Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
5
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 5 V 1051/73
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Der Dienst als Hilfsarbeiter in einem Wehrertüchtigungslager ist kein militärähnlicher Dienst im Sinne des § 3, 1. BVG.
2. Eine Dienstverpflichtung oder ein Arbeitsvertrag bei der Wehrmacht im Sinne des § 3 Abs. 2 BVG liegt nur vor, wenn die Verpflichtung oder der Vertrag unmittelbar für Zwecke der Wehrmacht erfolgt ist. Dienst für eine Parteiorganisation fällt nicht hierunter.
3. Eine unmittelbare Kriegseinwirkung im Sinne des § 5 Abs. 1 BVG setzt voraus, daß im Falle des § 5 Abs. 1 b BVG die behördliche Maßnahme, z.B. ein Fliegeralarm unmittelbar zu einer Körperschädigung führt. Ist diese durch allgemeine Verdunkelungsmaßnahme eingetreten, entfällt der Versorgungsschutz.
2. Eine Dienstverpflichtung oder ein Arbeitsvertrag bei der Wehrmacht im Sinne des § 3 Abs. 2 BVG liegt nur vor, wenn die Verpflichtung oder der Vertrag unmittelbar für Zwecke der Wehrmacht erfolgt ist. Dienst für eine Parteiorganisation fällt nicht hierunter.
3. Eine unmittelbare Kriegseinwirkung im Sinne des § 5 Abs. 1 BVG setzt voraus, daß im Falle des § 5 Abs. 1 b BVG die behördliche Maßnahme, z.B. ein Fliegeralarm unmittelbar zu einer Körperschädigung führt. Ist diese durch allgemeine Verdunkelungsmaßnahme eingetreten, entfällt der Versorgungsschutz.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt/Main vom 9. Oktober 1973 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Der 1923 geborene Kläger ist in der Tschechoslowakei wohnhaft. Als Zivilarbeiter des Wehrertüchtigungslagers 5/Reichslager "Germanische Jugend” in L. P. T./O. erlitt er am 19. September 1943 einen Unfall. Als Unfallfolgen blieben ein Zustand nach komplizierter Unterschenkelfraktur rechts sowie Narbenbildungen am Unterschenkel und eine Bewegungseinschränkung im rechten Sprunggelenk zurück. Aus Anlass dieses Unfalls wurde von der Bundesausführungsbehörde für Unfallversicherung eine Teilrente von 40 v.H. der Vollrente als Dauerrente festgestellt. Diese Rente ruht nach § 12 Abs. 1 Satz 1 FRG, da sich der Kläger außerhalb des Geltungsbereiches des Gesetzes aufhält (Bescheid vom 19. November 1973 und Widerspruchsbescheid vom 19. August 1975).
Der Kläger stellte am 15. Dezember 1970 wegen der Verletzungsfolgen Antrag auf Gewährung von Beschädigtenversorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG), da der Unfall während eines Fliegeralarms eingetreten sei. Er sei in Begleitung eines Offiziers der früheren deutschen Luftwaffe mit einem Motorrad zu einem Feldflugplatz in der Nähe des Wehrertüchtigungslagers gefahren und bei dieser nächtlichen Fahrt während der Verdunkelung durch Zusammenstoß mit einem Pkw verunglückt. Dabei habe er sich einen komplizierten Unterschenkelbruch mit den im ärztlichen Befund des Dr. M. beschriebenen Folgen zugezogen.
Mit Bescheid vom 10. Januar 1972 lehnte der Beklagte den Antrag ab, da der Kläger den Unfallschaden als Zivilangestellter im Wehrertüchtigungslager erlitten habe. Für derartige Schäden sehe das BVG keine Leistungen vor.
Mit dem Widerspruch machte der Kläger geltend, er habe im Lager als Zivilist nachweislich Dienste im Interesse der Wehrmacht versehen und sei dabei geschädigt worden.
