Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 6 An 590/78
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Ein die Rückforderung von Leistungen begründendes Verschulden des Leistungsempfängers liegt im allgemeinen nicht schon darin, daß er nicht ständig die Sozialgesetzgebung auf ihre Auswirkung auf seinen Leistungsanspruch hin überprüft.
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 7. April 1978 wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte hat der Klägerin auch die im Berufungsverfahren zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstandenen Aufwendungen zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Rückforderung eines Kinderzuschusses.
Die Klägerin erhält seit 1. Januar 1970 von der Beklagten Altersruhegeld. In diesem war ein Kinderzuschuß für das am 6. März 1955 geborene Pflegekind T. enthalten. Der Kinderzuschuß wurde wegen Schulbesuche über das 18. Lebensjahr hinaus gewährt.
Am 26. Februar 1976 übersandte die Beklagte der Klägerin einen Fragebogen zwecks Überprüfung der Kinderzuschüsse nach dem Haushaltsstrukturgesetz und des 19. Rentenanpassungsgesetz. Diesen Fragebogen sandte die Klägerin am 26. März 1976 an die Beklagte zurück. Dabei hat die Klägerin die Antwort auf die Frage, ob für ein Pflegekind Kinderzuschuß gezahlt wird, offen gelassen.
Durch Bescheid vom 24. Februar 1977 entzog die Beklagte den Kinderzuschuß rückwirkend zum 1. Juli 1976 mit der Begründung, ein Anspruch auf Kinderzuschuß für Pflegekinder sei von diesem Zeitpunkt an entfallen. Hinsichtlich der bis Ende März 1977 eingetretenen Überzahlung in Höhe von 1.376,10 DM forderte die Beklagte die Klägerin auf, geeignete Ratenzahlungsvorschläge zu unterbreiten, sofern eine Rückzahlung in einer Summe nicht möglich sei. Der hiergegen erhobene Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 24. Juni 1977).
Mit ihrer Klage machte die Klägerin geltend, der Beklagten sei bekannt gewesen, daß es sich bei ihrem Neffen T. um ein Pflegekind gehandelt habe. Von einem Wegfall des Anspruches auf Kindergeld habe sie nichts gewußt. Sie habe vom Arbeitsamt ab September 1977 Kindergeld erhalten.
Während des Klageverfahrens erließ die Beklagte am 8. September 1977 einen Rückforderungsbescheid über 1.376,10 DM, den die Klägerin ebenfalls mit der Klage anfocht. Während dieses Klageverfahrens wurde das Widerspruchsverfahren nachgeholt (Widerspruchsbescheid vom 8. Februar 1978).
Hiernach richtete die Klägerin ihre Klage nur noch gegen den Bescheid vom 8. September 1977 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Februar 1978. Hierzu vertrat die Beklagte die Auffassung, die Klägerin habe die Überzahlung allein verschuldet, da sie die im Fragebogen enthaltene Frage nach dem Pflegekind nicht beantwortet habe.
Durch Urteil vom 7. April 1978 hat das Sozialgericht Kassel der Klage stattgegeben mit der Begründung, die Beklagte treffe ein Verschulden an der Überzahlung dadurch, daß sie im Hinblick auf die fehlende Antwort keine Rückfrage gehalten habe. Hierdurch oder durch Überprüfung der Rentenakte hätte die Überzahlung vermieden werden können. Die Klägerin habe die entscheidende Frage nicht bewußt unbeantwortet gelassen.
Gegen dieses der Beklagten am 8. Mai 1978 zugestellte Urteil richtet sich ihre am 2. Juni 1978 beim Hessischen Landessozialgericht eingegangene Berufung, mit der sie sich gegen die Rechtsauffassung des Sozialgerichts wendet. Sie trägt vor, die Klägerin habe die Überzahlung dadurch verschuldet, daß sie eine an sie gestellte Frage fahrlässig nicht beantwortet habe. Demgegenüber sei das Verschulden der Beklagten geringer einzuschätzen. Die Klägerin habe keinen Vertrauensschutz für die Weiterzahlung des Kinderzuschusses. Es sei zu unterstellen, daß die Klägerin gewußt habe, daß die Berechtigung zum Empfang des Kinderzuschusses für das Pflegekind entfallen gewesen sei. Das Haushaltsstrukturgesetz sei in den Nachrichtenmedien und in der Öffentlichkeit breit diskutiert worden. Bei der Fragebogenaktion habe es sich um ein typisches Massengeschäft gehandelt. Das Sozialgericht habe die Möglichkeiten der Beklagten zur äußersten Sorgfalt verkannt.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 7. April 1978 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt (sinngemäß),
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und trägt vor, die Beklagte habe ihre Sorgfaltspflichten verletzt.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 8. Februar 1979 war die Klägerin trotz ordnungsmäßiger Ladung weder erschienen noch vertreten.
