L 3 U 1210/78

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 1210/78
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Ein Prozeßvergleich vermag wegen seiner Doppelnatur nur dann keine Rechtswirksamkeit zu entfalten, wenn die Beteiligten nicht wirksam zugestimmt haben oder er als öffentlich-rechtlicher Vertrag nach den Bestimmungen des BGG nichtig oder wirksam angefochten ist oder wenn der nach dem Inhalt des Vergleichs als feststehend zugrunde gelegte Sachverhalt der Wirklichkeit nicht entspricht oder der Streit oder die Ungewissheit bei Kenntnis der Sachlage nicht entstanden sein würde.
2. Will ein Versicherungsträger einen Prozeßvergleich anfechten, so muß er mit dieser Erklärung das Prozeßgericht anrufen. Er kann ihn nicht einseitig durch Bescheid gegenüber dem Beteiligten anfechten.
3. Nach § 2 Abs. 4 des 1. VUNG ist in den Fällen der §§ 565, 566 RVO a.F. der Umstellungsfaktor nach Abs. 1 der für dasjenige Jahr heranzuziehen für den der JAV zuletzt förmlich, d.h., durch Bescheid festgestellt ist.
Es wird festgestellt, daß der Rechtsstreit der Beteiligten durch den am 11. Oktober 1978 geschlossenen Prozeßvergleich (L-3/U – 476/78) erledigt ist.

Der Bescheid vom 27. Oktober 1978 wird aufgehoben.

Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten dieses Verfahrens zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Wirksamkeit eines Prozeßvergleichs.

Der 1923 geborene Kläger erlitt während seiner Wagnerlehre vom 15. September 1937 bis zum Jahre 1941 am 9. Mai 1939 einen Arbeitsunfall. Die Beklagte gewährte ihm wegen der Folgen dieses Arbeitsunfalls nach der noch vorhandenen Unfallzählkarte des Jahrgangs 1939 (Unfall-Nr. ) eine vorläufige Verletztenrente vom 9. Juli 1939 bis zum 31. Mai 1941 nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit – MdE – um 40 v.H., 30 v.H. und zuletzt um 20 v.H. Der Jahresarbeitsverdienst – JAV – war mit 1.020,– RM festgestellt worden. Mit Bescheid vom 28. April 1941 lehnte die Beklagte ab 1. Juni 1941 die Gewährung einer Dauerrente ab, da die Unfallfolgen nur noch eine MdE um 15 v.H. hervorriefen. Ein JAV wurde in diesem Bescheid nicht festgestellt.

Am 5. November 1974 beantragte der Kläger die Wiedergewährung der Verletztenrente zum frühestmöglichen Zeitpunkt, da er seit dem 18. Oktober 1943 infolge Kriegsbeschädigung in der Erwerbsfähigkeit um wenigstens 70 v.H. gemindert sei und ihm daher mindestens eine Kleinrente zustehe. Nach Feststellung der unfallbedingten MdE mit weiterhin 15 v.H. ermittelte die Beklagte den JAV nach den für die Jahre 1941 bis 1944 geltenden Tariflöhnen mit insgesamt 1.572,48 RM. Ferner paßte sie diesen nach dem 1. und 2. Gesetz zur vorläufigen Neuregelung von Geldleistungen in der gesetzlichen Unfallversicherung vom 27. Juli 1957 (BGBl. I, S. 1071) bzw. 29. Dezember 1960 (BGBl. I, S. 1085) – VUNG – sowie den nachfolgenden Rentenanpassungsgesetzen an, wobei sie als Umstellungsfaktor nach dem 1. VUNG den mit 2,0 heranzog. In dem hierüber erteilten Bescheid vom 11. November 1975 berief sich die Beklagte für die Zeit vor dem 1. Dezember 1970 auf den Eintritt der Verjährung. Die dagegen erhobene Klage hat das SG nach Erteilung eines Widerspruchsbescheides vom 23. Februar 1977 abgewiesen. Die Berufung auf den Eintritt der Verjährung sei nicht rechtsmißbräuchlich und der JAV der Höhe nach richtig berechnet. In dem sich anschließenden Berufungsverfahren vor dem Hessischen Landessozialgericht (L-3/U-476/78) schlossen die Beteiligten vor dem Senat in der mündlichen Verhandlung am 11. Oktober 1978 folgenden Vergleich:

"Die Beklagte ändert ihre Bescheide vom 11. November 1975 und vom 23. Februar 1977 dahin ab, daß sie dem Kläger bereits ab 5. November 1970 Verletztenrente nach einer MdE um 15 % gewährt und bei der Rentenberechnung den Jahresarbeitsverdienst in Höhe von RM 1.572,48 aufgrund des 1. VUNG vom 27. Juli 1957 nach dem Umstellungsfaktor 2,2, (nicht 2,0) neu berechnet.