Im Widerspruchsbescheid vom 15. Februar 1972 führte der Beklagte aus, die Tätigkeit im damaligen Wehrertüchtigungslager in O. sei kein militärähnlicher Dienst im Sinne des BVG gewesen. Dort hätten Jugendliche eine vormilitärische Ausbildung vor Erfüllung der Wehrpflicht erhalten. Der Kläger, habe dagegen das maßgebliche Alter für eine solche Ausbildung bereits überschritten gehabt. Er habe vielmehr in einem zivilen Arbeitsverhältnis gestanden, in das er vom zuständigen Arbeitsamt vermittelt worden sei. Die Folgen des Motorradunfalls konnten daher nach dem BVG nicht entschädigt werden.
In dem Klageverfahren vor dem Sozialgericht Frankfurt/M. trug der Kläger vor, sein Einsatz sei mit besonderen kriegseigentümlichen Gefahren für die Gesundheit verbunden gewesen. Der Unfall sei während eines Fliegeralarms mit Bombenangriff geschehen. Er habe im Lager Dienst auf Grund der Notdienstverordnung vom 15. Oktober 1938 (RGBl. S. 1441) geleistet.
Demgegenüber hat der Beklagte ausgeführt, die Tätigkeit des Klägers im Wehrertüchtigungslager könne nicht als militärähnlicher Dienst angesehen werden. Er habe dort als Zivilist Hilfsdienste geleistet. An der vormilitärischen Ausbildung der dort einberufenen Lehrgänge habe er nicht teilgenommen. Seine Verpflichtung zur Arbeit sei auf Grund der Dienstpflichtverordnung vom 13. Februar 1939 erfolgt und sei infolgedessen kein Notdienst im Sinne des § 3 Abs. 1 Buchst. k BVG.
Mit Urteil vom 9. Oktober 1973 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, die angefochtenen Bescheide seien nicht rechtswidrig. Die Gesundheitsstörungen gingen nicht mit Wahrscheinlichkeit auf schädigende Einwirkungen im Sinne des § 1 Abs. 1, 2 BVG zurück. Der Kläger sei zur Zeit des Unfalls kein Soldat gewesen und habe keinen militärischen Dienst geleistet. Als Zivilangestellter habe er auch keinen militärähnlichen Dienst verrichtet. Der Einsatz in einem Wehrertüchtigungslager im Heimatgebiet sei nicht mit besonderen kriegseigentümlichen Gefahren verbunden gewesen. Sein Unfall sei auch nicht auf eine unmittelbare Wirkung im Sinne des § 5 BVG zurückzuführen. Der Umstand dass der Unfall während eines Fliegerangriffs oder eines Fliegeralarms geschehen sei, erfülle jedenfalls keinen der Tatbestände des § 5 Abs. 1 BVG.
Gegen das an den Kläger mittels eingeschriebenen Briefes am 22. Oktober 1973 abgesandte Urteil hat er am 6. November 1973 Berufung bei dem Hessischen Landessozialgericht eingelegt. Zu deren Begründung trägt er vor, der Unfall sei im Rahmen einer Dienstfahrt eingetreten, die unter kriegseigentümlichen Gefahren stattgefunden habe. Damit seien die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 BVG erfüllt. Des weiteren kämen die Tatbestände des § 5 Abs. 1 b und e BVG in Betracht.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt/Main vom 9. Oktober 1973 und den Bescheid vom 10. Januar 1972 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Februar 1972 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend und führt ergänzend aus, auch eine unmittelbare Kriegseinwirkung im Sinne des § 5 BVG habe nicht vorgelegen.
Der Senat hat die Zeugin F. S. zur schriftlichen Beantwortung der im Schreiben vom 25. Februar 1975 aufgeführten Beweisfragen aufgefordert. Sie hat dazu die Erklärung vom 13. April 1975 abgegeben.
Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Die Versorgungsakte und die Rentenakte der Bundesausführungsbehörde für Unfallversicherung R-15-01535/73 haben vorgelegen. Auf ihren Inhalt und den der Gerichtsakte beider Rechtszüge wird zur Ergänzung des Tatbestandes Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung, über die der Senat im Einverständnis mit den Beteiligten gemäß § 124 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden konnte, ist zulässig; sie ist insbesondere frist- und formgerecht eingelegt worden (§§ 143, 151 Abs. 1 SGG). Sie ist jedoch unbegründet.
