Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
14
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
S 9 KR 1023/97
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 14 KR 406/98
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 12 KR 13/02 R
Datum
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 4. Februar 1998 und der Bescheid der Beklagten vom 22. Januar 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Mai 1997 aufgehoben. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet gewesen ist, den Kläger für den Zeitraum vom 1. Dezember 1996 bis zum 31. August 1998 als Familienversicherten aufzunehmen.
II. Die Beklagte hat dem Kläger die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen außergerichtlichen Kosten beider Instanzen zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt für den zurückliegenden Zeitraum vom 1. Dezember 1996 bis zum 31. August 1998 die Feststellung, dass er von der Beklagten in die Familienversicherung hätte aufgenommen werden müssen.
Die Ehefrau des Klägers ist in dem streitigen Zeitraum als freiwilliges Mitglied bei der Beklagten versichert gewesen. Im Dezember 1996 beantragte der Kläger die Aufnahme als Familienversicherter und machte unter Vorlage des Einkommenssteuerbescheides für das Jahr 1995 geltend, dass er nur über Einkünfte aus Kapitalvermögen in Höhe von 11.112,00 DM verfüge. Nach Abzug der Werbungskosten (1.856,00 DM) und des Sparerfreibetrages (9.256,00 DM) ergebe sich steuerlich rechtlich ein Einkommen von Null. Hilfsweise beantragte der Kläger die Aufnahme als freiwilliges Mitglied in der Gruppe N (Nichtversicherungspflichtige) Klasse 751.
Mit Bescheid vom 22. Januar 1997 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers auf Aufnahme in die Familienversicherung ab. Eine Familienversicherung sei nur dann möglich, sofern der Ehegatte nicht über ein Gesamteinkommen verfüge, das regelmäßig monatlich 1/7 der monatlichen Bezugsgröße überschreite. Letzteres sei vorliegend indes der Fall. Die Einkünfte des Klägers aus Kapitalvermögen betrügen nach Abzug der Werbungskosten monatlich 771,33 DM und damit mehr als 1/7 der monatlichen Bezugsgröße. Der Sparerfreibetrag könne entgegen der Auffassung des Klägers bei der Ermittlung der Einkünfte aus Kapitalvermögen nicht abgesetzt werden. Dem Hilfsantrag auf Aufnahme als freiwilliges Mitglied entsprach die Beklagte mit ihren Bescheiden vom 12. Februar 1997 und vom 13. Februar 1997.
Mit seinem Widerspruch gegen den Bescheid vom 22. Januar 1997 (Eingang bei der Beklagten am 4. Februar 1997) verfolgte der Kläger sein vorangiges Ziel auf Aufnahme in die Familienversicherung weiter und machte geltend, § 16 Sozialgesetzbuch 4. Buch - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - (SGB IV) verweise ohne Einschränkung auf das Einkommenssteuerrecht und enthalte keine dem früheren § 15 Satz 2 SGB IV entsprechende Ausnahmeregelung. Sämtliche im Einkommenssteuerrecht vorgesehenen Vergünstigungen wie der Sparerfreibetrag seien daher einkommensmindernd zu berücksichtigen. Mit Widerspruchsbescheid vom 23. Mai 1997 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück; der Sparerfreibetrag könne als ein rein steuerlich relevanter Vorgang bei der Ermittlung des Gesamteinkommens nach § 16 SGB IV keine Beachtung finden.
Der Kläger hat am 3. Juni 1997 Klage beim Sozialgericht Gießen erhoben und sein Begehren auf Aufnahme in die Familienversicherung weiterverfolgt.
Mit Urteil vom 4. Februar 1998 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und in den Entscheidungsgründen im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger habe keinen Anspruch auf Aufnahme in die Familienversicherung, da sein monatliches Gesamteinkommen 1/7 der monatlichen Bezugsgröße überschreite, die 1996 bei 590,00 DM und 1997 bei 610,00 DM gelegen habe. Einkünfte im steuerrechtlichen Sinne seien bei Einkünften aus Kapitalvermögen der Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten (§ 2 Abs. 2 Ziff. 2 EStG), diese seien folglich abzusetzen. Nicht abzusetzen sei der Sparerfreibetrag gemäß § 20 Abs. 4 EStG. Dies ergebe sich bereits eindeutig aus der Definition des Einkommens in § 2 Abs. 2 Ziff. 2 EStG. Die das Gesamteinkommen bestimmende Summe der Einkünfte seien nicht identisch mit den steuerrechtlichen Begriffen. Die zur Ermittlung des Gesamtbetrages der Einkünfte, des Einkommens und des zu versteuernden Einkommens abzuziehenden Beträge beeinflussten das Gesamteinkommen nicht. Hierzu gehöre auch der Sparerfreibetrag gemäß § 20 Abs. 4 EStG.
