Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
S 1 U 232/72
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 232/74
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Tritt bei einem Versicherten während des Schlafes auf einer Bank an der Arbeitsstätte in einer nächtlichen Ruhepause eine Radialisparese ein (sog. Parkbanklähmung), so handelt es sich dabei um einen Arbeitsunfall.
Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 21. Februar 1974 sowie der Bescheid vom 13. November 1972 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger die am 22. Juli 1972 erlittene Bucklähmung an der rechten Hand als Arbeitsunfall zu entschädigen.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der 1929 geborene Kläger war für seinen Arbeitgeber damit befaßt, in O. bei S. Estrich zu verlegen. Es handelte sich um termingebundene Arbeiten, mit denen am Freitag, dem 21. Juli 1972, begonnen wurde. Sie sollten bis zum Samstag 11.00 Uhr beendet sein und wurden zusammen mit den Arbeitskollegen R., S. und Sa. verrichtet. Pausen wurden am 21. Juli 1972 gegen 18.00 Uhr und 22.00 Uhr für etwa 30 Minuten eingelegt. Anschließend wurde bis gegen 2.00/3.00 Uhr weitergearbeitet. Dann legte sich der Kläger ebenso wie seine Arbeitskollegen am Arbeitsplatz auf einer Bank nieder, um sich auszuruhen. Es war beabsichtigt, spätestens gegen 6.00 Uhr die Arbeiten wieder aufzunehmen. Nach etwa zwei Stunden wachte der Kläger mit einer Lähmung an der rechten Hand auf. Der Durchgangsarzt Prof. Dr. R. stellte seinem Bericht vom 22. Juli 1972 zufolge eine Radialisparese rechts fest. Die rechte Hand befand sich in Fallhandstellung; Finger- und Handgelenke konnten aktiv gestreckt werden. Es bestand eine Berührungsempfindlichkeit an der rechten Hand. Prof. Dr. R. wies auf eine vom Kläger mit 17 Jahren erlittene reversible rechtsseitige Lähmung hin. Er sah die Radialisparese nicht als durch einen Arbeitsunfall hervorgerufen an, ohne diese Ansicht zu begründen. Am 28. August 1972 äußerte sich der Nervenfacharzt Dr. G., D., dahin, die Radialislähmung beruhe auf einer nächtlichen Drucklähmung während des Schlafes auf einer Bank; es handele sich nicht um die Folgen einer früheren Halbseitenlähmung.
Mit Bescheid vom 13. November 1972 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Entschädigung ab, da die Lähmung der rechten Hand nicht auf einer gewaltsamen Einwirkung von außen her beruhe, so daß kein Arbeitsunfall vorliege.
Gegen diesen am 14. November 1972 mit Einschreiben abgesandten Bescheid hat der Kläger bei dem Sozialgericht in Darmstadt – SG – am 4. Dezember 1972 Klage erhoben und geltend gemacht: Es liege eine äußere Gewalteinwirkung vor. Nach Unterbrechung der Arbeiten in den frühen Morgenstunden des 22. Juli 1972 habe er sich auf einer Holzbank ausruhen wollen und sei hierbei eingeschlafen. Dabei sei die rechte Hand zwischen seinen Körper und die Holzbank geraten. Durch das Gewicht des Körpers sei es zu einem erhöhten Andruck der rechten Hand auf die harte Holzbank und hierdurch zu der festgestellten Drucklähmung gekommen.
Die Beklagte hat hierzu während des Verfahrens im ersten Rechtszuge den Kläger vor dem Ordnungsamt der Stadt Darmstadt sowie seine Arbeitskollegen B., S. und Sa. vor den Gemeindevorständen der Gemeinden KX. und KY. vernehmen lassen. Letztere haben im wesentlichen übereinstimmend die Angaben des Klägers bestätigt. Außerdem hat sie ein nervenfachärztliches Zusammenhangsgutachten des Dr. K. vom 25. August 1973 vorgelegt, in dem dieser ausgeführt hat: Eine Radialislähmung beruhe im allgemeinen auf einer Druckschädigung des Nerven im Oberarmbereich, besonders wenn sie – wie hier – ohne eine Schädigung der Streckmuskulatur des Oberarmes einhergingen. Sie werde am häufigsten nach Oberarmfrakturen gesehen, trete aber auch im Schlaf oder Alkoholrausch auf. Man spreche dann von einer Parkbanklähmung oder von einer Lähmung durch Kälte. Der jetzt erhobene Befund sei im wesentlichen unauffällig und bedinge keine Minderung der Erwerbsfähigkeit – MdE – in rentenberechtigendem Grade mehr, da sich die Fallhand weitgehend zurückgebildet habe. Ob es sich bei der Druckschädigung des rechten Armes um die Auswirkungen eines Arbeitsunfalles gehandelt habe, unterliege nicht der ärztlichen Beurteilung.