Der Bescheid vom 10. Januar 1972, der in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Februar 1972 Gegenstand der Klage, geworden ist (§ 95 SGG), ist zu Recht ergangen.
Wie aus § 65 BVG, zu schließen ist, ist dem Versorgungsrecht eine Doppelversorgung nach dem Recht der gesetzlichen Unfallversicherung und dem Versorgungsrecht fremd. Wenngleich auch die Bundesausführungsbehörde für Unfallversicherung den Unfall des Klägers bedenkenfrei als Arbeitsunfall im Sinne der Reichsversicherungsordnung festgestellt hat, musste der Senat gemäß § 54 BVG prüfen, ob der Unfall, weil er sich in der Zeit vom 1. Januar 1942 bis 8. Mai 1945 ereignet hat, zugleich eine Schädigung im Sinne des § 1 BVG darstellt. Denn in diesem Fall hat die Versorgung nach dem BVG Vorrang vor derjenigen des Unfallrechtes. Insoweit kann dahingestellt bleiben, zu welchem Personenkreis des § 7 BVG der Kläger gehört. Einen Anspruch auf Versorgung hätte er nur wenn der Unfall einem der Schädigungstatbestände der §§ 1 bis 5 BVG zugeordnet werden könnte. Das ist nicht der Fall. Dem Kläger stehen keine Versorgungsbezüge zu, weil er als Zivilangestellter keinen militärischen oder militärähnlichen Dienst geleistet hat und auch keiner unmittelbaren Kriegseinwirkung ausgesetzt war (§§ 1, 2, 3 und 5 BVG).
Das Sozialgericht ist zutreffend davon ausgegangen, daß der Kläger keinen militärischen Dienst im Sinne des § 2 Abs. 1 BVG geleistet hat. Damit entfällt die erste Alternative des § 1 Abs. 1 BVG. Diese Vorschrift käme nämlich nur dann in Frage, wenn der Kläger zur Zeit des Unfalls militärischen Dienst ausgeübt hätte. Der als Zivilangestellter im Wehrertüchtigungslager 5 geleistete Dienst gilt auch nicht als militärähnlicher Dienst im Sinne der Vorschrift des § 1 Abs. 1 BVG. Als solcher wäre er nur dann anzuerkennen, wenn der Kläger dort zur Ausbildung gewesen wäre (§ 3 Abs. 1 Buchst. 1 BVG). Das ist jedoch nicht der Fall. Denn er hat dort gegen ein Arbeitsentgelt als Hilfsarbeiter in einem zivilen Arbeitsverhältnis gestanden, das auf einer Verpflichtung durch das Arbeitsamt beruhte. Es hat sich dabei auch nicht um ein unmittelbares Vertragsverhältnis zur Wehrmacht gehandelt, denn das Lager war einer Parteiorganisation, nämlich der Hitler-Jugend, unterstellt. Ein Tatbestand des § 3 Abs. 2 BVG liegt damit ebenfalls nicht vor. Diese Vorschrift soll, wie sich aus der Verwaltungsvorschrift Nr. 10 zu § 3 BVG ergibt, vor allem den im unmittelbaren Vertragsverhältnis bei der Wehrmacht beschäftigt gewesenen Zivilbediensteten Versorgungsschutz gewähren. Infolgedessen muß eine enge Bindung zur Wehrmacht selbst bestanden haben (vgl. im übrigen Wilke/Wunderlich § 3 Anm. III).
Schließlich hat der Kläger auch keinen Dienst auf Grund der Notdienstverordnung (§ 3 k BVG) geleistet. Der Kläger war nach seinem eigenen Vortrag durch das zuständige Arbeitsamt zum Dienst im Wehrertüchtigungslager verpflichtet worden.
