L 5 V 1149/71

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
5
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 5 V 1149/71
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Die Kostenübernahme für die stationäre Behandlung eines Beschädigten in der nächsthöheren Pflegeklasse nach § 18 c Abs. 3 S. 3 BVG soll eine wirksame Heilbehandlung sicherstellen und nicht etwa die weitere Berufsausübung ermöglichen oder erleichtern.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 7. Oktober 1971 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Der 1920 geborene Kläger war früher in D. als Rechtsanwalt und Notar tätig und dabei mit dem Rechtsanwalt und Notar Dr. R. assoziiert. Nach dem Bescheid des früheren Beklagten vom 10. Dezember 1965 bezog er eine Beschädigtenrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 40 v.H. vor allem wegen chronischer Leberentzündung. In der Zeit vom 20. Oktober bis 26. November 1969 wurde er wegen einer akuten Verschlimmerung seiner chronischen Leberentzündung in der Medizinischen Klinik des E. in D. behandelt. Mit einem an die Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK) D. gerichteten und dem Versorgungsamt D. abschriftlich zugesandten Schreiben vom 18. Oktober 1969 bat der Kläger um Gewährung von Krankenhausbehandlung in der II. Pflegeklasse, weil er zur Vermeidung erheblicher Verdienstausfälle seine Praxis nicht brach liegen lassen könne. Hierzu benötige er eine ruhige Umgebung (ggf. Einzelzimmer), und zwar vor allem für Besprechungen mit seinen Mandanten. In einer versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 23. Oktober 1969 wurde die begehrte Kostenübernahme für die II. Pflegeklasse nicht befürwortet, da – auch unter Berücksichtigung des vorstehenden Schreibens – medizinisch keine entsprechenden Gründe ersichtlich seien. Dementsprechend lehnte der frühere Beklagte mit Bescheid vom 23. Oktober 1969 die Kostenübernahme nach § 18 Abs. 5 in Verbindung mit § 18 c Abs. 3 BVG ab. Diese komme bei bestimmten besonders schweren Schädigungsfolgen infrage, wenn diese besondere ärztliche Maßnahmen und besondere Ruhe und Pflege erforderten. Medizinisch sei für einen "akuten Schub bei chronischer Hepatitis” die übliche Krankenhausbehandlung wie bei Kassenmitgliedern ausreichend. Dagegen sei die vom Kläger beabsichtigte Fortführung der Praxis mit der Voraussetzung einer besonderen Ruhe und Pflege nicht vereinbar. Mit dem dagegen eingelegten Widerspruch machte der Kläger insbesondere geltend, der Beklagte habe den § 18 c Abs. 3 BVG ermessensfehlerhaft angewandt. Die darin gebrauchte Formulierung "besonders im Hinblick auf die anerkannten Schädigungsfolgen” sei nur beispielhaft, aber nicht abschließend gemeint. Deshalb könnten "besondere Umstände” im Sinne dieser Vorschrift auch beruflicher Natur sein, und zwar hier die Notwendigkeit, eine umfangreiche Rechtsanwalts- und Notarpraxis plötzlich zu verlassen. Die Vertretung durch seinen Sozius sei keineswegs ausreichend, weil dieser nur die allernotwendigsten Dinge habe erledigen können.

Mit Bescheid vom 9. Januar 1970 half der frühere Beklagte dem Widerspruch nicht ab. Die Ablehnung des Begehrens sei nicht ermessensfehlerhaft gewesen. Bezüglich der "besonderen Umstände” habe der Gesetzgeber nach den Gesetzesmaterialien (vgl. Wilke 3. Aufl. S. 170) nicht u.a. an eine Ermöglichung oder Erleichterung einer beruflichen Tätigkeit gedacht, sondern daran dass Fälle denkbar seien, im denen eine gesundheitlich notwendige Ruhe oder Pflege in der III. Klasse nicht zu verschaffen sei. Diese komme nur dann infrage, wann der Gesundheitszustand und die Eigenart der Erkrankung besondere ärztliche Maßnahmen, besondere Ruhe und Pflege erforderten. Im übrigen erhöhte der frühere Beklagte mit Neufeststellungsbescheid vom 22. September 1970 die Rente des Klägers nach § 62 BVG infolge Verschlimmerung ab 1. Oktober 1969 auf 70 v.H. wobei nunmehr eine "chronische Leberentzündung mit bindegewebigem Umbau” als Schädigungsfolge anerkannt wurde. Schließlich wurde die Rente mit Bescheid vom 5. Mai 1971 ab 1. Januar 1971 unter Berücksichtigung eines besonderen beruflichen Betroffenseins aufs 100 v.H. erhöht.