Das SG hat mit Urteil vom 21. Februar 1974 die Klage abgewiesen, da es am Vorliegen einer äußeren Gewalteinwirkung bzw. eines äußeren Ereignisses fehle.
Gegen dieses an seine Prozeßbevollmächtigten am 1. März 1974 mit Empfangsbekenntnis zugestellte Urteil hat der Kläger am 18. März 1974 Berufung eingelegt und im wesentlichen sein bisheriges Vorbringen wiederholt.
Er beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 21. Februar 1974 sowie den Bescheid vom 13. November 1972 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Drucklähmung an der rechten Hand als Arbeitsunfall zu entschädigen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen,
hilfsweise,
die Revision zuzulassen.
Sie bezieht sich auf den Inhalt des angefochtenen Bescheides und hält das sozialgerichtliche Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe:
Die statthatte Berufung ist frist- und formgerecht eingelegt und daher zulässig.
Sie ist auch begründet. Das auf die zulässige Klage ergangene sozialgerichtliche Urteil konnte nicht aufrecht erhalten werden, da das SG mit ihm zu Unrecht den angefochtenen Bescheid bestätigt hat. Er ist rechtswidrig. Der Kläger hat wegen der während des Schlafs an der Betriebsstätte zugezogenen Drucklähmung der rechten Hand Anspruch auf Beschädigung, da es sich um einen Arbeitsunfall handelte (§ 548 Reichsversicherungsordnung – RVO –).
Der vorliegende Fall ist dadurch gekennzeichnet, daß die Drucklähmung nicht während der Arbeitszeit selbst, sondern in einer Arbeitspause, während der der Kläger schlief, aufgetreten ist. Der Senat sieht auf Grund der von der Beklagtem angestellten Ermittlungen als erwiesen an, daß der Kläger mit seinen Arbeitskollegen Sa., S. und B. in O. termingebundene Estrichverlegungsarbeiten zu verrichten hatte, mit denen am 21. Juli 1972 begonnen wurde und die am nächsten Tag bis gegen 11.00 Uhr beendet sein sollten. Sie gaben bei ihrer Vernehmung vor den zuständigen Ordnungsämtern übereinstimmend darüber hinaus an, daß am 21. Juli nur zwei halbstündige Arbeitspausen gegen 18.00 Uhr und 22.00 Uhr erfolgten und anschließend bis in die frühen Morgenstunden gegen 2.00/3.00 Uhr weitergearbeitet wurde. Nach einer gemeinsamen Ruhepause nahmen die übrigen Arbeitskollegen die Arbeit gegen 6.00 Uhr wieder auf, während der Kläger infolge der während des Schlafs eingetretenen Drucklähmung an der rechten Hand hierzu nicht in der Lage war. Insoweit hat das SG zutreffend ausgeführt, daß der Kläger auch während der Arbeitspause zwischen 2.00/3.00 Uhr und 6.00 Uhr unter Versicherungsschutz stand, obwohl die eigentliche betriebliche Tätigkeit unterbrochen war und er in dieser Zeit schlief.
Sein Schlaf auf der Betriebsstätte diente nämlich der Erholung und Kräftigung um in den frühen Morgenstunden die Arbeit wieder aufnehmen und den vorgegebenen Termin bis zur Mittagszeit einhalten zu können. Betriebliche Zwecke standen somit hierbei eindeutig im Vordergrund (vgl. Lauterbach, Unfallversicherung, 3. Aufl., Anm. 61 zu § 548 RVO mit weiteren Nachweisen).