Somit hat er nicht Dienst auf Grund der Notdienstverordnung vom 15. Oktober 1938, sondern auf Grund der Dienstpflichtverordnung vom 13. Februar 1939 (RGBl. S. 206) geleistet. Ein solcher Dienst fällt nicht unter die Vorschrift des § 3 BVG. Damit entfallen zugleich alle Tatbestände des § 3 BVG, die einen militärähnlichen Dienst rechtfertigen könnten.
Wenn das Sozialgericht angenommen hat, daß der Unfall des Klägers auch nicht auf einer unmittelbaren Kriegseinwirkung nach §§ 1 Abs. 2 Buchst. a, 5 BVG beruht, so ist dem ebenfalls beizupflichten. Nach § 5 Abs. 1 Buchst. b BVG gelten als unmittelbare Kriegseinwirkungen behördliche Maßnahmen in unmittelbarem Zusammenhang mit Kampfhandlungen oder ihrer Vorbereitung, mit Ausnahme der allgemeinen Verdunkelungsmaßnahmen. Dazu ist der Fliegeralarm zu zählen, der nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSGE 2, 265 ff.) eine behördliche Maßnahme in unmittelbarem Zusammenhang mit Kampfhandlungen darstellt. Die Behauptung des Klägers, der Unfall habe sich während eines Fliegeralarms ereignet, begegnet jedoch schon erheblichen Zweifeln. Denn die Zeugin S. hat weder in der eidesstattlichen Erklärung vom 5. Juni 1973 (vgl. Akte der Bundesausführungsbehörde Seite 73) noch in der schriftlichen Beantwortung der Beweisfragen vom 13. April 1975 einen derartigen Vorfall erwähnt oder bestätigt. Sie hat vielmehr glaubhaft bekundet, daß am Unfalltag in dem Lager der "Tag der Wehrertüchtigung” gefeiert worden sei. Aus diesem Anlaß seien Wehrmachtsoffiziere anwesend gewesen. Diese hätten nach der Feier zur nächsten Bahnstation befördert werden müssen. Anläßlich einer solchen Fahrt sei der Kläger verunglückt. Davon habe sie am nächsten Tag gehört. Wenn sich der Unfall so abgespielt hat, wie ihn die Zeugin S. schildert, hat es sich mit Sicherheit um einen reinen Arbeitsunfall gehandelt. Die Aussage des Zeugen C. (Bl. 77 der Akten der Bundesausführungsbehörde) ist völlig wertlos, da der Kläger vom Transport eines Offiziers, der verwundet gewesen sein soll, überhaupt nichts erwähnt hat.
Selbst wenn man jedoch zugunsten des Klägers davon ausgehen wollte, daß sich die nächtliche Fahrt am 19. September 1943 während eines Fliegeralarms zugetragen habe, ist trotzdem dadurch nicht der Tatbestand des § 5 Abs. 1 Buchst. b BVG verwirklicht. Das wäre nach der Rechtsprechung des BSG (vgl. 8 RV 439/56 vom 23.10.1958) nur dann der Fall, wenn der Fliegeralarm als solcher unmittelbar zu einer Körperschädigung geführt hätte, etwa durch Abwurf von Bomben oder beim Aufsuchen eines Luftschutzbunkers. Von Bombenabwürfen hat der Kläger im Verwaltungsverfahren nicht vorgetragen. Die erst im Klageverfahren aufgestellte Behauptung erscheint deshalb nicht glaubhaft. Vor allem auch deswegen nicht, weil Fliegerangriffe mit Bombenabwurf im September 1943 auf das Gebiet von O. nicht stattgefunden haben.
Nach der eigenen Einlassung des Klägers im Verwaltungsverfahren ist der Unfall auch nicht unmittelbar durch den Fliegeralarm, sondern vielmehr durch die Verdunkelung eingetreten. Damit hat es sich aber um eine Schädigung infolge allgemeiner Verdunkelungsmaßnahmen gehandelt, die nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit Kampfhandlungen oder ihrer Vorbereitung gestanden haben (Wilke, Komm. zum BVG, § 5 II, 3). Denn die Verdunkelung ist lediglich eine Schutzmaßnahme gegen Fliegersicht und ausdrücklich in der Vorschrift des § 5 b BVG als Schädigungstatbestand ausgenommen. Bei dieser Sach- und Rechtslage ist § 5 Abs. 1 Buchst. b BVG nicht verletzt.