Gegen das ihm am 24. Februar 1998 zugestellte Urteil hat der Kläger am 23. März 1998 Berufung beim Hessischen Landessozialgericht in Darmstadt eingelegt und vorgetragen, das Sozialgericht gehe in dem angefochtenen Urteil unzutreffenderweise davon aus, dass der Sparerfreibetrag nach § 20 Abs. 4 EStG nicht zu berücksichtigen sei, da das Sozialgericht den Begriff des Gesamteinkommens i. S. des § 16 SGB IV nicht richtig interpretiere. Nach dem eindeutigen Verweis auf das Einkommenssteuerrecht in dieser Vorschrift müsse hier auch genau so verfahren werden wie im Einkommenssteuerrecht zu den einzelnen unterschiedlichen Einkunftsarten. Einkünfte aus Kapitalvermögen würden ermittelt unter Abzug der Werbungskosten und des Sparerfreibetrages von den Einnahmen. Dies führe dann letztlich zu der Summe der Einkünfte, die nach § 16 SGB IV maßgeblich sei. Die Summe der Einkünfte betrage bei dem Kläger nach den zu berücksichtigenden Einkommenssteuerbescheiden ausdrücklich DM Null. Der Kläger hat seinen Steuerbescheid vom 16. Oktober 1998 für das Jahr 1997 (Einkünfte "0") sowie seinen Steuerbescheid vom 18. Februar 2000 für das Jahr 1998 (Einkünfte "1.455,00 DM") vorgelegt.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 4. Februar 1998 und den Bescheid der Beklagten vom 22. Januar 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Mai 1997 aufzuheben und festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet gewesen ist, ihn für die Zeit vom 1. Dezember 1996 bis zum 31. August 1998 als Familienversicherten aufzunehmen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie ist weiterhin der Auffassung, bei der Ermittlung des Gesamteinkommens gemäß § 16 SGB IV sei der Sparerfreibetrag nicht von den Einkünften aus Kapitalerträgen abzuziehen.
Wegen weiterer Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf die Gerichtsakte sowie auf die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die zum Verfahren beigezogen war.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig, sie ist form- und fristgerecht eingelegt sowie statthaft (§§ 143, 144 und 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG -). Der ursprüngliche Verpflichtungsantrag des Klägers hat sich zwar durch Zeitablauf erledigt. Der Kläger kann die Klage indes als Fortsetzungsfeststellungsklage fortführen (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, 6. Auflage, § 131, Rdnr. 7 ff.). An der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Bescheide, durch die seine Aufnahme in die Familienversicherung abgelehnt worden ist, hat er ein berechtigtes Interesse, da seine von ihm im streitigen Zeitraum entrichteten freiwilligen Beiträge sodann zu Unrecht entrichtet worden sind und der Kläger insoweit einen Erstattungsanspruch nach § 26 Abs. 2 SGB IV geltend machen kann.
Die Berufung des Klägers - der Fortsetzungsfeststellungsantrag - ist in der Sache erfolgreich. Der Bescheid der Beklagten vom 22. Januar 1997 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Mai 1997 ist rechtswidrig gewesen. Der Kläger hatte im streitigen Zeitraum vom 1. Dezember 1996 bis zum 31. August 1998 als Ehegatte eines Mitglieds Anspruch auf Aufnahme in die Familienversicherung, da er entsprechend § 10 Abs. 1 Nr. 5 SGB V in dem betreffenden Zeitraum nicht über ein Gesamteinkommen verfügte, das regelmäßig im Monat 1/7 der monatlichen Bezugsgröße nach § 18 SGB IV überschritten hat.
