L 5 B 27/73

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
5
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 5 B 27/73
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1) An dem Grundsatz, daß Kosten nach § 109 SGG Gerichtskosten sind, vermag weder die Verzichtserklärung des Arztes auf Geltendmachung seiner Sachverständigengebühren gegenüber der Staatskasse noch der Antrag des Klägers etwas zu ändern, die unmittelbar von ihm an den Arzt seines Vertrauens gezahlten Gebühren für das erstattete Gutachten dem Beklagten nach § 193 SGG aufzuerlegen.
2) Bezieht sich der Gebührenverzicht des Arztes nur auf seine eigene Person, dann besteht der Anspruch des Klägers auf eine Beschlußfassung des Sozialgerichts in Anwendung des § 109 Abs. 1 Satz 2 SGG weiter. Für eine Entscheidung nach § 193 SGG ist kein Raum.
Auf die Beschwerde des Beschwerdeführers und die Anschlußbeschwerde des Beschwerdegegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Frankfurt/Main vom 7. Mai 1973 aufgehoben.

Die Kosten für das von dem Facharzt für Chirurgie Dr. B. gemäß § 109 SGG eingeholte Gutachten vom 9. Januar 1973 werden im erstattungsfähigem Umfang auf die Staatskasse übernommen.

Gründe:

Der Beschwerdegegner (BG) erhielt durch Bescheid vom 21. September 1953 für Schädigungsfolgen nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) Versorgung nach einem Grade der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 40 v.H. Mit Wirkung vom 1. Januar 1957 wurde sein besonderes berufliches Betroffensein anerkannt und die MdE auf 50 v.H. erhöht. Im März 1971 beantragte er Neufeststellung, die im Verwaltungsverfahren negativ beurteilt wurde (Bescheid vom 11. August 1971, Widerspruchsbescheid vom 27. Januar 1972). Im Klageverfahren erhob das Sozialgericht Frankfurt/Main auf Antrag des BG nach § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) Beweis durch Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens von dem Facharzt für Chirurgie Dr. med. B. als Arzt dessen Vertrauens. Es sah von der Anforderung eines vorläufigen Kostenvorschusses ab, nachdem der Sachverständige am 17. Februar 1972 schriftlich mitgeteilt hatte, die Kostenfrage sei unmittelbar mit dem BG geregelt worden. Er, Dr. B., verzichte auf Geltendmachung von Kosten gegenüber der Staatsoberkasse oder einem Bediensteten des Staates. Nach Vorliegen des Gutachtens erteilte der Beschwerdeführer (BF) am 27. Februar 1973 einen abhelfenden Neufeststellungsbescheid und erkannte in der mündlichen Verhandlung zusätzlich weitere Schädigungsfolgen an. Der BG nahm das Anerkenntnis an und erklärte den Rechtsstreit für erledigt, soweit er Schädigungsfolgen betraf. Bezüglich seines weitergehenden Anspruchs aus § 30 Abs. 2 BVG erging am 7. Mai 1973 ein klageabweisendes Urteil. Überdies entschied das Sozialgericht in derselben Sitzung auf den Hauptantrag des BG, die für das Gutachten Dr. B. verauslagten Kosten in gesetzlicher Höhe auf die Staatskasse zu übernehmen und auf dessen Hilfsantrag, die Kosten dem BF aufzuerlegen durch Beschluss dahin, daß die für dieses Gutachten vom BG verauslagten notwendigen Kosten dem BF auferlegt würden. Im übrigen wurde der Antrag zurückgewiesen. In den Gründen führte das Sozialgericht aus, Kosten der Begutachtung nach § 109 SGG seien Gerichtskosten. Verzichte der Sachverständige auf die Entlohnung seitens der Staatskasse, so könnten ihr und dem Gericht keine Kosten entstehen. Die Gutachtenskosten könnten nach zulässigem und wirksamem Verzicht allein nach § 193 SGG als außergerichtliche Kosten erstattet werden. Nach dem Sach- und Streitstand im Zeitpunkt der Erledigung der Klage wäre der BF ohne Abgabe seines Anerkenntnisses und dessen Annahme durch den BG vermutlich gemäß dem Klageantrag verurteilt worden. Das wäre die sich aus dem Gutachten Dr. B. ergebende Schlußfolgerung gewesen. Es habe sich somit als zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung erforderlich erwiesen.