Da der Unfall nach allem als Folge allgemeiner Verdunkelungsmaßnahmen anzusehen ist, entfällt auch die Vorschrift des § 5 Abs. 1 e BVG als Anspruchsgrundlage. Dieser Tatbestand ist schon vom Sachverhalt her nicht gegeben, weil er eine kriegerische Maßnahme voraussetzt, die einen besonderen Gefahrenbereich hinterlassen haben muß. Einer solchen durch kriegerische Maßnahmen hervorgerufenen Gefahr ist der Kläger nicht erlegen. Damit war der Berufung der Erfolg zu versagen.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.
Die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG kam nach Lage des Falles nicht in Betracht.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Der 1923 geborene Kläger ist in der Tschechoslowakei wohnhaft. Als Zivilarbeiter des Wehrertüchtigungslagers 5/Reichslager "Germanische Jugend” in L. P. T./O. erlitt er am 19. September 1943 einen Unfall. Als Unfallfolgen blieben ein Zustand nach komplizierter Unterschenkelfraktur rechts sowie Narbenbildungen am Unterschenkel und eine Bewegungseinschränkung im rechten Sprunggelenk zurück. Aus Anlass dieses Unfalls wurde von der Bundesausführungsbehörde für Unfallversicherung eine Teilrente von 40 v.H. der Vollrente als Dauerrente festgestellt. Diese Rente ruht nach § 12 Abs. 1 Satz 1 FRG, da sich der Kläger außerhalb des Geltungsbereiches des Gesetzes aufhält (Bescheid vom 19. November 1973 und Widerspruchsbescheid vom 19. August 1975).
Der Kläger stellte am 15. Dezember 1970 wegen der Verletzungsfolgen Antrag auf Gewährung von Beschädigtenversorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG), da der Unfall während eines Fliegeralarms eingetreten sei. Er sei in Begleitung eines Offiziers der früheren deutschen Luftwaffe mit einem Motorrad zu einem Feldflugplatz in der Nähe des Wehrertüchtigungslagers gefahren und bei dieser nächtlichen Fahrt während der Verdunkelung durch Zusammenstoß mit einem Pkw verunglückt. Dabei habe er sich einen komplizierten Unterschenkelbruch mit den im ärztlichen Befund des Dr. M. beschriebenen Folgen zugezogen.
Mit Bescheid vom 10. Januar 1972 lehnte der Beklagte den Antrag ab, da der Kläger den Unfallschaden als Zivilangestellter im Wehrertüchtigungslager erlitten habe. Für derartige Schäden sehe das BVG keine Leistungen vor.
Mit dem Widerspruch machte der Kläger geltend, er habe im Lager als Zivilist nachweislich Dienste im Interesse der Wehrmacht versehen und sei dabei geschädigt worden.
Im Widerspruchsbescheid vom 15. Februar 1972 führte der Beklagte aus, die Tätigkeit im damaligen Wehrertüchtigungslager in O. sei kein militärähnlicher Dienst im Sinne des BVG gewesen. Dort hätten Jugendliche eine vormilitärische Ausbildung vor Erfüllung der Wehrpflicht erhalten. Der Kläger, habe dagegen das maßgebliche Alter für eine solche Ausbildung bereits überschritten gehabt. Er habe vielmehr in einem zivilen Arbeitsverhältnis gestanden, in das er vom zuständigen Arbeitsamt vermittelt worden sei. Die Folgen des Motorradunfalls konnten daher nach dem BVG nicht entschädigt werden.
In dem Klageverfahren vor dem Sozialgericht Frankfurt/M. trug der Kläger vor, sein Einsatz sei mit besonderen kriegseigentümlichen Gefahren für die Gesundheit verbunden gewesen. Der Unfall sei während eines Fliegeralarms mit Bombenangriff geschehen. Er habe im Lager Dienst auf Grund der Notdienstverordnung vom 15. Oktober 1938 (RGBl. S. 1441) geleistet.