Für die Bestimmung des Gesamteinkommens gilt die Legaldefinition des Begriffs in § 16 SGB IV (Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, Pflegeversicherung, Stand: Juni 2001, § 10 SGB V Rdnr. 29). Nach § 16 SGB IV ist das Gesamteinkommen "die Summe der Einkünfte i. S. des Einkommenssteuerrechts; es umfasst insbesondere das Arbeitsentgelt und das Arbeitseinkommen". Vorliegend hat der Kläger ausschließlich Einkünfte aus Kapitalvermögen, die nach § 2 Abs. 1 Nr. 5 des Einkommenssteuergesetzes - EStG - der Einkommensteuer unterliegen. Auf der Grundlage des Steuerrechts ist entgegen der Auffassung des Sozialgerichts (und der Beklagten) die in § 2 Abs. 3 EStG definierte "Summe der Einkünfte" unter Abzug des Sparerfreibetrags zu berechnen. Wie Einkünfte aus Kapitalvermögen i. S. des § 2 Abs. 1 Nr. 5 EStG zu ermitteln sind, bestimmt § 20 EStG. Nach Abs. 4 Satz 1 und 2 dieser Vorschrift (Gesetzesfassung in dem hier streitigen Zeitraum vor Inkrafttreten des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002) ist bei der Ermittlung der Einkünfte aus Kapitalvermögen nach Abzug der Werbungskosten ein Betrag von 6.000,00 DM abzuziehen (Sparerfreibetrag), wobei Ehegatten, die zusammen veranlagt werden, ein gemeinsamer Sparerfreibetrag von 12.000,00 DM gewährt wird. Bei der Bemessung der "Summe der Einkünfte" i. S. des § 2 Abs. 3 EStG spielt es keine Rolle, dass es sich bei dem Sparerfreibetrag nicht um Werbungskosten handelt, über die hinaus, folgt man streng dem Wortlaut des § 2 Abs. 2 Nr. 2 EStG, nichts von den "Einnahmen" abgesetzt werden dürfte, um die "Einkünfte" aus Kapitalvermögen zu ermitteln (BSG, Urteil vom 7. Dezember 2000 - B 10 KR 3/99 R -; vgl. zur Berechnung auch BSG, Urteil vom 13. Mai 1998 - B 14 EG 10/97 R -).
Für den hier streitigen Zeitraum in den Jahren 1996 bis 1998 ergibt sich ein anderes Ergebnis (d. h. die Nichtberücksichtigung des Sparerfreibetrages bei der Ermittlung des Gesamteinkommens) auch nicht auf Grund der bisherigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zu § 10 Abs. 1 Nr. 5 SGB V (bzw. § 205 Reichsversicherungsordnung a.F.) und § 16 SGB IV. Zwar hat das Bundessozialgericht entschieden, dass im Rahmen des Sozialrechts bei der Ermittlung des Gesamteinkommens steuerliche Vergünstigungen, wozu der Sparerfreibetrag nach § 20 Abs. 4 Satz 1 EStG gehört, bei allen Einkunftsarten unberücksichtigt zu lassen sind (BSG, Urteil vom 22. Juli 1981 - 3 RK 7/80 - sowie Urteil vom 26. Oktober 1982 - 3 RK 35/81 -). Diese Rechtsprechung ist indes unter der Geltung und Berufung auf § 15 Satz 2 SGB IV in der ursprünglichen, vom 1. Juli 1977 bis zum 31. Dezember 1994 gültigen Fassung (Gesetz vom 23. Dezember 1976, BGBl. I, S. 3845) ergangen. § 15 Satz 2 SGB IV alter Fassung bestimmte hinsichtlich des Arbeitseinkommens, "bei der Ermittlung des Gewinns sind steuerliche Vergünstigungen unberücksichtigt zu lassen und Veräußerungsgewinne abzuziehen". Nach der früheren Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes sollte die betreffende Regelung sich dabei nicht nur auf das Arbeitseinkommen beziehen, sondern darüber hinaus bei allen Einkunftsarten - also auch bei Einkünften aus Kapitalvermögen - gelten (vgl. zur alten Rechtslage zuletzt BSG, Urteil vom 7. Dezember 2000 a.a.O.). Nach der ab dem 1. Januar 1995 geltenden Fassung des § 15 SGB IV durch Art. 3 Nr. 2 Agrarreformgesetzes 1995 - ASRG 1995 - vom 29. Juli 