L 5 V 685/73

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
5
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 5 V 685/73
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Die langjährige, im wesentlichen ambulant ausgeübte selbständige Tätigkeit eines Milchhändlers ist nicht geeignet, das wirtschaftliche Ergebnis der selbständigen Tätigkeit erheblich über das ohne Berufsausbildung erreichbare Maß zu fördern.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 15. Juni 1973 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Der 1903 geborene Ehemann der Klägerin ist am 4. Januar 1945 als Soldat gefallen. Die Klägerin bezieht daher Hinterbliebenenrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG). Mit Bescheid vom 15. November 1966 wurde der von der Klägerin beantragte Schadensausgleich nach § 40 a BVG abgelehnt, da sich kein Zahlbetrag hierfür ergebe. Hierbei wurde der Ehemann der Klägerin als selbständig Tätiger (Milchhändler) mit Volksschulbildung ohne Berufsausbildung in die Besoldungsgruppe A 5 des Bundesbesoldungsgesetzes (BBesG) eingestuft.

Im April 1970 beantragte die Klägerin erneut die Gewährung von Schadensausgleich. Ihr Ehemann sei nach seiner Entlassung aus der Volksschule im Jahre 1917 im elterlichen Milchgeschäft tätig gewesen, welches er 1926 – ambulant – übernommen habe. Im Jahre 1942 habe er mit ihr ein Milch- und Lebensmittelgeschäft in D., H., gegründet, das infolge des Luftangriffs am 11. September 1944 total zerstört worden sei.

Mit Bescheid vom 23. April 1971 lehnte der Beklagte u.a. erneut die Gewährung von Schadensausgleich nach § 40 a BVG ab, weil sich kein entsprechender Zahlbetrag ergebe. Bezüglich der beruflichen Einstufung des Ehemannes wurde auf den vorgenannten Bescheid verwiesen.

Mit ihrem hiergegen eingelegten Widerspruch begehrte die Klägerin u.a. die Einstufung ihres Ehemannes in die Besoldungsgruppe A 7, wie dies auch bei landwirtschaftlichen Unternehmern geschehe.

Hierzu erließ der Beklagte den Abhilfebescheid vom 31. Juli 1971, welcher es jedoch bezüglich des Schadensausgleichs bei der Regelung in dem angefochtenen Bescheid beließ. Letzteres gilt auch für den weiter ergangenen Neufeststellungsbescheid vom 22. November 1971, welcher gleichfalls nach § 96 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) Gegenstand des anhängigen Vorverfahrens wurde.

In Fortführung des obigen Widerspruchs begehrte die Klägerin weiterhin die Einstufung ihres Ehemannes in die Besoldungsgruppe A 7 wegen langjähriger Tätigkeit in seiner Branche. Sie behauptete hierzu, ihr Ehemann habe eine berufliche Anlernzeit sowie einschlägige Kurse und Prüfungen absolviert. Das Versorgungsamt holte hierzu eine Auskunft der Industrie- und Handelskammer D. vom 11. Dezember 1972 ein, nach welcher gemäß § 14 des Milchgesetzes vom 31. Juli 1930 für den Milchhandel der Nachweis der Sachkunde erforderlich ist. Jedoch sei hierfür eine besondere Ausbildung nicht vorgesehen, sondern die Beschaffung der Sachkunde dem Einzelnen überlassen. Der Nachweis der Sachkunde sei im übrigen auch für den Handel mit Lebensmitteln erforderlich, wobei zur Beschaffung der Sachkunde eine mehrjährige Tätigkeit genüge.

Hierzu half der Beklagte mit Bescheid vom 27. März 1972 dem Widerspruch nicht ab. Vorliegend sei keine abgeschlossene Berufsausbildung erforderlich, welcher im übrigen auch der Sachkundenachweis keineswegs entspreche; dies gelte auch für die von der Klägerin angegebenen Kurse. Hier sei eine langjährige berufliche Tätigkeit einer abgeschlossenen Berufsausbildung nicht gleichzustellen, da auch die Sachkunde bzw. die langjährige Tätigkeit das Verkaufsergebnis nicht wesentlich beeinflussen.