Das SG hat aber – ebenso wie die Beklagte – den Entschädigungsanspruch mit der unrichtigen Begründung abgelehnt, die Drucklähmung sei nicht durch eine äußere Einwirkung hervorgerufen worden. Es hat damit seiner Entscheidung eine zu enge Begriffsbestimmung des Arbeitsunfalls zugrunde gelegt. Ein solcher liegt dann vor, wenn es sich um ein plötzliches, von außen her einwirkendes, körperlich schädigendes Ereignis handelt (vgl. u.a. Urteil des BSG vom 29. November 1973, 8/2 RU 189/71). Nach der Rechtsprechung des RVA und des BSG, der sich der Senat anschließt, besteht eine deutliche Tendenz, den Begriff des Arbeitsunfalls (früher: Betriebsunfall) erweiternd auszulegen. Hiernach liegt ein Arbeitsunfall nicht nur dann vor, wenn das Unfallereignis unmittelbar durch die den Zwecken des Versicherten Unternehmens dienende Tätigkeit verursacht worden ist und auf einer für diese Tätigkeit typischen Gefahr beruht, sondern auch dann, wenn es sich um "Unfälle des täglichen Lebens” handelt, die sich bei der gewöhnlichen Betriebsarbeit ereignen (vgl. RVA GE Nr. 2690 in AW 1914, 411, 415, f.; BSG Urt. v. 13.3.1959 – 2 RU 167/57 – in E 9, 222, 224; Urt. v. 29.11.1973 – 8/2 RU 189/71; Lauterbach, a.a.O., Anm. 25 zu § 548 RVO; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Bd. 2, S. 480). Mit dem Erfordernis, daß das Ereignis von außen auf den Versicherten einwirken muß, ist zum Ausdruck gebracht, daß ein aus innerer Ursache, also ein aus dem Menschen selbst herauskommendes Ereignis nicht als Unfall anzusehen ist (vgl. Lauterbach a.a.O. Anm. 3 zu § 548 RVO).
Das ist aber hier auch nicht der Fall. Es besteht insbesondere kein Zusammenhang mit der Halbseitenlähmung, die der Kläger im Alter von 17 Jahren durchgemacht hat. Bereits in seinem Durchgangsarztbericht vom 22. Juli 1972 ist von Prof. Dr. R. darauf hingewiesen worden, daß es sich dabei um eine reversible rechtsseitige Lähmung gehandelt habe. Einen ursächlichen Zusammenhang damit verneinte auch der Nervenfacharzt Dr. G. D., in einer Bescheinigung vom 28. August 1972. Dem hat sich der von der Beklagten gehörte Nervenfacharzt Dr. K. in seinem Gutachten vom 23. August 1973 angeschlossen.
Entgegen der Auffassung der Beklagten handelte es sich bei der Entstehung der Radialisparese rechts infolge des Drucks, den der Körper des Klägers und die Holzbank auf seinen dazwischen liegenden rechten Arm ausübten, auch nicht um eine bloße Gelegenheitsursache. Die Wertung einer Erfolgsbedingung im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne als bloße Gelegenheitsursache ist nur dann gerechtfertigt, wenn nach menschlichem Ermessen jedes andere alltäglich vorkommende ähnlich gelagerte Ereignis außerhalb der Betriebsarbeit zu derselben Zeit die Gesundheitsstörung ausgelöst hatte oder diese sogar ohne jede äußere Einwirkung zutage getreten wäre. Zur Annahme einer Gelegenheitsursache bedarf es bei der vorzunehmenden Wertung der einzelnen Erfolgsbedingungen einer entsprechenden Tatsachenfeststellung (vgl. BSG, Urt. v. 13.12.1960 – 2 RU 240/59 – in BG 1961, 222; sowie Urteil vom 30. Oktober 1974 – 2 RU 50/75 –; Lauterbach a.a.O. Anm. 10 zu § 548 RVO; Brackmann a.a.O., S. 480 k II, 488 ff. mit weiteren Nachweisen). Eine Gelegenheitsursache liegt hier deshalb nicht vor, weil Lähmungen dieser Art nur durch bestimmte äußere Einwirkungen verursacht werden. Wie Dr. med. K. ausgeführt hat, werden solche Lähmungen am häufigsten bei Oberarmfrakturen und Druckschädigungen gesehen. Da sie meist im Schlaf oder Alkoholrausch zustande kämen, spreche man auch von einer "Parkbanklähmung” oder einer Lähmung durch Kälte. Hieraus ergibt sich, daß eine Lähmung von der Art, wie sie beim Kläger aufgetreten ist, weder durch ein alltägliches Ereignis verursacht werden noch ohne besonderen Anlaß entstehen kann, insbesondere nicht beim Schlaf im Bett.
