Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
4
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 V 441/77
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Sind Erkrankungen als Schädigungsfolge im Sinne des § 1 BVG bindend abgelehnt worden und wird ihre Anerkennung in einem Verfahren nach § 40 Abs. 1 VfG-KOV durch Zugunstenbescheid betrieben und gleichzeitig die Feststellung eines seit dem letzten Krieg bestehenden Leidens als weiterer Schädigungsfolge begehrt, so ist hinsichtlich dieses Leidens der ursächliche Ablehnungsbescheid „durch eine erstmalige Entscheidung” zu ergänzen (Fortführung von BSG 9 RV 352/73).
2. Das Begehren der Anerkennung einer weiteren Erkrankung als Schädigungsfolge stellt in dem Verfahren wegen des Zugunstenbescheides lediglich eine ergänzende Begründung bzw. Erweiterung des Klagebegehrens dar, nicht aber eine Klageänderung.
3. Aus dem Gedanken der Einheitlichkeit des Rentenanspruchs (vgl. BSGE 11/28) folgt, daß ein Gericht auch ohne entsprechende Vorentscheidung der Versorgungsverwaltung über eine neu in den Rechtsstreit eingeführte Erkrankung als Schädigungsfolge eine Entscheidung treffen kann. Hierdurch wird aus das Prinzip der Gewaltenteilung (Artikel 20 Abs. 2 GG) nicht verletzt.
2. Das Begehren der Anerkennung einer weiteren Erkrankung als Schädigungsfolge stellt in dem Verfahren wegen des Zugunstenbescheides lediglich eine ergänzende Begründung bzw. Erweiterung des Klagebegehrens dar, nicht aber eine Klageänderung.
3. Aus dem Gedanken der Einheitlichkeit des Rentenanspruchs (vgl. BSGE 11/28) folgt, daß ein Gericht auch ohne entsprechende Vorentscheidung der Versorgungsverwaltung über eine neu in den Rechtsstreit eingeführte Erkrankung als Schädigungsfolge eine Entscheidung treffen kann. Hierdurch wird aus das Prinzip der Gewaltenteilung (Artikel 20 Abs. 2 GG) nicht verletzt.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 14. Februar 1977 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die 1923 geborene Klägerin erstrebt die Anerkennung eines Herz- sowie eines Nervenleidens im Wege des Zugunstenbescheides als Schädigungsfolgen, die auf russischer und polnischer Internierung vom März 1945 bis November 1946 beruhen sollen.
Die Klägerin hat nach dem Besuch der Volksschule auf dem elterlichen Hof in L. Krs. G. gearbeitet. Ende Januar 1945 brach sie mit einem Treck nach Westen auf, der Mitte März 1945 von russischen Truppen eingeholt wurde. Unter russischer Bewachung wurde sie zusammen mit über 1000 Frauen bei schlechter Ernährung in Hinterpommern interniert. Am 31. März 1945 wurde nach ihrer Darstellung bei ihr Typhus festgestellt. Sie kam in L. in ein Krankenhaus. Ende Juli 1945 gelangte sie auf ihren Wunsch in ihr Heimatdorf S. in O. zurück, wo sie unter Bewachung durch russische Soldaten mit anderen Frauen Landarbeiten verrichtete. Als die russischen Truppen durch polnische Zivilverwaltung im Frühjahr 1946 abgelöst wurden, besserte sich die bisher schlechte Ernährung nur unwesentlich. Am 28. November 1946 kam die Klägerin 3 Wochen in ein Quarantänelager nach T. und wurde anschließend nach O. in T. entlassen. Im Jahre 1953 übersiedelte sie in die Bundesrepublik.
Die Klägerin beantragte erstmals im März 1968 wegen nervöser Herzbeschwerden und eines Kreislaufschadens Rente. Diese Erkrankungen sah sie als Folge der Strapazen der Internierung und des Typhus an. In seinem internistischen Gutachten vom 26. November 1969 kam Dr. H. zu dem Ergebnis, daß die nervösen Herzbeschwerden und Kreislaufstörungen mit einer konstitutionell begründeten vegetativen Labilität und mit Beschwerden des weiblichen Rückbildungsalters (Wechseljahre) zusammenhingen. Die Fettstoffwechselstörung beruhe zum Teil auf Veranlagung, zum Teil auf zu reichlicher Kohlehydrat- und Fettzufuhr. Schädigungsfolgen im Sinne des § 1 Bundesversorgungsgesetz – BVG – konnte er nicht feststellen.
Dem schloß sich Med. Direktor Dr. T. am 19. Januar 1970 an und hob hervor, daß sich Folgen einer Typhuserkrankung nicht gefunden hätten. Diesen medizinischen Feststellungen folgte der Beklagte mit Bescheid vom 21. Januar 1970, der einen Versorgungsanspruch nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) ablehnte. Dem Widerspruch half der Beklagte mit Bescheid vom 26. Februar 1970 nicht ab.
Im Mai 1975 beantragte die Klägerin erneut Versorgung mit der Begründung, sie habe seit ihrer Typhuserkrankung im April 1945 Herzbeschwerden, an denen sie am 13. Mai 1975 fast verstorben sei. Auf dieser Ursache wie auf der damaligen Internierung beruhten weiterhin eine Kreislauf- und Nervenschwäche. Mit Bescheid vom 30. Juni 1975 lehnte der Beklagte die Erteilung eines Zugunstenbescheides nach § 40 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (VfG-KOV) ab, da bereits in dem Bescheid vom 21. Januar 1970 festgestellt sei, daß die Herz-, Kreislauf- und Nervenschwäche mit der Internierung nicht im Zusammenhang stehe und somit keine Folge einer Schädigung im Sinne des § 1 BVG sei. Der neue Antrag enthalte keine neuen Tatsachen, so daß es bei dem Bescheid vom 21. Januar 1970 verbleiben müsse.