Demgegenüber hat der Beklagte ausgeführt, die Tätigkeit des Klägers im Wehrertüchtigungslager könne nicht als militärähnlicher Dienst angesehen werden. Er habe dort als Zivilist Hilfsdienste geleistet. An der vormilitärischen Ausbildung der dort einberufenen Lehrgänge habe er nicht teilgenommen. Seine Verpflichtung zur Arbeit sei auf Grund der Dienstpflichtverordnung vom 13. Februar 1939 erfolgt und sei infolgedessen kein Notdienst im Sinne des § 3 Abs. 1 Buchst. k BVG.
Mit Urteil vom 9. Oktober 1973 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, die angefochtenen Bescheide seien nicht rechtswidrig. Die Gesundheitsstörungen gingen nicht mit Wahrscheinlichkeit auf schädigende Einwirkungen im Sinne des § 1 Abs. 1, 2 BVG zurück. Der Kläger sei zur Zeit des Unfalls kein Soldat gewesen und habe keinen militärischen Dienst geleistet. Als Zivilangestellter habe er auch keinen militärähnlichen Dienst verrichtet. Der Einsatz in einem Wehrertüchtigungslager im Heimatgebiet sei nicht mit besonderen kriegseigentümlichen Gefahren verbunden gewesen. Sein Unfall sei auch nicht auf eine unmittelbare Wirkung im Sinne des § 5 BVG zurückzuführen. Der Umstand dass der Unfall während eines Fliegerangriffs oder eines Fliegeralarms geschehen sei, erfülle jedenfalls keinen der Tatbestände des § 5 Abs. 1 BVG.
Gegen das an den Kläger mittels eingeschriebenen Briefes am 22. Oktober 1973 abgesandte Urteil hat er am 6. November 1973 Berufung bei dem Hessischen Landessozialgericht eingelegt. Zu deren Begründung trägt er vor, der Unfall sei im Rahmen einer Dienstfahrt eingetreten, die unter kriegseigentümlichen Gefahren stattgefunden habe. Damit seien die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 BVG erfüllt. Des weiteren kämen die Tatbestände des § 5 Abs. 1 b und e BVG in Betracht.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt/Main vom 9. Oktober 1973 und den Bescheid vom 10. Januar 1972 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Februar 1972 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend und führt ergänzend aus, auch eine unmittelbare Kriegseinwirkung im Sinne des § 5 BVG habe nicht vorgelegen.
Der Senat hat die Zeugin F. S. zur schriftlichen Beantwortung der im Schreiben vom 25. Februar 1975 aufgeführten Beweisfragen aufgefordert. Sie hat dazu die Erklärung vom 13. April 1975 abgegeben.
Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Die Versorgungsakte und die Rentenakte der Bundesausführungsbehörde für Unfallversicherung R-15-01535/73 haben vorgelegen. Auf ihren Inhalt und den der Gerichtsakte beider Rechtszüge wird zur Ergänzung des Tatbestandes Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung, über die der Senat im Einverständnis mit den Beteiligten gemäß § 124 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden konnte, ist zulässig; sie ist insbesondere frist- und formgerecht eingelegt worden (§§ 143, 151 Abs. 1 SGG). Sie ist jedoch unbegründet.
Der Bescheid vom 10. Januar 1972, der in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Februar 1972 Gegenstand der Klage, geworden ist (§ 95 SGG), ist zu Recht ergangen.