Zu Unrecht beruft sich das SG für seine Ansicht, ein von außen einwirkendes, zeitlich begrenztes Ereignis habe hier nicht vorgelegen, auf das Urteil des BSG vom 29. November 1973 (8/2 RU 189/71). Dort ist in der betriebsbedingten fehlenden Möglichkeit alsbaldiger ärztlicher Behandlung bei einer aus innerer Ursache entstandenen Erkrankung kein Unfall erblickt worden, weil betriebsbedingte Umstände und Verhältnisse innerhalb einer Arbeitsschicht nicht dem Begriff des Arbeitsunfalls gleichgestellt werden dürften, der ein gesundheitsschädigendes äußeres Unfallereignis voraussetzte. Die Handlähmung ist aber beim Kläger nicht durch allgemeine betriebsbedingte Umstände und Verhältnisse verursacht worden, sondern dadurch, daß von außen her, nämlich im Zusammenwirken von Körper und harter Bank, ein starker Druck auf seine rechte Hand ausgeübt wurde. Auch durch die Betriebsarbeit verursachte andere Druckeinwirkungen auf den Körper eines Versicherten, z.B. durch längeres Anlehnen an einen kantigen Gegenstand in Zwangshaltung, könne sich grundsätzlich als Arbeitsunfall darstellen. Es ist nicht erforderlich, daß der Versicherte von einem Gegenstand getroffen wird, z.B. durch einen herabfallenden Gegenstand während des Schlafes, wie es das SG meint. Es ist ausreichend, daß durch einen außerhalb des Körpers befindlichen Gegenstand eine Gesundheitsstörung bei dem Versicherten wesentlich mit verursacht wird, was hier der Fall war.
Der Senat konnte sich auf den Erlaß eines Grundurteils (§ 130 Sozialgerichtsgesetz – SGG –) beschränken, da der Kläger, der in der Zeit vom 22. Juli 1972 bis zum 19. Januar 1973 wegen der Unfallfolgen arbeitsunfähig erkrankt war, wenigstens Anspruch auf die Gewährung der gesetzlichen Mindestleistungen hatte. Deren Umfang im einzelnen festzustellen, wird Sache der Beklagten sein.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, da die Voraussetzungen für die Zulassung nicht vorliegen (§ 160 SGG).
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der 1929 geborene Kläger war für seinen Arbeitgeber damit befaßt, in O. bei S. Estrich zu verlegen. Es handelte sich um termingebundene Arbeiten, mit denen am Freitag, dem 21. Juli 1972, begonnen wurde. Sie sollten bis zum Samstag 11.00 Uhr beendet sein und wurden zusammen mit den Arbeitskollegen R., S. und Sa. verrichtet. Pausen wurden am 21. Juli 1972 gegen 18.00 Uhr und 22.00 Uhr für etwa 30 Minuten eingelegt. Anschließend wurde bis gegen 2.00/3.00 Uhr weitergearbeitet. Dann legte sich der Kläger ebenso wie seine Arbeitskollegen am Arbeitsplatz auf einer Bank nieder, um sich auszuruhen. Es war beabsichtigt, spätestens gegen 6.00 Uhr die Arbeiten wieder aufzunehmen. Nach etwa zwei Stunden wachte der Kläger mit einer Lähmung an der rechten Hand auf. Der Durchgangsarzt Prof. Dr. R. stellte seinem Bericht vom 22. Juli 1972 zufolge eine Radialisparese rechts fest. Die rechte Hand befand sich in Fallhandstellung; Finger- und Handgelenke konnten aktiv gestreckt werden. Es bestand eine Berührungsempfindlichkeit an der rechten Hand. Prof. Dr. R. wies auf eine vom Kläger mit 17 Jahren erlittene reversible rechtsseitige Lähmung hin. Er sah die Radialisparese nicht als durch einen Arbeitsunfall hervorgerufen an, ohne diese Ansicht zu begründen. Am 28. August 1972 äußerte sich der Nervenfacharzt Dr. G., D., dahin, die Radialislähmung beruhe auf einer nächtlichen Drucklähmung während des Schlafes auf einer Bank; es handele sich nicht um die Folgen einer früheren Halbseitenlähmung.