Der Kläger ist hiermit einverstanden und nimmt seien Klage gegen die abgeänderten Bescheide vom 11. November 1975 und 23. Februar 1977 zurück.

Die Beteiligten haben einander keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.”

Mit dem am 1. November 1978 bei dem Hessischen Landessozialgericht eingegangenen Schriftsatz vom 27. Oktober 1978 hat die Beklagte die Anfechtung dieses Vergleichs "aus jedwedem Rechtsgrund” erklärt. Ebenfalls unter dem 27. Oktober 1978 hat sie außerdem diese Erklärung auch gegenüber dem Kläger direkt abgegeben. Zur Begründung der Anfechtung bringt sie vor: Für den Vergleich fehle es an der Geschäftsgrundlage im Sinne von § 779 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs – BGB –. Ihr Terminsbevollmächtigter sei einem Rechtsirrtum unterlegen, als er einem Vorschlag des Gerichts folgend sich bereit erklärt habe, der Rentenberechnung anstelle des Umstellungsfaktors 2,0 den von 2,2, nach dem 1. VUNG zugrunde zu legen. Beide Beteiligten seien bei dem Vergleichsabschluß von einer unzutreffenden Rechtslage ausgegangen und ohne diesen Irrtum wäre es insoweit nicht zum Vergleich gekommen. Hiervon abgesehen, müsse der Vergleich wegen Geschäfts- bzw. Inhalts-Irrtums nach § 119 Abs. 1 BGB angefochten werden. Ihr Terminsbevollmächtigter habe demjenigen Umstellungsfaktor zustimmen wollen, der der Rechtslage entsprochen habe. Infolge der Anfechtung sei der Vergleich insgesamt unwirksam, so daß das Berufungsverfahren noch nicht beendet sei. Die Berufung des Klägers sei aber nicht zulässig. Im übrigen ergebe eine erneute sachliche Überprüfung, daß nach dem 1. VUNG der Umstellungsfaktor 2,0 anzuwenden gewesen sei.

Die Beklagte beantragt,
1) die Unwirksamkeit des Prozeßvergleichs vom 11. Oktober 1978 festzustellen und
2) die Berufung als unzulässig zu verwerfen, soweit ein früherer Rentenbeginn als der 1. Dezember 1970 beantragt worden sei,
hilfsweise,
als unbegründet zurückzuweisen.

Der Kläger beantragt,
1) festzustellen, daß der Rechtsstreit durch wirksamen Prozeßvergleich seine Erledigung gefunden hat,
2) den Bescheid vom 27. Oktober 1978 aufzuheben,
3) hilfsweise,
das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 30. März 1978 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung der Bescheide vom 11. November 1975 und 22. Februar 1977 zu verurteilen, ihm die Kleinrente ab 5. November 1970 unter Berücksichtigung des Umstellungsfaktors 2,2, nach dem 2. VUNG zu gewähren,
4) äußerst hilfsweise,
die Revision zuzulassen.

Er hält die Anfechtung für unzulässig sowie unwirksam und meint, daß der abgeschlossene Prozeßvergleich auch der Rechtslage entspreche.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Unfall- und Streitakten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG –).

Der Rechtsstreit ist durch den vor dem Senat am 11. Oktober 1978 geschlossenen Vergleich der Beteiligten vollständig erledigt (§ 101 Abs. 1 SGG). Die mit dem bei dem Hessischen Landessozialgericht am 1. November 1978 eingegangenen Schriftsatz vom 27. Oktober 1978 erklärte Anfechtung greift nicht durch. Es liegen weder prozeß- noch materiell-rechtliche Gründe vor, die den Prozeßvergleich unwirksam machen.

Zunächst stellt der Senat fest, daß der Prozeßvergleich ohne Verfahrensfehler zustande gekommen ist. Die Beteiligten waren in der mündlichen Verhandlung durch ordnungsgemäß bestellte Bevollmächtigte vertreten. Die erteilten Prozeßvollmachten enthielten keine Einschränkungen, so daß ihre Bevollmächtigten auch zum Abschluß eines Vergleichs befugt waren (§ 73 Abs. 1 bis 4 SGG i.V.m. § 81 Zivilprozeßordnung – ZPO –). Sie Sitzungsniederschrift läßt darüber hinaus keine fehlerhafte Protokollierung erkennen. Die Beklagte behauptet auch keine Gründe prozeßrechtlicher Art, aus denen auf die Unwirksamkeit des Vergleichs geschlossen werden könnte.