Mit ihrer hierauf erhobenen Klage stützte sich die Klägerin unter Wiederholung ihres bisherigen Vorbringens nur noch auf die Vorschrift des § 5 Abs. 2 a.F. der Durchführungsverordnung zu § 30 Abs. 3 und 4 BVG (DVO). Sie machte insofern geltend, daß auch das Verkaufsergebnis im Milchhandel durch eine langjährige einschlägige Tätigkeit beeinflußt werde.

Mit Urteil vom 15. Juni 1973 wies das Sozialgericht Darmstadt die Klage als unbegründet ab; auf die Entscheidungsgründe wird im einzelnen Bezug genommen.

Gegen dieses ihr am 2. Juli 1973 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 10. Juli 1973 Berufung eingelegt. Zu ihrer Begründung macht sie noch zusätzlich geltend, im Zeitpunkt der Selbständigmachung ihres Ehemannes sei bereits der Sachkundenachweis erforderlich gewesen. Insbesondere habe er dann in seinem später eröffneten und immerhin im Stadtkern gelegenen Ladengeschäft für Milch, Milchprodukte und Eier seine Sachkunde wesentlich vertiefen können. Letzteres sei vorliegend entscheidend, zumal es sich hier um eine besonders lange dauernde Tätigkeit gehandelt habe. Zu dieser seien auch kaufmännische, buchhalterische und Steuerkenntnisse erforderlich gewesen.

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 15. Juni 1973 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung bzw. Aufhebung seiner Bescheide vom 23. April 1971, 31. Juli 1971 und 22. November 1971 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. März 1972 zu verurteilen, ihr unter Einstufung ihres Ehemannes in die Besoldungsgruppe A 7 BBesG ab Antragstellung Schadensausgleich zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Er wendet ein, die Klägerin habe nichts wesentlich Neues vorgetragen. Die Vorschrift des § 5 Abs. 2 a.F. DVO sei sinnvoll nur auf Berufe mit einer geregelten Berufsausbildung anzuwenden, nicht also auf den Milchhandel, für dessen wirtschaftliches Ergebnis vor allem die Lage des Geschäftes sowie das Fehlen von Konkurrenzbetrieben maßgeblich seien.

Auf den weiteren Inhalt der Gerichts- und Versorgungsakten, welcher zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht wurde, wird im einzelnen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin ist zulässig; sie ist insbesondere form- und fristgerecht eingelegt sowie statthaft.

Die Berufung ist jedoch unbegründet. Der Entscheidung des Sozialgerichts ist jedenfalls im Ergebnis beizupflichten. Die Klägerin hat keinen Anspruch darauf, daß ihr Schadensausgleich nach § 40 a BVG unter Zugrundelegung des Endgrundgehalts der Besoldungsgruppe A 7 BBesG gewährt wird. Gemäß § 40 a Abs. 4 in Verbindung mit § 30 Abs. 8 BVG ist zur Ermittlung des zu entschädigenden Einkommensverlustes die Durchführungsverordnung zu § 30 Abs. 3 und 4 BVG (DVO) anzuwenden.

Zwischen den Beteiligten ist hierbei lediglich streitig, ob der verstorbene Ehemann der Klägerin als Milchhändler und damit als selbständig Tätiger, der Volksschulbildung besaß, angesichts des – unstreitigen – Fehlens einer geregelten Berufsausbildung statt nach § 5 Abs. 1 DVO in Besoldungsgruppe A 5 nach § 5 Abs. 2 a.F. bzw. Abs. 3 n.F. DVO in Besoldungsgruppe A 7 einzustufen ist. Diese Frage ist zu verneinen. Zwar hat der Ehemann die in der letztgenannten Vorschrift geforderte mehrjährige Tätigkeit in seinem Beruf ohne Zweifel und unstreitig zurückgelegt. Seine Tätigkeit erfüllt jedoch nicht das weitere gesetzliche Erfordernis, daß sie geeignet war, das wirtschaftliche Ergebnis der selbständigen Tätigkeit erheblich über das ohne Berufsausbildung erreichbare Maß hinaus zu fördern.

Wenn auch einer langjährigen Tätigkeit im Milchhandel nicht jeder Einfluß auf dessen wirtschaftliches Ergebnis abgesprochen werden kann, so handelt es sich dabei doch jedenfalls um keine "erhebliche” Förderung dieses Ergebnisses. Hierbei ist der Senat der Auffassung, daß die Regelung des § 5 Abs. 3 DVO grundsätzlich nur auf Berufe anzuwenden ist, die üblicherweise eine geregelte Ausbildungszeit erfordern (so Vorberg – van Nuis, Teil IV, Ausgabe 1970/71, S. 116).

