L 4 B 23/73

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
4
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
S 8 V 246/71
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 B 23/73
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichtes Gießen vom 22. Mai 1973 - Az.: S-8/V - 246/71 - wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Gründe:

In der Kriegsopferversorgungs-Streitsache der Klägerin C. Z. gegen das Land Hessen wurde deren Bevollmächtigter F. G. durch Beschluss des Sozialgerichtes Gießen vom 22. Mai 1973 Az.: S-8/V – 246/71 – als Bevollmächtigter aus Gründen des § 157 Abs. 1 Satz 1 Zivilprozeßordnung (ZPO) zurückgewiesen, weil er fremde Rechtsangelegenheiten vor dem Sozialgericht Gießen geschäftsmäßig betreibe. Nach dem Sitzungsprotokoll erhielt er folgende Rechtsmittelbelehrung:

"Gegen diesen Beschluss kann Beschwerde zum Hessischen Landessozialgericht binnen eines Monats seit dem Tage der Verkündigung schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten des Sozialgerichts Gießen, Ostanlage 19, eingelegt werden”.

Mit einem am 29. Mai 1973 beim Hessischen Landessozialgericht eingegangenen Schriftsatz hat der Bevollmächtigte der Beschwerdeführerin Beschwerde erhoben und beantragt 9 den erwähnten Beschluss des Sozialgerichtes Gießen aufzuheben, seine Tätigkeit anzuerkennen und die Kosten dem Beschwerdegegner aufzuerlegen.

Die Beschwerde wurde vom Hessischen Landessozialgericht an das Sozialgericht Gießen mit der Bitte um Prüfung und Mitteilung, ob der Beschwerde abgeholfen wird, weitergeleitet. Der Vorsitzende der 8. Kammer des Sozialgerichtes Gießen teilte dem Hessischen Landessozialgericht mit, daß er diesem "Ersuchen” nicht entsprechen könne. Er vertrat die Auffassung, der Beschluss des Sozialgerichtes Gießen vom 22. Mai 1973 sei bindend geworden, dabei Beschwerde nicht innerhalb der vorgesehenen Frist beim Sozialgericht Gießen eingegangen und die laut Sitzungsniederschrift erteilte Rechtsmittelbelehrung richtig gewesen sei.

Mit seiner Beschwerde behauptet die Beschwerdeführerin, ihr Bevollmächtigter sei 1. Vorsitzender der seit einigen Jahren bestehenden Gemeinschaft der Rentner und Pensionäre in K ... Er leiste den Rentnern unentgeltlich Hilfe in Versicherungsangelegenheiten und vertrete sie auch vor dem Sozialgericht. Der Beschluss vom 22. Mai 1973 sei schon deshalb rechtsunwirksam, weil der Vorsitzende ohne Befragung der Sozialrichter die mündliche Verhandlung geschlossen und dann nach geheimer Beratung den angefochtenen Beschluss verkündet habe. Auf die Anfrage des Berichterstatters, ob der Bevollmächtigte im eigenen Namen Beschwerde erhoben habe oder im Namen der Beschwerdeführerin C. Z., und er im letzteren Fall deren Vollmacht vorlegen solle, legte er eine Vollmacht der Beschwerdeführerin vor und teilte mit, daß er die Beschwerde im Namen der Beschwerdeführerin erhoben habe.

Der Senat hat die Akten des Dienstaufsichtsführenden Richters des Sozialgerichtes Gießen über den Bevollmächtigten G. und die der Staatsanwaltschaft Gießen – Az: – beigezogen. Hieraus ergibt sich, daß der Bevollmächtigte einen Bußgeldbescheid der Staatsanwaltschaft vom 14. Juni 1973 erhalten hat, mit dem ihm zur Last gelegt wird, seit Oktober 1971 in mindestens sechs Fällen fremde Rechtsangelegenheiten geschäftsmäßig besorgt zu haben, ohne die nach § 1 des Rechtsberatungsgesetzes vom 13. Dezember 1935 erforderliche Erlaubnis der zuständigen Behörde zu besitzen. Die sechs hierin aufgeführten Streitsachen waren vor dem Sozialgericht Gießen anhängig. Gegen ihn wurde eine Geldbuße in Höhe von 200,– DM festgesetzt.