Der Prozeßvergleich ist aber auch nicht aus materiell-rechtlichen Gründen unwirksam. Zutreffend weist allerdings die Beklagte darauf hin, daß ein solcher wegen seiner Doppelnatur keine Rechtswirksamkeit zu entfalten vermag, wenn die Beteiligten nicht wirksam zugestimmt haben oder er als öffentlich-rechtlicher Vertrag nach den Bestimmungen des BGB nichtig oder wirksam angefochten ist oder wenn der nach dem Inhalt des Vergleichs als feststehend zugrunde gelegte Sachverhalt der Wirklichkeit nicht entspricht oder der Streit oder die Ungewissheit bei Kenntnis der Sachlage nicht entstanden sein würde (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, Anm. 13 zu § 101 SGG mit weiteren zahlreichen Nachweisen). Das ist hier jedoch nicht der Fall.

Aus der Sitzungsniederschrift vom 11. Oktober 1978 ergibt sich, daß alle Beteiligten dem Vergleichsvorschlag zugestimmt haben. Ein offener oder versteckter Einigungsmangel liegt nicht vor (§§ 154, 155 BGB).

Die Beklagte durfte über den Anspruch des Klägers auf Gewährung einer höheren Verletztenrente wegen eines höheren JAV auch verfügen. Wie das Bundessozialgericht – BSG – wiederholt entschieden hat, ist die Wirksamkeit eines Prozeßvergleichs nicht von der Richtigkeit seines materiell-rechtlichen Inhalts abhängig (vgl. BSG, Urt. v. 28.4.1967 – 11 RA 138/66 – in SozR Nr. 9 zu § 101 SGG), sondern nur davon, daß er Unfallversicherungsträger eine solche Regelung, wie sie der Prozeßvergleich enthält, auch in einem Verwaltungsakt hätte treffen können, der auch im Falle einer mit dem objektiven Recht nichtig gewesen wäre. Dem schließt sich der erkennende Senat an. Der vorliegende Prozeßvergleich enthält keine Mängel, der würde ein Verwaltungsakt mit gleicher Regelung ergangen sein, diesen nichtig zu machen. Ein Verwaltungsakt ist nämlich nur dazu nichtig, wenn er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig ist (vgl. statt vieler: Meyer-Ladewig, a.a.O., Anm. 30 nach § 54 SGG sowie die künftig geltende Legaldefinition in § 38 Abs. 1 des Entwurfs eines Sozialgesetzbuches – Verwaltungsverfahren –, Deutscher Bundestag, 8. Wahlperiode, Drucks. 8/2034, S. 13). Die Beklagte macht dies auch nicht geltend.

Sie kann aber auch mit ihrem Hinweis auf § 779 Abs. 1 BGB keinen Erfolg habe. Nach dieser auch im öffentlichen Recht entsprechend anzuwendenden Bestimmung (vgl. Meyer-Ladewig, a.a.O., Anm. 13 zu § 101 SGG; Urt. v. 27.6.1958 – 4 RJ 7/57 – in E 7, 279) kann ein Vertrag (Vergleich) zwar auch wegen eines Rechtsirrtums unwirksam sein, jedoch nur, wenn dieser Irrtum dazu geführt hat, daß die Parteien beim Abschluß des Vergleichs von einem der Wirklichkeit nicht entsprechenden und unstreitigen Sachverhalt ausgegangen sind. Haben die Parteien jedoch den Sachverhalt richtig erkannt und irren sie nur über die sich daraus ergebenden Rechtsfolgen, so ist der Tatbestand des § 779 BGB nicht erfüllt (vgl. BGH, Urt. v. 12.5.1965 – IV ZR 122/64 – in BB 1965, 766 mit weiteren Nachweisen; Bley in SGB 1974, 121, 123; Bettermann in DVBl. 1974, 354 f.; Palandt-Gramm, BGB, 25. Aufl., Anm. 5 a zu § 779 BGB). Diese Voraussetzungen liegen hier jedoch nicht vor. Der Sachverhalt wurde von der Beteiligten vielmehr richtig erkannt. Nach Erörterung der Sach- und Rechtslage sahen sie vor Vergleichsabschluß als erwiesen an, daß bei dem Kläger wegen der Folgen des Arbeitsunfalls am 9. Mai 1939 seit dem 1. Juni 1941 eine unfallbedingte MdE um 15 v.H. besteht, er vom 9. Juli 1939 bis zum 31. Mai 1941 eine vorläufige Verletztenrente nach einer MdE um 30, 40 bzw. 20 v.H. bezog, der JAV bereits im Jahre 1939 mit 1.020,– RM festgestellt worden war und er die Gewährung der Kleinrente nicht sofort nach seiner Verwundung am 18. Oktober 1943, sondern erst am 5. November 1974 beantragte, sowie, daß eine weitere JAV-Festellung bis zum Erlaß des früher angefochtenen Bescheides vom 11. November 1975 unterblieb.