1994 (BGBl. I, S. 1890) ist der Begriff des Arbeitseinkommens nunmehr dem steuerlichen Gewinn voll angepasst. Die Änderung des § 15 SGB IV durch die Anpassung an das Steuerrecht wurde dabei im Interesse der Verfahrensvereinfachung getroffen (vgl. Gesetzesbegründung zu Art. 3 Nr. 2 ASRG 1995, BT-Drucksache 12/5700, S. 92). Nach Auffassung des Senats gilt daher für die Rechtslage ab dem 1. Januar 1995, dass bei allen Einkunftsarten (außer dem Arbeitsentgelt vgl. § 16 SGB IV i.V.m. § 14 SGB IV) die im Einkommenssteuerrecht vorgesehenen Vergünstigungen zu berücksichtigen sind, denn § 16 SGB IV verweist ohne Einschränkung auf das Einkommenssteuerrecht und eine Ausnahmeregelung wie der frühere § 15 Satz 2 SGB IV ist nicht mehr enthalten. Von der Möglichkeit einer Regelung durch Rechtsverordnung nach § 17 SGB IV, durch die "zur Wahrung der Belange der Sozialversicherung" u. a. bestimmt werden kann, wie das Gesamteinkommen zu ermitteln ist (§ 17 Abs. 1 Nr. 2 SGB IV), ist bisher von der ermächtigten Bundesregierung kein Gebrauch gemacht worden. Die Vorschrift § 17 SGB IV kann indes auch nur als Möglichkeit zur Verwaltungsvereinfachung verstanden werden und kann jedenfalls für die ab dem 1. Januar 1995 geltende Rechtslage nicht dazu herangezogen werden, die Nichtberücksichtigung von steuerlichen Vergünstigungen entgegen dem klaren Wortlaut der §§ 16 und 15 SGB IV allein aus Billigkeitserwägungen zu begründen (aA BSG unter Geltung des § 15 Satz 2 SGB IV a.F., vgl. Urteil vom 7. Dezember 2000, a.a.O., m.w.N.). Dies würde der mit § 16 SGB IV angestrebten einheitlichen Regelung für die Sozialversicherung entgegenstehen (Hauck/Haines, Sozialgesetzbuch SGB IV, Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung, Stand: Juni 2000, § 16 Rdnr. 4 d); Zweng/Scherer, SGB IV, § 16, Rdnr. 7).
Da der Sparerfreibetrag hinsichtlich des hier streitigen Zeitraums bei den Einkünften aus Kapitalvermögen Berücksichtigung finden muss, verfügte der Kläger im streitigen Zeitraum vom 1. Dezember 1996 bis zum 31. August 1998 über ein Gesamteinkommen, das regelmäßig im Monat 1/7 der monatlichen Bezugsgröße nach § 18 SGB IV nicht überschritten hat. Grundlage für die Berechnung der Einkünfte des Klägers sind dabei die von ihm vorgelegten Steuerbescheide für das Jahr 1995 und 1997. Bei Statusentscheidungen im Versicherungsrecht - und um eine derartige Entscheidung handelt es sich bei der Feststellung des Bestehens einer Familienversicherung - ist grundsätzlich eine vorausschauende Betrachtungsweise angezeigt; dies gilt auch für rückwirkende Entscheidungen (BSG, Urteil vom 7. Dezember 2000, a.a.O.). Maßgeblich ist also, ob - rückblickend - zu Beginn der streitigen Zeiträume - ggf. an Hand der durchschnittlichen Verhältnisse der vergangenen Zeit - bereits absehbar war, dass die insoweit geltenden Voraussetzungen erfüllt oder nicht erfüllt wurden. Nach den betreffenden Steuerbescheiden verfügt der Kläger im streitigen Zeitraum bei vorausschauender Betrachtung über Einkünfte von DM Null. Der Steuerbescheid vom 18. Februar 2000 für das Jahr 1998 ist insoweit außer Betracht zu lassen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zuzulassen; das Bundessozialgericht hat in seiner Entscheidung vom 7. Dezember 2000 (a.a.O.) ausdrücklich offen gelassen, ob die steuerliche Vergünstigung des Sparerfreibetrages nach der Rechtslage ab dem 1. Januar 1995 zu berücksichtigen ist.