Auf die Klage, mit der die Klägerin weiterhin einen Zugunstenbescheid begehrte, erließ der Beklagte einen Widerspruchsbescheid vom 11. September 1975, mit dem er dem Widerspruch nicht abhalf.
Das Sozialgericht zog verschiedene ärztliche Unterlagen über Behandlungen der Klägerin bei und zwar ein Arztbrief des Kreiskrankenhauses E. vom 3. Juli 1975, einen Entlassungsbericht der Kurklinik F., B., anläßlich der Heilbehandlung vom 20. August bis 7. September 1958, zwei Arztbriefe des Internisten Dr. H. vom 6. Juni 1974 und 30. Oktober 1975 sowie eine Auskunft des Dr. W. vom 26. März 1976 und die Akte der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) über die Klägerin.
Diese Unterlagen wertete Med. Oberrat Dr. S. aus, der nach dem Schriftsatz des Beklagten vom 21. Oktober 1976 das Nervenleiden der Klägerin als eine echte endogene anlagebedingte Psychose ansah, die erblich mitbedingt sei. Die Erkrankung sei im März 1976 erstmalig manifest geworden. Mindestens bis zum Juli 1953 hätten Herz-Kreislaufstörungen nicht vorgelegen. Die bei der Kur in Schlangenbad nach dem Entlassungsbericht vom 5. Juni 1973 angewandten Kurmittel schlössen eine Herz-Kreislauferkrankung aus. Nach dem Bericht des Kreiskrankenhauses E. vom 3. Juli 1975 über die Herzerkrankung der Klägerin könne ein Zusammenhang dieser Erkrankung mit Ereignissen des Krieges und der Gefangenschaft ausgeschlossen werden. Die Kontroll-EKG’s vom Oktober 1975 zeigten, daß die Herzerkrankung völlig ausgeheilt sei.
Die Klage wies das Sozialgericht Kassel mit Urteil vom 14. Februar 1977 ab. Es bezog sich auf das Gutachten des Dr. H. vom 26. November 1969 und führte aus, daß die später beigezogenen ärztlichen Unterlagen diesem Gutachten nicht entgegenständen.
Die Berufung der Klägerin gegen dieses ihr am 16. März 1977 zugestellte Urteil ging am 22. März 1977 beim Sozialgericht Kassel ein. Die Klägerin meint, in einer ZDF-Sendung habe eine Professorin des F.-Institutes klar aufgezeigt, daß jemand, der solches, wie die Klägerin durchgemacht habe, für immer einen körperlichen Schaden davontragen müsse. Sie könne jetzt nur noch ihren Haushalt mit Mühe verrichten. Erst durch den Lageraufenthalt und die Vergewaltigung durch Rotarmisten sei sie krank geworden und vorher immer gesund gewesen.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 14. Februar 1975 und den Bescheid der Beklagten vom 30. Juni 1975 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. September 1975 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das sozialgerichtliche Urteil für zutreffend.
Wegen der näheren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Streitakte in beiden Rechtszügen und den der beigezogenen Akten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Obwohl die Klägerin zur mündlichen Verhandlung nicht erschienen und auch nicht vertreten war, konnte der Senat den Rechtsstreit entscheiden, da die Klägerin in der Ladung zur mündlichen Verhandlung hierauf hingewiesen worden war (vgl. §§ 153, 110, 126 Sozialgerichtsgesetz – SGG –).
Die Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt. Sie ist auch statthaft, aber nicht begründet.
Soweit die Klägerin die Anerkennung eines Herz- und Kreislaufleidens begehrt, hat der Beklagte zu Recht einen Zugunstenbescheid nach § 40 VfG-KOV versagt. Die Anerkennung des "Nervenleidens”, das schon seit 1945/46 vorliegen soll, müßte "durch eine erstmalige Entscheidung” zur Ergänzung des Bescheides vom 21. Januar 1970 erfolgen (vgl. BSG, Urteil von 21. Mai 1974 – 9 RV 352/75), die der Beklagte ebenfalls zu Recht abgelehnt hat.
Das auf den Neuantrag der Klägerin vom Mai 1975 eingeleitete Verwaltungsverfahren mit dem anschließenden Klage- und Berufungsverfahren hat keinen Anhalt dafür erbracht, daß der Bescheid des Beklagten vom 21. Januar 1970, mit dem er die Feststellung von Schädigungsfolgen nach dem BVG abgelehnt hat, rechtlich oder tatsächlich unrichtig oder ergänzungsbedürftig ist. Das Sozialgericht hat deshalb die gegen den Bescheid vom 30. Juni 1975 erhobene Klage zu Recht abgewiesen.
Da der Beklagte mit seinem Bescheid vom 21. Januar 1970 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 26. Februar 1970 die Gewährung von Versorgung nach dem BVG wegen "nervöser Herzbeschwerden und Kreislaufschadens” bindend abgelehnt hat, könnte insoweit ein neuer Bescheid nach § 40 VfG-KOV nur dann ergehen, wenn diese frühere Entscheidung aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unrichtig gewesen ist. Dies ist indessen nicht der Fall.