Die Beteiligten irrten daher allenfalls über die sich daraus ergebenden Rechtsfolgen für den neu zu berechnenden JAV. Das aber ist, wie oben ausgeführt, für die Anwendung des § 799 BGB unbeachtlich.

Im übrigen entspricht der Vergleich jedoch auch der Rechtslage. Die Beteiligten haben im Termin zur mündlichen Verhandlung am 11. Oktober 1978 zu Recht angenommen, daß in dem angefochtenen Bescheid von der Beklagten mit 2,0 ein unrichtiger Umstellungsfaktor der Rentenberechnung zugrunde gelegt worden ist. Es war vielmehr der für das Jahr 1939 mit 2,2 bestimmte Umstellungsfaktor anzuwenden (§ 2 Abs. 1 Zeile 16 i.V.m. Abs. 4 des 1. VUNG). Die Beklagte bezieht sich hier zunächst zu Unrecht auf § 569 a RVO i.d.F. vor dem 6. Gesetz über Änderungen in der Unfallversicherung vom 9. März 1942 (RGBl. I, S. 107 ff.) – 6. Änderungsgesetz –, § 569 a RVO ist aber durch das 6. Änderungsgesetz mit Wirkung zum 1. Januar 1942 außer Kraft getreten (Art. 3 § 2 Abs. 1 des 6. Änderungsgesetzes). Zu diesem Zeitpunkt war aber der Versicherungsfall der sogenannten Kleinrente noch nicht eingetreten, da eine Stützung infolge der Kriegsverwundung frühestens ab 18. Oktober 1943 in Betracht kommen konnte (§ 559 a Abs. 3 RVO a.F.). Daher war der JAV auch nicht nach Art. 2 § 1 des 6. Änderungsgesetzes zu berechnen. Bei dessen Inkrafttreten am 1. Januar 1942 bezog der Kläger keine Verletztenrente, wovon diese Bestimmung ausgeht. Vielmehr ist die Neuberechnung nach § 565 RVO a.F. mit Ausnahme des Umstellungsfaktors 2,0 zutreffend berechnet worden. Es war dagegen der Umstellungsfaktor 2,2 anzuwenden. Die Beklagte meint zu Unrecht, daß dem § 2 Abs. 4 des 1. VUNG entgegenstehe. Nach dieser Bestimmung gilt in den Fällen der §§ 565, 566 RVO a.F. als Unfalljahr das Jahr, für das der JAV zuletzt festgestellt worden ist. Nach den obigen Darlegungen ist der JAV zuletzt jedoch für das Jahr 1939 festgestellt worden. Das ist zugleich das Unfalljahr, für das der Umstellungsfaktor 2,2 gilt.

Für § 779 Abs. 1 BGB kommt es nicht darauf an, wie die Beklagte meint, daß zunächst über die Umstellungsfaktoren kein Streit bestand. Entscheidend ist, daß der Kläger die Berechnungsart des JAV überhaupt angegriffen hatte und in sein Begehren dann vor dem Senat nach einem entsprechenden rechtlichen Hinweis auch die Umstellungsfaktoren einbezog. Ausweislich der Sitzungsniederschrift vom 11. Oktober 1978 ist mit den Beteiligten das Sach- und Streitverhältnis erörtert und erst danach der Prozeßvergleich geschlossen worden. Die Beteiligten hatten die richtige Sach- und Rechtslage schließlich erkannt und sich daher folgerichtig verglichen.