II. Die Beklagte hat dem Kläger die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen außergerichtlichen Kosten beider Instanzen zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt für den zurückliegenden Zeitraum vom 1. Dezember 1996 bis zum 31. August 1998 die Feststellung, dass er von der Beklagten in die Familienversicherung hätte aufgenommen werden müssen.
Die Ehefrau des Klägers ist in dem streitigen Zeitraum als freiwilliges Mitglied bei der Beklagten versichert gewesen. Im Dezember 1996 beantragte der Kläger die Aufnahme als Familienversicherter und machte unter Vorlage des Einkommenssteuerbescheides für das Jahr 1995 geltend, dass er nur über Einkünfte aus Kapitalvermögen in Höhe von 11.112,00 DM verfüge. Nach Abzug der Werbungskosten (1.856,00 DM) und des Sparerfreibetrages (9.256,00 DM) ergebe sich steuerlich rechtlich ein Einkommen von Null. Hilfsweise beantragte der Kläger die Aufnahme als freiwilliges Mitglied in der Gruppe N (Nichtversicherungspflichtige) Klasse 751.
Mit Bescheid vom 22. Januar 1997 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers auf Aufnahme in die Familienversicherung ab. Eine Familienversicherung sei nur dann möglich, sofern der Ehegatte nicht über ein Gesamteinkommen verfüge, das regelmäßig monatlich 1/7 der monatlichen Bezugsgröße überschreite. Letzteres sei vorliegend indes der Fall. Die Einkünfte des Klägers aus Kapitalvermögen betrügen nach Abzug der Werbungskosten monatlich 771,33 DM und damit mehr als 1/7 der monatlichen Bezugsgröße. Der Sparerfreibetrag könne entgegen der Auffassung des Klägers bei der Ermittlung der Einkünfte aus Kapitalvermögen nicht abgesetzt werden. Dem Hilfsantrag auf Aufnahme als freiwilliges Mitglied entsprach die Beklagte mit ihren Bescheiden vom 12. Februar 1997 und vom 13. Februar 1997.
Mit seinem Widerspruch gegen den Bescheid vom 22. Januar 1997 (Eingang bei der Beklagten am 4. Februar 1997) verfolgte der Kläger sein vorangiges Ziel auf Aufnahme in die Familienversicherung weiter und machte geltend, § 16 Sozialgesetzbuch 4. Buch - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - (SGB IV) verweise ohne Einschränkung auf das Einkommenssteuerrecht und enthalte keine dem früheren § 15 Satz 2 SGB IV entsprechende Ausnahmeregelung. Sämtliche im Einkommenssteuerrecht vorgesehenen Vergünstigungen wie der Sparerfreibetrag seien daher einkommensmindernd zu berücksichtigen. Mit Widerspruchsbescheid vom 23. Mai 1997 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück; der Sparerfreibetrag könne als ein rein steuerlich relevanter Vorgang bei der Ermittlung des Gesamteinkommens nach § 16 SGB IV keine Beachtung finden.
Der Kläger hat am 3. Juni 1997 Klage beim Sozialgericht Gießen erhoben und sein Begehren auf Aufnahme in die Familienversicherung weiterverfolgt.
Mit Urteil vom 4. Februar 1998 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und in den Entscheidungsgründen im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger habe keinen Anspruch auf Aufnahme in die Familienversicherung, da sein monatliches Gesamteinkommen 1/7 der monatlichen Bezugsgröße überschreite, die 1996 bei 590,00 DM und 1997 bei 610,00 DM gelegen habe. Einkünfte im steuerrechtlichen Sinne seien bei Einkünften aus Kapitalvermögen der Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten (§ 2 Abs. 2 Ziff. 2 EStG), diese seien folglich abzusetzen. Nicht abzusetzen sei der Sparerfreibetrag gemäß § 20 Abs. 4 EStG. Dies ergebe sich bereits eindeutig aus der Definition des Einkommens in § 2 Abs. 2 Ziff. 2 EStG. Die das Gesamteinkommen bestimmende Summe der Einkünfte seien nicht identisch mit den steuerrechtlichen Begriffen. Die zur Ermittlung des Gesamtbetrages der Einkünfte, des Einkommens und des zu versteuernden Einkommens abzuziehenden Beträge beeinflussten das Gesamteinkommen nicht. Hierzu gehöre auch der Sparerfreibetrag gemäß § 20 Abs. 4 EStG.
