S 31 KR 89/10

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Duisburg (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
31
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 31 KR 89/10
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist die Gewährung von Krankengeld ab dem 08.08.2009.

Der am 10.09.1946 geborene Kläger ist hauptberuflich selbständig tätig und bei der Beklagten freiwillig gesetzlich versichert. Er bezog bis Juni 2008 Krankengeld bis zur Höchstdauer von 78 Wochen. Wegen Erschöpfung des Krankengeldanspruchs versicherte er sich ab Juli 2008 ohne Anspruch auf Krankengeld. In einem entsprechenden Beitragsbescheid der Beklagten vom 02.07.2008 wird darauf hingewiesen, dass der Krankengeldanspruch für Selbständige zum 01.01.2009 neu geregelt werde. Hierüber würden die Versicherten rechtzeitig informiert.

Mit dem GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV-WSG) wurde der Anspruch auf Krankengeld für hauptberuflich Selbständige ab dem 01.01.2009 grundsätzlich ausgeschlossen. Es wurde jedoch die Möglichkeit eingeräumt, entsprechende Wahltarife abzuschließen.

Am 16.07.2009 wurde der Kläger ausweislich einer entsprechenden Bescheinigung seines behandelnden Internisten Dr. S. "dienstunfähig" bis zum 15.09.2009. Dem lag die Diagnose "bösartige Neubildung Bronchus oder Lunge" (ICD-10 C34.9G) zugrunde.

Zum 01.08.2009 wurde hauptberuflich selbständig Erwerbstätigen (wieder) die Wahl eines "gesetzlichen" Krankengelds ermöglicht.

Mit Schreiben vom 21.08.2009 informierte die Beklagte den Kläger über diese Möglichkeit. Am 26.08.2009 erklärte der Kläger gegenüber der Beklagten, er wolle das "gesetzliche Krankengeld" ab dem 01.08.2009 in Anspruch nehmen. Außerdem wählte er den Tarif KGS22, der einen Anspruch auf Krankengeld vom 22. bis 42. Tag der Arbeitsunfähigkeit (AU) vorsieht.

Am 07.09.2009 legte der Kläger eine AU-Bescheinigung des behandelnden Internisten Dr. Schöpper vom 04.09.2009 vor, wonach er – der Kläger – seit dem 16.07. bis zum 15.09.2009 arbeitsunfähig sei. Die Bescheinigung war als Erstbescheinigung bezeichnet.

Die Beklagte lehnte die Zahlung von Krankengeld mit Bescheid vom 11.09.2009 ab, da der Kläger zu Beginn der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit nicht mit einem Anspruch auf Krankengeld versichert gewesen sei. Hiergegen legte der Kläger am 21.09.2009 Widerspruch ein. Für das gesetzliche Krankengeld sei keine Karenzzeit vorgesehen. Die Beklagte erklärte gegenüber dem Kläger, dass ein Tarifwechsel nach § 23e Abs. 4 ihrer Satzung während einer laufenden Arbeitsunfähigkeit ausgeschlossen sei. Der Kläger entgegnete, der Gesetzgeber habe mit der zum 01.08.2009 getroffenen Regelung bereits arbeitsunfähig Erkrankte nicht vom Krankengeldanspruch ausschließen wollen. Am 27.01.2010 wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widerspruch zurück.

Hiergegen richtet sich die am 23.02.2010 erhobene Klage.

Der Kläger trägt vor, er sei nicht über die Möglichkeit der Absicherung eines Krankengeldanspruchs über einen Wahltarif ab dem 01.01.2009 informiert worden. Mitte 2009 sei ihm auch nicht mitgeteilt worden, dass bei schon bestehender AU ein Anspruch auf Krankengeld ausgeschlossen sei. Es fehle im Übrigen an einer gesetzlichen Regelung, die es der Beklagten erlaube, Krankengeld allein wegen einer zum 01.08.2009 bereits bestehenden AU zu verweigern. Die Beklagte verhalte sich damit im Ergebnis wie eine private Krankenversicherung. Die Satzung der Beklagten umgehe den gesetzgeberischen Zweck. Die Krankengeldberechtigung dürfe nicht davon abhängen, ob ein Versicherter zufällig am 01.08.2009 bereits arbeitsunfähig gewesen sei oder nicht.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 11.09.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27.01.2010 zu verurteilen, ihm ab dem 08.08.2009 Krankengeld in gesetzlicher Höhe zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte trägt vor, alle Mitglieder seien über die Mitgliederzeitschrift über die ab dem 01.01.2009 bestehende Möglichkeit einer Krankengeldabsicherung über Wahltarife informiert worden. Entscheidend sei, ob der Kläger zu Beginn seiner Arbeitsunfähigkeit mit einem Anspruch auf Krankengeld versichert gewesen sei oder nicht. Im Übrigen habe der Gesetzgeber mit § 319 SGB V abschließende Übergangsregelungen geschaffen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene Verwaltungsakte Bezug genommen, deren jeweiliger wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Kläger ist durch die angefochtenen Bescheide nicht im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz – SGG – beschwert, da diese rechtmäßig sind. Ihm steht kein Anspruch auf Krankengeld ab dem 08.08.2009 zu.