Mit seiner hierauf erhobenen, auf Verurteilung des früheren Beklagten zu der streitigen Kostenübernahme gerichteten Klage wiederholte der Kläger weitgehend sein Widerspruchsvorbringen. Er wies ferner darauf hin, dass der Gesetzestext keine Einschränkung der "besonderen Umstände” auf medizinische Notwendigkeiten enthalte. Dazu komme noch, dass vorliegend die bei ihm vorhanden gewesene Existenzsorge seine Heilung beeinträchtigt hätte. Im übrigen habe er am 1. März 1971 seine Praxis infolge des Leberleidens aufgeben müssen.

Mit Urteil vom 7. Oktober 1971 wies das Sozialgericht Darmstadt die Klage als unbegründet ab und ließ die Berufung gegen das Urteil zu. Es folgte zwar im wesentlichen der Auffassung des Beklagten, vertrat aber die Ansicht, dass u.U. auch berufliche Gründe eine Unterbringung in der II. Pflegeklasse rechtfertigen könnten, falls hierdurch die Heilung gefördert würde.

Gegen dieses am 8. November 1971 ihn abgesandte Urteil hat der Kläger am 25. November 1971 Berufung eingelegt. Mit ihr macht er unter Wiederholung seines bisherigen Vorbringens vor allem geltend, es habe seinerzeit für den notwendigen Kontakt mit seinen Mandanten und seiner Praxis im E. nur in der II. Pflegeklasse eine tägliche Besuchszeit, Telefon am Bett und 2–3 Bettzimmer gegeben. Derartige Umstände habe der Bundesminister für Arbeit offenbar bei der Abfassung der einschlägigen Verwaltungsvorschriften übersehen. Die ganz erheblichen Existenzsorgen eines freiberuflichen Patienten – z.B. die weiterlaufenden fixen Kosten – beeinträchtigten die Heilung, und zwar ganz besonders bei Leberleiden.

Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 7. Oktober 1971 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheides vom 23. Oktober 1969 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 9. Januar 1970 nur Übernahme der durch die stationäre Heilbehandlung des Klägers in der Zeit vom 20. Oktober bis 26. November 1969 im D.krankenhaus E. in D. entstandenen Kosten der II. Pflegeklasse zu verurteilen.

Das nach Umzug des Klägers nach N. passiv legitimiert gewordene Land Niedersachsen beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Es macht geltend, dass Vertretungen unter Anwälten – ebenso wie z.B. auch bei Ärzten – während Urlaub und Krankheit usw. üblich seien. Eine Existenzangst sei auch im Hinblick auf den Einkommensausgleich nach § 17 BVG unbegründet gewesen.

Der Kläger hat dem entgegnet, dass der genannte Einkommensausgleich nicht ausreiche, da seine Klientel aus einem festen Mandantenstamm – insbesondere Verlegern – bestanden habe, wobei ein Verlust auch nur eines Mandanten einen lang dauernden und im einzelnen kaum feststellbaren Schaden verursachen könne.

Auf den weiteren Inhalt der Gerichts- und Versorgungsakten wird im einzelnen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist zulässig. Sie ist insbesondere form- und fristgerecht eingelegt (§ 151 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes –SGG–) und ungeachtet der Vorschrift des § 144 Abs. 1 Nr. 2 SGG statthaft, da sie das Sozialgericht im Urteil zugelassen hat (§ 150 Nr. 1 SGG).

Die Berufung ist jedoch unbegründet. Der Entscheidung des Sozialgerichts ist jedenfalls in Ergebnis beizupflichten.