Gegen diesen Beschluss vom 7. Mai 1973, der ihm am 14. Juni 1973 zugestellt worden ist, richtet sich die am 11. Juli 1973 eingegangene Beschwerde des BF, welcher das Sozialgericht ebensowenig abgeholfen hat wie der am 9. August 1973 bei ihm eingegangenen Anschlußbeschwerde des BG.

Der BF trägt vor, die Kostenentscheidung laufe auf eine Umgehung des § 109 SGG hinaus. Die nach dieser Vorschrift entstehenden Kosten seien Gerichtskosten, die nicht zu außergerichtlichen gemacht und auf ihn übergewälzt werden dürften. Der Verzicht des Sachverständigen auf Kostenerstattung gegenüber dem Gericht ändere daran nichts.

Der RF beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Frankfurt/Main vom 7. Mai 1973 aufzuheben.

Aus dem Vorbringen des BG ist zu entnehmen, daß er sich diesem Antrag anschließt. Er moniert, daß das Sozialgericht seinen Hauptantrag zurückgewiesen habe, was mit den Bestimmungen des § 109 SGG nicht vereinbar sei.

Wegen des Vorbringens der Beteiligten im übrigen wird auf den Inhalt ihrer Schriftsätze verwiesen.

Die gemäß § 172 zulässige, nach § 173 SGG frist- und formgerecht eingelegte Beschwerde, welcher das Sozialgericht in Anwendung des § 174 SGG nicht abgeholfen hat, hatte in der Sache Erfolg, ebenso wie die unselbständige, den formellen Erfordernissen entsprechende Anschlußbeschwerde des BG in dem Umfang, in welchem sie geltend gemacht worden ist.

Der Auffassung des Vordergerichts, im Falle des Vorliegens einer Erklärung des nach § 109 SGG benannten medizinischen Sachverständigen, auf Geltendmachung seiner Kosten gegenüber der Staatskasse zu verzichten, komme als kostenregelnde Vorschrift die des § 193 SGG in Betracht, konnte sich der Senat nicht anschließen. Sollte der 4. Senat des Hessischen Landessozialgerichts in seinem Beschluss vom 26. Mai 1971 (Az.: L-4/S-30/70) diese vom Sozialgericht geäußerte Ansicht auch vertreten – vgl. insoweit seinen auf Seite 7 a.a.O. gemachten Hinweis, es habe aus instanziellen Gründen und solchen, welche die sachliche Zuständigkeit beträfen, keine Veranlassung bestanden, den Antrag des dortigen Klägers als aus den Eventualantrag auf Kostenquotelung begründete Erinnerung gegen den Kostenansatz durch den Urkundsbeamten anzusehen –, dann würde ihr gleichfalls nicht beigepflichtet werden können. Denn an dem Grundsatz, daß die Kosten nach § 109 SGG Gerichtskosten sind und bleiben, ist nach weitaus herrschender Auffassung, welcher der erkennende Senat folgt, nicht zu deuteln (s. hierzu dem Beschluss des LSG Niedersachsen vom 25. Oktober 1966 in Breithaupt 1967 S. 258 ff. und das dort zitierte Schrifttum). Daran ändert weder die Verzichtserklärung des Arztes auf Geltendmachung seiner Sachverständigengebühren gegenüber der Staatskasse etwas noch der Antrag eines Antragstellers nach § 109 SGG, die unmittelbar von ihm geforderten und gezahlten Gebühren des Arztes seines Vertrauens für das erstattete Gutachten dem Beklagten nach § 193 SGG aufzuerlegen.