Gegen das ihm am 24. Februar 1998 zugestellte Urteil hat der Kläger am 23. März 1998 Berufung beim Hessischen Landessozialgericht in Darmstadt eingelegt und vorgetragen, das Sozialgericht gehe in dem angefochtenen Urteil unzutreffenderweise davon aus, dass der Sparerfreibetrag nach § 20 Abs. 4 EStG nicht zu berücksichtigen sei, da das Sozialgericht den Begriff des Gesamteinkommens i. S. des § 16 SGB IV nicht richtig interpretiere. Nach dem eindeutigen Verweis auf das Einkommenssteuerrecht in dieser Vorschrift müsse hier auch genau so verfahren werden wie im Einkommenssteuerrecht zu den einzelnen unterschiedlichen Einkunftsarten. Einkünfte aus Kapitalvermögen würden ermittelt unter Abzug der Werbungskosten und des Sparerfreibetrages von den Einnahmen. Dies führe dann letztlich zu der Summe der Einkünfte, die nach § 16 SGB IV maßgeblich sei. Die Summe der Einkünfte betrage bei dem Kläger nach den zu berücksichtigenden Einkommenssteuerbescheiden ausdrücklich DM Null. Der Kläger hat seinen Steuerbescheid vom 16. Oktober 1998 für das Jahr 1997 (Einkünfte "0") sowie seinen Steuerbescheid vom 18. Februar 2000 für das Jahr 1998 (Einkünfte "1.455,00 DM") vorgelegt.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 4. Februar 1998 und den Bescheid der Beklagten vom 22. Januar 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Mai 1997 aufzuheben und festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet gewesen ist, ihn für die Zeit vom 1. Dezember 1996 bis zum 31. August 1998 als Familienversicherten aufzunehmen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie ist weiterhin der Auffassung, bei der Ermittlung des Gesamteinkommens gemäß § 16 SGB IV sei der Sparerfreibetrag nicht von den Einkünften aus Kapitalerträgen abzuziehen.
Wegen weiterer Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf die Gerichtsakte sowie auf die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die zum Verfahren beigezogen war.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig, sie ist form- und fristgerecht eingelegt sowie statthaft (§§ 143, 144 und 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG -). Der ursprüngliche Verpflichtungsantrag des Klägers hat sich zwar durch Zeitablauf erledigt. Der Kläger kann die Klage indes als Fortsetzungsfeststellungsklage fortführen (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, 6. Auflage, § 131, Rdnr. 7 ff.). An der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Bescheide, durch die seine Aufnahme in die Familienversicherung abgelehnt worden ist, hat er ein berechtigtes Interesse, da seine von ihm im streitigen Zeitraum entrichteten freiwilligen Beiträge sodann zu Unrecht entrichtet worden sind und der Kläger insoweit einen Erstattungsanspruch nach § 26 Abs. 2 SGB IV geltend machen kann.
Die Berufung des Klägers - der Fortsetzungsfeststellungsantrag - ist in der Sache erfolgreich. Der Bescheid der Beklagten vom 22. Januar 1997 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Mai 1997 ist rechtswidrig gewesen. Der Kläger hatte im streitigen Zeitraum vom 1. Dezember 1996 bis zum 31. August 1998 als Ehegatte eines Mitglieds Anspruch auf Aufnahme in die Familienversicherung, da er entsprechend § 10 Abs. 1 Nr. 5 SGB V in dem betreffenden Zeitraum nicht über ein Gesamteinkommen verfügte, das regelmäßig im Monat 1/7 der monatlichen Bezugsgröße nach § 18 SGB IV überschritten hat.