Das internistische Gutachten des Dr. H. vom 26. November 1969, das dem Bescheid des Beklagten vom 21. Januar 1970 zugrunde lag, hat nervöse Herzbeschwerden und Kreislaufstörungen der Klägerin zu Recht als in ihrer Konstitution begründet angesehen und einen Zusammenhang mit Ereignissen der Gefangenschaft abgelehnt, was Dr. T. in seinem Prüfungsvermerk vom 19. Januar 1970 noch einmal verdeutlicht hat.
Nach den Ausführungen von Med. Oberrat Dr. S. im Schriftsatz des Beklagten vom 21. Oktober 1976, denen sich der Senat anschließt, haben die vom Sozialgericht Kassel weiter beigezogenen Unterlagen keine neuen Sachverhalte ergeben. Herz-Kreislaufstörungen haben hiernach mindestens bis zum Juli 1953 bei der Klägerin nicht vorgelegen. Anstelle "Juli 1953” muß es jedoch heißen "Mai 1975”. Dabei knüpft Dr. S. offensichtlich an den Arztbrief des Kreiskrankenhauses E. vom 3. Juli 1975 an, der sich aber über eine Behandlungszeit der Klägerin in diesem Krankenhaus vom 12. Mai bis 27. Juni 1975 äußert.
Es heißt in diesem Krankenhausbericht keineswegs, daß eine Herzerkrankung der Klägerin schon lange vor der Krankenhausaufnahme bestanden habe, sondern daß sich die Klägerin über eine schon länger bestehende Mattigkeit beklagt habe, während sie erst am Krankenhausaufnahmetag heftige Herzschmerzen verbunden mit Schwindelgefühl und Atemnot bei Belastung gehabt habe. Die lebensbedrohliche Herzerkrankung konnte dann während des Krankenhausaufenthaltes in den Griff genommen werden, so daß die Klägerin weitgehend beschwerdefrei wieder am 27. Juni 1975 entlassen werden konnte. Auch das internistische Gutachten des Dr. W. vom 15. Oktober 1975, das für die BfA gefertigt wurde, erwähnt in seiner Vorgeschichte eine Herzerkrankung vor der Krankenhausaufnahme am 17. Mai 1975 nicht und führt in der Diagnose einen "kurz zurückliegenden, lebensbedrohlichen Herzmuskelschaden” auf.
Der Internist Dr. H. erwähnt in seinem Arztbrief vom 6. Juni 1974 hinsichtlich des Herzens, unter den von der Klägerin geäußerten Beschwerden lediglich "Herzklopfen” und bezeichnet Herz und Kreislauf ausdrücklich als suffizient (nach Dudens Wörterbuch med. Fachausdrücke, Stuttgart 1968: ausreichend, genügend, bezogen auf das Funktionsvermögen eines Organs z.B. des Herzens). Hieraus ergibt sich, daß dieser Arzt besondere Krankheitserscheinungen an Herz oder Kreislauf nicht feststellen konnte. Auch in seinem Arztbrief vom 30. Oktober 1975 erwähnt er zur Vorgeschichte der Herzerkrankung lediglich die Behandlung in dem E. Krankenhaus im Mai/Juni 1975. Somit ergibt sich schon wegen des großen Abstandes des Auftretens einer Herzerkrankung von dem Ende der Internierung, daß ein Zusammenhang mit Internierungsfolgen nicht besteht.
Dies wird weiterhin durch die Feststellung von Dr. S. untermauert, daß die Kuranwendungen in S. im Jahre 1973 bei einer Herz-Kreislaufstörung nicht erfolgt wären. Dagegen, daß das Herzleiden schon lange vor der Krankenhausaufnahme im Jahre 1975 bestanden hat, spricht auch, daß nach den im Oktober 1975 gefertigten EKG’s ein pathologischer Befund am Herzen nicht mehr nachweisbar und diese Erkrankung bereits wieder ausgeheilt war.
Angesichts des großen Übergewichts der Klägerin – bei der Untersuchung durch Dr. W. am 15. Oktober 1975 wog sie 73 kg bei 1,58 cm Körpergröße – ist es erstaunlich, daß nicht schon früher Herzerkrankungen der Klägerin aufgetreten sind. Nach dem für die BfA erstatteten Gutachten des Internisten Prof. Dr. W. (Untersuchungstag 15. Oktober 1975) besteht bei der Klägerin ein durch Medikamente ausgeglichener niedriger Blutdruck mit Neigung zu Schwindel und Kreislauflabilität, zeitweilig aber teilweise erhöhter diastolischer Blutdruck. Hierfür macht Prof. Dr. W. eine vegetative Übererregbarkeit im Klimakterium verantwortlich, also endogene Faktoren.
Der Bescheid des Beklagten vom 21. Januar 1970, der "nervöse Herzbeschwerden und Kreislaufschaden” als Schädigungsfolge verneint hat, ist demnach nicht zu beanstanden.
Der Senat ist der Auffassung, daß die sogenannte "Nervenschwäche”, welche die Klägerin mit ihrem neuen Antrag vom Mai 1975 in dessen Begründung geltend macht, mit den "nervösen Herzbeschwerden”, die der Bescheid vom 21. Januar 1970 als Schädigungsfolge abgelehnt hat, nicht identisch ist. Dies ergibt sich schon daraus, daß sich Dr. H. in seinem Gutachten vom 26. November 1969, das dem Bescheid vom 21. Januar 1970 zugrunde lag, hiermit überhaupt nicht auseinandergesetzt hat und auch nicht Dr. T. in seinem Prüfvermerk vom 19. Januar 1970.