Ergänzend wird auf den Inhalt der Gerichts- und Rentenakten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig, sie ist an sich statthaft und in rechter Form und Frist eingelegt (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz – SGG –). Da der Beschwerdewert hier 1.000,– DM übersteigt, greift der Berufungsausschluß des § 149 SGG nicht Platz. Der Senat konnte trotz Ausbleibens der Klägerin im Termin entscheiden, da die Ladung einen entsprechenden Hinweis enthielt (§ 110 SGG).
In der Sache selbst erweist sich jedoch die Berufung als unbegründet.
Das angefochtene Urteil ist zu Recht ergangen. Der Rückforderungsanspruch der Beklagten findet im Gesetz keine ausreichende Stütze. Die Voraussetzungen des § 80 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) sind nicht erfüllt.
Nach § 30 Satz 2 AVG darf die Beklagte eine Leistung nur zurückfordern, wenn sie für die Überzahlung kein Verschulden trifft und nur soweit die Klägerin bei Empfang wußte oder wissen mußte, daß ihr die Leistung nicht oder nicht in der gewährten Höhe zustand. Hierbei steht ein Verschulden der Beklagten an der Überzahlung der Rückforderung dann nicht entgegen, wenn die Überzahlung von der Klägerin als Leistungsempfängerin vorsätzlich oder grobfahrlässig herbeigeführt worden ist (vgl. BSG, SozR RVO 1301 Nr. 16 und SozR 2200 § 1301 Nr. 3 und BSG Urteil vom 31. Oktober 1978 – 4 RJ 115/77). In der letzten Entscheidung hat das Bundessozialgericht klar herausgestellt, daß das Verschulden des Leistungsempfängers an der Überzahlung größer sein muß als das des Versicherungsträgers. Damit steht es im Einklang mit der übrigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts. Das Bundessozialgericht (a.a.O.) setzt sich auch mit dem Urteil des 11. Senates des BSG (SozR 2200 § 1301 Nr. 3) überzeugend auseinander. Von Bedeutung sind somit die besonderen Umstände des Einzelfalles (vgl. BSG, SozR 4100 § 152 AFG Nr. 3). Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt.
Einmal hat die Klägerin die Überzahlung weder vorsätzlich noch grobfahrlässig verschuldet. Zum anderen überwiegt das Verschulden der Beklagten an der Überzahlung.
Weder wußte die Klägerin noch mußte sie wissen, daß ihr Anspruch auf Kinderzuschuß für das Pflegekind T. infolge Gesetzesänderungen ab 1. Juli 1976 entfiel. Es kann von einem Rentenempfänger nicht erwartet werden, daß er die Sozialgesetzgebung ständig daraufhin verfolgt und überprüft, welche Auswirkungen sich hieraus auf seinen Rentenanspruch ergeben. Selbst eine breit angelegte Diskussion eines Gesetzes in den Nachrichtenmedien und der Öffentlichkeit kann im allgemeinen weder verhindern noch bewirken, daß ein Bürger seine sozial-rechtlichen Ansprüche überprüft und von sich aus einen Sozialleistungsträger auf Leistungsänderungen zu seinen Ungunsten hinweist. Eine nicht gehörige Beachtung derartiger Gesetzesänderungen begründet keinesfalls den Vorwurf des Vorsatzes oder der groben Fahrlässigkeit. Offenbar erwartet die Beklagte auch selbst nicht von ihren Rentnern, daß sie sich über Rechtsänderungen informieren und von sich aus auf geänderte Leistungsansprüche aufmerksam machen. Anderenfalls waren Fragebogenaktionen überflüssig.