Gemäß § 44 Abs. 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankengeld, wenn die Krankheit sie arbeitsunfähig macht. Mit dem GKV-WSG wurde der Anspruch auf Krankengeld für hauptberuflich Selbständige ab dem 01.01.2009 grundsätzlich ausgeschlossen. Es wurde jedoch die Möglichkeit eingeräumt, entsprechende Wahltarife abzuschließen (vgl. hierzu BT-Drs. 16/3100, Seite 109). Zum 01.08.2009 wurde hauptberuflich selbständig Erwerbstätigen (wieder) die Wahl eines "gesetzlichen" Krankengelds ermöglicht. Nach der Gesetzesbegründung sollte damit "unverhältnismäßigen Belastungen entgegengewirkt (werden), die sich insbesondere für ältere Versicherte bei der Umstellung auf Krankengeldwahltarife ergaben" (BT-Drs. 16/12256, Seite 64; vgl. hierzu auch Krauskopf, in: Krauskopf, SGB V, Stand: November 2009, § 53 Rdnr. 19 ff.).

Ein Anspruch auf Krankengeld setzt aber voraus, dass der Versicherte bereits zum Zeitpunkt der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit mit einem Anspruch auf Krankengeld versichert ist. Die Maßgeblichkeit des Zeitpunkts der ärztlichen Feststellung beruht auf § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V (vgl. Brandts, in: KassKomm, Stand: Oktober 2010, § 44 SGB V Rdnr. 6 ff. (8) mit Verweis auf Bundessozialgericht – BSG -, Urteil vom 19.09.2002, B 1 KR 11/02 R; vgl. auch Gerlach, in: Hauck/Noftz, SGB V, § 44 Rdnr. 35; teilweise wird auf den Eintritt der Arbeitsunfähigkeit abgestellt, vgl. etwa Meyerhoff, in: jurisPK-SGB V, § 44 Rdnr. 31; Höfler, in: KassKomm, Stand: September 2007, § 44 SGB V Rdnr. 6).

Nach diesen Grundsätzen war der Kläger zwar ab dem 01.08.2009 aufgrund seiner Erklärung vom 26.08.2009 mit einem Anspruch auf "gesetzliches" Krankengeld versichert. Da die hier geltend gemachte Arbeitsunfähigkeit aber bereits am 16.07.2009 festgestellt wurde (bzw. ab da bestand) und zu diesem Zeitpunkt kein Versicherungsschutz mit Anspruch auf Krankengeld vorlag, scheidet ein Anspruch auf Krankengeld ab dem 08.08.2009 aus.

Dabei hat die Kammer keinen Zweifel daran, dass der Kläger ab dem 16.07.2009 durchgehend wegen derselben Erkrankung, nämlich der Krebserkrankung, arbeitsunfähig war. Dass der behandelnde Arzt Dr. S. am 16.07.2009 "lediglich" eine Bescheinigung ausstellte, wonach der Kläger "dienstunfähig" sei, steht dem nicht entgegen. Denn schon nach dem eigenen Vortrag des Klägers lag Arbeitsunfähigkeit ab dem 16.07.2009 vor. Ebenso wenig steht dieser Annahme entgegen, dass die von Dr. S. am 04.09.2009 ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung als Erstbescheinigung bezeichnet wird. Denn in dieser Bescheinigung wird als Beginn der Arbeitsunfähigkeit mit dem 16.07.2009 genau der Tag angegeben, an und ab dem bereits zuvor "Dienstunfähigkeit" angenommen worden war.