Wie aus § 65 BVG, zu schließen ist, ist dem Versorgungsrecht eine Doppelversorgung nach dem Recht der gesetzlichen Unfallversicherung und dem Versorgungsrecht fremd. Wenngleich auch die Bundesausführungsbehörde für Unfallversicherung den Unfall des Klägers bedenkenfrei als Arbeitsunfall im Sinne der Reichsversicherungsordnung festgestellt hat, musste der Senat gemäß § 54 BVG prüfen, ob der Unfall, weil er sich in der Zeit vom 1. Januar 1942 bis 8. Mai 1945 ereignet hat, zugleich eine Schädigung im Sinne des § 1 BVG darstellt. Denn in diesem Fall hat die Versorgung nach dem BVG Vorrang vor derjenigen des Unfallrechtes. Insoweit kann dahingestellt bleiben, zu welchem Personenkreis des § 7 BVG der Kläger gehört. Einen Anspruch auf Versorgung hätte er nur wenn der Unfall einem der Schädigungstatbestände der §§ 1 bis 5 BVG zugeordnet werden könnte. Das ist nicht der Fall. Dem Kläger stehen keine Versorgungsbezüge zu, weil er als Zivilangestellter keinen militärischen oder militärähnlichen Dienst geleistet hat und auch keiner unmittelbaren Kriegseinwirkung ausgesetzt war (§§ 1, 2, 3 und 5 BVG).
Das Sozialgericht ist zutreffend davon ausgegangen, daß der Kläger keinen militärischen Dienst im Sinne des § 2 Abs. 1 BVG geleistet hat. Damit entfällt die erste Alternative des § 1 Abs. 1 BVG. Diese Vorschrift käme nämlich nur dann in Frage, wenn der Kläger zur Zeit des Unfalls militärischen Dienst ausgeübt hätte. Der als Zivilangestellter im Wehrertüchtigungslager 5 geleistete Dienst gilt auch nicht als militärähnlicher Dienst im Sinne der Vorschrift des § 1 Abs. 1 BVG. Als solcher wäre er nur dann anzuerkennen, wenn der Kläger dort zur Ausbildung gewesen wäre (§ 3 Abs. 1 Buchst. 1 BVG). Das ist jedoch nicht der Fall. Denn er hat dort gegen ein Arbeitsentgelt als Hilfsarbeiter in einem zivilen Arbeitsverhältnis gestanden, das auf einer Verpflichtung durch das Arbeitsamt beruhte. Es hat sich dabei auch nicht um ein unmittelbares Vertragsverhältnis zur Wehrmacht gehandelt, denn das Lager war einer Parteiorganisation, nämlich der Hitler-Jugend, unterstellt. Ein Tatbestand des § 3 Abs. 2 BVG liegt damit ebenfalls nicht vor. Diese Vorschrift soll, wie sich aus der Verwaltungsvorschrift Nr. 10 zu § 3 BVG ergibt, vor allem den im unmittelbaren Vertragsverhältnis bei der Wehrmacht beschäftigt gewesenen Zivilbediensteten Versorgungsschutz gewähren. Infolgedessen muß eine enge Bindung zur Wehrmacht selbst bestanden haben (vgl. im übrigen Wilke/Wunderlich § 3 Anm. III).
Schließlich hat der Kläger auch keinen Dienst auf Grund der Notdienstverordnung (§ 3 k BVG) geleistet. Der Kläger war nach seinem eigenen Vortrag durch das zuständige Arbeitsamt zum Dienst im Wehrertüchtigungslager verpflichtet worden.
Somit hat er nicht Dienst auf Grund der Notdienstverordnung vom 15. Oktober 1938, sondern auf Grund der Dienstpflichtverordnung vom 13. Februar 1939 (RGBl. S. 206) geleistet. Ein solcher Dienst fällt nicht unter die Vorschrift des § 3 BVG. Damit entfallen zugleich alle Tatbestände des § 3 BVG, die einen militärähnlichen Dienst rechtfertigen könnten.