Für die Bestimmung des Gesamteinkommens gilt die Legaldefinition des Begriffs in § 16 SGB IV (Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, Pflegeversicherung, Stand: Juni 2001, § 10 SGB V Rdnr. 29). Nach § 16 SGB IV ist das Gesamteinkommen "die Summe der Einkünfte i. S. des Einkommenssteuerrechts; es umfasst insbesondere das Arbeitsentgelt und das Arbeitseinkommen". Vorliegend hat der Kläger ausschließlich Einkünfte aus Kapitalvermögen, die nach § 2 Abs. 1 Nr. 5 des Einkommenssteuergesetzes - EStG - der Einkommensteuer unterliegen. Auf der Grundlage des Steuerrechts ist entgegen der Auffassung des Sozialgerichts (und der Beklagten) die in § 2 Abs. 3 EStG definierte "Summe der Einkünfte" unter Abzug des Sparerfreibetrags zu berechnen. Wie Einkünfte aus Kapitalvermögen i. S. des § 2 Abs. 1 Nr. 5 EStG zu ermitteln sind, bestimmt § 20 EStG. Nach Abs. 4 Satz 1 und 2 dieser Vorschrift (Gesetzesfassung in dem hier streitigen Zeitraum vor Inkrafttreten des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002) ist bei der Ermittlung der Einkünfte aus Kapitalvermögen nach Abzug der Werbungskosten ein Betrag von 6.000,00 DM abzuziehen (Sparerfreibetrag), wobei Ehegatten, die zusammen veranlagt werden, ein gemeinsamer Sparerfreibetrag von 12.000,00 DM gewährt wird. Bei der Bemessung der "Summe der Einkünfte" i. S. des § 2 Abs. 3 EStG spielt es keine Rolle, dass es sich bei dem Sparerfreibetrag nicht um Werbungskosten handelt, über die hinaus, folgt man streng dem Wortlaut des § 2 Abs. 2 Nr. 2 EStG, nichts von den "Einnahmen" abgesetzt werden dürfte, um die "Einkünfte" aus Kapitalvermögen zu ermitteln (BSG, Urteil vom 7. Dezember 2000 - B 10 KR 3/99 R -; vgl. zur Berechnung auch BSG, Urteil vom 13. Mai 1998 - B 14 EG 10/97 R -).
Für den hier streitigen Zeitraum in den Jahren 1996 bis 1998 ergibt sich ein anderes Ergebnis (d. h. die Nichtberücksichtigung des Sparerfreibetrages bei der Ermittlung des Gesamteinkommens) auch nicht auf Grund der bisherigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zu § 10 Abs. 1 Nr. 5 SGB V (bzw. § 205 Reichsversicherungsordnung a.F.) und § 16 SGB IV. Zwar hat das Bundessozialgericht entschieden, dass im Rahmen des Sozialrechts bei der Ermittlung des Gesamteinkommens steuerliche Vergünstigungen, wozu der Sparerfreibetrag nach § 20 Abs. 4 Satz 1 EStG gehört, bei allen Einkunftsarten unberücksichtigt zu lassen sind (BSG, Urteil vom 22. Juli 1981 - 3 RK 7/80 - sowie Urteil vom 26. Oktober 1982 - 3 RK 35/81 -). Diese Rechtsprechung ist indes unter der Geltung und Berufung auf § 15 Satz 2 SGB IV in der ursprünglichen, vom 1. Juli 1977 bis zum 31. Dezember 1994 gültigen Fassung (Gesetz vom 23. Dezember 1976, BGBl. I, S. 3845) ergangen. § 15 Satz 2 SGB IV alter Fassung bestimmte hinsichtlich des Arbeitseinkommens, "bei der Ermittlung des Gewinns sind steuerliche Vergünstigungen unberücksichtigt zu lassen und Veräußerungsgewinne abzuziehen". Nach der früheren Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes sollte die betreffende Regelung sich dabei nicht nur auf das Arbeitseinkommen beziehen, sondern darüber hinaus bei allen Einkunftsarten - also auch bei Einkünften aus Kapitalvermögen - gelten (vgl. zur alten Rechtslage zuletzt BSG, Urteil vom 7. Dezember 2000 a.a.O.). Nach der ab dem 1. Januar 1995 geltenden Fassung des § 15 SGB IV durch Art. 3 Nr. 2 Agrarreformgesetzes 1995 - ASRG 1995 - vom 29. Juli 1994 (BGBl. I, S. 1890) ist