Auszugehen ist nach Auffassung des erkennenden Senats von der Vorschrift des § 183 SGG, welche die Gerichtskostenfreiheit im sozialgerichtlichen Verfahren postuliert. Sie läßt Ausnahmen zu. Eine solche ist in § 109 Abs. 1 Satz 2 SGG für den Fall enthalten, daß das Gericht die Anhörung eines bestimmten Arztes auf Antrag von der Einzahlung eines Kostenvorschusses anhängig macht. Dann hat der Antragsteller das Kostenrisiko bis zum einer "anderen Entscheidung des Gerichts” über die endgültige Tragung der Gesamtkosten. Dieses Risiko kann ihm nur abgenommen werden durch diese "andere”, d.h. für ihn positive Entscheidung, daß die Kosten – als Gerichtskosten im Sinne von Auslagen – auf die Staatskasse übernommen werden. Das Ergebnis entspricht insofern wieder dem Grundsatz des § 183 SGG. Kommt es zu einer solchen Entscheidung trotz Beantragung nicht, so bleiben die Aufwendungen des Antragstellers Gerichtskosten, die indessen dieser selbst endgültig trägt.

Im vorliegenden Fall liegen die Voraussetzungen des § 109 Abs. 1 Satz 2 SGG in bezug auf die Kostenvorschußverpflichtung des BG gleichfalls vor. Aus den Inhalt der Streit- und Beschwerdeakten ist nichts zu entnehmen, was darauf hindeutet, der Vorderrichter hätte ohne Einreichen der von ihm Kostenregelungebescheinigung genannten Erklärung des Dr. B. vom 17. Februar 1972 von der Anforderung eines Kostenvorschusses keinen Gebrauch gemacht. Er sagt im Gegenteil im angefochtenen Beschluss selbst, er habe aufgrund des Verzichts einen solchen nicht angefordert. Auch weist er in seinem Schreiben an den BG vom 6. Oktober 1972 (Bl. 16 GA) in Gegensatz zu seiner später ist Beschluss geäußerten Rechtsauffassung u.a. darauf hin, daß alle baren Auslagen aus Anlaß der Untersuchung sowie der Bruttoverdienstausfall vorbehaltlich seiner anderen Entscheidung selbst zu tragen seien. Sollten die Kosten später durch das Gericht auf die Staatskasse übernommen werden, so könne sich der BG eines mitgeschickten Antrages bedienen. Die vom BF und von BG gleichermaßen gegebenen Hinweise auf die Kommentarstellen Peters-Sautter-Wolff in Anm. 5, II/74 – 74, liegen hiernach neben der Sache. Denn die Ausführungen der Kommentatoren betreffen den gerade nicht vorliegenden Sachverhalt, daß ein Gericht keinen Vorschuß erheben wollte und erhoben hat, etwa weil es sich die Auffassung des Antragstellers nach § 109 SGG über die Ermittlungswürdigkeit und -bedürftigkeit bestimmter Tatsachen zu eigen gemacht hat.

Daß der BG tatsächlich keinen vom Vordergericht bezifferten Kostenvorschuß an die Staatskasse, sondern am 18. Oktober 1972 einen solchen von 50,– DM unmittelbar an den Arzt seines Vertrauens geleistet und nach Erstattung des Gutachtens alsdann die Rechnungen abzüglich dieser 50,– DM beglichen hat, steht der Heranziehung des § 109 Abs. 1 Satz 2 SGG als Rechtsgrundlage nicht entgegen. Denn der BG hat für seine Person nicht auf die Geltendmachung ihm entstandener Kosten gegenüber der Staatskasse verzichtet. Diesen entscheidenden Umstand hat das Vordergericht zu Unrecht nicht gewürdigt.