Wenn das Sozialgericht angenommen hat, daß der Unfall des Klägers auch nicht auf einer unmittelbaren Kriegseinwirkung nach §§ 1 Abs. 2 Buchst. a, 5 BVG beruht, so ist dem ebenfalls beizupflichten. Nach § 5 Abs. 1 Buchst. b BVG gelten als unmittelbare Kriegseinwirkungen behördliche Maßnahmen in unmittelbarem Zusammenhang mit Kampfhandlungen oder ihrer Vorbereitung, mit Ausnahme der allgemeinen Verdunkelungsmaßnahmen. Dazu ist der Fliegeralarm zu zählen, der nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSGE 2, 265 ff.) eine behördliche Maßnahme in unmittelbarem Zusammenhang mit Kampfhandlungen darstellt. Die Behauptung des Klägers, der Unfall habe sich während eines Fliegeralarms ereignet, begegnet jedoch schon erheblichen Zweifeln. Denn die Zeugin S. hat weder in der eidesstattlichen Erklärung vom 5. Juni 1973 (vgl. Akte der Bundesausführungsbehörde Seite 73) noch in der schriftlichen Beantwortung der Beweisfragen vom 13. April 1975 einen derartigen Vorfall erwähnt oder bestätigt. Sie hat vielmehr glaubhaft bekundet, daß am Unfalltag in dem Lager der "Tag der Wehrertüchtigung” gefeiert worden sei. Aus diesem Anlaß seien Wehrmachtsoffiziere anwesend gewesen. Diese hätten nach der Feier zur nächsten Bahnstation befördert werden müssen. Anläßlich einer solchen Fahrt sei der Kläger verunglückt. Davon habe sie am nächsten Tag gehört. Wenn sich der Unfall so abgespielt hat, wie ihn die Zeugin S. schildert, hat es sich mit Sicherheit um einen reinen Arbeitsunfall gehandelt. Die Aussage des Zeugen C. (Bl. 77 der Akten der Bundesausführungsbehörde) ist völlig wertlos, da der Kläger vom Transport eines Offiziers, der verwundet gewesen sein soll, überhaupt nichts erwähnt hat.
Selbst wenn man jedoch zugunsten des Klägers davon ausgehen wollte, daß sich die nächtliche Fahrt am 19. September 1943 während eines Fliegeralarms zugetragen habe, ist trotzdem dadurch nicht der Tatbestand des § 5 Abs. 1 Buchst. b BVG verwirklicht. Das wäre nach der Rechtsprechung des BSG (vgl. 8 RV 439/56 vom 23.10.1958) nur dann der Fall, wenn der Fliegeralarm als solcher unmittelbar zu einer Körperschädigung geführt hätte, etwa durch Abwurf von Bomben oder beim Aufsuchen eines Luftschutzbunkers. Von Bombenabwürfen hat der Kläger im Verwaltungsverfahren nicht vorgetragen. Die erst im Klageverfahren aufgestellte Behauptung erscheint deshalb nicht glaubhaft. Vor allem auch deswegen nicht, weil Fliegerangriffe mit Bombenabwurf im September 1943 auf das Gebiet von O. nicht stattgefunden haben.
Nach der eigenen Einlassung des Klägers im Verwaltungsverfahren ist der Unfall auch nicht unmittelbar durch den Fliegeralarm, sondern vielmehr durch die Verdunkelung eingetreten. Damit hat es sich aber um eine Schädigung infolge allgemeiner Verdunkelungsmaßnahmen gehandelt, die nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit Kampfhandlungen oder ihrer Vorbereitung gestanden haben (Wilke, Komm. zum BVG, § 5 II, 3). Denn die Verdunkelung ist lediglich eine Schutzmaßnahme gegen Fliegersicht und ausdrücklich in der Vorschrift des § 5 b BVG als Schädigungstatbestand ausgenommen. Bei dieser Sach- und Rechtslage ist § 5 Abs. 1 Buchst. b BVG nicht verletzt.
Da der Unfall nach allem als Folge allgemeiner Verdunkelungsmaßnahmen anzusehen ist, entfällt auch die Vorschrift des § 5 Abs. 1 e BVG als Anspruchsgrundlage. Dieser Tatbestand ist schon vom Sachverhalt her nicht gegeben, weil er eine kriegerische Maßnahme voraussetzt, die einen besonderen Gefahrenbereich hinterlassen haben muß. Einer solchen durch kriegerische Maßnahmen hervorgerufenen Gefahr ist der Kläger nicht erlegen. Damit war der Berufung der Erfolg zu versagen.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.
Die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG kam nach Lage des Falles nicht in Betracht.
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