Mit Bescheid vom 13. November 1972 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Entschädigung ab, da die Lähmung der rechten Hand nicht auf einer gewaltsamen Einwirkung von außen her beruhe, so daß kein Arbeitsunfall vorliege.
Gegen diesen am 14. November 1972 mit Einschreiben abgesandten Bescheid hat der Kläger bei dem Sozialgericht in Darmstadt – SG – am 4. Dezember 1972 Klage erhoben und geltend gemacht: Es liege eine äußere Gewalteinwirkung vor. Nach Unterbrechung der Arbeiten in den frühen Morgenstunden des 22. Juli 1972 habe er sich auf einer Holzbank ausruhen wollen und sei hierbei eingeschlafen. Dabei sei die rechte Hand zwischen seinen Körper und die Holzbank geraten. Durch das Gewicht des Körpers sei es zu einem erhöhten Andruck der rechten Hand auf die harte Holzbank und hierdurch zu der festgestellten Drucklähmung gekommen.
Die Beklagte hat hierzu während des Verfahrens im ersten Rechtszuge den Kläger vor dem Ordnungsamt der Stadt Darmstadt sowie seine Arbeitskollegen B., S. und Sa. vor den Gemeindevorständen der Gemeinden KX. und KY. vernehmen lassen. Letztere haben im wesentlichen übereinstimmend die Angaben des Klägers bestätigt. Außerdem hat sie ein nervenfachärztliches Zusammenhangsgutachten des Dr. K. vom 25. August 1973 vorgelegt, in dem dieser ausgeführt hat: Eine Radialislähmung beruhe im allgemeinen auf einer Druckschädigung des Nerven im Oberarmbereich, besonders wenn sie – wie hier – ohne eine Schädigung der Streckmuskulatur des Oberarmes einhergingen. Sie werde am häufigsten nach Oberarmfrakturen gesehen, trete aber auch im Schlaf oder Alkoholrausch auf. Man spreche dann von einer Parkbanklähmung oder von einer Lähmung durch Kälte. Der jetzt erhobene Befund sei im wesentlichen unauffällig und bedinge keine Minderung der Erwerbsfähigkeit – MdE – in rentenberechtigendem Grade mehr, da sich die Fallhand weitgehend zurückgebildet habe. Ob es sich bei der Druckschädigung des rechten Armes um die Auswirkungen eines Arbeitsunfalles gehandelt habe, unterliege nicht der ärztlichen Beurteilung.
Das SG hat mit Urteil vom 21. Februar 1974 die Klage abgewiesen, da es am Vorliegen einer äußeren Gewalteinwirkung bzw. eines äußeren Ereignisses fehle.
Gegen dieses an seine Prozeßbevollmächtigten am 1. März 1974 mit Empfangsbekenntnis zugestellte Urteil hat der Kläger am 18. März 1974 Berufung eingelegt und im wesentlichen sein bisheriges Vorbringen wiederholt.
Er beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 21. Februar 1974 sowie den Bescheid vom 13. November 1972 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Drucklähmung an der rechten Hand als Arbeitsunfall zu entschädigen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen,
hilfsweise,
die Revision zuzulassen.
Sie bezieht sich auf den Inhalt des angefochtenen Bescheides und hält das sozialgerichtliche Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe:
Die statthatte Berufung ist frist- und formgerecht eingelegt und daher zulässig.
Sie ist auch begründet. Das auf die zulässige Klage ergangene sozialgerichtliche Urteil konnte nicht aufrecht erhalten werden, da das SG mit ihm zu Unrecht den angefochtenen Bescheid bestätigt hat. Er ist rechtswidrig. Der Kläger hat wegen der während des Schlafs an der Betriebsstätte zugezogenen Drucklähmung der rechten Hand Anspruch auf Beschädigung, da es sich um einen Arbeitsunfall handelte (§ 548 Reichsversicherungsordnung – RVO –).
