den damit verbundenen Bedingungen. So hat sich der Kläger verpflichtet, den Auffüllungsbetrag zurückzuzahlen, wenn er innerhalb der ersten fünf Jahre seine Praxis in W.-B. aufgibt. Diese Bedingung ist allein an den Tatbestand der Praxisaufgabe geknüpft und läßt Gründe für eine Aufgabe unberücksichtigt. Es spielt daher auch keine Rolle, daß der Kläger wegen Geldschwierigkeiten die Praxisräume nicht mehr halten konnte und durch eine Räumungsklage zum Auszug veranlaßt wurde. Das Sozialgericht Frankfurt hat in diesem Zusammenhang zu Recht herausgestellt, daß das Risiko finanzieller Schwierigkeiten der Kläger als Freiberufler ohnehin zu tragen hatte und dies auch nicht der Beklagten anlasten kann.

Auch nach § 368 k Abs. 3 RVO i.V.m. § 76 Abs. 2 Ziff. 2 SGB IV besteht für den Kläger kein Anspruch auf Niederschlagung der Forderung der Beklagten. Danach darf der Versicherungsträger Ansprüche niederschlagen, wenn feststeht, daß die Einziehung keinen Erfolg haben wird. Es ist dem Sozialgericht Frankfurt zuzustimmen, daß es nicht auszuschließen ist, daß der Kläger in naher Zukunft in der Lage sein wird, aufgrund seines Berufes als Arzt und bei der Fortführung seiner jetzigen Privatpraxis, die höhere Umsätze verspricht, den Auffüllungsbetrag an die Beklagte zurückzuzahlen, zumal die Beklagte selbst Ratenzahlungen als angemessen angesehen hat. Es steht von daher keinesfalls fest, daß die Einziehung des Geldes keinen Erfolg haben wird.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.

Die Revision hat der Senat nicht zugelassen, da keiner der in § 160 Abs. 2 Ziff. 1 und Ziff. 2 SGG genannten Gründe vorliegt.
Rechtskraft
Aus
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