Ferner greift auch die Anfechtung nach § 119 Abs. 1 BGB nicht durch. Danach kann, wer bei der Abgabe einer Willenserklärung über deren Inhalt im Irrtum war, oder eine Erklärung dieses Inhalts überhaupt nicht abgeben wollte, die Erklärung anfechten, wenn anzunehmen ist, daß er sie bei Kenntnis der Sachlage und bei verständiger Würdigung des Falles nicht abgegeben haben würde. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor.

Zunächst ergeben sich keinerlei Anhaltspunkte für einen Irrtum des Terminsbevollmächtigten der Beklagten in der Erklärungshandlung. Ein solcher wird angenommen, wenn die Äußerung des Erklärendem nicht dem entspricht, was er äußern will, etwa wenn er sich verspricht oder verschreibt (vgl. Palandt-Danckelmann a.a.O., Anm. 1 a aa und Anm. 3 a zu § 119 BGB). Die Abfassung des Prozeßvergleichs ist aber eindeutig. Es heißt dort ausdrücklich, daß die Verletztenrente neu berechnet werden solle "aufgrund des 1. VUNG vom 27. Juli 1957 nach dem Umstellungsfaktor 2,2, (nicht 2,0)”.

Der Terminsbevollmächtigte der Beklagten ist aber auch nicht einem Irrtum über den Erklärungsinhalt (auch Geschäftsirrtum genannt) erlegen. Ein solcher liegt vor, wenn die Äußerung als solche dem Willen des Erklärenden entspricht, er aber glaubt damit etwas anderes zum Ausdruck zu bringen, als er tatsächlich zum Ausdruck bringt (vgl. Palandt-Danckelmann, a.a.O. Anm. 1 a cc und Anm. 3 b zu § 119 BGB). Nach dem eindeutig und unmißverständlich gefaßten Prozeßvergleich kann nicht angenommen werden, daß der Terminsbevollmächtigte der Beklagten zwar die Erklärung abgeben wollte, es solle der JAV nach dem Umstellungsfaktor 2,2, neu berechnet werden, aber in dem Glauben gewesen sei, es handele sich um einen solchen nach 2,0. Der Senat hatte die Beteiligten nämlich ausdrücklich darauf hingewiesen, daß der Umstellungsfaktor 2,2, in Betracht kommen könne, woraufhin der Terminsbevollmächtigte der Beklagten sogleich erklärte, das habe er selbst schon bei der Vorbereitung der Sitzungsvertretung festgestellt.

Die Beklagte kann auch keinen Erfolg haben mit ihrem Vorbringen ihr Terminsbevollmächtigter sei irrtümlich davon ausgegangen, der Umstellungsfaktor 2,2 entspreche der Rechtslage. Abgesehen davon, daß diese Rechtsauffassung nach den obigen Ausführungen unzutreffend ist, würde es sich dann lediglich um einen außerhalb seiner Willenserklärung liegenden Mangel im Motiv handeln, der keine Abweichung zwischen Wille und Erklärung hervorruft und daher unbeachtlich ist (vgl. Palandt-Danckelmann, a.a.O., Anm. 3 a zu § 119 BGB).

Schließlich durfte die Beklagte nicht gegenüber dem Kläger persönlich in einem gesonderten Schreiben zusätzlich die Anfechtung des Prozeßvergleichs erklären. Das an ihn gerichtete Schreiben vom 27. Oktober 1978 enthält insoweit eine Regelung des Versicherungsverhältnisses, so daß es als Verwaltungsakt zu werten ist. Dieser ist rechtswidrig und verfällt der Aufhebung. Die Entscheidung, ob ein Prozeßvergleich wirksam oder unwirksam ist, steht nämlich allein dem Gericht zu, unter dessen Autorität er zustande gekommen ist. Der Versicherungsträger hat den Vergleich als Prozeßpartei auf gleicher Ebene mit dem Versicherten abgeschlossen und kann nun nicht einseitig kraft seiner hoheitlichen Gewalt den Vergleich durch Bescheid anfechten und damit wieder für unwirksam erklären. Dazu fehlt ihm eine gesetzliche Ermächtigung. Will er eine andere Entscheidung herbeiführen, so steht ihm nur derjenige Weg offen, der auch zum Abschluß des Prozeßvergleichs führte (vgl. BSG, Urt. v. 27.6.1958 – 4 RJ 7/57 – in E 7, 279). Dazu hatte die Beklagte, wie es von ihr mit Schriftsatz vom 27. Oktober 1978 geschehen ist, den Senat anzurufen und durfte nicht noch einen weiteren Bescheid erlassen.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 193, 160 SGG.
Rechtskraft
Aus
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