Nach § 18 c Abs. 3 Satz 3 BVG können in besonderen Fällen die Kosten dar stationären Behandlung eines Beschädigten in der nächsthöheren Pflegeklasse übernommen werden, wenn es nach den Umständen, insbesondere im Hinblick auf die anerkannten Schädigungsfolgen, erforderlich erscheint. Bei dieser hier maßgebenden Kannvorschrift ist die Überprüfung des Senats auf die Feststellung etwaiger Ermessensfehler des früheren Beklagten im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 2 SGG beschränkt. Solche sind indessen nicht festzustellen.

Was der Gesetzgeber in § 18 c Abs. 3 Satz 3 BVG mit "besonderen Fällen” und "nach den Umständen” meint, ist mit dem Hinweis "insbesondere im Hinblick auf die anerkannten Schädigungsfolgen” nur unvollkommen umschrieben; immerhin sind aber mit diesem Hauptbeispiel offenbar medizinische Gründe ins Auge gefasst. Wesentlich genaueren Aufschluss über den Sinn und Zweck des Gesetzes geben jedoch dessen Materialien (vgl. Bundestagsdrucksache IV/1831 S 4 zu § 14 BVG a.F.), die zur Auslegung des Gesetzeswortlauts heranzuziehen sind. Hiernach war aber die vorliegend streitige Vorschrift deshalb erforderlich, weil es Fälle geben könne, bei denen die wegen der akuten Gesundheitsstörung oder des allgemeinen Gesundheitszustandes notwendige Ruhe und Pflege nicht in der III. Pflegeklasse verschafft werden kann. Hieraus ergibt sich nun eindeutig, dass § 18 c Abs. 3 Satz 3 BVG allein medizinische Zwecke verfolgt (so auch Thannheiser-Wende-Zech, Handbuch des Bundesversorgungsrechts Bd. I S. 4 zu § 18 c BVG), also eine wirksame Heilbehandlung sichern und nicht etwa primär die weitere Berufsausübung ermöglichen oder erleichtern will. Ebenso kann nach der Verwaltungsvorschrift Nr. 6 zu der vorgenannten Bestimmung dann stationäre Behandlung in der nächsthöheren Pflegeklasse gewährt werden, wenn der Gesundheitszustand des Beschädigten oder die Eigenart seiner Erkrankung besondere ärztliche Maßnahmen oder besondere Ruhe und Pflege erfordern (vgl. auch Rundschreiben des BMA vom 27.2.1964 in BVBl. 1964 S. 35). Diese Auffassung hat sich auch das Bundessozialgericht (vgl. Breithaupt 1968 S. 55) jedenfalls im Ergebnis zu eigen gemacht. Sie steht auch nicht etwa im Widerspruch zu der Gesetzesformulierung "insbesondere im Hinblick auf die anerkannten Schädigungsfolgen”, da die Unterbringung in der II. Pflegeklasse außer bei Schädigungsfolgen auch bei Nichtschädigungsfolgen vorgenommen werden kann.

Schließlich kann auch nach der Gesamtregelung des Bundesversorgungsgesetzes die vom Kläger erwähnte Existenzangst und etwaige gesundheitliche Nachteile hiervon vom Gesetzgeber nicht als "besonderer Umstand” im Sinne des Gesetzes gemeint sein, da in derartigen Fällen die Vorschriften der §§ 17, 17 a BVG einen zwar nicht stets vollen, aber doch immerhin ausreichenden Ausgleich schaffen, wobei nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. Urteil vom 12.12.1969 – 8 RV 787/68 in SozE BSG IX/3 Nr. 1 zu § 17 a BVG im Falle eines Zahnarztes in § 17 a BVG unter "Erwerbsgrundlage” die auf die Zukunft ausgerichtete Einkommensquelle zu verstehen ist, was der Kläger anscheinend nicht genügend berücksichtigt.

Nach alledem war die unbegründete Berufung, wie geschehen, zurückzuweisen, wobei die Entscheidung nach § 124 Abs. 2 SGG im Einverständnis mit den Beteiligten ohne mündliche Verhandlung ergehen konnte.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Im Hinblick auf die Gesetzesmaterialien und die BSG-Rechtsprechung ist die vom Kläger angeregte Zulassung der Revision nicht notwendig (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG).
Rechtskraft
Aus
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