Aus § 319 SGB V ergibt sich nichts anderes. Die Vorschrift bezieht sich überwiegend auf solche Personen, die – anders als der Kläger – auch in der Zeit zwischen Januar und Juli 2009 mit einem Anspruch auf Krankengeld versichert waren (und zwar über einen Wahltarif, vgl. § 319 Abs. 2, Abs. 3 Satz 3 SGB V). Im Übrigen enthält die Vorschrift lediglich Ausführungen dazu, bis wann mit Rückwirkung zum 01.08.2009 eine Wahlerklärung im Sinne von § 44 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB V abgegeben werden kann (vgl. hierzu Krauskopf, a.a.O., § 319 Rdnr. 7). Es ist nicht ersichtlich, dass damit – über die Rückwirkung zum 01.08.2009 hinaus - eine Abweichung von dem oben dargestellten Grundsatz kodifiziert werden sollte, dass der Versicherungsschutz bereits zum Zeitpunkt der (erstmaligen) Feststellung der Arbeitsunfähigkeit vorliegen muss. Auch aus der Gesetzesbegründung ergibt sich keine solche Regelungsabsicht (vgl. BT-Drs. 16/12256, Seite 67; BT-Drs. 16/13428, Seite 96).

Scheidet ein Krankengeldanspruch schon aufgrund dieser allgemeinen Voraussetzungen aus, kann dahinstehen, ob einem solchen Anspruch auch § 23e Abs. 4 Satz 2 der Satzung der Beklagten entgegensteht, wonach ein Tarifwechsel während einer laufenden Arbeitsunfähigkeit ausgeschlossen ist.

Der Kläger kann sein Begehren schließlich nicht auf den sogenannten sozialrechtlichen Herstellungsanspruch gründen. Soweit der Kläger vorträgt, er sei über die Möglichkeit des Abschlusses eines Wahltarifs mit Krankengeldanspruch zum 01.01.2009 nicht hinreichend aufgeklärt worden, so fehlt es bereits an einer Beratungspflicht und jedenfalls an dem Nachweis einer Beratungspflichtverletzung. Es dürfte zunächst – auch vor dem Hintergrund des Grundsatzes der formellen Publizität – keine Beratungspflicht hinsichtlich der Rechtsänderungen zum 01.01.2009 bestanden haben (vgl. hierzu das Urteil der erkennenden Kammer vom 23.04.2010, S 31 (11) KR 178/09). Auch ein konkreter Anlass zu einer Beratung ist nicht ersichtlich. Eine etwaige Pflicht zur Beratung über die Rechtsänderung zum 01.01.2009 wäre aber jedenfalls erfüllt. Bereits mit Schreiben vom 02.07.2008 hatte die Beklagte auf die anstehenden Rechtsänderungen hingewiesen. Nach dem Vortrag der Beklagten im Termin zur mündlichen Verhandlung hatte sie ihre Mitglieder über die Rechtsänderungen sodann zeitnah über ihre Mitgliederzeitschrift informiert. Der Kläger ist dem nicht substantiiert entgegengetreten. Schließlich wäre die Kausalität einer etwaigen Beratungspflichtverletzung für einen Nachteil des Klägers mehr als zweifelhaft. Denn gerade die Tatsache, dass der Kläger sich noch Mitte 2008 gegen einen Krankengeldtarif ausgesprochen hatte, spricht dafür, dass er auch bei voller Kenntnis der Möglichkeit des Abschlusses eines Wahltarifs zum 01.01.2009 (nicht zuletzt angesichts der damit verbundenen Kosten) von der Wahl eines solchen Tarifs Abstand genommen hätte.

Soweit der Kläger vorträgt, dass er bei Abgabe der Wahlerklärung Mitte 2009 nicht darüber informiert worden sei, dass Krankengeld bei bereits bestehender Arbeitsunfähigkeit ausgeschlossen sei, so fehlt es auch hier an einem konkreten Beratungsanlass. Im Übrigen könnte die Rechtsfolge eines Herstellungsanspruchs hier allenfalls die sein, dass die Wahlerklärung als nicht abgegeben behandelt würde, nicht aber die, dass Krankengeld zu gewähren wäre.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG, die Zulässigkeit der Berufung auf § 144 Abs. 1 SGG, da der Kläger Krankengeld durchgängig ab dem 08.08.2009 begehrt und damit ein Betrag von 750 EUR (vgl. § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG) überschritten wird.
Rechtskraft
Aus
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