Zwar hat die Klägerin den ihr zugesandten Fragebogen unvollständig ausgefüllt. Sei der dadurch eingetretenen Überzahlung überwiegt jedoch das Verschulden der Beklagten. Auch im typischen Massengeschäft müssen Fragebogen, bei denen mehrere Antworten möglich sind, nach der Art der Beantwortung ausgewertet werden. Anderenfalls verliert eine Fragebogenaktion ihren Sinn. Bei der Auswertung der Fragebogen muß es auffallen, wenn eine Frage überhaupt nicht beantwortet ist. Derartige Fragebogen können und müssen von den vollständig ausgefüllten ausgesondert werden. Die weitere Auswertung kann sich darauf erstrecken, ob die nicht beantwortete Frage von Bedeutung ist. Im vorliegenden Fall ist sie offensichtlich von Bedeutung, weil hiervon der Anspruch auf die Weitergewährung des Kinderzuschusses abhing. Deshalb war es der Beklagten ohne weiteres möglich und zuzumuten, den Fragebogen zur vollständigen Beantwortung aller Fragen an die Klägerin zurückzusenden.
Keinesfalls standen dem die Besonderheiten das typischen Massengeschäftes entgegen. Es ist verwaltungstechnisch ohne weiteres möglich, die im Rahmen der Auswertung ausgesonderten Fragebogen wieder – ggfs. formularmäßig – an ihre Einsender zur Vervollständigung zurückzusenden. Hierauf weist das angefochtene Urteil zutreffend hin.
Das überwiegende Verschulden der Beklagten an der Überzahlung besteht darin, daß sie den von der Klägerin eingesandten Fragebogen unrichtig ausgewertet hat. Derartige Fehler sind in typischen Massengeschäft kaum zu vermeiden; sie begründen jedoch ein Organisationsverschulden der Beklagten und nicht ein Verschulden der Klägerin. Diese hat der Beklagten keine Veranlassung gegeben, von einem Anspruch auf Weitergewährung des Kinderzuschusses auch ab 1. Juli 1976 auszugehen. Insbesondere hatte die Beklagte keine Veranlassung, aus der Nichtbeantwortung einer Frage durch die Klägerin den Schluß zu ziehen, daß es sich bei dem Neffen der Klägerin nicht um ein Pflegekind handelte. Bei richtiger Auswertung des Fragebogens hätte der Beklagten die Unklarheit hinsichtlich des Pflegekindes auffallen müssen. Diese Unklarheit hätte rechtzeitig beseitigt werden können mit der Folge, daß es nicht erst zu einer Überzahlung gekommen wäre.
Nach alldem erweist sich die Berufung der Beklagten als unbegründet.
Die Kostenentscheidung wurde aus § 193 SGG gewonnen.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Frage des Verschuldens an der Überzahlung insbesondere durch das Urteil des BSG vom 31. Oktober 1978 – 4 RJ 115/77 – geklärt ist.
II. Die Beklagte hat der Klägerin auch die im Berufungsverfahren zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstandenen Aufwendungen zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Rückforderung eines Kinderzuschusses.
Die Klägerin erhält seit 1. Januar 1970 von der Beklagten Altersruhegeld. In diesem war ein Kinderzuschuß für das am 6. März 1955 geborene Pflegekind T. enthalten. Der Kinderzuschuß wurde wegen Schulbesuche über das 18. Lebensjahr hinaus gewährt.
Am 26. Februar 1976 übersandte die Beklagte der Klägerin einen Fragebogen zwecks Überprüfung der Kinderzuschüsse nach dem Haushaltsstrukturgesetz und des 19. Rentenanpassungsgesetz. Diesen Fragebogen sandte die Klägerin am 26. März 1976 an die Beklagte zurück. Dabei hat die Klägerin die Antwort auf die Frage, ob für ein Pflegekind Kinderzuschuß gezahlt wird, offen gelassen.
Durch Bescheid vom 24. Februar 1977 entzog die Beklagte den Kinderzuschuß rückwirkend zum 1. Juli 1976 mit der Begründung, ein Anspruch auf Kinderzuschuß für Pflegekinder sei von diesem Zeitpunkt an entfallen. Hinsichtlich der bis Ende März 1977 eingetretenen Überzahlung in Höhe von 1.376,10 DM forderte die Beklagte die Klägerin auf, geeignete Ratenzahlungsvorschläge zu unterbreiten, sofern eine Rückzahlung in einer Summe nicht möglich sei. Der hiergegen erhobene Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 24. Juni 1977).
Mit ihrer Klage machte die Klägerin geltend, der Beklagten sei bekannt gewesen, daß es sich bei ihrem Neffen T. um ein Pflegekind gehandelt habe. Von einem Wegfall des Anspruches auf Kindergeld habe sie nichts gewußt. Sie habe vom Arbeitsamt ab September 1977 Kindergeld erhalten.