Obwohl die Beschwerdeführerin ihre Beschwerde nicht, wie nach § 173 SGG (Sozialgerichtsgesetz) erforderlich, fristgemäß schriftlich beim Sozialgericht oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt hat, war die Frist für das Rechtsmittel gemäß § 66 SGG noch nicht abgelaufen, als die Beschwerde im August 1973 vom Hessischen Landessozialgericht an das Sozialgericht Gießen abgegeben wurde.

Die vom Sozialgericht ausweislich der Sitzungsniederschrift vom 22. Mai 1973 erteilte Rechtsmittelbelehrung ist nämlich unrichtig im Sinne des § 66 Abs. 2 SGG, so daß die Beschwerde noch innerhalb eines Jahres seit der Verkündung des Beschlusses vom 22. Mai 1973 eingelegt werden konnte. Zu einer vollständigen und damit richtigen Rechtsmittelbelehrung gehört der Hinweis darauf, wo dieses Rechtsmittel, um wirksam und fristgemäß zu sein, eingelegt werden muß. Seiner Verpflichtung, eine solche Rechtsmittelbelehrung zu erteilen wäre das Sozialgericht dann nachgekommen, wenn es den Wortlaut des § 173 Satz 1 erster Halbsatz SGG dem Prozeßbevollmächtigten der Klägerin mitgeteilt hätte, aus dem sich eindeutig ergibt, daß die Beschwerde "beim Sozialgericht schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen” ist.

Der im Sozialrecht einschließlich des Verfahrensrechtes nicht so kundige Bevollmächtigte der Beschwerdeführerin konnte jedenfalls aus der ihm erteilten Rechtsmittelbelehrung nicht entnehmen, daß die Beschwerde schriftlich beim Sozialgericht anzubringen ist. Da ihm die Rechtsmittelbelehrung erteilt war, es könne "Beschwerde zum Hessischen Landessozialgericht schriftlich” eingelegt werden, konnte er hieraus trotz des weiteren Zusatzes in der Rechtsmittelbelehrung nicht folgern, die Beschwerde müsse schriftlich beim Sozialgericht Giessen eingelegt werden, wenn sie nicht zur Niederschrift des Urkundsbeamten dieses Gerichtes erklärt werde. Ein solcher Irrtum des Bevollmächtigten nach der Formulierung der ihm vom Sozialgericht Gießen erteilten Rechtsmittelbelehrung ist um so naheliegender, weil der § 151 Abs. 1 SGG für die Einlegung der Berufung fordert, daß sie fristgemäß beim Landessozialgericht schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des Sozialgerichtes einzulegen ist.

Die Beschwerde ist somit wegen der unrichtigen Rechtsmittelbelehrung gemäß § 66 SGG form- und fristgerecht eingelegt.

Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet, weil das Sozialgericht Gießen den Bevollmächtigten der Beschwerdeführerin zu Recht in der mündlichen Verhandlung vom 22. Mai 1973 als Bevollmächtigten ausgeschlossen hat.

Gemäß § 73 SGG (Sozialgerichtsgesetz) gilt für die Zurückweisung von Bevollmächtigten und Beiständen § 157 ZPO entsprechend. Gemäß § 157 ZPO sind mit Ausnahme der Rechtsanwälte und der von der Justizverwaltung besonders zugelassenen Personen, diejenigen von der mündlichen Verhandlung ausgeschlossen, die die Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten vor Gericht geschäftsmäßig betreiben. Für die Geschäftsmäßigkeit spielt es keine Solle, ob sie gegen Entgelt oder unentgeltlich erfolgt. Zur Erfüllung dieses Tatbestandes genügt es vielmehr, daß der Bevollmächtigte beabsichtigt, bei sich bietender Gelegenheit in gleicher Art wieder tätig zu werden und die Rechtsvertretung dadurch zu einem wiederkehrenden Bestandteil seiner Beschäftigung zu machen (vgl. RGZ Band 61 S. 51, Peters-Sautter-Wolff, Komm. zur Sozialgerichtsbarkeit, 4. Aufl. Anm. 5 a zu § 73 SGG; OLG Hamburg, MDR 1951 S. 693; Altenhoff – Busch – Kampmann, Rechtsberatungsgesetz, 3. Aufl., Anm. zu § 8).