Der vorliegende Fall ist dadurch gekennzeichnet, daß die Drucklähmung nicht während der Arbeitszeit selbst, sondern in einer Arbeitspause, während der der Kläger schlief, aufgetreten ist. Der Senat sieht auf Grund der von der Beklagtem angestellten Ermittlungen als erwiesen an, daß der Kläger mit seinen Arbeitskollegen Sa., S. und B. in O. termingebundene Estrichverlegungsarbeiten zu verrichten hatte, mit denen am 21. Juli 1972 begonnen wurde und die am nächsten Tag bis gegen 11.00 Uhr beendet sein sollten. Sie gaben bei ihrer Vernehmung vor den zuständigen Ordnungsämtern übereinstimmend darüber hinaus an, daß am 21. Juli nur zwei halbstündige Arbeitspausen gegen 18.00 Uhr und 22.00 Uhr erfolgten und anschließend bis in die frühen Morgenstunden gegen 2.00/3.00 Uhr weitergearbeitet wurde. Nach einer gemeinsamen Ruhepause nahmen die übrigen Arbeitskollegen die Arbeit gegen 6.00 Uhr wieder auf, während der Kläger infolge der während des Schlafs eingetretenen Drucklähmung an der rechten Hand hierzu nicht in der Lage war. Insoweit hat das SG zutreffend ausgeführt, daß der Kläger auch während der Arbeitspause zwischen 2.00/3.00 Uhr und 6.00 Uhr unter Versicherungsschutz stand, obwohl die eigentliche betriebliche Tätigkeit unterbrochen war und er in dieser Zeit schlief.
Sein Schlaf auf der Betriebsstätte diente nämlich der Erholung und Kräftigung um in den frühen Morgenstunden die Arbeit wieder aufnehmen und den vorgegebenen Termin bis zur Mittagszeit einhalten zu können. Betriebliche Zwecke standen somit hierbei eindeutig im Vordergrund (vgl. Lauterbach, Unfallversicherung, 3. Aufl., Anm. 61 zu § 548 RVO mit weiteren Nachweisen).
Das SG hat aber – ebenso wie die Beklagte – den Entschädigungsanspruch mit der unrichtigen Begründung abgelehnt, die Drucklähmung sei nicht durch eine äußere Einwirkung hervorgerufen worden. Es hat damit seiner Entscheidung eine zu enge Begriffsbestimmung des Arbeitsunfalls zugrunde gelegt. Ein solcher liegt dann vor, wenn es sich um ein plötzliches, von außen her einwirkendes, körperlich schädigendes Ereignis handelt (vgl. u.a. Urteil des BSG vom 29. November 1973, 8/2 RU 189/71). Nach der Rechtsprechung des RVA und des BSG, der sich der Senat anschließt, besteht eine deutliche Tendenz, den Begriff des Arbeitsunfalls (früher: Betriebsunfall) erweiternd auszulegen. Hiernach liegt ein Arbeitsunfall nicht nur dann vor, wenn das Unfallereignis unmittelbar durch die den Zwecken des Versicherten Unternehmens dienende Tätigkeit verursacht worden ist und auf einer für diese Tätigkeit typischen Gefahr beruht, sondern auch dann, wenn es sich um "Unfälle des täglichen Lebens” handelt, die sich bei der gewöhnlichen Betriebsarbeit ereignen (vgl. RVA GE Nr. 2690 in AW 1914, 411, 415, f.; BSG Urt. v. 13.3.1959 – 2 RU 167/57 – in E 9, 222, 224; Urt. v. 29.11.1973 – 8/2 RU 189/71; Lauterbach, a.a.O., Anm. 25 zu § 548 RVO; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Bd. 2, S. 480). Mit dem Erfordernis, daß das Ereignis von außen auf den Versicherten einwirken muß, ist zum Ausdruck gebracht, daß ein aus innerer Ursache, also ein aus dem Menschen selbst herauskommendes Ereignis nicht als Unfall anzusehen ist (vgl. Lauterbach a.a.O. Anm. 3 zu § 548 RVO).
Das ist aber hier auch nicht der Fall. Es besteht insbesondere kein Zusammenhang mit der Halbseitenlähmung, die der Kläger im Alter von 17 Jahren durchgemacht hat. Bereits in seinem Durchgangsarztbericht vom 22. Juli 1972 ist von Prof. Dr. R. darauf hingewiesen worden, daß es sich dabei um eine reversible rechtsseitige Lähmung gehandelt habe. Einen ursächlichen Zusammenhang damit verneinte auch der Nervenfacharzt Dr. G. D., in einer Bescheinigung vom 28. August 1972. Dem hat sich der von der Beklagten gehörte Nervenfacharzt Dr. K. in seinem Gutachten vom 23. August 1973 angeschlossen.