Während des Klageverfahrens erließ die Beklagte am 8. September 1977 einen Rückforderungsbescheid über 1.376,10 DM, den die Klägerin ebenfalls mit der Klage anfocht. Während dieses Klageverfahrens wurde das Widerspruchsverfahren nachgeholt (Widerspruchsbescheid vom 8. Februar 1978).
Hiernach richtete die Klägerin ihre Klage nur noch gegen den Bescheid vom 8. September 1977 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Februar 1978. Hierzu vertrat die Beklagte die Auffassung, die Klägerin habe die Überzahlung allein verschuldet, da sie die im Fragebogen enthaltene Frage nach dem Pflegekind nicht beantwortet habe.
Durch Urteil vom 7. April 1978 hat das Sozialgericht Kassel der Klage stattgegeben mit der Begründung, die Beklagte treffe ein Verschulden an der Überzahlung dadurch, daß sie im Hinblick auf die fehlende Antwort keine Rückfrage gehalten habe. Hierdurch oder durch Überprüfung der Rentenakte hätte die Überzahlung vermieden werden können. Die Klägerin habe die entscheidende Frage nicht bewußt unbeantwortet gelassen.
Gegen dieses der Beklagten am 8. Mai 1978 zugestellte Urteil richtet sich ihre am 2. Juni 1978 beim Hessischen Landessozialgericht eingegangene Berufung, mit der sie sich gegen die Rechtsauffassung des Sozialgerichts wendet. Sie trägt vor, die Klägerin habe die Überzahlung dadurch verschuldet, daß sie eine an sie gestellte Frage fahrlässig nicht beantwortet habe. Demgegenüber sei das Verschulden der Beklagten geringer einzuschätzen. Die Klägerin habe keinen Vertrauensschutz für die Weiterzahlung des Kinderzuschusses. Es sei zu unterstellen, daß die Klägerin gewußt habe, daß die Berechtigung zum Empfang des Kinderzuschusses für das Pflegekind entfallen gewesen sei. Das Haushaltsstrukturgesetz sei in den Nachrichtenmedien und in der Öffentlichkeit breit diskutiert worden. Bei der Fragebogenaktion habe es sich um ein typisches Massengeschäft gehandelt. Das Sozialgericht habe die Möglichkeiten der Beklagten zur äußersten Sorgfalt verkannt.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 7. April 1978 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt (sinngemäß),
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und trägt vor, die Beklagte habe ihre Sorgfaltspflichten verletzt.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 8. Februar 1979 war die Klägerin trotz ordnungsmäßiger Ladung weder erschienen noch vertreten.
Ergänzend wird auf den Inhalt der Gerichts- und Rentenakten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig, sie ist an sich statthaft und in rechter Form und Frist eingelegt (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz – SGG –). Da der Beschwerdewert hier 1.000,– DM übersteigt, greift der Berufungsausschluß des § 149 SGG nicht Platz. Der Senat konnte trotz Ausbleibens der Klägerin im Termin entscheiden, da die Ladung einen entsprechenden Hinweis enthielt (§ 110 SGG).
In der Sache selbst erweist sich jedoch die Berufung als unbegründet.
Das angefochtene Urteil ist zu Recht ergangen. Der Rückforderungsanspruch der Beklagten findet im Gesetz keine ausreichende Stütze. Die Voraussetzungen des § 80 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) sind nicht erfüllt.
Nach § 30 Satz 2 AVG darf die Beklagte eine Leistung nur zurückfordern, wenn sie für die Überzahlung kein Verschulden trifft und nur soweit die Klägerin bei Empfang wußte oder wissen mußte, daß ihr die Leistung nicht oder nicht in der gewährten Höhe zustand. Hierbei steht ein Verschulden der Beklagten an der Überzahlung der Rückforderung dann nicht entgegen, wenn die Überzahlung von der Klägerin als Leistungsempfängerin vorsätzlich oder grobfahrlässig herbeigeführt worden ist (vgl. BSG, SozR RVO 1301 Nr. 16 und SozR 2200 § 1301 Nr. 3 und BSG Urteil vom 31. Oktober 1978 – 4 RJ 115/77). In der letzten Entscheidung hat das Bundessozialgericht klar herausgestellt, daß das Verschulden des Leistungsempfängers an der Überzahlung größer sein muß als das des Versicherungsträgers. Damit steht es im Einklang mit der übrigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts. Das Bundessozialgericht (a.a.O.) setzt sich auch mit dem Urteil des 11. Senates des BSG (SozR 2200 § 1301 Nr. 3) überzeugend auseinander. Von Bedeutung sind somit die besonderen Umstände des Einzelfalles (vgl. BSG, SozR 4100 § 152 AFG Nr. 3). Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt.