Dr. Schall hat für diese Erkrankung in dem Schriftsatz des Beklagten vom 21. Oktober 1976 einen Zusammenhang mit Ereignissen des Krieges und der Internierung zu Recht mit Sicherheit ausgeschlossen. Dieser fehlende Zusammenhang ergibt sich auch daraus, daß der Arztbrief des Krankenhauses E. vom 20. Januar 1959 die im Herbst 1956 aufgetretene depressive Erkrankung der Klägerin als eine endogene Depression bezeichnet hat, d.h. eine Erkrankung, die auf innere Ursache bei der Klägerin beruht und nicht durch äußere Einflüsse wie etwa die (Typhuserkrankung oder sonstige schwere Lebensumstände während der Internierung ausgelöst worden ist.
Die Klägerin wurde dann am 30. Oktober 1958 in die Psychiatrische und Nervenklinik "Universitätskrankenhaus E.” aufgenommen. Hier wurde bei einem neurologischen Normalbefund ein Subdepressiv-antriebsgehemmtes Bild mit hypochondrischen Zügen, das wiederum eindeutige Züge einer endogenen Depression trug, festgestellt.
Daraus, daß sich der Beklagte die Auffassung des Dr. S. in seinem Schriftsatz vom 21. Oktober 1976 zu eigen macht, ergibt sich, daß er auch eine "Nervenschwäche”, oder wie auch immer man die depressive Erkrankung der Klägerin bezeichnen will, als Schädigungsfolge ablehnt.
Über die Nervenschwäche der Klägerin konnte der Senat eine Entscheidung treffen, obwohl es an einer förmlichen Vorentscheidung des Beklagten hierüber fehlt. Der erkennende Senat folgt insoweit dem Urteil des BSG vom 6. Oktober 1977 – 9 RV 66/76 – (SozR 1500 § 99 SGG). Bei der Entscheidung über die Rechtmäßigkeit eines Bescheides sind die Gerichte nämlich nicht an den Rahmen gebunden, den die Verwaltung bei ihrem Bescheid eingehalten hat. Dies ergibt sich aus dem Gedanken der Einheitlichkeit des Rentenanspruches (vgl. BSGE 11/28 und Krebs SGB 1959/75) und aus dem Gesichtspunkt der Prozeßökonomie, um einen weiteren Rechtsstreit wegen der Nervenschwäche der Klägerin zu verhindern. Sowohl der begehrte Zugunstenbescheid wie auch die Entscheidung über die Nervenschwäche stellen beides Teilfaktoren eines einheitlichen Rentenanspruches dar, wenn auch die einzelnen Ansprüche verselbständigt sind (vgl. hierzu für die Berücksichtigung der verschiedenen Teilfaktoren nach § 30 Abs. 1 und Abs. 2 BVG BSGE 36/285; 37/80, 84; SozR 3900 § 40 Nr. 3 S. 9).
Bei richtiger Würdigung der Klageschrift der Klägerin geht es ihr einmal darum, die Ablehnung eines Zugunstenbescheides zu beseitigen, zum anderen aber darum, ihre in der vordruckmäßigen Ergänzung vom 10. Juni 1975 ihres Neuantrages vom 21. Mai 1975 mit "Nervenschwäche” bezeichnete vermeintliche Schädigungsfolge neben der dort aufgeführten Erkrankung an "Herz und Kreislauf” als Schädigungsfolge anerkannt zu bekommen und hierfür eine Rente nach einer vom Gericht festzustellenden einheitlichen Gesamt-MdE zu erhalten.
Diesem Verlangen hat der Beklagte insoweit nicht entsprochen, als er über die "Nervenschwäche” keine Entscheidung getroffen hat. Daß die Klägerin hierüber eine Entscheidung begehrte, ergibt sich aber bereits aus ihrer Klageschrift, indem sie auf die Unterlagen der Nervenklinik E. verwiesen hat. Dieses eindeutige Verlangen der Klägerin auch eine "Nervenschwäche” als Schädigungsfolge festgestellt zu bekommen und hierfür zusammen mit Herz- und Kreislaufstörungen eine Rente zu erhalten, stellt sich gegenüber dem angefochtenen Bescheid in der Fassung des Widerspruchsbescheides lediglich als eine ergänzende Begründung oder eine Erweiterung des Klagebegehrens, nicht aber als eine Klageänderung dar.
Das BSG hat dies in seinem erwähnten Urteil vom 6. Oktober 1977 für den Fall festgestellt, daß noch eine in dem angefochtenen Bescheid nicht berücksichtigte Änderung der Verhältnisse geltend gemacht wird. Dies trifft auch entsprechend den vorliegenden Fall der Klägerin, die eine Ergänzung der angefochtenen Entscheidung nicht wegen Änderung der Verhältnisse, sondern durch einen weiteren Erstbescheid begehrt, da der Erstbescheid des Beklagten vom 21. Januar 1970 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Februar 1970 wie auch die Ablehnung eines Zugunstenbescheides durch Bescheid des Beklagten vom 30. Juni 1975 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. September 1975 über die "Nervenschwäche” keine Entscheidung getroffen hat und es somit der Ergänzung "durch eine erstmalige Entscheidung” im Sinne des Urteils des BSG vom 21. Mai 1974 – 9 RV 352/73 – bedarf. Dabei spielt es auch keine Rolle, daß ein Wechsel der Klageart vorliegt (vgl. BSGE 27/245; Peters-Sautter-Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, Anmerkung 4 b zu § 99 SGG, S. II/61 – 35 – mit weiteren Nachweisen), da die Klägerin mit der Feststellung einer "Nervenschwäche” als Schädigungsfolge eine Leistungsklage erhebt, die gegenüber dem versagten Zugunstenbescheid nicht vorliegt.