Entgegen der Auffassung der Beklagten handelte es sich bei der Entstehung der Radialisparese rechts infolge des Drucks, den der Körper des Klägers und die Holzbank auf seinen dazwischen liegenden rechten Arm ausübten, auch nicht um eine bloße Gelegenheitsursache. Die Wertung einer Erfolgsbedingung im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne als bloße Gelegenheitsursache ist nur dann gerechtfertigt, wenn nach menschlichem Ermessen jedes andere alltäglich vorkommende ähnlich gelagerte Ereignis außerhalb der Betriebsarbeit zu derselben Zeit die Gesundheitsstörung ausgelöst hatte oder diese sogar ohne jede äußere Einwirkung zutage getreten wäre. Zur Annahme einer Gelegenheitsursache bedarf es bei der vorzunehmenden Wertung der einzelnen Erfolgsbedingungen einer entsprechenden Tatsachenfeststellung (vgl. BSG, Urt. v. 13.12.1960 – 2 RU 240/59 – in BG 1961, 222; sowie Urteil vom 30. Oktober 1974 – 2 RU 50/75 –; Lauterbach a.a.O. Anm. 10 zu § 548 RVO; Brackmann a.a.O., S. 480 k II, 488 ff. mit weiteren Nachweisen). Eine Gelegenheitsursache liegt hier deshalb nicht vor, weil Lähmungen dieser Art nur durch bestimmte äußere Einwirkungen verursacht werden. Wie Dr. med. K. ausgeführt hat, werden solche Lähmungen am häufigsten bei Oberarmfrakturen und Druckschädigungen gesehen. Da sie meist im Schlaf oder Alkoholrausch zustande kämen, spreche man auch von einer "Parkbanklähmung” oder einer Lähmung durch Kälte. Hieraus ergibt sich, daß eine Lähmung von der Art, wie sie beim Kläger aufgetreten ist, weder durch ein alltägliches Ereignis verursacht werden noch ohne besonderen Anlaß entstehen kann, insbesondere nicht beim Schlaf im Bett.
Zu Unrecht beruft sich das SG für seine Ansicht, ein von außen einwirkendes, zeitlich begrenztes Ereignis habe hier nicht vorgelegen, auf das Urteil des BSG vom 29. November 1973 (8/2 RU 189/71). Dort ist in der betriebsbedingten fehlenden Möglichkeit alsbaldiger ärztlicher Behandlung bei einer aus innerer Ursache entstandenen Erkrankung kein Unfall erblickt worden, weil betriebsbedingte Umstände und Verhältnisse innerhalb einer Arbeitsschicht nicht dem Begriff des Arbeitsunfalls gleichgestellt werden dürften, der ein gesundheitsschädigendes äußeres Unfallereignis voraussetzte. Die Handlähmung ist aber beim Kläger nicht durch allgemeine betriebsbedingte Umstände und Verhältnisse verursacht worden, sondern dadurch, daß von außen her, nämlich im Zusammenwirken von Körper und harter Bank, ein starker Druck auf seine rechte Hand ausgeübt wurde. Auch durch die Betriebsarbeit verursachte andere Druckeinwirkungen auf den Körper eines Versicherten, z.B. durch längeres Anlehnen an einen kantigen Gegenstand in Zwangshaltung, könne sich grundsätzlich als Arbeitsunfall darstellen. Es ist nicht erforderlich, daß der Versicherte von einem Gegenstand getroffen wird, z.B. durch einen herabfallenden Gegenstand während des Schlafes, wie es das SG meint. Es ist ausreichend, daß durch einen außerhalb des Körpers befindlichen Gegenstand eine Gesundheitsstörung bei dem Versicherten wesentlich mit verursacht wird, was hier der Fall war.
Der Senat konnte sich auf den Erlaß eines Grundurteils (§ 130 Sozialgerichtsgesetz – SGG –) beschränken, da der Kläger, der in der Zeit vom 22. Juli 1972 bis zum 19. Januar 1973 wegen der Unfallfolgen arbeitsunfähig erkrankt war, wenigstens Anspruch auf die Gewährung der gesetzlichen Mindestleistungen hatte. Deren Umfang im einzelnen festzustellen, wird Sache der Beklagten sein.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, da die Voraussetzungen für die Zulassung nicht vorliegen (§ 160 SGG).
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