Einmal hat die Klägerin die Überzahlung weder vorsätzlich noch grobfahrlässig verschuldet. Zum anderen überwiegt das Verschulden der Beklagten an der Überzahlung.
Weder wußte die Klägerin noch mußte sie wissen, daß ihr Anspruch auf Kinderzuschuß für das Pflegekind T. infolge Gesetzesänderungen ab 1. Juli 1976 entfiel. Es kann von einem Rentenempfänger nicht erwartet werden, daß er die Sozialgesetzgebung ständig daraufhin verfolgt und überprüft, welche Auswirkungen sich hieraus auf seinen Rentenanspruch ergeben. Selbst eine breit angelegte Diskussion eines Gesetzes in den Nachrichtenmedien und der Öffentlichkeit kann im allgemeinen weder verhindern noch bewirken, daß ein Bürger seine sozial-rechtlichen Ansprüche überprüft und von sich aus einen Sozialleistungsträger auf Leistungsänderungen zu seinen Ungunsten hinweist. Eine nicht gehörige Beachtung derartiger Gesetzesänderungen begründet keinesfalls den Vorwurf des Vorsatzes oder der groben Fahrlässigkeit. Offenbar erwartet die Beklagte auch selbst nicht von ihren Rentnern, daß sie sich über Rechtsänderungen informieren und von sich aus auf geänderte Leistungsansprüche aufmerksam machen. Anderenfalls waren Fragebogenaktionen überflüssig.
Zwar hat die Klägerin den ihr zugesandten Fragebogen unvollständig ausgefüllt. Sei der dadurch eingetretenen Überzahlung überwiegt jedoch das Verschulden der Beklagten. Auch im typischen Massengeschäft müssen Fragebogen, bei denen mehrere Antworten möglich sind, nach der Art der Beantwortung ausgewertet werden. Anderenfalls verliert eine Fragebogenaktion ihren Sinn. Bei der Auswertung der Fragebogen muß es auffallen, wenn eine Frage überhaupt nicht beantwortet ist. Derartige Fragebogen können und müssen von den vollständig ausgefüllten ausgesondert werden. Die weitere Auswertung kann sich darauf erstrecken, ob die nicht beantwortete Frage von Bedeutung ist. Im vorliegenden Fall ist sie offensichtlich von Bedeutung, weil hiervon der Anspruch auf die Weitergewährung des Kinderzuschusses abhing. Deshalb war es der Beklagten ohne weiteres möglich und zuzumuten, den Fragebogen zur vollständigen Beantwortung aller Fragen an die Klägerin zurückzusenden.
Keinesfalls standen dem die Besonderheiten das typischen Massengeschäftes entgegen. Es ist verwaltungstechnisch ohne weiteres möglich, die im Rahmen der Auswertung ausgesonderten Fragebogen wieder – ggfs. formularmäßig – an ihre Einsender zur Vervollständigung zurückzusenden. Hierauf weist das angefochtene Urteil zutreffend hin.
Das überwiegende Verschulden der Beklagten an der Überzahlung besteht darin, daß sie den von der Klägerin eingesandten Fragebogen unrichtig ausgewertet hat. Derartige Fehler sind in typischen Massengeschäft kaum zu vermeiden; sie begründen jedoch ein Organisationsverschulden der Beklagten und nicht ein Verschulden der Klägerin. Diese hat der Beklagten keine Veranlassung gegeben, von einem Anspruch auf Weitergewährung des Kinderzuschusses auch ab 1. Juli 1976 auszugehen. Insbesondere hatte die Beklagte keine Veranlassung, aus der Nichtbeantwortung einer Frage durch die Klägerin den Schluß zu ziehen, daß es sich bei dem Neffen der Klägerin nicht um ein Pflegekind handelte. Bei richtiger Auswertung des Fragebogens hätte der Beklagten die Unklarheit hinsichtlich des Pflegekindes auffallen müssen. Diese Unklarheit hätte rechtzeitig beseitigt werden können mit der Folge, daß es nicht erst zu einer Überzahlung gekommen wäre.
Nach alldem erweist sich die Berufung der Beklagten als unbegründet.
Die Kostenentscheidung wurde aus § 193 SGG gewonnen.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Frage des Verschuldens an der Überzahlung insbesondere durch das Urteil des BSG vom 31. Oktober 1978 – 4 RJ 115/77 – geklärt ist.
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