Die Einbeziehung einer Entscheidung über die "Nervenschwäche” auch ohne eine entsprechende Vorentscheidung der Verwaltung durch einen förmlichen Bescheid verletzt auch das Prinzip der Gewaltenteilung (Art. 20 Abs. 2 GG) nicht, wie das BSG im einzelnen in seinem zitierten Urteil vom 6. Oktober 1977 ausgeführt hat.
Die Berufung kann deshalb auch insoweit keinen Erfolg haben, als eine depressive Erkrankung zur Feststellung als Schädigungsfolge begehrt wird.
Die Kostenentscheidung wurde aus § 193 SGG gewonnen.
Für die Zulassung der Revision bestand nach § 160 Abs. 1 SGG keine Veranlassung.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die 1923 geborene Klägerin erstrebt die Anerkennung eines Herz- sowie eines Nervenleidens im Wege des Zugunstenbescheides als Schädigungsfolgen, die auf russischer und polnischer Internierung vom März 1945 bis November 1946 beruhen sollen.
Die Klägerin hat nach dem Besuch der Volksschule auf dem elterlichen Hof in L. Krs. G. gearbeitet. Ende Januar 1945 brach sie mit einem Treck nach Westen auf, der Mitte März 1945 von russischen Truppen eingeholt wurde. Unter russischer Bewachung wurde sie zusammen mit über 1000 Frauen bei schlechter Ernährung in Hinterpommern interniert. Am 31. März 1945 wurde nach ihrer Darstellung bei ihr Typhus festgestellt. Sie kam in L. in ein Krankenhaus. Ende Juli 1945 gelangte sie auf ihren Wunsch in ihr Heimatdorf S. in O. zurück, wo sie unter Bewachung durch russische Soldaten mit anderen Frauen Landarbeiten verrichtete. Als die russischen Truppen durch polnische Zivilverwaltung im Frühjahr 1946 abgelöst wurden, besserte sich die bisher schlechte Ernährung nur unwesentlich. Am 28. November 1946 kam die Klägerin 3 Wochen in ein Quarantänelager nach T. und wurde anschließend nach O. in T. entlassen. Im Jahre 1953 übersiedelte sie in die Bundesrepublik.
Die Klägerin beantragte erstmals im März 1968 wegen nervöser Herzbeschwerden und eines Kreislaufschadens Rente. Diese Erkrankungen sah sie als Folge der Strapazen der Internierung und des Typhus an. In seinem internistischen Gutachten vom 26. November 1969 kam Dr. H. zu dem Ergebnis, daß die nervösen Herzbeschwerden und Kreislaufstörungen mit einer konstitutionell begründeten vegetativen Labilität und mit Beschwerden des weiblichen Rückbildungsalters (Wechseljahre) zusammenhingen. Die Fettstoffwechselstörung beruhe zum Teil auf Veranlagung, zum Teil auf zu reichlicher Kohlehydrat- und Fettzufuhr. Schädigungsfolgen im Sinne des § 1 Bundesversorgungsgesetz – BVG – konnte er nicht feststellen.
Dem schloß sich Med. Direktor Dr. T. am 19. Januar 1970 an und hob hervor, daß sich Folgen einer Typhuserkrankung nicht gefunden hätten. Diesen medizinischen Feststellungen folgte der Beklagte mit Bescheid vom 21. Januar 1970, der einen Versorgungsanspruch nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) ablehnte. Dem Widerspruch half der Beklagte mit Bescheid vom 26. Februar 1970 nicht ab.
Im Mai 1975 beantragte die Klägerin erneut Versorgung mit der Begründung, sie habe seit ihrer Typhuserkrankung im April 1945 Herzbeschwerden, an denen sie am 13. Mai 1975 fast verstorben sei. Auf dieser Ursache wie auf der damaligen Internierung beruhten weiterhin eine Kreislauf- und Nervenschwäche. Mit Bescheid vom 30. Juni 1975 lehnte der Beklagte die Erteilung eines Zugunstenbescheides nach § 40 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (VfG-KOV) ab, da bereits in dem Bescheid vom 21. Januar 1970 festgestellt sei, daß die Herz-, Kreislauf- und Nervenschwäche mit der Internierung nicht im Zusammenhang stehe und somit keine Folge einer Schädigung im Sinne des § 1 BVG sei. Der neue Antrag enthalte keine neuen Tatsachen, so daß es bei dem Bescheid vom 21. Januar 1970 verbleiben müsse.
Auf die Klage, mit der die Klägerin weiterhin einen Zugunstenbescheid begehrte, erließ der Beklagte einen Widerspruchsbescheid vom 11. September 1975, mit dem er dem Widerspruch nicht abhalf.
Das Sozialgericht zog verschiedene ärztliche Unterlagen über Behandlungen der Klägerin bei und zwar ein Arztbrief des Kreiskrankenhauses E. vom 3. Juli 1975, einen Entlassungsbericht der Kurklinik F., B., anläßlich der Heilbehandlung vom 20. August bis 7. September 1958, zwei Arztbriefe des Internisten Dr. H. vom 6. Juni 1974 und 30. Oktober 1975 sowie eine Auskunft des Dr. W. vom 26. März 1976 und die Akte der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) über die Klägerin.