Demgegenüber kann der Bevollmächtigte der Beschwerdeführerin auch nicht § 73 Abs. 6 SGG für sich in Anspruch nehmen. Hiernach gilt § 157 Abs. 1 ZPO nicht für Bevollmächtigte die Mitglieder und Angestellte von Gewerkschaften, von selbständigen Vereinigungen von Arbeitnehmern mit sozial- oder berufspolitischer Zwecksetzung, von Vereinigungen von Arbeitgebern und von Vereinigungen der Kriegsopfer sind, sofern sie kraft Satzung oder Vollmacht zur Prozeßvertretung befugt sind. Die Rentner- und Pensionärgemeinschaft K. deren 1. Vorsitzender der Bevollmächtigte der Beschwerdeführerin sein will, gehört zu keiner dieser Vereinigungen. Wenn diese Gemeinschaft nach der eigenen Angabe des Bevollmächtigten der Beschwerdeführerin (Bl. 11 der Gerichtsakten) nicht einmal eine Satzung hat, kann sie auch nicht wirksam einen 1. Vorsitzenden bestimmt haben. Der eine Privilegierung nach § 73 Abs. 6 Satz 3 SGG voraussetzende Zweck der Gemeinschaft, der nach § 57 Abs. 1 BGB durch die Satzung bestimmt wird, ist damit nicht feststellbar. Auch ist mangels einer solchen Satzung nicht prüfbar, ob eine Umgehung der gesetzlichen Vorschriften vorliege, weil der Zusammenschluß nach der Darstellung des Bevollmächtigten offenbar nur erfolgt ist, um ihm als einem Mitglied die Prozeßvertretung zu ermöglichen (Peters-Sautter-Wolff a.a.O. Anm. 5 c zu § 73 SGG). Wenn selbst Kriegsopferverbände, die satzungsgemäß auch Sozialrentner betreuen, die nicht Kriegsopfer sind, die Privilegierung des § 73 Abs. 6 Satz 3 SGG nicht besitzen, soweit sie in Angelegenheiten tätig werden, die nicht Kriegsopfer betreffen (vgl. Peters-Sautter-Wolff a.a.O. Anm. 5 c zu § 73 SGG), dann ist die Prozeßvertretung einer Gemeinschaft von Rentnern und Pensionären, zu denen also auch Nichtkriegsopfer gehören, schon deshalb nicht durch § 73 Abs. 6 SGG abgedeckt. Darüber hinaus hat der Bevollmächtigte der Beschwerdeführerin keine generelle Genehmigung zur Prozeßvertretung vor dem Sozialgericht Gießen und sich bei dem Präsidenten des Hessischen Landessozialgerichtes in Darmstadt auch nicht hierum bemüht.

Daß eine Zurückverweisung des Bevollmächtigten der Klägerin als Prozeßvertreter auch sachlich berechtigt ist, ergibt sich schon aus seiner Unkenntnis über das Verfahrensrecht die er bewies, als ihm unbekannt war, bei welchem Gericht die vorliegende Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichtes Gießen schriftlich anzubringen war. Gerade § 1 des Rechtsberatungsgesetzes vom 13. Dezember 1935 wie auch § 73 Abs. 6 SGG verfolgen den Zweck, im Recht unerfahrene Personen nicht von solchen beraten zu lassen, die ihrerseits die betreffende Rechtsmaterie nicht oder nur unzulänglich beherrschen, wenn dies auch nicht ausschließt, daß ein solcher Bevollmächtigter zuweilen mit Erfolg für die von ihm Vertretenen tätig werden kann.

Nach alledem konnte die Beschwerde keinen Erfolg haben.

Dem Antrag der Beschwerdeführerin, die Kosten dem Beschwerdegegner und Beklagten aufzuerlegen, konnte der Senat bei der Erfolglosigkeit der Beschwerde nicht entsprechen. Vielmehr mußte nach § 193 SGG ausgesprochen werden, daß die Beteiligten aneinander keine Kosten zu erstatten haben.

Diese Entscheidung ist nach § 177 SGG endgültig.
Rechtskraft
Aus
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