Der Senat folgt ihm und der Auffassung des 4. Senats in seinem Beschluss vom 26. Mai 1971 a.a.O. zwar ohne Einschränkung dahin, daß die Verzichtserklärung eines medizinischen Sachverständigen, die sich auf die Geltendmachung ihm zustehender Gebühren gegenüber der Staatskasse erstreckt, rechtlich möglich und gültig ist. Damit ist aber nicht gesagt daß dem Antragsteller nach § 109 SGG – hier dem BG – Kosten in Sinne des § 109 SGG nicht entstanden sind, was der 4. Senat folgert und weiter nicht, daß dann nur noch eine zivil-rechtliche Beziehung des BG mit dem Gutachter Dr. B. besteht, was der Vorderrichter meint. Denn neben dieser Beziehung, die zwischen begutachtendem Arzt und Probanden und umgekehrt übrigens gleichermaßen vorhanden ist, wenn auf Anforderung des Gerichts ein Kostenvorschuß eingezahlt wird und die auch praktisch wird, falls sich der begutachtend Arzt wegen eines vom Vorschuß nicht gedeckten Betrages letzte Endes an seinen Auftraggeber wenden muß, bleibt die Beziehung Antragsteller nach § 109 SGG einerseits und Staat andererseits aufrechterhalten. Sie kann nur gelöst werden, wenn dieser Antragsteller für seine Person gleichfalls auf die Geltendmachung von Kosten für das Gutachten rechtsgültig verzichten könnte und verzichtet hätte. Die Voraussetzungen hierfür waren indessen im einzelnen nicht zu prüfen. Lediglich in einem solchen Falle könnte der Entscheidung des Gerichts nach § 109 Abs. 1 Satz 2 SGG die Grundlage entzogen sein, nicht aber schon, wenn der Gutachter für sich allein und nicht auch rechtsverbindlich für den Antragsteller Verzicht leistet. Der erkennende Senat folgt insoweit für die praktische Schlußfolgerung der Gedankenführung des 3. Senats des Hessischen Landessozialgerichts, die dieser in seinen Beschlüssen vom 18. April 1967 und 12. Juli 1972 (Az.: L-3/B-64/66 und 6/72) zum Ausdruck gebracht hat. Im Ergebnis ist die Lage nicht anders, als wenn der BG einen Kostenvorschuß bei der Staatskasse eingezahlt und der Sachverständige Dr. B. hieraus seine Gebühren erhalten hätte. Auch in diese Fall – dem Normalfall – hätte der BG bis zu einer anderen Entscheidung des Gerichts die Kosten des Gutachtens zu tragen gehabt.

Bestand hiernach sein mit dem Hauptantrag geltend gemachter Anspruch auf eine Beschlussfassung des Sozialgerichts unter Anwendung des § 109 Abs. 1 Satz 2 SGG weiter, so konnte sein Hilfsantrag keine rechtliche Bedeutung gewinnen. Es war über Gerichtskosten und nicht über außergerichtliche Kosten zu befinden, welche die Regelung des § 193 Abs. 2 SGG nach herrschender Meinung zum Gegenstand hat. Auf die Ausführungen des Landessozialgerichts Niedersachsen in seinem Beschluss vom 25. Oktober 1966 a.a.O. war vorliegend in diesem Zusammenhang nicht einzugehen. Selbst unterstellt, es könnten tatsächlich die dort angenommenen besonderen Umstände dazu führen, daß das Gericht die Erstattung der Kosten nach § 109 Abs. 1 Satz 2 SGG ablehnt, weil das Gutachten des gehörten Arztes zur Aufklärung des Sachverhaltes nicht beigetragen hat, aber die Benennung dieses Arztes von Standpunkt des Antragstellers den Umständen nach zweckentsprechend erschien, so daß seine Aufwendungen nach § 193 SGG zu den erstattungsfähigen Kosten gehören, ist ein solcher Fall hier nicht gegeben. Das Gutachten des Dr. B. war vielmehr sachdienlich i.S. des § 109 SGG, weshalb die Kosten auch auf die Staatskasse zu übernehmen waren, wie im Tenor des Beschlusses ausgesprochen worden ist. Der Vorderrichter war in diesen Punkt derselben Meinung. Seine Begründung, weshalb die Kosten von den BF in Anwendung des § 193 SGG zu übernehmen seien, gilt gleichermaßen für die Vorschrift des § 109 SGG. Das Gutachten hätte zur Urteilsfindung in wesentlichem Umfang beigetragen.

Nach alledem war der angefochtene Beschluss aufzuheben und wie geschehen zu entscheiden. Da das Verfahren insoweit seine Erledigung durch ein angenommenes Anerkenntnis gefunden hat, besteht zwar noch der Anspruch des BG auf eine Entscheidung des Sozialgerichts durch Beschluss über die ihm abgesehen von dem Gutachten entstandenen tatsächlich unter § 193 SGG fallenden außergerichtlichen Kosten. Da er sie ersichtlich jedoch bisher noch nicht geltend gemacht und das Sozialgericht dementsprechend im angefochtenen Beschluss darüber auch nicht entschieden hat, war der Senat seinerseits einer Entscheidung hierüber enthoben.

Dieser Beschluss kann mit der Beschwerde nicht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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