Diese Unterlagen wertete Med. Oberrat Dr. S. aus, der nach dem Schriftsatz des Beklagten vom 21. Oktober 1976 das Nervenleiden der Klägerin als eine echte endogene anlagebedingte Psychose ansah, die erblich mitbedingt sei. Die Erkrankung sei im März 1976 erstmalig manifest geworden. Mindestens bis zum Juli 1953 hätten Herz-Kreislaufstörungen nicht vorgelegen. Die bei der Kur in Schlangenbad nach dem Entlassungsbericht vom 5. Juni 1973 angewandten Kurmittel schlössen eine Herz-Kreislauferkrankung aus. Nach dem Bericht des Kreiskrankenhauses E. vom 3. Juli 1975 über die Herzerkrankung der Klägerin könne ein Zusammenhang dieser Erkrankung mit Ereignissen des Krieges und der Gefangenschaft ausgeschlossen werden. Die Kontroll-EKG’s vom Oktober 1975 zeigten, daß die Herzerkrankung völlig ausgeheilt sei.
Die Klage wies das Sozialgericht Kassel mit Urteil vom 14. Februar 1977 ab. Es bezog sich auf das Gutachten des Dr. H. vom 26. November 1969 und führte aus, daß die später beigezogenen ärztlichen Unterlagen diesem Gutachten nicht entgegenständen.
Die Berufung der Klägerin gegen dieses ihr am 16. März 1977 zugestellte Urteil ging am 22. März 1977 beim Sozialgericht Kassel ein. Die Klägerin meint, in einer ZDF-Sendung habe eine Professorin des F.-Institutes klar aufgezeigt, daß jemand, der solches, wie die Klägerin durchgemacht habe, für immer einen körperlichen Schaden davontragen müsse. Sie könne jetzt nur noch ihren Haushalt mit Mühe verrichten. Erst durch den Lageraufenthalt und die Vergewaltigung durch Rotarmisten sei sie krank geworden und vorher immer gesund gewesen.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 14. Februar 1975 und den Bescheid der Beklagten vom 30. Juni 1975 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. September 1975 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das sozialgerichtliche Urteil für zutreffend.
Wegen der näheren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Streitakte in beiden Rechtszügen und den der beigezogenen Akten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Obwohl die Klägerin zur mündlichen Verhandlung nicht erschienen und auch nicht vertreten war, konnte der Senat den Rechtsstreit entscheiden, da die Klägerin in der Ladung zur mündlichen Verhandlung hierauf hingewiesen worden war (vgl. §§ 153, 110, 126 Sozialgerichtsgesetz – SGG –).
Die Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt. Sie ist auch statthaft, aber nicht begründet.
Soweit die Klägerin die Anerkennung eines Herz- und Kreislaufleidens begehrt, hat der Beklagte zu Recht einen Zugunstenbescheid nach § 40 VfG-KOV versagt. Die Anerkennung des "Nervenleidens”, das schon seit 1945/46 vorliegen soll, müßte "durch eine erstmalige Entscheidung” zur Ergänzung des Bescheides vom 21. Januar 1970 erfolgen (vgl. BSG, Urteil von 21. Mai 1974 – 9 RV 352/75), die der Beklagte ebenfalls zu Recht abgelehnt hat.
Das auf den Neuantrag der Klägerin vom Mai 1975 eingeleitete Verwaltungsverfahren mit dem anschließenden Klage- und Berufungsverfahren hat keinen Anhalt dafür erbracht, daß der Bescheid des Beklagten vom 21. Januar 1970, mit dem er die Feststellung von Schädigungsfolgen nach dem BVG abgelehnt hat, rechtlich oder tatsächlich unrichtig oder ergänzungsbedürftig ist. Das Sozialgericht hat deshalb die gegen den Bescheid vom 30. Juni 1975 erhobene Klage zu Recht abgewiesen.
Da der Beklagte mit seinem Bescheid vom 21. Januar 1970 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 26. Februar 1970 die Gewährung von Versorgung nach dem BVG wegen "nervöser Herzbeschwerden und Kreislaufschadens” bindend abgelehnt hat, könnte insoweit ein neuer Bescheid nach § 40 VfG-KOV nur dann ergehen, wenn diese frühere Entscheidung aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unrichtig gewesen ist. Dies ist indessen nicht der Fall.
Das internistische Gutachten des Dr. H. vom 26. November 1969, das dem Bescheid des Beklagten vom 21. Januar 1970 zugrunde lag, hat nervöse Herzbeschwerden und Kreislaufstörungen der Klägerin zu Recht als in ihrer Konstitution begründet angesehen und einen Zusammenhang mit Ereignissen der Gefangenschaft abgelehnt, was Dr. T. in seinem Prüfungsvermerk vom 19. Januar 1970 noch einmal verdeutlicht hat.
Nach den Ausführungen von Med. Oberrat Dr. S. im Schriftsatz des Beklagten vom 21. Oktober 1976, denen sich der Senat anschließt, haben die vom Sozialgericht Kassel weiter beigezogenen Unterlagen keine neuen Sachverhalte ergeben. Herz-Kreislaufstörungen haben hiernach mindestens bis zum Juli 1953 bei der Klägerin nicht vorgelegen. Anstelle "Juli 1953” muß es jedoch heißen "Mai 1975”. Dabei knüpft Dr. S. offensichtlich an den Arztbrief des Kreiskrankenhauses E. vom 3. Juli 1975 an, der sich aber über eine Behandlungszeit der Klägerin in diesem Krankenhaus vom 12. Mai bis 27. Juni 1975 äußert.