Auch wenn man zugunsten der Klägerin dieser Auffassung nicht folgt, so kann doch vorliegend eine langjährige Berufspraxis einer abgeschlossenen Berufsausbildung nicht gleichgestellt werden. Das wirtschaftliche Ergebnis eines Milchgeschäftes hängt nämlich erfahrungsgemäß in erster Linie von seiner Lage (vorliegend im Stadtkern), dem Einzugskreis seiner Kunden und der Entfernung bzw. dem Fehlen von Konkurrenzgeschäften ab (vgl. auch das in dem Rundschreiben Nr. 11/67 des Landesversorgungsamtes Hessen wiedergegebene Schreiben des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung vom 29.9.1967), nicht aber entscheidend von der langjährigen Berufspraxis seines Inhabers. Hinzu kommt, daß der Verstorbene den Milchhandel von 1926 bis 1942 lediglich ambulant ausgeübt hat, wobei er die Kunden seines Bezirkes aufsuchen und an Ort und Stelle die Milch verteilen mußte. Hierbei hat es sich lediglich um eine vorwiegend manuelle Verteilungstätigkeit einfachster Art gehandelt. Dieser 16jährige Zeitraum scheidet von vornherein für eine Anwendung des § 5 Abs. 2 der DVO zu § 30 Abs. 3 und 4 BVG aus, weil eine solche Tätigkeit nicht geeignet war, das wirtschaftliche Ergebnis über das ohne Berufsausbildung erreichbare Maß zu fördern.

Erst die kaufmännische Tätigkeit ab 1942 in einem Ladengeschäft könnte allenfalls geeignet sein, die Voraussetzungen des § 5 Abs. 2 der DVO zu § 30 Abs. 3 und 4 BVG zu erfüllen. Das ist aber schon deswegen nicht möglich, weil die Einzelhandelstätigkeit nur etwa ein Jahr bis zur Einberufung ausgeübt worden ist (vgl. insoweit BSG Urt. v. 30. September 1970 – 8 RV 77/69 –). Im übrigen darf weiter nicht übersehen werden, daß die Klägerin in dem von ihr fortgeführten Einzelhandelsgeschäft nach dem Kriege nur niedrige Gewinne erzielt hat und deshalb von der Einkommensteuer freigestellt war. Daraus ist zu schließen, daß das 1942 gegründete Geschäft von vornherein nur einen geringen Umfang hatte. Demzufolge würde auch eine Zusammenfassung der ambulanten und der kaufmännischen Tätigkeit zu keiner anderen Beurteilung führen, weil das Geschäft seiner Art nach keine großen Gewinne abwerfen konnte. Nach alldem war deshalb die berufliche selbständige Tätigkeit nicht geeignet, das wirtschaftliche Ergebnis über das ohne Berufsausbildung erreichbare Maß zu fördern.

Auch der in § 14 des Milchgesetzes vom 31. Juli 1930, der übrigens entgegen der Meinung der Klägerin im Zeitpunkt der Selbständigmachung ihres Ehemannes im Jahre 1926 noch nicht galt, geforderte Nachweis der Sachkunde kann nicht von wesentlicher Bedeutung sein, zumal hierfür nach der Auskunft der Industrie- und Handelskammer D. keine besondere Ausbildung vorgesehen, sondern die Beschaffung der Sachkunde dem Einzelnen überlassen war. Im übrigen kann auch dem kaufmännischen Geschick des Buchhändlers keine entscheidende Bedeutung beigemessen werden, zumal der Milchhandel relativ einfach gestaltet ist. Schließlich ist hier auch ein Vergleich mit dem Landwirtsberuf nicht möglich, da dort ohne Ausbildung oder mehrjährige praktische Erfahrung eine selbständige Tätigkeit überhaupt unmöglich sein dürfte (vgl. Vorberg – van Nuis a.a.O. S. 117; BMA a.a.O.).

Nach alledem war die unbegründete Berufung, wie geschehen, zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Der Senat hat die Revision gegen das Urteil nicht zugelassen, da kein gesetzlicher Grund hierfür erkennbar war.
Rechtskraft
Aus
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