der Begriff des Arbeitseinkommens nunmehr dem steuerlichen Gewinn voll angepasst. Die Änderung des § 15 SGB IV durch die Anpassung an das Steuerrecht wurde dabei im Interesse der Verfahrensvereinfachung getroffen (vgl. Gesetzesbegründung zu Art. 3 Nr. 2 ASRG 1995, BT-Drucksache 12/5700, S. 92). Nach Auffassung des Senats gilt daher für die Rechtslage ab dem 1. Januar 1995, dass bei allen Einkunftsarten (außer dem Arbeitsentgelt vgl. § 16 SGB IV i.V.m. § 14 SGB IV) die im Einkommenssteuerrecht vorgesehenen Vergünstigungen zu berücksichtigen sind, denn § 16 SGB IV verweist ohne Einschränkung auf das Einkommenssteuerrecht und eine Ausnahmeregelung wie der frühere § 15 Satz 2 SGB IV ist nicht mehr enthalten. Von der Möglichkeit einer Regelung durch Rechtsverordnung nach § 17 SGB IV, durch die "zur Wahrung der Belange der Sozialversicherung" u. a. bestimmt werden kann, wie das Gesamteinkommen zu ermitteln ist (§ 17 Abs. 1 Nr. 2 SGB IV), ist bisher von der ermächtigten Bundesregierung kein Gebrauch gemacht worden. Die Vorschrift § 17 SGB IV kann indes auch nur als Möglichkeit zur Verwaltungsvereinfachung verstanden werden und kann jedenfalls für die ab dem 1. Januar 1995 geltende Rechtslage nicht dazu herangezogen werden, die Nichtberücksichtigung von steuerlichen Vergünstigungen entgegen dem klaren Wortlaut der §§ 16 und 15 SGB IV allein aus Billigkeitserwägungen zu begründen (aA BSG unter Geltung des § 15 Satz 2 SGB IV a.F., vgl. Urteil vom 7. Dezember 2000, a.a.O., m.w.N.). Dies würde der mit § 16 SGB IV angestrebten einheitlichen Regelung für die Sozialversicherung entgegenstehen (Hauck/Haines, Sozialgesetzbuch SGB IV, Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung, Stand: Juni 2000, § 16 Rdnr. 4 d); Zweng/Scherer, SGB IV, § 16, Rdnr. 7).
Da der Sparerfreibetrag hinsichtlich des hier streitigen Zeitraums bei den Einkünften aus Kapitalvermögen Berücksichtigung finden muss, verfügte der Kläger im streitigen Zeitraum vom 1. Dezember 1996 bis zum 31. August 1998 über ein Gesamteinkommen, das regelmäßig im Monat 1/7 der monatlichen Bezugsgröße nach § 18 SGB IV nicht überschritten hat. Grundlage für die Berechnung der Einkünfte des Klägers sind dabei die von ihm vorgelegten Steuerbescheide für das Jahr 1995 und 1997. Bei Statusentscheidungen im Versicherungsrecht - und um eine derartige Entscheidung handelt es sich bei der Feststellung des Bestehens einer Familienversicherung - ist grundsätzlich eine vorausschauende Betrachtungsweise angezeigt; dies gilt auch für rückwirkende Entscheidungen (BSG, Urteil vom 7. Dezember 2000, a.a.O.). Maßgeblich ist also, ob - rückblickend - zu Beginn der streitigen Zeiträume - ggf. an Hand der durchschnittlichen Verhältnisse der vergangenen Zeit - bereits absehbar war, dass die insoweit geltenden Voraussetzungen erfüllt oder nicht erfüllt wurden. Nach den betreffenden Steuerbescheiden verfügt der Kläger im streitigen Zeitraum bei vorausschauender Betrachtung über Einkünfte von DM Null. Der Steuerbescheid vom 18. Februar 2000 für das Jahr 1998 ist insoweit außer Betracht zu lassen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zuzulassen; das Bundessozialgericht hat in seiner Entscheidung vom 7. Dezember 2000 (a.a.O.) ausdrücklich offen gelassen, ob die steuerliche Vergünstigung des Sparerfreibetrages nach der Rechtslage ab dem 1. Januar 1995 zu berücksichtigen ist.
Rechtskraft
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