Es heißt in diesem Krankenhausbericht keineswegs, daß eine Herzerkrankung der Klägerin schon lange vor der Krankenhausaufnahme bestanden habe, sondern daß sich die Klägerin über eine schon länger bestehende Mattigkeit beklagt habe, während sie erst am Krankenhausaufnahmetag heftige Herzschmerzen verbunden mit Schwindelgefühl und Atemnot bei Belastung gehabt habe. Die lebensbedrohliche Herzerkrankung konnte dann während des Krankenhausaufenthaltes in den Griff genommen werden, so daß die Klägerin weitgehend beschwerdefrei wieder am 27. Juni 1975 entlassen werden konnte. Auch das internistische Gutachten des Dr. W. vom 15. Oktober 1975, das für die BfA gefertigt wurde, erwähnt in seiner Vorgeschichte eine Herzerkrankung vor der Krankenhausaufnahme am 17. Mai 1975 nicht und führt in der Diagnose einen "kurz zurückliegenden, lebensbedrohlichen Herzmuskelschaden” auf.
Der Internist Dr. H. erwähnt in seinem Arztbrief vom 6. Juni 1974 hinsichtlich des Herzens, unter den von der Klägerin geäußerten Beschwerden lediglich "Herzklopfen” und bezeichnet Herz und Kreislauf ausdrücklich als suffizient (nach Dudens Wörterbuch med. Fachausdrücke, Stuttgart 1968: ausreichend, genügend, bezogen auf das Funktionsvermögen eines Organs z.B. des Herzens). Hieraus ergibt sich, daß dieser Arzt besondere Krankheitserscheinungen an Herz oder Kreislauf nicht feststellen konnte. Auch in seinem Arztbrief vom 30. Oktober 1975 erwähnt er zur Vorgeschichte der Herzerkrankung lediglich die Behandlung in dem E. Krankenhaus im Mai/Juni 1975. Somit ergibt sich schon wegen des großen Abstandes des Auftretens einer Herzerkrankung von dem Ende der Internierung, daß ein Zusammenhang mit Internierungsfolgen nicht besteht.
Dies wird weiterhin durch die Feststellung von Dr. S. untermauert, daß die Kuranwendungen in S. im Jahre 1973 bei einer Herz-Kreislaufstörung nicht erfolgt wären. Dagegen, daß das Herzleiden schon lange vor der Krankenhausaufnahme im Jahre 1975 bestanden hat, spricht auch, daß nach den im Oktober 1975 gefertigten EKG’s ein pathologischer Befund am Herzen nicht mehr nachweisbar und diese Erkrankung bereits wieder ausgeheilt war.
Angesichts des großen Übergewichts der Klägerin – bei der Untersuchung durch Dr. W. am 15. Oktober 1975 wog sie 73 kg bei 1,58 cm Körpergröße – ist es erstaunlich, daß nicht schon früher Herzerkrankungen der Klägerin aufgetreten sind. Nach dem für die BfA erstatteten Gutachten des Internisten Prof. Dr. W. (Untersuchungstag 15. Oktober 1975) besteht bei der Klägerin ein durch Medikamente ausgeglichener niedriger Blutdruck mit Neigung zu Schwindel und Kreislauflabilität, zeitweilig aber teilweise erhöhter diastolischer Blutdruck. Hierfür macht Prof. Dr. W. eine vegetative Übererregbarkeit im Klimakterium verantwortlich, also endogene Faktoren.
Der Bescheid des Beklagten vom 21. Januar 1970, der "nervöse Herzbeschwerden und Kreislaufschaden” als Schädigungsfolge verneint hat, ist demnach nicht zu beanstanden.
Der Senat ist der Auffassung, daß die sogenannte "Nervenschwäche”, welche die Klägerin mit ihrem neuen Antrag vom Mai 1975 in dessen Begründung geltend macht, mit den "nervösen Herzbeschwerden”, die der Bescheid vom 21. Januar 1970 als Schädigungsfolge abgelehnt hat, nicht identisch ist. Dies ergibt sich schon daraus, daß sich Dr. H. in seinem Gutachten vom 26. November 1969, das dem Bescheid vom 21. Januar 1970 zugrunde lag, hiermit überhaupt nicht auseinandergesetzt hat und auch nicht Dr. T. in seinem Prüfvermerk vom 19. Januar 1970.
Dr. Schall hat für diese Erkrankung in dem Schriftsatz des Beklagten vom 21. Oktober 1976 einen Zusammenhang mit Ereignissen des Krieges und der Internierung zu Recht mit Sicherheit ausgeschlossen. Dieser fehlende Zusammenhang ergibt sich auch daraus, daß der Arztbrief des Krankenhauses E. vom 20. Januar 1959 die im Herbst 1956 aufgetretene depressive Erkrankung der Klägerin als eine endogene Depression bezeichnet hat, d.h. eine Erkrankung, die auf innere Ursache bei der Klägerin beruht und nicht durch äußere Einflüsse wie etwa die (Typhuserkrankung oder sonstige schwere Lebensumstände während der Internierung ausgelöst worden ist.
Die Klägerin wurde dann am 30. Oktober 1958 in die Psychiatrische und Nervenklinik "Universitätskrankenhaus E.” aufgenommen. Hier wurde bei einem neurologischen Normalbefund ein Subdepressiv-antriebsgehemmtes Bild mit hypochondrischen Zügen, das wiederum eindeutige Züge einer endogenen Depression trug, festgestellt.
Daraus, daß sich der Beklagte die Auffassung des Dr. S. in seinem Schriftsatz vom 21. Oktober 1976 zu eigen macht, ergibt sich, daß er auch eine "Nervenschwäche”, oder wie auch immer man die depressive Erkrankung der Klägerin bezeichnen will, als Schädigungsfolge ablehnt.
Über die Nervenschwäche der Klägerin konnte der Senat eine Entscheidung treffen, obwohl es an einer förmlichen Vorentscheidung des Beklagten hierüber fehlt. Der erkennende Senat folgt insoweit dem Urteil des BSG vom 6. Oktober 1977 – 9 RV 66/76 – (SozR 1500 § 99 SGG). Bei der Entscheidung über die Rechtmäßigkeit eines Bescheides sind die Gerichte nämlich nicht an den Rahmen gebunden, den die Verwaltung bei ihrem Bescheid eingehalten hat. Dies ergibt sich aus dem Gedanken der Einheitlichkeit des Rentenanspruches (vgl. BSGE 11/28 und Krebs SGB 1959/75) und aus dem Gesichtspunkt der Prozeßökonomie, um einen weiteren Rechtsstreit wegen der Nervenschwäche der Klägerin zu verhindern. Sowohl der begehrte Zugunstenbescheid wie auch die Entscheidung über die Nervenschwäche stellen beides Teilfaktoren eines einheitlichen Rentenanspruches dar, wenn auch die einzelnen Ansprüche verselbständigt sind (vgl. hierzu für die Berücksichtigung der verschiedenen Teilfaktoren nach § 30 Abs. 1 und Abs. 2 BVG BSGE 36/285; 37/80, 84; SozR 3900 § 40 Nr. 3 S. 9).
Bei richtiger Würdigung der Klageschrift der Klägerin geht es ihr einmal darum, die Ablehnung eines Zugunstenbescheides zu beseitigen, zum anderen aber darum, ihre in der vordruckmäßigen Ergänzung vom 10. Juni 1975 ihres Neuantrages vom 21. Mai 1975 mit "Nervenschwäche” bezeichnete vermeintliche Schädigungsfolge neben der dort aufgeführten Erkrankung an "Herz und Kreislauf” als Schädigungsfolge anerkannt zu bekommen und hierfür eine Rente nach einer vom Gericht festzustellenden einheitlichen Gesamt-MdE zu erhalten.
Diesem Verlangen hat der Beklagte insoweit nicht entsprochen, als er über die "Nervenschwäche” keine Entscheidung getroffen hat. Daß die Klägerin hierüber eine Entscheidung begehrte, ergibt sich aber bereits aus ihrer Klageschrift, indem sie auf die Unterlagen der Nervenklinik E. verwiesen hat. Dieses eindeutige Verlangen der Klägerin auch eine "Nervenschwäche” als Schädigungsfolge festgestellt zu bekommen und hierfür zusammen mit Herz- und Kreislaufstörungen eine Rente zu erhalten, stellt sich gegenüber dem angefochtenen Bescheid in der Fassung des Widerspruchsbescheides lediglich als eine ergänzende Begründung oder eine Erweiterung des Klagebegehrens, nicht aber als eine Klageänderung dar.
Das BSG hat dies in seinem erwähnten Urteil vom 6. Oktober 1977 für den Fall festgestellt, daß noch eine in dem angefochtenen Bescheid nicht berücksichtigte Änderung der Verhältnisse geltend gemacht wird. Dies trifft auch entsprechend den vorliegenden Fall der Klägerin, die eine Ergänzung der angefochtenen Entscheidung nicht wegen Änderung der Verhältnisse, sondern durch einen weiteren Erstbescheid begehrt, da der Erstbescheid des Beklagten vom 21. Januar 1970 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Februar 1970 wie auch die Ablehnung eines Zugunstenbescheides durch Bescheid des Beklagten vom 30. Juni 1975 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. September 1975 über die "Nervenschwäche” keine Entscheidung getroffen hat und es somit der Ergänzung "durch eine erstmalige Entscheidung” im Sinne des Urteils des BSG vom 21. Mai 1974 – 9 RV 352/73 – bedarf. Dabei spielt es auch keine Rolle, daß ein Wechsel der Klageart vorliegt (vgl. BSGE 27/245; Peters-Sautter-Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, Anmerkung 4 b zu § 99 SGG, S. II/61 – 35 – mit weiteren Nachweisen), da die Klägerin mit der Feststellung einer "Nervenschwäche” als Schädigungsfolge eine Leistungsklage erhebt, die gegenüber dem versagten Zugunstenbescheid nicht vorliegt.
Die Einbeziehung einer Entscheidung über die "Nervenschwäche” auch ohne eine entsprechende Vorentscheidung der Verwaltung durch einen förmlichen Bescheid verletzt auch das Prinzip der Gewaltenteilung (Art. 20 Abs. 2 GG) nicht, wie das BSG im einzelnen in seinem zitierten Urteil vom 6. Oktober 1977 ausgeführt hat.
Die Berufung kann deshalb auch insoweit keinen Erfolg haben, als eine depressive Erkrankung zur Feststellung als Schädigungsfolge begehrt wird.
Die Kostenentscheidung wurde aus § 193 SGG gewonnen.
Für die Zulassung der Revision bestand nach § 160 Abs. 1 SGG keine Veranlassung.
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